Читать книгу Emilio und das Meer - Elisa Sabatinelli - Страница 12
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Mein Papa liebt das Meer. Er heißt Emilio. Ich heiße auch Emilio und liebe das Meer. Genauso wie mein Papa. Mein Papa ist ein Taucher. Wenn ich groß bin, möchte ich auch Taucher werden. Genauso wie mein Papa.
Wenn Papa vom Tauchen nach Hause kommt, hängt er seinen Tauchanzug immer in der Küche auf, gleich neben dem Kühlschrank. Da tropft der Anzug dann vor sich hin, plitsch, platsch, mitten auf den Marmorfußboden. Beim Kochen zeigt Mama manchmal auf den Helm und lacht. „Der Helm sieht aus wie ein Fleischklößchen“, sagt sie dann. Leider geht Papa nur noch selten tauchen. Wir sind nämlich umgezogen, in ein kleines Häuschen, ganz schön weit weg vom Strand. Früher haben wir mit Oma und Opa in einem großen Haus am Meer gewohnt. Es war das einzige blaue Haus in der Straße, die anderen Häuser waren nämlich alle grün. Auf unserem Dach wehten viele kleine Fähnchen und unsere Fenster waren rund wie die Bullaugen von einem Schiff.
Auf der Terrasse stand eine große Regentonne, die war voller Schläuche, die aussahen wie lauter Arme und Beine. Die Tonne sollte eigentlich den Regen auffangen, aber einmal in der Woche machte mein Opa daraus für mich eine Badewanne.
Wir hatten auch einen Keller, da wurden die Tauchanzüge der ganzen Familie aufbewahrt. Sie hingen dort wie aufgereihte Roboter an der Wand. Daneben lagen Netze voller Strandgut, verknitterte, vom Salzwasser aufgeweichte Landkarten und haufenweise Gummistiefel. Ich habe mir all das immer so gern angeschaut. Manchmal krabbelte auch Tarti durch den Keller, unsere Landschildkröte mit den müden Augen. Es roch nach Sonne und Salz.
WENN DU IN EINER STADT AM MEER GEBOREN WURDEST, WIRST DU DEN GERUCH DES OZEANS FÜR IMMER IM HERZEN TRAGEN.
Meine Familie und das Meer, wir gehören einfach zusammen. Das war schon immer so. Schon mein Urururgroßvater war Taucher. Er hat die Marina gegründet, einen Treffpunkt für die Taucher der gesamten Küste.
Dort saßen wir immer und lauschten den Geschichten meines Opas. Natürlich handelten sie alle vom Meer. Wir wussten nie, welche wahr und welche erfunden waren, denn Opa hatte viel Fantasie. Er konnte das allerbeste Seemannsgarn spinnen, so nennt man das hier, wenn jemand gern ein wenig flunkert. Nur die Geschichte von der Perle, die war ganz und gar wahr, da waren wir uns sicher!
Sie geht so: Auf dem Meeresgrund vor der Marina, tief unter den ersten, glasklaren Wellen, dort, wo das Wasser dichter und salziger wird, weit entfernt von Licht, Lärm und Stimmen, wohnte eine Perle. Sie war die kostbarste, die weißeste und die reinste Perle der Welt. Eine Perle, die einen gesamten Raum hätte erhellen können. Die Seeleute nannten sie „Die Seele des Meeres“.
Obwohl mein Opa ein großer Abenteurer war, hat er selbst die Perle nie zu Gesicht bekommen. Doch sein Freund, ein Seemann, hat ihm berichtet, dass das gleißende Licht der Perle ihm einst den Weg durch ein nächtliches Unwetter geleuchtet hat. Und den Worten der Seeleute sollte man lieber glauben! Sie sind nämlich die mutigsten und anständigsten Menschen, die ich kenne. Meistens jedenfalls.