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Königskinder
ОглавлениеHoheit strebt nach Perfektion. Eine einfache Regel, die die Grundfeste ihrer Welt setzte. Eine ermüdende Regel zweifellos, aber Koryphelia konnte nicht behaupten, dass sie eine Wahl gehabt hätte. Sie war in eine Rolle hineingeboren worden, in der ihr nichts anderes übrig blieb, als das Beste aus ihrer Situation zu machen. Es hatte immer viele Regeln in ihrem Leben gegeben und sie hatte erst mit der Zeit gelernt, welchen sie sich fügen musste und welche sie biegen konnte.
Das Leben der Menschen, die nun um sie herum waren, war anders. Auch hier gab es einen festen Regelkodex, ob sie es nun wussten oder nicht, aber es waren gänzlich andere Paradigmen. Koryphelia versuchte, sich anzupassen, erließ dem einzig netten Mädchen in ihrem Alter gerne die Höflichkeitsfloskeln und gab sich allergrößte Mühe, nicht das verwöhnte Prinzesschen zu sein, das sie alle in ihr sahen. Die Faust war die Impertinenz in Person und die Blinde war ein Enigma der Andersartigkeit. Das Harethimädchen, das man ihr als Rish vorgestellt hatte, schien immerhin ein gewisses Maß interpersoneller Kompetenzen aufweisen zu können. Wenn es zu den Männern der Gruppe kam, hatte die Prinzessin entschieden, freundliche Vorsicht walten zu lassen. Der Pyromane, der Om’falo in Brand gesteckt hatte, hatte sich glücklicherweise zurückgezogen und der Magier, der ihr seine kultivierte Höflichkeit allzu deutlich unter die Nase rieb, war schon ob seiner Natur mit Bedachtsamkeit zu behandeln. Der Messerdämon selbst – das stand außer Frage – hatte ein solch exzessives Maß an Stolz und Arroganz, dass sie gar nicht erst versuchen wollte, dem beizukommen. Bereits bei ihrer Entführung, die kaum die Bezeichnung verdiente, hatte sie gemerkt, dass dieser Mann seinen Ruf zu Recht genoss. Es war nicht davon auszugehen, dass er seine naturgegebene Fehlbarkeit vor irgendeinem Menschen eingestehen würde. Deshalb, und nur deshalb, saß die Prinzessin von Cecilia nun in ihrer Kajüte und hörte den Schreien von draußen zu.
Koryphelia war von Natur aus mit einer gesunden Neugierde und einer gewissen Intelligenz gesegnet, die ihr Vater ihr nicht zutraute. Sie wollte wissen, was dort an Deck vorging und wollte gleichzeitig die Situation nicht noch schwieriger machen. Angestrengt hörte sie zu, versuchte zu verstehen und einzuschätzen was vorging. Es war wahrlich nicht besonders leicht, die gedämpften Geräusche durch die Bordwände hindurch zu vernehmen. Eindeutig war nur, dass Chaos ausgebrochen war und sie sich mit erhöhter Geschwindigkeit bewegten. Da hatte der Messerdämon wohl sein Zeichen gegeben. Immerhin schien der Kapitän in der Lage, Anweisungen zu befolgen. Menschen, die an ihre Rolle als Kommandant gewöhnt waren, schienen allzu häufig zu versessen, es zu behalten. Bei uneingeschränkter Aufrichtigkeit ging es ihr auch selbst so. Macht war ein Freund, dem man gar zu leicht verfiel.
Die Schreie verklangen, wurden zu einem Echo in der Ferne und es wurde ruhig an Bord. Ebenso gut hätte das Schiff nun verwaist sein können. Keine Stimme drang an ihr Ohr, keine Schritte. Vorsichtig schob die Prinzessin die Tür ihrer Kajüte auf und schritt auf leisen Sohlen auf die Treppe zum Deck zu. Zu ihrer großen Erleichterung konnte sie nun doch wieder leise Schritte vernehmen. Keine Menschenseele begegnete ihr zwischen den Kajüten und bewusst vorsichtig schob sie die Luke einen Spalt auf, um einen Blick an Deck erhaschen zu können.
Dort, unterhalb der Reling, zu Füßen des Dämons, lag ein Harethi auf dem Rücken und starrte mit Überraschung und Furcht in die Ferne und auf Machairi, der, die Hand zum Gruß gehoben, seine Aufmerksamkeit nicht auf den Prinzen gerichtet hatte. Der Mann, mit dem ihr Vater sie vermählen wollte, schien perplexer Reglosigkeit verfallen. An seiner Identität konnte allerdings kein Zweifel gehegt werden. Selbst wenn sie nie ein Porträt von ihm gesehen hätte, wäre spätestens die abenteuerlich geschnittene rote Kleidung ein eindeutiges Indiz gewesen. Was dachte sich der Verbrecher dabei, nun schon das zweite Monarchen-Kind an Bord festzuhalten? Fasziniert beobachtete Koryphelia, wie alle an Deck gebannt zurückblickten. Keine sinnvolle Erklärung wollte ihr einfallen, wie sie es geschafft hatten, dass das andere Schiff zurückblieb. Kanonen waren gefeuert worden und garstige Schreie hatten ihr Ohr erreicht. Dennoch schienen weder Schiff noch Besatzung zu Schaden gekommen zu sein, während die Verfolger fort waren. Welch seltsame Wendung.
Erst als Machairi sich ihm zuwandte kam wieder Leben in den Prinzen. Mit einer schnellen Bewegung kam er elegant auf die Füße und die Prinzessin erwischte sich dabei, ihn ganz genau zu mustern. Dieser Mann sollte also ihr Gatte werden. Äußerlich, so musste sie zugeben, hätte sie sich nicht beschweren können. Zedian war ein hübscher junger Mann, wenn er auch etwas verschreckt dreinblickte. Die Sache, die das beobachtende Mädchen spontan am ärgsten störte, war jedoch das Alter ihres Versprochenen. Zwar war er jung genug, um sich guten Gewissens als junger Mann bezeichnen zu können, doch er war mit Sicherheit älter als die Diebe und der Schatten selbst, der ihn noch immer genaustens beobachtete. Koryphelia sollte an ihrem sechzehnten Geburtstag heiraten und dieser Mann war knapp zehn Jahre älter. Vermutlich sollte sie dankbar sein, dass es nicht noch mehr waren. Angenehm wurde der Gedanke dadurch nicht.
Der Prinz zog sein Schwert und machte einen Schritt zurück. Die Klinge blitzte im hellen Licht der Sonne und richtete sich auf Machairi. Grothia ließ die Knöchel knacken und der Rest wich hastig ein ganzes Stück zurück. Nur der Messerdämon regte sich nicht. Ruhig, als bekäme er einen Blumenstrauß anstelle einer geschliffenen Klinge entgegengestreckt, stand er da und musterte Zedian.
Langsam schien der zukünftige Sultan seinen Schreck zu verarbeiten und legte ein würdevolleres Verhalten an den Tag. »Ich habe nicht geglaubt an Geschichten von Dämonen.« Die Stimme hatte er gesenkt und das verstärkte seinen Akzent. Doch rätselhafterweise machte dies seine Worte wirkungsvoller. »Es waren gute Menschen auf diesem Schiff!« Wut zeichnete die gleichmäßigen Züge des Harethi und er stieß sein Schwert erstmals in die Richtung seines Gegenübers.
Als sei es das Selbstverständlichste der Welt wich Machairi aus. Er drehte sich nur leicht zur Seite, sodass das Schwert ins Nichts traf. Keine seiner Bewegungen zeugte von Hektik oder auch nur von Eile. Eine Prinzessin sah viele Menschen kämpfen. Koryphelia hatte es sogar genossen, Trainingskämpfen zuzusehen, doch hatte sie noch nie jemanden so leichtfertig elegant ausweichen sehen. »Sie wird sie nicht töten … nicht absichtlich.« In seine Gleichgültigkeit mischte sich eine Spur von Amüsement. »Sie braucht von Zeit zu Zeit Unterhaltung.«
Koryphelia sah sich in einer unangenehmen Situation: Sie hatte nicht die geringste Vorstellung, worum es gehen konnte. Alles, was sich ihren Augen bot, war ein Prinz, dem die Wut das Blut ins Gesicht trieb. Nur schwer war es zu sehen unter der dunklen Haut, doch für jemanden, der so ungestört beobachten konnte wie die Prinzessin, die noch immer auf der Treppe stand, war es dennoch zu erkennen. »Bástardo«, presste Zedian tonlos hervor und ausnahmsweise waren sich ihre Sprachen ähnlich genug, dass es keiner Fremdsprachenkenntnis bedurft hätte, ihn zu verstehen.
»Leider nicht«, antwortete der Dämon beiläufig, weiteren Schwerthieben geschmeidig ausweichend. Es war geradezu schön anzusehen. Wie ein beeindruckender Tanz oder ein mitreißendes Schauspiel. Die sauberen und geübten Kampfschritte des Prinzen wirkten dagegen hilflos und dilettantisch.
»Wehr dich, Dämon«, forderte Zedian. Man konnte der Wut zusehen, wie sie ihn überrollte und vereinnahmte, einen Menschen aus der Ruhe brachte, der sich sonst selten aufregen ließ. Mit ihr kehrte der Leichtsinn ein und ließ den fremden Mann die Warnungen in den Wind schlagen, die seine Geschichten beinhaltet haben mussten. »Ich werde nicht der nächste Gefangene auf diesem Schiff sein!« Blankes Metall schnitt durch die Luft und verfehlte den Schatten wieder und wieder. Gelegentlich sah es gar so aus, als fahre die Klinge tatsächlich durch einen Schatten, so schnell bewegte sich ihr Ziel zur Seite.
Wie die Kämpfenden sich drehten, erhaschte die Prinzessin erstmals einen Blick auf die Züge des Cecilian und fuhr im Halbdunkel der geöffneten Luke zusammen. Abgrundtief schwarze Augen musterten den fremden Prinzen mit eisiger Kälte, die selbst Koryphelia durch Mark und Bein fuhr. Er war furchteinflößend. »Es gibt keine Gefangenen.« Ein bedrohlicher Unterton durchwob das feine Geflecht der Melodie, die er seine Stimme nannte.
»Ich … bin nicht … freiwillig hier!« Äußerst peinsam stockte der Prinz beim Sprechen, weil er nun mehr Kraft in seine Hiebe fließen ließ und gleichzeitig mit der fremden Sprache kämpfte. Koryphelia schob die Luke etwas weiter auf, um besser sehen zu können, während sie gebannt das Geschehen verfolgte.
An dieser Stelle hörte der Schatten auf, nur auszuweichen. Mit einer Geschwindigkeit, dass ein Blinzeln ausgereicht hätte, um es zu verpassen, entwand er dem Prinzen das Schwert, griff an seinen Kragen, zog ihm die Beine fort und kippte ihn über die Reling, dass der Harethi kopfüber über dem Meer hing. Fest umklammerte der weiße Handschuh den kostbaren Stoff der Gewänder des Prinzen, der sich bedenklich unter seinen Fingern spannte. »Ein Wort und ich mache deine Rettung vorm Ertrinken gerne rückgängig.«
Energisch stieß Koryphelia die Luke auf und trat an Deck. Heirat oder nicht, sie konnten Hareths Prinzen nicht einfach ins Meer werfen. Möglichst würdevoll trat sie heran und straffte die Schultern. »Bitte zieh ihn wieder hoch«, sprach sie den Schatten an. Sie hatte ihr ganzes Leben in der Nähe furchteinflößender Männer verbracht, auch wenn Machairi dem Wort eine neue Bedeutung verlieh.
»Solltest du nicht unter Deck sein?«, antwortete er ruhig, ohne die Prinzessin eines Blickes zu würdigen. Er schien nicht gewillt, ihrer Bitte nachzukommen.
»Keine Gefangene, nicht wahr?« Haltung zu bewahren, war nun entscheidend. So auffordernd, wie sie konnte, schaute sie den Schatten an. Noch immer ruhte sein Blick auf Zedian, der unruhig atmend noch mit dem Schreck zu kämpfen schien, während er äußerst hilflos über der Reling hing.
Doch nun fand auch der zukünftige Sultan seine Stimme wieder. »Schon gut!«, stieß er hervor. »Auf eine gesittetere Unterhaltung.« Wundersamerweise schien es, dass er seinen Wunsch erfüllt bekam, denn Machairi zog ihn zurück an Bord.
Hastig brachte der Prinz Abstand zwischen sich und den Schatten und richtete seine Kleider, bevor sich die haselnussbraunen Augen auf Koryphelia richteten. »Prinzessin Koryphelia?«, erkundigte sich der junge Mann nach einer kurzen Pause verbindlich und senkte den Kopf kurz, während er ihr das breiteste Lächeln, das er in dieser Situation aufbringen konnte, schenkte.
Erstmals seit sie den fremden Mann erblickt hatte, wurde ihr wirklich klar, was für eine Bedeutung dieser Mensch in ihrer Zukunft spielen sollte. Der Gedanke hatte zuvor über ihr gehangen wie ein aufziehender Sturm, doch nie hatte sie in letzter Konsequenz realisiert, was das bedeutete. Es schlug nun auf sie nieder und sie musterte den Mann, mit dem sie ihr Leben verbringen sollte, ganz anders. Sich ihrer Manieren erinnernd deutete sie einen Knicks an und nickte. »Sehr erfreut, Liègi«, antwortete sie. Nur weil die Bienen beschlossen hatten, die Höflichkeit zu ignorieren, musste sie das nicht auch tun.
Er schmunzelte und erwiderte ihre Geste mit dem Hauch einer Verbeugung. »Dieser … Mann«, es machte deutlich den Anschein, als habe ihm ein anderes Wort auf der Zunge gelegen, als er auf Machairi deutete, »behauptet, Ihr wäret freiwillig hier?« Skepsis zeichnete Worte und Züge des Harethi. Einen Augenblick haderte die Prinzessin. Die Umstände entsprachen nicht unbedingt dem, was sie sich erhofft hatte, als sie Machairi um Hilfe gebeten hatte. Dennoch konnte sie nicht behaupten, dass sie ernsthaft versucht hätte, sich zur Wehr zu setzen, und im Grunde war genau erreicht, was sie wollte. Außerdem wollte sie nicht wissen, was Machairi tun würde, wenn sie ihm in den Rücken fiel. »So kann man es in der Tat ausdrücken, Liègi.« Ein verbindliches Lächeln zierte ihre Züge. In ihrem Inneren schien sich etwas verknotet zu haben wie eine ungeschickte Schlange, doch die Fassade hielt.
»Warum, Prinzessin, solltet Ihr hier sein wollen?« Echte Sorge klang aus seinen Worten. Sorge, so vermutete sie, um ihren Verstand. Oder er glaubte, dass man sie zwang, dem Schatten zuzustimmen. War doch die Realität so viel komplizierter und weniger freundlich. Sollte sie ihm sagen, dass sie versucht hatte, der Hochzeit mit ihm zu entgehen? Würde er die zahlreichen Gründe verstehen, die sie veranlasst hatten, einen Brief an einen berüchtigten Verbrecher zu schreiben? Als sie nicht direkt antwortete, wandte sich der Prinz wieder Machairi zu. »Wieso wagt Machairi, eine Prinzessin zu entführen?« Sein Tonfall war nicht so vorwurfsvoll, wie zu erwarten gewesen wäre, und er vermochte es, sich erstaunlich überzeugend zu Diplomatie durchzuringen. Möglicherweise verspürte der Fremde nicht das Bedürfnis, erneut kopfüber über dem Meer zu hängen. Tatsächlich war der Gedanke dahinter Koryphelia bereits selbst mehrfach gekommen: Was hatte Machairi davon, ihr zu helfen?
»Ich halte einen geplanten Krieg auf, solange ich kann«, antwortete der Schatten mit kalter Sachlichkeit.
»Wir planen eine Hochzeit. Eine … Friedensangebot?« Er schien Wortfindungsschwierigkeiten zu haben, ob das nun der Sprachbarriere oder der Aussage geschuldet war, blieb ungeklärt. »Ihr alle riskiert, fragilen Frieden zu brechen.« Irritiert sah der Prinz zwischen den Menschen an Deck hin und her. Jedes Auge und jedes Ohr schienen ihre Unterhaltung zu verfolgen.
»Wenn der Sultan glaubt, Thredian würde seine einzige Erbin ohne Hintergedanken an den Sohn eines verabscheuten Feindes verheiraten, ist er noch dümmer als Thredian selbst.« Sobald der Messerdämon sprach, deckte sich eine neue Stille über das Schiff. Aus gespanntem Schweigen wurde andächtige Furcht. Zedian musterte sein Gegenüber, als versuche er angespannt, etwas zu verstehen, was er unmöglich begreifen konnte. Koryphelias Vater hatte viele schlechte Eigenschaften. Kriegslust war eine davon. Für einen entfernten Prinzen konnte dies jedoch höchstens ein Gerücht sein. »Thredian gedenkt, seine Feinde in Sicherheit zu wiegen, und baut darauf, dass man ihm mehr Sorge um das Wohl seiner Tochter zutraut.« Nun musste Koryphelia den Blick abwenden. Machairis Vermutung war gut, traf aber nur einen Teil der Wahrheit.
»Das ist dumm.« Zedians Augen suchten kurz nach seinem Schwert, das zwischen ihnen lag – aus Vorsicht vor dem Wahnsinn, den er in dem Schatten sah. »Wenn Cecilia einen Krieg anfängt, verliert er seine einzige Tochter.« Er warf Koryphelia einen entschuldigenden Blick zu. »Sagtest du nicht, sie ist sein einzige Erbe?« Nun, da er angespannt unruhig war, wackelte sein Cizethi etwas mehr als zuvor. Fast hilfesuchend sah er umher.
»Das legt nahe, dass Koryphelia seit Kurzem eine große Schwester ist. Wenn ich raten müsste, würde ich sagen: es ist ein Junge?« Fragend sah der Schatten in ihre Richtung, doch an der Überlegenheit in seiner Stimme und seinem Blick, sah sie, dass er wusste, dass er recht hatte. Die Nachricht über die Schwangerschaft der jungen Königin und der Geburt ihres ersten Sohnes war geheim gehalten worden. Königin Lydisia war auf einen Landsitz gefahren, um dort ihr Kind zu gebären. Eine Praxis, die man sonst nur für Bastardkinder vollführte.
Was der Schatten nicht zu wissen schien, war, dass ihr Vater durchaus einen Plan hatte, um sie rechtzeitig nach Hause zu bringen, bevor er einen vernichtenden Erstschlag ausführte. Die Prinzessin hatte nur eingewilligt, den Plan zu unterstützen, weil sie wusste, dass sie keine echte Wahl hatte. Ihr Vater hatte ohnehin das letzte Wort über ihre Heirat und seine Pläne verraten konnte sie nicht, ohne ihr Zuhause der Übermacht des Gegners auszusetzen. Den letzten Krieg hatte Hareth gewonnen und angesichts der finanziellen und militärischen Situation war für einen Realisten deutlich zu sehen, dass sie auch aus einem neuen siegreich hervorgehen würden. Außer natürlich, man verfügte über ein allwissendes Orakel, das die Antwort liefern konnte, wie man einen übermächtigen Feind ganz sicher dennoch effektiv besiegen konnte.
Prüfend blickte ihr Verlobter zu Koryphelia und sie ahnte, dass er die Wahrheit in der Schuld in ihren Augen las. »Angenommen ich würde – trotz …«, er machte eine vielsagende Geste in Richtung Heck – »… glauben, an diesen Wahnsinn. Warum erzählt mir ein Mann mit solchem Ruf davon?« Eine Frage, die Koryphelia aus der Seele sprach.
Der Schatten drehte ein Messer durch die Finger und musterte den Prinzen. »Man sagte in Om’falo, Hareths Prinz sei friedliebend. Wenn dem so ist, sind wir auf der gleichen Seite und du verschaffst mir mehr Zeit, einen sinnlosen Krieg zu verhindern.« Es klang ganz diplomatisch, wie er das so sagte. Koryphelia hörte dennoch heraus, dass er blindes Vertrauen von Hareths Prinzen forderte.
»Du hast ein Seemonster auf meine Mannschaft gejagt. Das wirkt nicht besonders friedfertig.« Zedians Hand tastete in einer Welle von Wut reflexartig nach dem Schwert, aber sie fand nur die leere Scheide. Gleichzeitig fragte sich Koryphelia, ob der Prinz vielleicht einen Übersetzungsfehler gemacht hatte. Seemonster schien recht wahrscheinlich nicht das Wort zu sein, das er gesucht hatte. Wie automatisch blickte die Prinzessin zurück und gefror an Ort und Stelle, als sie in der Ferne einen Berg aus der See ragen sah. Einen Berg, der sich zu bewegen vermochte. Ein Berg in der Form eines Körpers. Ein Schiff hing hilflos in seinen Fängen. Was konnte das sein?
»Ich habe ein Messer in den Ozean fallen lassen. Wenn sie ihren Spaß hatte, wird sie von dem Schiff ablassen.« Nur mit halbem Ohr hörte Koryphelia zu, verarbeitete nicht, was gesagt wurde. Noch immer hing ihr Blick auf der Kreatur, die das schnittige Schiff durch die Luft bewegte wie ein Kind, dem man ein Spielzeugboot ins Bad gesetzt hatte.
»Warum sollte ich den Absichten eines Mannes trauen, der sich nicht einmal zu grundlegender Höflichkeit herablässt?« Endlich schaffte Koryphelia es, sich von dem schauderhaften Anblick loszureißen und ihre Aufmerksamkeit wieder dem Gespräch zuzuwenden. Es wird sie nicht alle töten. Es wird sie nicht alle töten, dachte sie nur immer wieder, während sie die Schreie aus ihrer Erinnerung zu verbannen versuchte.
»Auch das beruht auf Gegenseitigkeit.« Auch wenn der Schatten grundsätzlich recht hatte, musste sie Zedian doch zustimmen. Die Arroganz und Überheblichkeit des Schattens waren äußerst unangebracht für einen Mann aus dem Bienenstock, der mit einem Prinzen – oder auch einer Prinzessin – sprach. Ein überlegenes Lächeln zuckte flüchtig über seine Züge. »Da ich die Person bin, die dich jederzeit ins Meer werfen kann, sehe ich mich in keiner Weise zu Respekt genötigt.«
Zedians Kiefer malmte. Man konnte ihm ansehen, dass ihm eine unfreundliche Antwort auf der Zunge lag, doch er schluckte sie herunter. »Wie soll ich irgendjemandem Zeit verschaffen – wenn ich es denn wollte –, wenn ich auf diesem Schiff festsitze?« Seine Beherrschung war bewundernswert.
»Cecilias Schiff war bereits am Horizont zu sehen. Sie werden einen zukünftigen Sultan sicher gerne aus dem Wasser ziehen.« Nun warf auch Koryphelia dem Schatten einen überraschten Blick zu. Sie erwartete ein gemeines Grinsen, stattdessen erblickte sie nur Neutralität und Sachlichkeit in seinem Blick.
»Wenn du mich töten willst, tu es selbst.« Ärger mischte sich in die zuvor beherrschte Stimme und ließ seinen Akzent härter durchklingen.
Machairi blickte über das Deck zum Kapitän, der augenscheinlich höchst bemüht war, sich seiner Crew zu widmen, anstatt das Gespräch zu verfolgen. »Vielleicht hat der Kapitän genug Patriotismus im Blut, um ein Beiboot zu erübrigen.«
»Was, wenn ich nicht das Bedürfnis habe, einem Entführer mit zweifelhaften Motiven zu helfen?« Der Prinz machte dem Dämon einen Schritt hinterher.
»Ich kann niemanden dazu zwingen, Frieden über Feindschaft zu wählen.« Unbeirrt führte er seinen Weg fort. »Du wirst dieses Schiff jetzt verlassen. Mit oder ohne Beiboot.« Damit verschwand er unter Deck.
Koryphelia blieb zurück mit ihrem Verlobten und fühlte eine neue Art von Anspannung, als die Präsenz des Schattens verschwand. Sie fühlte sich auch in Zedians Gegenwart seltsam, jedoch eher ob ihrer seltsamen Beziehung zueinander. Von konträrer Seite schien etwas Vergleichbares auszugehen. Der Prinz räusperte sich. »Ihr erwartet nicht, dass ich glaube, was dieser Dämon sagt, Prinzessin, nicht wahr?« Mit ernster Miene trat er an sie heran und Koryphelia sah sich nicht in der Lage, etwas zu antworten. Auch sie wusste nicht, was Machairi vorhatte, aber seine Vermutungen waren richtiger, als ihr lieb gewesen wäre. »Ihr habt nichts zu befürchten. Für den Augenblick scheint er sich etwas von Eurer Anwesenheit zu versprechen und so lange seid Ihr sicher.« Noch einen Schritt trat er näher. »Wir werden direkt hinter Euch sein«, versprach er dann leise, dass es nicht an die Ohren der lauschenden Schaulustigen dringen sollte. Vorsichtig griff er nach ihrer Hand. »Ich wünschte, wir hätten uns unter angenehmeren Umständen kennengelernt, aber seid unbesorgt. Ihr werdet sehr glücklich sein in Om’falo: Ich werde alles dafür tun, das verspreche ich.«
Hätte sie dem süßen Versprechen doch nur glauben können. Nichts deutete darauf hin, dass sie jemals glücklich werden würde als seine Braut. Etwas zu energisch entzog sie ihm seine Hand. »Ich denke nicht, dass mir das Leben als eine von 42 zusagen wird. Liègi.« Den Titel brachte sie so patzig hervor, dass die Augenbrauen des Prinzen nach oben zuckten.
»Wir werden darüber reden, wenn Ihr in Sicherheit seid, Prinzessin.« Er versuchte ein Lächeln. »Ich werde nicht zulassen, dass ein Verbrecher Euch … Schaden zufügt.«
Beinahe hätte sie gelacht, aber es blieb ihr im Halse stecken. Von all den vielen Befürchtungen, die ihr Gemüt plagten, war das nie auch nur einen Gedanken wert gewesen. Dahingehend fühlte sie sich absolut sicher vor dem Schatten. »Ich denke, es ist besser, wenn Ihr euch nun ein Beiboot besorgt, Liègi. Das Schiff meines Vaters wird sicher nicht lange auf sich warten lassen.« Es war eine reichlich unhöfliche Art, seine Sorge abzutun, das wusste die Prinzessin. Sie glaubte ihm sogar, dass er es gut meinte. Vielleicht mochte sie ihn sogar ein wenig. Es blieb aber dabei, dass sie nicht das Bedürfnis hatte, ihn zu heiraten, und wenn die Dinge so liefen, wie Machairi sie hoffentlich plante, würde sie das auch nicht müssen.
Zedian nickte knapp und trat zurück. »Haltet durch, Prinzessin«, sagte er noch, bevor er sich abdrehte, sein Schwert aufhob und auf den Kapitän zutrat. Immerhin war er in der Lage einzusehen, wenn er keine Alternative hatte. Es machte ihn ungewollt sympathisch.