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EINS
Оглавление„Haben Sie das noch mal originalverpackt?“
Eine mittelalterliche Frau hielt mir mit mürrischer Miene einen reduzierten Bildband über Bauernhäuser in den Ostalpen unter die Nase, obwohl ich gerade ein Verkaufsgespräch führte.
„Entschuldigung – ja, es müsste dort auf dem Aktionstisch liegen.“ Ich wandte mich der besorgten Mutter wieder zu, die nicht wusste, ob ihr Dreijähriger für ein Bilderbuch über zwei kleine Kätzchen schon reif genug war. „Das Buch ist völlig gewaltfrei und von der Handlung her auch recht eingängig. Nichts, was einen Dreijährigen überfor-“
„Da ist aber keins mehr!“, mischte sich die mürrische Person wieder ein.
„Wenn Sie einen Moment warten, bis ich mit dieser Kundin fertig bin, sehe ich gerne im Lager nach“, bemühte ich mich um Höflichkeit.
„Warten? Glauben Sie, ich habe nichts Wichtigeres zu tun? In fünf Tagen ist Weihnachten!!“ Empört wandte sie sich ab, warf den Bildband auf den Aktionstisch und verließ den Laden. Die besorgte Mutter lächelte schwach.
„- überfordern könnte“, versicherte ich, als seien wir nie unterbrochen worden.
„Na gut, wenn Sie meinen... kann man das umtauschen, falls es doch nicht das Richtige ist?“
„Solange es noch eingeschweißt ist, ja. Mit Kassenzettel.“
„Eingeschweißt? Aber dann sehe ich ja nicht, ob es Leon gefällt!“
Ich versuchte, nicht mit den Augen zu rollen.
„Es tut mir wirklich Leid, aber ein benutztes Buch können wir doch niemandem mehr verkaufen. Wenn es Ihrem Leon noch nicht gefällt, können Sie es doch auch ein bisschen aufheben, bis er weit genug ist“, schlug ich vor.
„Ja, vielleicht...“. Überzeugt klang das nicht, aber sie ließ sich von mir doch nach nebenan zur Kasse geleiten, wo Sonja wie eine Wilde tippte und verpackte, um die Schlange abzubauen. Ab und zu blies sie sich eine zerzauste dunkle Locke aus dem Gesicht, und als sie mich sah, zwinkerte sie mir zu, wenn auch schon reichlich matt.
Scheißweihnachten, konnte man da nur sagen.
Ich wandte mich von der Kassenschlange ab und überlegte, ob ich mir zwei Minuten Pause gönnen sollte. Verflixt, erst halb zehn und ich war schon so fertig wie sonst erst kurz vor Ladenschluss! Das war hier eine traditionsreiche Buchhandlung und kein Ramschladen – kauften denn dieses Jahr alle hier ein, die für teure Elektronik zu geizig waren?
„Entschuldigen Sie?“ Ich zauberte ein kundenfreundliches Lächeln auf mein Gesicht, bemühte mich, nicht an meine schmerzenden Füße zu denken, und drehte mich um. „Ja bitte? Wie kann ich Ihnen helfen?“
„Ja, also... ich weiß nicht so recht...“
Klasse. Die unentschlossene Kundin.
„Suchen Sie ein Geschenk oder etwas für sich?“
Die Kundin lächelte nervös, blass und müde. Eine Menge Tüten baumelten schon von ihrer rechten Hand und schnitten bestimmt schmerzhaft in ihre Haut. Keine von uns, wie ich mit raschem Blick feststellte – das Gothing-Logo war unübersehbar, blau und pink, eine grässliche Zusammenstellung.
„Also... eher ein Geschenk. Für meinen Schwiegervater. Wir müssen bei ihm feiern und – naja.“
Aha. Etwas Repräsentatives, damit es keinen Knatsch mit dem alten Herrn gibt. „Gerne. Wofür interessiert sich denn Ihr Schwiegervater besonders?“
Sie schaute ratlos. Es machte ja Spaß, Kunden zu beraten, vor allem jungen Kunden das Lesen nahe zu bringen – aber so? „Stammt er denn aus Leisenberg?“, fragte ich behutsam. „Was? Ja, schon, er langweilt uns immer mit Erzählungen, wie schön es hier früher war. Warum?“
„Wir hätten hier einen sehr schönen Bildband mit Ansichten von Leisenberg aus der Vorkriegszeit“, warb ich für unser Hochpreisangebot. „Möchten Sie es einmal ansehen?“
Ich lotste sie in die Heimatecke und schlug das Ansichtsexemplar auf. Meiner Meinung nach war das ein Prachtstück, und müsste ich behaupten, ich besäße es selbst (alter Verkaufstrick), wäre das ausnahmsweise nicht gelogen.
Sie blätterte matt darin herum. „Sehr nett, ja... was, neunundvierzig Euro?“
„Das ist eine Neuerscheinung, nicht Modernes Antiquariat“, erklärte ich. „Die Chancen stehen also gut, dass Ihr Schwiegervater es noch nicht besitzt. Außerdem könnten Sie es im schlimmsten Fall umtauschen, solange die Schutzfolie noch unversehrt ist. Gegen Kassenbon, natürlich.“
„Hm... ich überleg´s mir.“
Sie verabschiedete mich mit einem fahrigen Nicken und ich verzog mich. Würde sie es nehmen oder würde sie sich heimlich aus dem Laden schleichen, weil sie sich vor mir genierte, wenn sie es doch nicht kaufte? Ich hatte keine Gelegenheit, das zu überprüfen, weil sich mehrere Kunden auf mich stürzten. Hatten wir das da noch auf Lager? Wo gab es denn Kochbücher? Speziell für den Wok? Dieses Buch hier (sehen Sie mal!) hatte eine Macke, konnte man das billiger kriegen? Wo lagen die Texte für die Weinfurtner-Vorlesung? Und wieso hatten wir keine kritische Ausgabe von Terenz?
Ich suchte im Lager, verwies auf die Kochbuch-Abteilung nebenan, schickte den Feilscher zu Ferdi, der so etwas als Geschäftsführer zu entscheiden hatte, zeigte auf die Reclamstapel im Hintergrund und drückte der eifrigen Altphilologin die Terenz-Ausgabe der Oxford University Press in die Hand.
Verdammt, wo steckte Trixi wieder? Sie konnte doch Sonja und mich nicht alleine schuften lassen! Sogar Ferdi musste ganz normal bedienen, anstatt den König der Bücher zu spielen, und sie hatte sich wieder mal verkrümelt?
Jedenfalls war sie nirgendwo zu sehen. Unser Stammgast drückte sich im Hintergrund herum, und ich gab Sonja ein Zeichen und nickte in die bewusste Ecke. Sie folgte meinem Blick, grinste kurz und tippte weiter Preise ein.
Der Stammgast, von uns auch „Stiller Kunde“ genannt, war ein hübscher Kerl, der einen undefinierbar sensiblen Eindruck machte und seit einiger Zeit fast täglich hier mindestens eine Stunde verbrachte. Ob er so begeistert las oder eine von uns beobachtete, hatten wir noch nicht feststellen können. Immer, wenn wir uns aufraffen und ihn zur Rede stellen wollten, kaufte er so viele Bücher, dass wir ihn doch wieder als Kunden – und zwar als guten Kunden – einstufen mussten. Wir hatten schon überlegt, ob er vielleicht klaute, aber nichts wies darauf hin. Er las auch nicht ganze Bücher, um sie dann frech wieder zurückzustellen, sondern blätterte in allem Möglichen und ging nie, ohne etwas zu kaufen. Beratung schien er nicht zu brauchen, und ich wusste im Moment gar nicht, ob ich ihn jemals etwas hatte sagen hören. Vielleicht war er ja stumm, der Arme. Taubstumm allerdings nicht, denn jetzt zuckte er zusammen, als dicht hinter ihm jemand einen Stapel Kunstlexika aus dem Gleichgewicht brachte.
Ich seufzte, eilte hin und schichtete die Bücher wieder auf. Als er mein freundliches Nicken registrierte, lächelte er flüchtig und wandte sich wieder ab.
Der Typ Mann, der Leander heißen könnte, überlegte ich und wandte mich dem nächsten Kunden zu.
Die Verhandlungen bezüglich einer herabgesetzten Tricksammlung zum Steuersparen zogen sich hin, und als ich wieder guckte, war der Stille Kunde verschwunden. Dafür tauchte Trixi plötzlich wieder auf, frisch geschminkt und strahlender Laune, schnappte sich den nächstbesten Kunden und verkaufte ihm eine fette Gesamtausgabe, während er sie fasziniert anstarrte.
Gegen Mittag ließ der Andrang etwas nach – jetzt mussten die Hausfrauen wohl ihre Brut aus dem Kindergarten holen und sie abfüttern.
„Wo warst du vorhin?“, zischte ich Trixi zu, die mit einem älteren Herrn flirtete.
„Wann vorhin?“, fragte sie zurück.
„So gegen zehn, hier war die Hölle los und du warst nicht da!“ Ich war wirklich sauer. „Auf dem Klo. Bloß auf dem Klo, das wird man ja wohl noch dürfen, oder?“ Trixi funkelte mich an. „Um dich aufzubrezeln, was?“, vermutete ich mürrisch. „Und ich hab kaum Zeit, pinkeln zu gehen! Kümmere du dich mal um die Leute, ich mach jetzt Pause.“
Damit verschwand ich, in der Hoffnung, dass Trixi jetzt ein schlechtes Gewissen hatte und ohne Protest alleine für die paar Kunden sorgte. Sonja saß im Büro und rauchte nachdenklich, die bestrumpften Füße auf ihrem Schreibtisch.
„Tot“, verkündete sie, sobald sie mich sah. „Völlig tot. Ich komme nachher bestimmt nicht mehr hoch. Und morgen noch mal bis um acht, ich sterbe!“
„Ich auch“, murrte ich. „Und wenn wir dann mal zweieinhalb Tage frei haben, müssen wir sie uns mit so was Bescheuertem wie Weihnachten verderben. Hast du schon irgendwelche Geschenke?“
„Wann denn?“, fragte Sonja gereizt zurück und drückte ihre Zigarette fahrig aus. „Wie immer werde ich in der Mittagspause am Dreiundzwanzigsten irgendwas kaufen und es zehn Minuten vor der Bescherung hastig in irgendwelche Reste Osterpapier wickeln. Ich bin berüchtigt für meine Geschenke. Was brauchst du alles?“
„Eltern, zwei Schwestern, Freundin, Freund“, zählte ich auf. „Und ich kann doch nicht immer mit Büchern daher kommen!“
„Eben“ seufzte Sonja. „Das Kamasutra hab ich Olli schon letztes Jahr geschenkt.“
„Dann ist jetzt Reizwäsche fällig“, antwortete ich und suchte nach meiner Schinkensemmel.
„Haha. Ach so – du meinst, für ihn?“
„Klar doch. Ein Leostring oder so was.“
„Dann macht er Schluss. Letztes Jahr hat er schon ein bisschen blöd geschaut und gefragt, ob ich mit ihm unzufrieden bin. Lieber nicht.“
„Ein schönes Hemd oder Sweatshirt“, schlug ich vor.
„Schenk das doch deinem Freund“, brummte Sonja und zündete sich die nächste Zigarette an.
„Hardy? Der ist bloß ein Kumpel, dem schenke ich nichts zum Anziehen.“
„Was dann?“
„Keine Ahnung“, gab ich zu und kaute. Ferdi schaute herein. „Ach, da seid ihr! Sonja, rauch doch nicht so viel hier drin, du weißt doch, dass man hier nicht gescheit lüften kann.“
„Sag mir ein paar gute Weihnachtsgeschenke, dann mach ich die Kippe aus“, bot sie ihm an.
Ferdi seufzte. „CDs? DVDs? Bücher? After Shave? Krawatten? Kugelschreiber?“
„Echt mal was anderes“, höhnte ich. „Aber After Shave... Parfum? Vielleicht gar nicht so blöde...“
„Ich bin geschmeichelt“, schnappte Ferdi. „Und wann gedenkt ihr weiter zu arbeiten?“
„Zehn Minuten“, gab ich friedlich Auskunft. „Dann hab ich eh bloß die halbe Pause gemacht. Du Sklaventreiber solltest dringend mal eine Hilfskraft einstellen.“
„Bei den Margen? Spinnst du? Dann stoßen die da oben uns bloß ab. Wollt ihr das?“
Nö, eher nicht. Nachher endeten wir noch in einer Kette - bloß noch Beststeller und Sonderangebote? Aber diesen Wortwechsel hatten wir nahezu täglich. Manchmal träumte ich doch von einem Job mit einem netten Schreibtisch. Verflixt, ich hatte schließlich einen Magister in Germanistik, wieso stand ich mir bei Gothing&Cie. täglich so lange die Füße platt?
Weil der Buchhandel eigentlich Spaß machte. Bloß nicht vor Weihnachten!
Sobald ich die Semmel aufgegessen hatte, schleppte ich mich wieder nach draußen, wo Trixi herumwirbelte. Der Laden hatte sich schon wieder gefüllt, und ich reihte mich nahtlos wieder ins Verkaufsgeschäft ein. Bildbände, Spiele, alberne Nikolauskarten, DVDs und ab und zu mal etwas für die Uni. Eigentlich waren wir ja eine Akademische Buchhandlung, wie es sich direkt gegenüber der Uni auch gehörte, aber kurz vor Weihnachten merkte man nichts davon.
Ich löste Sonja hinter der Kasse ab und tippte wie wild – Bücher, Karten, Papier, Anhänger, Bücher, CDs, ein versprengtes Vorlesungsverzeichnis, ein einsames Reclamheftchen, eine Nietzsche-Gesamtausgabe (schwere Kost - der arme Empfänger!), Weihnachtsgeschichten aus aller Welt, das Gleiche noch mal, Reiseführer, Bildbände, zehn Nikolauskarten, die bestimmt nicht mehr rechtzeitig ankommen würden.... allmählich tat mir das Handgelenk weh, es war aber immer noch erst halb drei. Trixi löste mich ab.
„Bist du noch sauer?“, fragte sie, während sie sich neben mich in den Verschlag schob und ihren Code in die Kasse tippte. „Ach wo“, antwortete ich. „Das war bloß so momentan.“
„Prima. Dann könnten wir doch heute Abend mal wieder weggehen?“
„Heute hab ich schon was vor“, wandte ich ein, „aber morgen kann ich.“
„Auch gut. Ich wollte immer schon mal ins Belle Époque, da sollen die Cocktails so toll sein.“ Mir sollte es Recht sein – wenn sie Zeit hatte?
„Hat dein Superman denn keine Zeit?“ Sie kicherte. „Immer hab ich auch nicht Zeit für ihn, das tut ihm ganz gut. Ach, Lina – er sieht ja so toll aus!“
Die Leier schon wieder! Ich wusste, dass er der Schönste, Beste, Tollste überhaupt war, Trixi hämmerte es mir ja täglich ein. Nur hatte bisher niemand diesen Wunderknaben gesehen – sie würde ihn doch nicht erfunden haben?
„Warum kommt er eigentlich nicht mal hier vorbei und lässt sich anschauen? Sonjas Olli holt sie doch auch ab und zu hier ab. Ist sich dein – wie heißt er gleich? – dafür zu fein?“
Trixi warf mir einen schlauen Blick zu und schob mir einen Stapel Bücher zu, die ich mechanisch in einer blau und pink gestreiften Tüte versenkte. Quittung dazu, vielen Dank, auf Wiedersehen.
„Wenn du glaubst, so kriegst du raus, wie er heißt, hast du dich geschnitten. So schlau wie du bin ich schon lange. Aber ich verrate dir was – er hat seine Initialen auf dem Autokennzeichen. Superwagen, übrigens.“
„Wie es sich für einen Superman gehört“, murmelte ich.
„Nur kein Neid“, flüsterte Trixi und schob mir den nächsten Einkauf zu. Ihre großen blauen Augen, effektvoll mit mindestens drei verschiedenen Lidschattentönen umrahmt, funkelten triumphierend. „Zur Hochzeit lade ich euch ganz bestimmt ein.“
„Ach – ist es schon an dem?“, murmelte ich ungläubig. Hochzeit? So plötzlich? Ich wusste ja, dass Trixi scharf aufs Heiraten war – aber wie lange kannte sie den Typen jetzt? „Ganz schön hastig, was? Bist du schwanger?“, flüsterte ich aufgeregt. Die Kundinnen horchten nun endgültig auf, und Trixi warf mir einen ärgerlichen Blick zu. „Später!“
Ich tütete resigniert ein, bis wir die Schlange an der Kasse abgebaut hatten und eine alleine mit dem Restandrang zurechtkam, dann verließ ich den Verschlag und versuchte weiterhin, unentschlossene Kunden zu beraten. Die meisten wollten ein Geschenk, das unter zehn Euro kostete, das Dreifache hermachte und einen märchenhaft harmonischen Heiligen Abend garantierte, Mein schönstes Geschenk sozusagen. Zaubern konnte ich aber auch nicht.
Wenigstens waren meine Füße mittlerweile so taub, dass sie nicht mehr wehtaten, und dass meine Hilfsangebote allmählich etwas mechanisch wirkten, fiel den Kunden hoffentlich nicht weiter auf. Noch fast zwei Stunden, und morgen wieder so lang! Wieso hatte ich dumme Nuss mich für den Vierundzwanzigsten vormittags freiwillig gemeldet? Bloß weil ich keine Gans braten musste? Sicher, Sonja hatte mit ihrem Olli bestimmt ordentlich vorzubereiten, aber Trixi hätte genauso gut arbeiten können. Die schmückte ihrem Superman doch keinen Baum! Oder waren sie wirklich schon so weit? Zweikaräter unterm Tannenbaum? Hochzeit im Mai? Sie träumte bestimmt davon, aber in den sechs Jahren, in denen wir jetzt zusammen arbeiteten, hatte sie schon mindestens zehn verschiedene Bräutigame – Bräutigams? – ins Auge gefasst, von all den Heerscharen, die heimlich in sie verschossen waren, so heimlich, dass es sonst keiner merkte, mal ganz zu schweigen. Trixi lagen nämlich immer alle Männer zu Füßen, und beziehungsreich auf den vielen freien Platz zu ihren Füßen zu starren, galt als taktlos und unfein. Oder als Zeichen des Neides, bei mir wenigstens.
Ich beobachtete, wie sie weiter kassierte, mit den Kunden lachte und scherzte und sich so lebhaft bewegte, dass ihr lackschwarzer Pagenkopf nur so hin und her flog. Ja, sie hatte es drauf, eindeutig. Und sie sah immer noch perfekt aus. Meine Nase glänzte längst und wie mir meine dicken dunkelblonden Locken um den Kopf standen, wollte ich lieber gar nicht wissen. Trixi dagegen wirkte wie frisch gepudert, sogar der Lippenstift war unversehrt, und dass das Lackschwarz nicht ganz echt war, weil sie zu ihrem großen Kummer schon die ersten weißen Haare entdeckt hatte, wusste ja keiner. Die Farbe passte jedenfalls zu ihrem Typ. Keltisch nannte man das, glaubte ich. Schwarzes Haar, blaue Augen, hellrosa Haut. Interessant, jedenfalls interessanter als ich. Dunkelblond mit mittelgrauen Augen – total verwaschen.
Sonja gelang es gerade, alle Pippi-Langstrumpf-Bände auf einmal zu verkaufen (offenbar an eine verunsicherte Oma), und ich zwinkerte ihr anerkennend zu. Sie sah auch gut aus, fand ich, dunkle Locken und schokoladenbraune Augen. Und – das neidete ich ihr am meisten – sie wog bei der gleichen Größe, 1.72, bestimmt zehn Kilo weniger als ich. Wie machte sie das bloß?
Ein Kunde lenkte mich von diesem immer wieder unerfreulichen Gedanken ab und wollte wissen, was wir zum Thema Modelleisenbahnen auf Lager hatten. Na, da konnte ich doch behilflich sein!
„Was machst du am Wochenende?“, fragte Trixi Sonja, als gerade mal niemand anstand. „Skifahren, mit Olli. Wenigstens am Sonntag. Der Schnee ist doch erstklassig zurzeit. Und du?“ Trixi schaute etwas verkniffen, fand ich. „Weiß noch nicht. Hängt von meinem Süßen ab. Wo fahrt ihr denn hin?“
Sonja zuckte die Achseln. „Sudelfeld, denke ich. Oder Brauneck. Viel weiter lohnt sich ja nicht, für einen Tag. Aber ein Wochenende ohne schwarze Abfahrt ist kein Wochenende. Na, zwischen Weihnachten und Silvester gönnen wir uns ein paar Tage Schweiz. Olli hat eine Gratifikation gekriegt, und die verbraten wir jetzt. Die Hälfte wenigstens.“
Trixi wirkte noch verkniffener. Ich verbiss mir ein wissendes Grinsen. Offenbar hatte ihr toller Hecht am Wochenende und wohl auch zwischen den Feiertagen keine Zeit für sie. Außerdem fuhr sie ziemlich jämmerlich Ski, von schwarzen Abfahrten konnte bei ihr keine Rede sein, eher vom Idiotenhügel.
Mensch, mal wieder Skifahren! Aber alleine hatte ich keine Lust, und das Drum und Dran war mir auch zu lästig – den ganzen Krempel im Keller suchen, die Bindung nachstellen lassen, das Wachs kontrollieren, den Gepäckträger auf die Rennsemmel friemeln, vor Tau und Tag aufstehen, feststellen, dass der Skianzug verdammt stramm saß, allen Kram vom Parkplatz zur Talstation schleifen, ein Schweinegeld für eine Tageskarte ausgeben, Schlange stehen, beim Aussteigen aus dem Sessellift unelegant auf die Schnauze fliegen, kurz runterbrausen und wieder anstehen... Eigentlich ein ziemlicher Blödsinn. So fanatisch war ich auch wieder nicht und außerdem dermaßen aus dem Training, dass ich mir wahrscheinlich gleich was zerren oder brechen würde.
Lieber mit Die schottische Fee aufs Sofa. Und Zimtsterne dazu... Dann konnte ich den Skianzug allerdings gleich in den nächsten Altkleidercontainer stopfen, er würde mir nie wieder passen. Die schottische Fee hatte heute Morgen noch stapelweise rund um die Kasse gelegen, jetzt waren von den dunkelroten Bänden mit der Miniatur aus der Manesse-Handschrift auf dem Titel nur noch wenige Exemplare da – das Zeug verkaufte sich so gut wie Harry Potter. Natürlich war es unter diesen Umständen geradezu meine Pflicht, es auch zu lesen, sonst konnte ich es ja nicht guten Gewissens empfehlen. Vielleicht sollte ich mal Nachschub aus dem Lager holen?
Im Büro saß Ferdi und grinste mir zu. „Superumsatz heute. Bücher sind eben doch billige Geschenke.“
„Kriegen wir dann eine Bonuszahlung?“, fragte ich sofort. „Immerhin rennen wir uns draußen die Füße platt und du sitzt hier rum!“
„So toll rollt der Rubel auch wieder nicht. Außerdem – tragt ihr nur die Kisten, ich trage die Verantwortung.“
„Haha“, murrte ich, weil mir nichts Besseres einfiel, und zerrte eine Fee-Kiste aus dem Lager. Wenigstens hatten die Bücher alle schon einen Preisaufkleber! Ich stapelte die Hälfte vor der Kasse auf und registrierte befriedigt, dass einige der Leute in der Kassenschlange prüfend einen Band aufnahmen, die Rückseite studierten und das Buch dann ihrer Ausbeute hinzufügten. Bevor sie es sich wieder anders überlegten, sollte ich vielleicht Sonja helfen, die gerade im Kassenverschlag stand.
„Weißt du was über Trixis Süßen?“, fragte sie mich, während ihre Finger flink über die Tasten unserer altmodischen Kasse huschten.
„Nein, sie macht doch ein Riesengeheimnis daraus. Langsam glaube ich, der ist verheiratet. Offenbar hat er doch keine Zeit, mit ihr Skifahren zu gehen – oder warum hätte sie sonst so verkniffen dreingeschaut? Vielen Dank und frohe Weihnachten!“ Ich reichte der Kundin ihre Tüte und griff nach dem nächsten Stapel.
„Verheiratet? Was will sie denn mit so einem? Sie will doch selbst unbedingt heiraten, und sogar die dümmste Kuh weiß, dass solche Kerle sich ja doch nie scheiden lassen.“
„Eben. Der scheint mir der Totalflopp schlechthin zu sein. Gehört das noch Ihnen? Gut, hier, bitte schön.“
„Wieso will sie denn unbedingt heiraten?“
„Keine Ahnung, vielleicht tickt ihre biologische Uhr. Vielen Dank und auf Wiedersehen!“
„Der Frau eben haben Sie aber frohe Weihnachten gewünscht!“
„Das wünsche ich Ihnen natürlich auch“, lächelte ich die alte Dame an. Erstaunlich, woran sich der Neid entzünden konnte! Vor sich hin murmelnd zog sie ab. Kurz nach sechs... das Ende war abzusehen, Gott sei Dank. Nein, dass Trixis Superlover verheiratet war, konnte ich mir doch nicht vorstellen, wenn sie schon selbst die Hochzeit plante – so sehr konnte selbst Trixi nicht an Realitätsverlust leiden!
Aber interessiert hätte mich der Typ schon. Bis jetzt wusste ich nur, dass er ganz, ganz toll war (aber das waren sie alle, und bei manchen hatte ich schon etwas gestaunt, als ich sie zu Gesicht bekommen hatte) und ganz, ganz toll aussah – und seine Initialen auf dem Nummernschild spazieren fuhr, was ich schon mal saublöd fand. Ach ja, und ein Superauto. Das konnte so ungefähr alles sein außer einem zwanzig Jahre alten violetten Mitsubishi; Trixis Geschmack in Autos wechselte passend zum aktuellen Herrn.
„Jetzt erzähl doch mal was von deinem Süßen“, ermunterte ich sie, während Sonja die Kasse bediente und wir den herumliegenden Kram wieder in die Regale schichteten. Trixi kicherte glücklich. „Er ist einfach himmlisch. Der Mann fürs Leben, eindeutig.“ Da war er auch nicht der erste. „Trixi, los, geht´s nicht ein bisschen genauer? Wie sieht er aus, wie ist er so, was macht er beruflich?“
Sie versuchte, geheimnisvoll zu schauen. „Auf jeden Fall ist er reich, und das ist nicht seine schlechteste Eigenschaft.“ Verräterische Formulierung!
„Und sonst? Ein bloßer Geldsack wird er doch wohl nicht sein?“
„Lina!“ Sie war empört. „Was soll ich denn denken, wenn du nichts rauslässt, außer dass er reich ist?“ Vielleicht half ja Provokation?
Außer einem zornigen Blick erntete ich gar nichts. Ich überlegte, ob ich ihr unterstellen sollte, den Kerl bloß erfunden zu haben, aber das traute ich mich doch nicht – ich musste ja noch länger mit ihr zusammenarbeiten.
„Sag wenigstens, wie alt er ist!“, drängte ich also nur.
Sie lächelte so versonnen, als habe sie gerade sein Bild vor Augen. „In den besten Jahren, könnte man sagen.“
Ich japste. „So alt??“
„Was? Wieso alt? Ich hab doch nicht alt ge-“
„Wo haben Sie denn Reiseführer?“, wurden wir unterbrochen.
„Sie stehen direkt davor“, blaffte ich den kurzsichtigen Kunden an. Ausgerechnet jetzt kam der mit seinen blöden Reiseführern daher!
„In den besten Jahren heißt schon ziemlich alt“, belehrte ich Trixi dann. „So wie die Frau ohne Alter. Du weißt schon, schmale Röcke und Twinsets mit Ajourmuster in Altrosa.“
Trixi kicherte. „Wie das Zeug auf der Rückseite der Fernsehzeitung?“
„Was hast du denn für eine Fernsehzeitung?“, rügte Sonja sie prompt. An der Kasse war anscheinend auch nichts mehr los. Ich wurde wieder von einem Kunden abgelenkt, der sich über die verschiedenen Goetheausgaben informieren wollte, und als ich zurückkam, ohne dass es mir gelungen war, ihn zu allen vierzehn Bänden der Münchener Ausgabe zu überreden, stritten Trixi und Sonja über doofe und spießige Fernsehzeitungen und die Frage, ob Schminktipps oder die neuesten DVD-Player uninteressanter waren. Wie sollte ich jetzt wieder auf den reichen alten Sack zurückkommen? Selber schuld, ärgerte ich mich, warum hatte ich das mit den Twinsets gesagt? Mein unseliger Hang zu farbigen Vergleichen, die stracks vom Thema wegführten!
Viertel vor sieben... Ferdi lief schon mit klapperndem Schlüsselbund herum, stolperte fast über einen Stapel Bestseller und rief mit scharfer Stimme nach Sonja, die ihn aufräumen sollte. Ich pirschte mich wieder an Trixi heran.
„Und, wie alt ist er jetzt?“
„Dreiundachtzig!“, schnaubte Trixi. „Das glaubst du doch, oder? Dass ich einen alten Sack ausnehmen will?“
„Blödsinn!“ Jetzt war ich doch beleidigt. „Ich wollte bloß überhaupt was über ihn wissen. Du machst ein Geheimnis aus dem Kerl, man könnte ja meinen, er ist ein Promi. Oder verheiratet“, fügte ich hinzu und fand mich selbst gemein, als ich sah, wie Trixi blutrot wurde.
„Sorry, ich hab´s nicht so gemeint“, knickte ich also sofort wieder ein. „Es ist nur – du sagst gar nichts, außer, dass er irgendwie undefinierbar toll ist. Darunter kann ich mir aber nichts vorstellen.“ Trixi zog ein Gesicht, als wollte sie mir erzählen, wie egal ihr das war, aber sie sagte nichts mehr, sondern ging zur Kasse und tippte den Code für die Tagesabrechnung ein.
Ich seufzte und nahm mir vor, sie morgen Abend im Belle Époque auszuhorchen – und wenn ich ihr ein Dutzend Long Island Iceteas spendieren musste! Sonja setzte sich auf die Ablage neben der Kasse und stöhnte. „Meine Füße! Allein die wären ein Grund, auf der Stelle zu heiraten. Dann könnte ich zu Hause auf dem Sofa liegen, die Füße auf einem Samtkissen, Pralinen futtern und Kitschromane lesen.“
Trixi fuhr herum. „Du willst heiraten??“
„Wie stellst du dir denn die Ehe vor?“, fragte ich gleichzeitig.
Sonja grinste zu mir hoch. „War doch bloß ein Witz! So viel verdient Olli auch wieder nicht, und wenn ich zu Hause bleiben und mir die Füße in der Küche plattstehen will, muss ich erst mindestens drei Schratzn in die Welt setzen. Vorher käme ich mir dann doch blöd vor.“
„Olli will dich heiraten?“, wiederholte Trixi ungläubig. Sonja warf ihr einen schrägen Blick zu. „Ja, und? Findest du das so unvorstellbar? Heiratet man so was wie mich nicht?“
„So hab ich´s doch nicht gemeint“, verteidigte sich Trixi. „es ist bloß – du bist noch so jung. Und dein Olli doch auch. Wieso will der denn jetzt schon -?“
Sonja zuckte die Achseln. „Weiß ich auch nicht. Glückliche Kindheit, vielleicht. So was soll´s ja geben. Sonst ist er völlig normal, nur seine Eltern sind eben dermaßen nett und glücklich, das kann einen schon verkorksen.“
Ich kicherte. „Der arme Kerl. Schick ihn zur Therapie, das ist doch krank!“ Sonja grinste und stand auf. „Gute Idee. Kinder, ich brauche jetzt eine Zigarette, aber dringend. Gehen wir?“
„Haut schon ab, ihr Süßen“, sagte Ferdi und erhob sich ächzend aus seiner knienden Position, in der er das Bodenschloss an den automatischen Türen verriegelt hatte. „Aufgeräumt habt ihr ja. Trixi, stell mir die Kassenschublade ins Büro – und vergiss nicht wieder, die Kasse offen zu lassen. Wo sind die Nachtbücher?“ Ach ja, Ferdis Abwehrzauber! Ich holte Auf die schiefe Bahn geraten, Beim Einbruch erwischt und Ich ging durch die Hölle. Drei Jahre Männerknast unter der Kasse hervor, und Ferdi verteilte sie auf die Schaufenster.
„Wir bräuchten noch Fotos“, schlug ich vor. „Vergewaltigung unter der Knastdusche, Einbrecher mit Gesicht im Straßendreck und Polizeistiefel zwischen den Schulterblättern und so. Das schreckt sicher auch ab.“
Ferdi sah mich misstrauisch an. „Verarschst du mich? Mach, dass du heimkommst!“
„Wo werd ich denn?“, sagte ich todernst und ging meine Tasche holen.
Sonja stand bereits auf der Straße und versuchte, sich gegen den Wind eine Zigarette anzuzünden. Ich gab ihr Windschutz und registrierte ärgerlich, dass es schon wieder zu schneien begonnen hatte und außerdem schon nach Viertel nach sieben war. Hatten wir so lange aufgeräumt? Ich musste um acht wieder in der Verbotenen Stadt sein, um Conny und Hardy zu treffen, und vorher wollte ich noch nach Hause.
Nein, eigentlich nicht. Meine Wohnung sah zurzeit entsetzlich aus, ich kam vor lauter Weihnachtsgeschäft überhaupt nicht mehr dazu, zu waschen, zu putzen und andere Lästigkeiten zu erledigen. Am liebsten hätte ich die Unordnung gar nicht mehr gesehen, aber es nützte ja nichts. Trixi winkte uns zu und machte sich in die obskure Richtung auf, in der sie wahrscheinlich geparkt hatte. Sonja sah ihr kopfschüttelnd nach. „Wieso kommt sie immer mit dem Auto? Bis sie dahin gelatscht ist, sitzen wir schon gemütlich im Bus. Und morgens hätte ich auch keine Lust, so früh aufzustehen. Das ganze Styling – und dann noch die Parkplatzsuche...“
„Dafür spart sie die Zeit fürs Frühstück“, wandte ich boshaft ein. „Es könnte ja dick machen.“
„Eine tolle Figur hat sie schon“, räumte Sonja ein. „Du auch“, sagte ich sofort. „Und du bist richtig sportlich!“
„Macht ja auch Spaß.“ Wir schlugen den Weg zum Bus ein. „Finde ich nicht“, griff ich Sonjas letzte Behauptung auf. „Ich hasse Sport, ich gehe höchstens spazieren.“
„Reicht doch“, meinte sie friedlich. „Warum sollst du dich abschuften, wenn es dir keinen Spaß macht? Hauptsache, du hast Bewegung, deshalb musst du dich nicht in einer Muckibude quälen. Das bringt sowieso nichts. Sport muss lustig sein. Ich fahre eben gerne Ski und skate im Sommer. Und Olli auch. Aber verbissen schuften, bloß um fit zu bleiben? Nee, wirklich nicht.“
„Immer noch besser, als dauernd hungern zu müssen.“
Ich dachte schon wieder an Trixi, die man nie etwas essen sah. Dabei war sie so dünn doch auch wieder nicht! „Wetten, Trixi isst heimlich?“, erriet Sonja meine Gedanken. „Wenn sie immer nur von Salatblättern und Heiratsplänen leben würde, wäre sie doch längst magersüchtig.“
Der Bus kam sofort, und wir drängten uns in eine Ecke, wo wir uns wenigstens eine Haltschlaufe teilen konnten. „Jetzt wäre ich doch gerne mit dem Auto da“, schimpfte ich, „da hätte ich wenigstens einen Sitzplatz. Und die richtige Musik.“
„Probier´s doch mal“, schlug Sonja spöttisch vor, „deine Rennsemmel kannst du doch auch quer parken.“
„Also so klein ist er auch wieder nicht“, entrüstete ich mich. „Außerdem hab ich das schon mal probiert, und es war eine echte Katastrophe, ich bin dreimal nacheinander zu spät gekommen, weil ich hinten am Waldburgplatz parken musste. Und da läufst du ganz schön zur Uni!“
„Wem sagst du das!“, seufzte Sonja, und schubste einen Kerl, der zu dicht hinter ihr stand, mit einer energischen Bewegung ihres Hinterns weg.
Wir kamen zum Bahnhof; ich verabschiedete mich von Sonja, die noch drei Stationen vor sich hatte, und drängte mich zur Tür durch. Draußen atmete ich tief durch. Puh! Lieber Schneesturm als dieser Mief im Bus!
Auf dem Weg in die Lessingstraße kam der Schnee natürlich die ganze Zeit von vorne und setzte sich in meinen Haaren und in den Wimpern fest. Manchmal schnaufte ich leidvoll durch den Mund und schnappte dabei ein paar Schneeflocken auf, die kalt und geschmacklos auf meiner Zunge zergingen; wahrscheinlich nahm ich dabei mehr Dreck als Schmelzwasser auf.
Schließlich taumelte ich halb blind in unsere Hofeinfahrt, wieder einmal froh darüber, dass wenigstens die ewig knarrende Haustür wettergeschützt war, wühlte in meiner Hosentasche nach dem Hausschlüssel und lief die Treppen hinauf in den zweiten Stock. Ein Lift wäre schön, dachte ich nicht zum ersten Mal, aber das war eben nicht der Typ Haus, in dem es einen Aufzug gab.
Ich hatte mal in einem Stadtteilbuch nachgelesen, dass die Lessingstraße 1909 mit uniformen Wohnblöcken bebaut worden war – etwas sparsame Neurenaissancefassaden, zwei Hinterhäuser, vier Etagen, relativ kleine Wohnungen mit maximal drei Zimmern. Vorstadthäuser eben. Eines der Häuser, Nummer 18, hatte im Krieg einen isolierten Treffer abbekommen (eigenartig, in Bahnhofsnähe nichts Schlimmeres?) und war durch einen Fünfziger-Jahre-Bau ersetzt worden, bei dem die Geschosshöhen nicht stimmten und statt Stuck eine pseudoabstrakte Bemalung in Rostrot und Senfgelb angebracht worden war. In den Siebzigern hatte man alle Häuser so weit renoviert, dass sie brauchbare Bäder und statt der Kohleöfen Zentralheizung bekommen hatten – aber keine Aufzüge.
Jedes Haus enthielt zwei Läden, einen Laden und eine Kneipe oder zwei Kneipen. In unserem Erdgeschoss befanden sich ein kürzlich eingegangener Laden für Haustierbedarf – jedenfalls klebte das Maklerschild immer noch an dem fast blinden Schaufenster – und die Lessingquelle, wohl die schauerlichste Kneipe weit und breit. Hier trauten sich nur hartgesottene Trinker hinein, das aber gerne auch schon vormittags. Frauen wurden dort fast nie gesehen, und wenn, standen sie kurz vor der Pennerexistenz oder sahen wenigstens so aus. Angst machten mir die Kerle nicht, die meisten waren, wenn sie einem Unanständigkeiten nachriefen, so wacklig auf den Beinen, dass man sie wahrscheinlich mit einem Finger umwerfen konnte. Sogar die regelmäßigen nächtlichen Prügeleien auf dem Bürgersteig verliefen meistens im Sande, weil die Kämpfer nach dem ersten Sturz nicht mehr hochkamen oder erst einmal kotzen mussten. Solange ich morgens guckte, wo ich hintrat, konnte ich damit leben – und die Miete war relativ billig.
Der Vermieter versuchte zwar, seitdem ich dort wohnte, die Lessingquelle loszuwerden, aber es gelang ihm nicht. Immer wenn das Ordnungsamt kam, benahmen sich die Saufköpfe ganz gesittet und in der Küche blinkte es nur so. Dann guckten die Beamten den armen Schwaiger an, als hielten sie ihn für einen Querulanten, und erzählten ihm Geschichten von anderen Lokalen, mit Ratten in der Küche, Leichen auf dem Klo, brennendem Fritierfett und Drogenhandel vor der Tür. Ich hatte Schwaiger schon mal vorgeschlagen, Ratten zu züchten und sie dort loszulassen, aber er hatte zu Recht argumentiert, dass wir die Viecher dann in Nullkommanichts überall hätten.
Also hatte Schwaiger allmählich resigniert und war froh, wenn er zwei ziemlich ordentliche Zimmer in zentraler Lage (Bahnhofsnähe!) für durchschnittlich vierhundert Euro warm loswurde. Ich zahlte sogar nur dreihundertdreißig, weil ich keinen Keller hatte – in dem lagerte die Lessingquelle nämlich ihren Schnaps - und mein Grundriss so bescheuert war.
Im Winter war das egal, wer wollte da schon auf den Balkon, aber im Sommer fand ich es schon blöd, dass der Balkon vom Schlafzimmer abging. Die großen Siebziger-Jahre-Heizungen nahmen Stellfläche weg, und der Mosaikparkettboden hätte Abziehen und Neuversiegeln gebraucht, aber sonst konnte ich zufrieden sein.
Naja - ich hängte den feuchten Mantel auf und sah mich um. Grauenvoll! Mit Fußtritten schob ich die überall herumliegende Wäsche wenigstens ins Schlafzimmer und machte flüchtig das Bett. Genau genommen zog ich bloß die unaufgeschüttelte Decke über das verknüllte Laken, dann reichte es mir schon wieder.
Erstmal einen Tee! Aufräumen konnte ich am ersten Feiertag, da hatte ich ja sonst nichts zu tun. Ich setzte Wasser auf und wählte nach längerem Überlegen aus meiner großen Auswahl an angebrochenen Teeschachteln einen Beutel Limette aus. Früchte- und Aromatees konnte ich nie widerstehen, von jedem Einkauf brachte ich eine neue Sorte mit. Manche waren eher seltsam, manche schmeckten bloß künstlich, aber die meisten waren wirklich lecker. Und Limette gehörte auf jeden Fall dazu. Während das Wasser zu sieden begann, sah ich auf die Uhr. Verdammt, zehn vor acht, ich würde saftig zu spät kommen!
Für eine Dusche reichte es nicht mehr. Ich goss hastig den Tee auf, schaltete den Herd aus und rannte ins Bad, um mein Make-up zu erneuern und mir wenigstens die Haare zu bürsten und sie frisch zusammen zu binden. Zu viele Haare, dachte ich manchmal. Sie waren so dick und auch ein bisschen lockig, dass ich mit der Bürste abends kaum durchkam; und wenn ich sie nicht zusammenband, standen sie wie eine Wolke um meinen Kopf. Bloß eine aschblonde Wolke zwar, aber trotzdem sah das dann doch eher seltsam aus.
Wahrscheinlich würde Conny mich wieder mit Stylingtipps nerven – aber ich war mit dem plustrigen Pferdeschwanz eigentlich ganz zufrieden. Und für wen sollte ich mich schon so aufbrezeln? Für die Verbotene Stadt etwa? Da guckte doch eh kein Schwein!
Die grauen Jeans und das grauweiß gestreifte Sweatshirt mit der rosa Brusttasche genügten auch vollkommen, schließlich konnten Conny und Hardy sich doch denken, dass ich praktisch direkt von der Arbeit kam, wenn wir uns um acht trafen. Acht? Eher Viertel nach, es war schon fünf vor. Jetzt aber schnell!
Ich kippte den Tee herunter, steckte Geld und Schlüssel ein, schnappte mir meine Daunenjacke und machte, dass ich wegkam. Bloß gut, dass die Verbotene Stadt gleich in der Gellertstraße war, nur zwei Ecken weiter.
Als ich meinen Eltern damals erzählt hatte, wo ich eine Wohnung gefunden hatte, waren sie begeistert: lauter deutsche Dichter in diesem Viertel – und fast alle aus dem achtzehnten Jahrhundert, da schlugen ihre Germanistenherzen höher. Dass die Gegend ein bisschen schäbig war, fanden sie nicht so tragisch, sie hatten sich nie so ganz von ihren Studentenidealen verabschiedet. Das machte einen Teil ihres Charmes aus, fand ich, während ich durch das lästige Schneetreiben hastete und schließlich die Tür der Verbotenen Stadt aufstieß: Warme Luft, Geruch nach süßsaurer Sauce und Jasmintee, diskretes Geschirrgeklapper.
Jasmintee war überhaupt die Idee!
Ich sah mich suchend um und entdeckte Conny und Hardy in einer rot tapezierten Nische. Goldene Drachen züngelten auf sie hernieder. War der Drache in der chinesischen Vorstellung nicht ein freundliches Tier? Die da sahen eigentlich nicht so aus. Hardy sah mich zuerst und winkte mir zu; Conny blickte erst von ihrer Speisekarte auf, als ich mich auf die rotlederne Bank ihr gegenüber schob. „Fix und fertig?“, erkundigte sie sich freundlich. Ich knurrte. „Speisekarte her! Ich bin richtig ausgehungert. Zehn Stunden Terror!“
„Weihnachten ist immer Terror“, fand Hardy und musterte mich mitleidig durch seine runden Brillengläser. „Konsumterror, ich weiß“, antwortete ich und schlug die Karte auf, die Hardy mir gereicht hatte. „Aber wir leben davon, dass die Leute sich wenigstens ein paar Schmöker unter den Baum legen. Außerdem kann man nie genug Bücher haben.“
Dem konnte Hardy als examinierter Germanist schlecht widersprechen, aber er versuchte es trotzdem: „Aber solcher Schrott wie das Zeug von Dieter Bohlen ist ja wohl nichts, was man Weihnachten verschenken sollte!“
„Solchen Mist führen wir gar nicht“, verwahrte ich mich entrüstet gegen diese Unterstellung. „Und was schenkst du deiner Familie?“, lenkte Conny uns von unserem Dauerstreit über die allerunterste Niveaugrenze für Literatur ab und klappte die Karte zu. „Ich nehme die süßsaure Ente.“
„Welche Überraschung!“, spottete ich. „Das isst du doch immer.“
„Und? Ich weiß eben, was ich will. Also, was kriegt die liebe Familie?“
Ich stöhnte. „Keinen Schimmer. Am liebsten würde ich Maggie „So kriegt man seinen Arsch hoch“ schenken und Dorle „Geld alleine macht auch nicht glücklich.“ Und Mama „So schmeißt man erwachsene Kinder endlich raus.“
„Und warum tust du´s nicht?“
„Die müsste erstmal einer schreiben“, seufzte ich. „Für Papa hab ich schon was, einen Bildband zum literarischen Leipzig. Wunderschön, mit passenden Texten aus dem achtzehnten und neunzehnten Jahrhundert.“
„Klingt verlockend“, fand Hardy und sah mehr denn je wie der ewige Uniassistent aus, der er ja zum Teil auch war.
„Ich weiß nicht“, murmelte Conny. „Mich haut das nicht vom Hocker.“
„Sag mir was für Maggie und Dorle“, forderte ich sie auf und bestellte rasch einen Jasmintee und gebackene Ente.
„Maggie ist die Lebensuntüchtige und Dorle die Geldgierige, oder?“, fragte Conny nach, die die beiden nur aus meinen Erzählungen kannte. Hardy lachte, er kannte sie schon aus unserer Schulzeit. Maggie war sogar mal in ihn verliebt gewesen, war aber absolut nicht auf Gegenliebe gestoßen. Hardy hasste hilflose Weiber, wenigstens im Privatleben – und Maggie kultivierte die großäugige Unfähigkeit geradezu, gekoppelt mit einer besonders ausgeprägten Sensibilität, die alle anderen als gefühlsrohe Trampel dastehen ließ. Dass sie das nicht unbedingt beliebter machte, hatte sie bis heute nicht kapiert.
Und Dorle konnte wirklich alles in Geldwert umrechnen und abschätzen, ob sich eine Handlung lohnte. Eltern besuchen? Ja, das Häuschen in Niederthann war zwar klein, aber das voll erschlossene Grundstück mit guter Verkehrsanbindung... Man musste schließlich an den Erbfall denken! Schwester Lina? Naja, aber vielleicht gab es Buchtipps oder gar Restexemplare. Schwester Maggie? Rausgeschmissene Zeit, Dorle redete kaum mit ihr. Freunde? Die mussten Beziehungen haben oder Wissen weiter geben. Oder wenigstens das Essen zahlen. Dorle war nicht einfach nur geldgierig, sie legte einfach alles an und hoffte, mit vierzig ganz oben zu sein und von ihrem Vermögen leben zu können. Für sich gab sie wenig aus, außer für gute Schuhe, da Geschäftspartner angeblich immer auf die Schuhe schauten. Ihre Freizeit bestand aus Sport – um fit für die Karriere zu bleiben -, Börsenkanal, Weiterbildung – sofern nicht zu teuer – und gelegentlicher Schnäppchenjagd, etwa nach stark heruntergesetzten Markenschuhen.
Und unsere Eltern guckten sich das an und fragten sich wahrscheinlich, wie sie drei so unterschiedliche Töchter produzieren konnten. Ob ihnen die hochsensible Maggie am sympathischsten war? Eher nicht, glaubte ich, so sehr standen sie wohl auch nicht auf Totalversager. Dorle war ihnen unheimlich, glaubte ich, und ich war so normal, dass es schon langweilig war. Völliger Durchschnitt, ich sah nicht mal irgendwie auffällig aus, nicht wie Dorle in Kostüm und Edelpumps oder Maggie in selbstgenähten seltsamen Gewändern und noch eigenartigeren Frisuren.
„Schenk Dorle einen schön eingepackten Zwanziger“, riet Conny schließlich.
„Wieso eingepackt?“, fragte ich. „Das hält sie bloß für überflüssig. Besser einen Zwanziger und dazu noch einen Euro als Verpackungsanteil. Schau, wenn man einen Euro zu zehn Prozent hundert Jahre lang anlegt, kann man ein Vermögen machen. Oder so ähnlich. Sie schenkt mir garantiert nichts, höchstens ein paar Börsentipps.“ Hardy schnaubte. „Was sollst du denn damit?“
„Ach, sag das nicht“, wandte ich ein. „Ein paar von ihren Tipps waren schon ganz gut, und einmal hab ich wirklich fast fünftausend Euro verdient.“
„Du spekulierst??“
„Nicht richtig“, gab ich zu, „ich bin zu faul, die Wirtschaftslage wirklich genau zu beobachten. Nur so anfallsweise.“
„Das finde ich aber unsozial“, tadelte Hardy mich, und Conny verdrehte die Augen zum Himmel. Im Handumdrehen waren wir in der schönsten Zankerei über Kapitalismus, Globalisierung, shareholder value und die Blauäugigkeit von Leuten, die immer noch an eine staatliche Rente glaubten. Als wir geistig erschöpft, aber hochzufrieden innehielten, ohne uns irgendwie geeinigt zu haben, kam das Essen. „Das brauch ich jetzt“, seufzte Conny selig. „Hm, schaut das lecker aus! Na, dann ran an die Stäbchen!“
Ich matschte in meinem Schüsselchen herum. Wahrscheinlich hätte ich mir aus Figurgründen mageres Rindfleisch mit acht Gemüsen bestellen sollen, aber ich liebte fette Ente in fettem gebackenen Teig nun mal, und aus irgendeinem blöden Schlankheitswahn heraus Gemüse zu knabbern kam ja gar nicht in Frage. Dann passten die knallengen beigen Jeans eben noch ein bisschen länger nicht, bei dem Wetter wollte ich sie sowieso nicht anziehen.
Hardy hatte also immer noch diese postsozialistischen Anfälle, resümierte ich im Stillen. Mann, war diese Ente lecker! Verbot ihm seine Überzeugung eigentlich, sich einen anständigen Job zu suchen, oder liebte er die Teilung zwischen vier Stunden mediävistischem Proseminar und zwölf Stunden Studienberatung, garniert mit ein bisschen Nachhilfe für unbegabte Germanistikstudenten? Konnte man davon eigentlich leben?
Andererseits hatte ich auch nicht die ganz große Karriere gemacht. Nach einem Magister in Germanistik zurück zu den Wurzeln, sogar in die gleiche Buchhandlung, in der ich gelernt hatte? Aber für Germanisten gab´s eben nichts Vernünftiges, und das traf schließlich auch für Hardy zu. Der sollte sich also lieber auch mal mit der Börse befassen, wenn er im Alter nicht auf der Straße betteln wollte!
Conny hatte es gut. Ich beobachtete sie, wie sie futterte und gleichzeitig mit Hardy über einen Film stritt, den er für tiefgründig und sie für den letzten Scheiß hielt. Ihre dunkelkirschroten Fransen zitterten animiert, ihre dunklen Augen funkelten – sie liebte solche Debatten. Conny hatte schon nach vier Semestern kapiert, dass Germanistik nicht ihr Ding und außerdem eine brotlose Kunst war, auf BWL umgesattelt und sich intensiv ins Steuerrecht eingearbeitet. Als Steuerberaterin verdiente sie in einer Woche mehr als ich im Monat und Hardy in zwei Monaten – und das, ohne so verkniffen und verbissen zu sein wie Dorle, bei der die Jagd nach dem großen Geld alles andere verdrängt hatte.
„Was meinst du, Lina? Herrgott, dieser spießige Name – wieso bestehst du immer auf Lina?“ Das passte Conny schon seit dem ersten Semester nicht.
„Weil ich nun mal so heiße. Wieso soll ich eine Schickimickiabkürzung wählen? Ich hab mich selbst Lina genannt, als ich sprechen gelernt habe, und dabei bleibt es.“
„Caro wäre aber schicker. Du sagst ja auch nicht Nelli zu mir.“
„Wenn du das gerne möchtest...“, bot Hardy an und schenkte uns sein zögerndes Lächeln, das empfängliche Zweitsemester bestimmt in einen Taumel der Anbetung versetzte.
„Wehe!“ Conny musste aber doch lachen und nahm gleich einen großen Schluck Pils. Ich bewunderte gedankenverloren ihre langen silbernen Fingernägel und warf dann einen resignierten Blick auf meine – ungleichmäßig lang, einer abgebrochen, Staubspuren unter den Nägeln, ich hatte schließlich auch ausgepackt und Regale eingeräumt. Für so etwas sollten wir wirklich einen Lehrling haben!
„Wie schaut´s aus bei Gothing?“, fragte sie dann, und ich seufzte theatralisch. „Nicht schon wieder! Nur Verrückte unter den Kunden, und Trixi ist auch total durch den Wind mit ihrem geheimnisvollen Superlover.“
„Immerhin hat sie einen“, murmelte Conny.
„Ach komm!“, begehrte ich auf, „ich denke, du hast dir gerade erst dieses knackige Kerlchen geangelt? Den aus dem Fitness?“ Hardy knurrte. „Wenn ich mit einem Kumpel so über Frauen reden würde, wärst ihr stinksauer und würdet uns als Frauenfeinde abtun. Aber ihr dürft das, ja?“
„Klar“, bestätigte Conny. „Wir dürfen das. Wir haben schließlich ein paar tausend Jahre aufzuholen. Aber keine Angst, du bist kein Frauenfeind, eher ein Frauenversteher.“
„Tolles Lob.“ Hardy bestellte sich ein neues Bier auf den Schreck.
„Was ist jetzt mit dem Sportler?“, bohrte ich nach. Conny zuckte die Achseln. „Ganz nett, ja. Kein Superlover. Weißt du, nichts gegen Sixpack und breite Schultern – aber er hat auch so einen breiten Hals...“
„Ja, und?“ Ich verstand nicht, warum das so tragisch war.
„Dadurch wirkt sein Kopf so klein.“ Ich sah das Problem immer noch nicht.
„Und er ist auch klein!“
„Was – sein Kopf oder etwas anderes?“ Ich grinste, als ich sah, dass Hardy rot geworden war und sich angelegentlich auf sein Bier konzentrierte.
„Das auch, ja. Vielleicht nimmt er was zum Muskelaufbau. Aber der Kopf... ich glaube, der Mensch hat noch nie ein Buch gelesen. Außer über Fitness natürlich.“
„Worüber redet ihr denn dann bloß?“, fragte ich halb ironisch, halb ehrlich erstaunt. Conny seufzte und winkte der Bedienung. „Das ist es ja! Über gar nichts. Außer, wann wir uns treffen, ob seine Muskeln noch so ausgeprägt sind wie vor einer Woche, was der neue Fitnessdrink taugt, was die neue Maschine taugt, wie öde sein Job ist, ob er zu irgendeiner Meisterschaft fahren soll... Ich kann nicht mehr.“
„Hört sich furchtbar an“, pflichtete ich ihr bei. „Was arbeitet der denn eigentlich?“
„Ach, in einem Sportartikelgeschäft. Fitnesstrainer wäre er wohl lieber. Am liebsten wäre er gar nichts, damit er nur trainieren und vor dem Spiegel posieren kann. Boah, und dieser kleine Kopf – der dicke Hals... wie ein amerikanischer Elitesoldat. Genau, er sieht richtig amerikanisch aus!“
Hardy sah auf und man merkte, wie es in seinem Gesicht arbeitete. Ich grinste still. Das Intellektuellendilemma in Reinkultur, zwischen dem Kampf gegen Vorurteile und dem immer gepflegten latenten Antiamerikanismus! Zunächst siegte ersteres: „Wie kann denn jemand amerikanisch aussehen? Glaubst du ehrlich, man kann den Leuten ansehen, wo sie herkommen?“
„Klar“, antwortete Conny, gab den Kampf mit den Stäbchen auf und fischte sich ein Stück Ananas mit den Fingern aus der Sauce. „Es gibt Leute, da weiß man, dass sie aus Bayern sind -“
„Frauen mittleren Alters mit einer bestimmten Sorte Hühnerprofil und kleinen Hängeohrringen“, steuerte ich bei.
„- manche sehen amerikanisch aus, und dazu müssen sie nicht zwei Meter breit sein und Shorts tragen, manchen sieht man das Osteuropäische an...“
„Das ist ja rassistisch!“, empörte sich Hardy politisch korrekt.
„Wieso?“, fragte ich. „Conny wertet doch nicht. Und auch wenn Volkscharaktere höherer Blödsinn sind -“
„Wieso höherer?“, unterbrach Hardy gereizt.
„- gibt es doch äußere Merkmale bestimmter Menschengruppen. Klar, nicht bei allen, aber -“
„Hakennasen, was?“ Hardy wurde anscheinend langsam echt sauer.
„Schwachsinn!“, fauchten Conny und ich gemeinsam. „Aber ausgeprägtere Backenknochen gibt es in Osteuropa eben häufiger als hier. Und Amerikaner – wenn du hundert vor dir hast, siehst du es bestimmt zwanzig an, den anderen nicht, solange sie den Mund halten. Wenn du überall Rassismus witterst, dürfest du ja nicht einmal zugeben, dass die meisten Afrikaner eine dunklere Hautfarbe haben.“
„Das hat doch nichts mir ihrem Wesen zu tun!“, versuchte ich einen Kompromiss zu finden. Hardy beruhigte sich etwas und schnaubte nur noch leise vor sich hin. „Genauso, wie man dir ansieht, dass du garantiert nicht in der CSU bist“, fügte Conny hinzu. Hardy fuhr wieder auf. „Was? Na, das will ich aber auch hoffen! Wieso eigentlich?“, fragte er dann nach. Wir betrachteten ihn: John-Lennon-Brille, etwas zu lange Haare, Palästinenserfeudel um den Hals, knarrende alte Lederjacke, Selbstgedrehte in der Hand. Dann kicherten wir los. „Du siehst aus wie der letzte Achtundsechziger!“
Hardy wusste offenbar nicht, ob er geschmeichelt oder beleidigt sein sollte – unangepasst war zwar okay, aber 1968 hatten sich seine Eltern ja noch nicht einmal getroffen. Das teilte er uns auch etwas pikiert mit. „Wenigstens bin ich nicht so gestylt wie du!“, tadelte er Conny. Ich feixte wieder, mir konnte nun wirklich niemand vorwerfen, ich sei gestylt. Wahrscheinlich war ich der zeitlose Lieschen-Müller-Typ. „Na, jedenfalls hat´s deine Trixi gut mit ihrem Superlover“, fand Conny zu ihrer ursprünglichen Frage zurück. „Oder?“
Ich zuckte die Achseln. „Keine Ahnung, ich hab den Typen noch nie gesehen, und sie macht so ein Gewese drum - vielleicht hat sie ihn ja auch erfunden. Obwohl, sie hat mich zur Hochzeit eingeladen...“
Conny verschluckte sich und prustete. „Hochzeit? Die geht ja scharf ran!“
Hardy klopfte ihr auf den Rücken. „Beruhig dich wieder. Die Welt ist voller Spießer, und manche heiraten sogar.“
„Heiraten ist doch nicht spießig“, protestierte ich. „ich meine, wer auf so was steht... Sei nicht so intolerant.“
„Sie will den Kerl heiraten?“, keuchte Conny, sobald sie wieder Luft bekam. „Wie lange, sagst du, kennst sie ihn jetzt?“
„Ich hab gar nichts gesagt, ich weiß es doch gar nicht. Reden tut sie von ihm seit – ja, seitdem sie auf dem Oktoberfest war. Vielleicht wohnt der ja in München, was weiß ich. Ach nein, manchmal erzählt sie ja auch von spontanen Treffen, und nach München fährt man ja doch fast eine Stunde.“
„Eine halbe“, behauptete Conny, die ein schnelles Auto hatte.
„Raserin“, schimpfte Hardy, der Hollandradfahrer.
„Hast du eigentlich einen Führerschein?“, erkundigte Conny sich zuckersüß.
„Lenk nicht ab!“ Hardy war rot angelaufen, und ich wusste, warum – er war damals kurz vor dem Abitur zweimal durch die Fahrprüfung gefallen. Technik war nicht sein Ding, mittelhochdeutsche Liebeslyrik schon eher. Armer süßer Hardy, er fand leider nie eine, die seine Interessen teilte.
„Das ist doch jetzt völlig egal“, behauptete ich also. „Jedenfalls weiß ich nichts über den Kerl, und Trixi – Mensch, Conny, du kennst sie doch! Solange sie seine Kontoauszüge und seinen sozialen Status kennt... Ich glaube, er ist Architekt. Wenn sie als Architektengattin firmieren darf, ist ihr doch egal, ob er morgens knurrig ist oder auf abgedrehten Sex steht. Trixi will Gattin werden und nicht ihr Leben lang Bücher verkaufen.“
„Kann sie überhaupt lesen?“, fragte Conny. „Sei nicht so fies! Trixi ist nicht dumm, nur – äh – aufstiegsorientiert. Was soll sie denn sonst anstreben? Oberverkäuferin? Sie hat doch nicht mal eine ordentliche Ausbildung!“
„Wie alt ist sie denn?“, fragte Hardy.
„Neunundzwanzig“, antwortete ich, „aber ich glaube, das ist sie schon länger. Ihr wisst ja, die magische böse Dreißig, die biologische Uhr und all dieser Krempel.“
Conny schnaufte. „Dreißig, ja. Ich wollte nur mit dreißig mein eigenes Steuerbüro haben, und das hab ich jetzt auch. Und eine schicke Wohnung.“
„Hast du ja auch“, lobte ich nicht ohne Neid. Wenn ich an Connys Vierzimmer-Altbau-Ambiente dachte: erstklassig. Aber sie verdiente ja auch klotzig! Und mein Vorstadtdomizil war eigentlich auch ganz nett. Besser jedenfalls als Hardys WG-Zimmer. Konnte er sich eigentlich nichts Besseres leisten oder hatte er die WG zum einzig möglichen Konzept erhoben? Und wenn, war das dann ehrlich oder ein Vorwand, weil er sich eben nichts Besseres leisten konnte?
„Und diese Trixi will sich den Aufstieg erheiraten... Finde ich schwach.“
Das musste Conny ja sagen! Und so Unrecht hatte sie damit wohl auch nicht. „Wo wohnt die eigentlich?“
„Im Sellinger Turm“, antwortete ich und griff noch mal nach der Karte. So eine Banane mit Honig und Mandeln war doch immer der krönende Abschluss – scheiß auf die Kalorien! „Wo soll der denn sein?“, fragte Conny, die in der schicken Altstadt wohnte, verblüfft. Auch Hardy als alter Univiertler schaute ratlos drein. „Neusser Straße. Da stehen zwei Hochhäuser, ein kleineres buntes aus den Siebzigern, total schräg, und ein doofes hohes verspiegeltes aus den späten Achtzigern. Da wohnt sie, im zehnten Stock. Vom Dach hat man einen irren Blick über die ganze Stadt, sie hat es mir mal gezeigt.“
„Naja, wer so was mag... Penthouse?“, fragte Conny.
Ich lachte. „Ach wo! Mensch, Conny, Trixi verdient weniger als ich, da reicht es gerade mal für eineinhalb Zimmer mit Küchenzeile, aber so viel ist sie ja wohl auch nicht zu Hause, wenn sie dauernd mit ihrem Superlover zugange ist. Wenn es ihn gibt“, fügte ich skeptisch hinzu. „Aber sie hat mir mal gesagt, dass sie die Adresse gut findet.“
„In Selling?“, fragte Conny entrüstet. „Das ist doch total kleinbürgerlich, wieso soll das denn eine gute Adresse sein?“ Ich grinste. „Sie schreibt immer „Im Turm“ und dann erst Neusser Straße 26. Sie meint, das klingt entweder wie ein feiner Landsitz oder wie ein ganz originelles Domizil, auf jeden Fall nicht nach dem, was sie wirklich hat.“ Eigentlich fand ich das Getue mit guten und nicht guten Adressen ziemlich albern. Die Bahnhofsvorstadt war bestimmt nicht gut, aber es war eine billige, lebendige und lustige Gegend voller schäbiger Altbauten und ulkiger Siedlungshäuschen aus der Nazizeit, dazwischen eigenartige Läden und heruntergekommene Kneipen – was wollte man mehr? Vielleicht tote Hose mit Villen zwischen uraltem Baumbestand? Nicht für mich!
Und warum eine Person mehr als zwei Zimmer brauchen sollte, hatte ich auch noch nie eingesehen. So viel Kram konnte man doch gar nicht ansammeln? Lebte denn heute wirklich noch jemand in diesem großen Stil mit Bibliothek, Salon und Musikzimmer? Das müsste man dann ja auch alles putzen (lassen)!
Natürlich konnte man es wie Conny handhaben, die vier ziemlich leere große Zimmer hatte, mit ausgesuchten Einzelstücken möbliert und von einer ukrainischen Putzfrau gepflegt, aber so etwas wollte ich schon gar nicht anfangen. Außerdem hätte Hardy mich zutiefst verachtet, wenn ich mir eine Putzfrau zugelegt hätte – er hatte schon bei Conny gezetert, aber da traute er sich nicht so recht. Connys Erfolg machte ihm offenbar ein bisschen Angst, ich war da schon eher die Loserkumpanin: zehn Semester Germanistik, ein sehr guter Magister – und dann zurück in den erlernten Beruf, weil es für Germanisten nur einen Schwachsinnsjob auf tausend Bewerber gab. Gut, ich arbeitete vierzig Stunden in der Woche (im Handel wohl kaum anders möglich) und er nur sechzehn, wenn man die Nachhilfe nicht mitrechnete, aber er war ja auch so betont bedürfnislos. „Diese Trixi ist eine Schnepfe“, stellte Conny schließlich fest. „Was macht denn die andere – wie heißt sie gleich?“
„Sonja? Ist cool drauf und erzählt, dass ihr Freund sie heiraten will. Trixi war grün vor Neid!“
„Wieso? Ich denke, ihr Superlover will sie auch heiraten? Jetzt verstehe ich gar nichts mehr.“ Ich seufzte. „Erwartest du irgendwelche Logik, wenn´s ans Heiraten geht? Entweder hat Trixi den Kerl erfunden, oder es gibt ihn und sie hofft, dass sie ihn so weit kriegt, dass er sie heiratet, aber ich sehe noch nicht, dass er sie auf Knien um ihre Hand gebeten hat. Mit Geigenklang womöglich noch. Da ist viel Wunschdenken dabei, wenn du mich fragst.“
„Wie will sie ihn denn so weit kriegen? Schwanger werden?“
„Fände ich ein bisschen unfair“, ließ sich Hardy hinter seinen Halfzware-Wolken vernehmen, „der Typ möchte ja vielleicht auch gefragt werden, ob er Vater werden will.“
„Sag das nicht uns! Oder sehen wir so aus, als hätten wir so was nötig?“
„Außerdem wollen wir überhaupt nicht heiraten!“, betonte Conny.
„Jedenfalls nicht sofort und nicht um jeden Preis und nicht egal wen“, präzisierte ich. „Du schwächelst also auch schon“, spottete Conny und ich zeigte ihr ganz kurz den Mittelfinger. „Und wie will Trixi das hinkriegen?“
„Weiß ich doch nicht. Ich weiß bloß, dass ich jetzt eine gebackene Banane will. Und ein anderes Thema. Von Trixi hab ich für heute genug. Bedauert mich lieber, ihr schlaft morgen aus, und ich hab schon wieder Weihnachtsgeschäft. Wahrscheinlich schlimmer als heute!“
„Dann gönn dir die Banane“, antwortete Conny großmütig. „Morgen trainierst du sicher alles wieder ab.“
„So dick bin ich auch nicht“, ärgerte ich mich. „Oder?“
„Nein, nein...“ Connys Ton war wohl die Rache für den Mittelfinger?
„Wieso haben Frauen eigentlich so oft einen Diätwahn?“, fragte Hardy. „Ist das immer noch diese alte Vorstellung, dass nur schöne Frauen einen Versorger abkriegen? Er ist reich und sie ist schön? Arbeitsteilung?“
„Ich könnte ja jetzt sagen, weil Männer besser gucken als denken können“, fing Conny an und hob die Hand, als Hardy sich entrüsten wollte. „Ich könnte, hab ich gesagt. Ich tu´s aber nicht.“
„Hast du doch schon!“
„Perfekte Praeteritio“, stellte ich fest und bestellte die Banane – mit extra vielen Mandeln. „Wie früher in der Schule, Cicero... ich will ja gar nicht davon reden, dass Catilina ein Schwein ist – weißt du noch, Hardy?“
„War das nicht die Schulaufgabe, wo sie uns beim Spicken erwischt haben?“
„Ja!“, freute ich mich, „Mensch, war das eine Aufregung. Das war den Sechser eigentlich wert, und das Abi haben wir trotzdem gut hingekriegt.“
„Wenn man mal davon absieht, dass ich zwei Wochen Hausarrest gekriegt habe“, erinnerte sich Hardy. „Meine Eltern waren wirklich nicht die Tolerantesten. Sind sie heute noch nicht“, fügte er hinzu. „Nerven sie wieder mal?“, erkundigte ich mich mitfühlend. „Ja, klar. Wieso ich keinen ordentlichen Job habe, wieso ich nicht heirate, ob ich Gott behüte vielleicht irgendwie abartig - ? Sie würden es nie aussprechen, aber sie verdächtigen mich gewaltig. Und weil sie deshalb nicht vor den Nachbarn mit mir angeben können, sind sie sauer.“
„Wem sagst du das!“, stöhnte Conny. „Ich kann beruflich machen, was ich will, meine Mutter sagt immer nur: „Das ist ja alles ganz nett, aber willst du denn nicht endlich mal Kinder kriegen?“ Ihr wisst schon, die wahre Aufgabe einer Frau, das, was jede Idiotin kann. Deshalb ist es auch wurscht, wenn Frauen Idiotinnen sind, nehme ich an.“
Ich kicherte. „Hab ich ein Glück! Erstens sind meine Schwestern noch viel seltsamer als ich, und zweitens sind zwei Germanisten mit Schwerpunkt Frühaufklärung zwar in puncto Namensgebung schräg drauf, aber sie haben genug Moralische Wochenschriften gelesen, um zu wissen, dass die Frauenzimmerbildung wichtig ist, weil ungebildete Weiber die Kinder schlecht erziehen. Ist doch auch schon was.“
„Sie sabbern nicht nach Enkeln?“
Ich zuckte die Achseln. „Ich denke mal, wenn sie sich anschauen, wer diese Enkel dann erziehen würde, schlagen sie insgeheim drei Kreuze. Aber dass wir alle nach irgendwelchen Sächsischen Komödien benannt sind... Jungfer Dorchen, Jungfer Linchen, Jungfer Gretchen – schon abartig, was?“
„Wenn du einen Bruder hättest, hätten sie den dann Christian Fürchtegott genannt oder nur Johann Irgendwas?“, erkundigte sich Hardy interessiert.
„Fürchtegott?“, quiekte Conny, die vor der Gellertvorlesung zur lukrativeren Betriebswirtschaft geflüchtet war.
„Bei Fürchtegott hätte er für Elternmord mildernde Umstände gekriegt“, vermutete ich. „Johann Gottfried, mehr hätten sie sich wohl doch nicht getraut.“
„Bei Eberhard denke ich irgendwie immer an Bleistifte“, merkte Conny an und bestellte ein neues Pils. „Und Cornelia war Goethes hässliche Schwester“, schoss Hardy zurück, der schon beim vierten Bier war und nicht mehr so ganz deutlich artikulierte. „Herzlichen Dank“, war die Antwort. „Wie geht´s dir eigentlich mit den Mädels?“
„Frauen heißt das, du unssoli- solidarisches Weibsstück“, korrigierte Hardy würdevoll. „Danke der Nachfrage.“
„Ja, und? Was ist jetzt?“ Mich interessierte das schon auch. „Na, nichts, wie immer. Die Richtige gibt´s nicht, glaube ich. Dann lieber gar keine.“
Armer Hardy, nie fand er die Richtige. „Sollen wir mal wieder ein bisschen für dich suchen?“, erkundigte ich mich mitfühlend. Er hätte vor Schreck fast sein Bier verschüttet. „Untersteht euch! Ich hab von euren letzten Verssu-suchen noch die Schmau-Schnauze voll. Ehrlich!“
Das konnte ich nun gar nicht verstehen. Diese Inge war (bis auf den altmodischen Namen) doch genau passend gewesen? Arbeit an der Uni, streng ökologisch orientiert, von herber Schönheit (gut, mehr herb als schön), sehr belesen, politisch aktiv. Sie fuhr sogar ein Hollandrad der gleichen Marke!
„Was war mit der Inge? Ich hab nie verstanden, warum du dich nur einmal mit ihr getroffen hast“, bohrte ich nach. Hardy lief ziemlich rot an. „Die war mir zu – äh – bestimmend in ihrer Art.“
„Suchst du ein gefügiges Weibchen?“, fragte Conny. „Das hättest du doch bloß bei uns bestellen müssen, wir hätten bestimmt auch so was gefunden.“
„Nein! Himmel, lasst mich bloß mit euren Funds-stücken in Ruhe!“
„Wie – bestimmend?“, fragte ich weiter. „Haben wir dir eine Domina besorgt oder was?“
„So ungefähr“, nuschelte Hardy in sein Bierglas und wurde womöglich noch röter. Ich kicherte begeistert. „O Gott, du Armer! Komm doch mal öfter zu uns in den Laden, du wärst nicht der einzige, der da rumlungert, um Mädels kennen zu lernen, die lesen und schreiben können.“
„Echt?“ Conny staunte. „Ihr werdet zur Kontaktbörse?“
„Naja“, relativierte ich meine Behauptung, „bis jetzt haben wir da erst einen. Wir nennen ihn den stillen Kunden. Er lungert rum und guckt, und wenn wir ihn misstrauisch anschauen, kauft er schnell was. Gar nicht so schlecht, er kauft praktisch täglich mindestens ein Buch. Aber reden tut er nicht. Vielleicht hat er seine Traumfrau noch nicht gefunden. Jedenfalls ist das so ein running gag für Sonja und mich geworden; Trixi ist er wohl noch gar nicht aufgefallen, die sieht ja bloß, was sie sehen will.“
„Ihr solltet auch Kaffee anbieten, wie in dieser amerikanischen Serie, die in einer Buchhandlung spielt“, schlug Conny vor. „Die mit dieser Lesbe, wie heißt sie gleich?“ Ich hatte mal wieder keine Ahnung, ich sah nicht viel fern.
„Ellen“, outete Hardy sich als Seriengucker.
„Seit wann hast du einen Fernseher?“, fragte Conny erschüttert.
„Bloß schwarzweiß“, verteidigte Hardy sich sofort. „Und mehr so wegen arte...“
„Jaja“, wischte Conny seine Ausreden beiseite, „das sagen alle. Und dann ziehen sie sich heimlich DSDS und Verbotene Liebe rein. Hardy, Hardy, wie tief bist du gesunken! Guckst du auch Talkshows?“
Hardy ärgerte sich. „Gar nicht wahr!“
„Jetzt lass ihn doch in Ruhe“, mischte ich mich ein. „Jeder hat geheime Laster, und wenn´s weiter nichts ist...“
„Ach ja? Was ist deins?“, wollte Conny sofort wissen. „Ich muss morgen früh raus, ich geh jetzt heim“, leitete ich schnell den Rückzug ein.
„Feige Nuss! Wie lange musst du denn morgen ran?“
„Bis vier. Langer Samstag, du weißt ja. Und abends bin ich mit Trixi verabredet. Sie will unbedingt ins Belle Époque.“
Conny lachte. „In den Aufreißerschuppen? Dann ist ihr Superlover aber doch nicht ihre einzige Option? Drum prüfe, wer sich ewig bindet...“
„Oder sie sucht den Superlover überhaupt noch“, grummelte ich. „Vielleicht kriege ich ja endlich ein paar Fakten aus ihr raus.“