Читать книгу Detailarbeit - Elisa Scheer - Страница 4
DREI
ОглавлениеSonntagmorgen. Ich räkelte mich einen Moment lang zufrieden in meinem Bett – Sonntagmorgen, absolut frei! Dann fiel mir schlagartig wieder ein, was letzte Nacht passiert war. Großer Gott – Trixi war tot. Die lebenslustige, eitle, vergnügte, aufs Heiraten versessene, geheimnistuerische, witzige Trixi. Und ich konnte mir immer noch nicht vorstellen, dass sie sich selber – nein, niemals. Nicht Trixi! Auf jeden Fall nicht so.
O Gott, musste ich jetzt etwa alle Leute anrufen und ihnen erzählen, dass Trixi tot war? So nach dem Motto Ich muss dir was Schreckliches sagen? Das konnte ich nicht, dazu war ich zu feige. Vielleicht durfte ich das auch noch gar nicht, vielleicht wollte die Polizei die Sache noch geheim halten, redete ich mir selbst ein und wälzte mich herum, um auf den Wecker zu schielen. Halb neun – und um zehn sollte ich doch im Präsidium sein!
Ächzend stand ich auf und schlurfte ins Bad. Ein schönes Schaumbad brauchte ich jetzt aber schon, um wieder wach zu werden. Und hier sah es immer noch so schrecklich aus! Im Fernsehen kamen die Bullen immer bei den Verdächtigen vorbei und sahen sich strafend um, obwohl da alle Verdächtigen traumhaft schön wohnten, sogar die angeblichen Studenten. Irgendwo hatte ich mal gelesen, dass das daran lag, dass man in authentisch kleinen Hütten keinen Platz für Scheinwerfer und Kamerawagen hatte. Und dass außerdem die Polizei in Wahrheit alle Beteiligten immerzu ins Präsidium befahl.
Und wenn nicht? Dieser Spengler machte doch offenbar, was er wollte! Wenn die jetzt läuteten – furchtbar, der Teppich staubig, das Geschirr nicht gespült, ich mit zerrauften Haaren und altem Make up im Gesicht, nur ein angeschmuddeltes Sleepshirt an! Und das nach meinem Edelmutanfall gestern, als ich Trixis Bude putzen wollte, damit sie sich nicht im Tod noch vor ihren Eltern schämen musste. Ich warf einen Blick ins Bad: Das erdbeerfarbene Wasser bedeckte kaum den Boden der Wanne. Ich kippte noch etwas mehr Schaumbad dazu und schlappte in die Küche, wo ich lustlos, aber einigermaßen zügig abzuspülen begann und sogar die Arbeitsplatten schrubbte. Nötig hatten sie´s. weiß Gott. Die Mülltüten stellte ich gleich neben die Wohnungstür, dann kontrollierte ich wieder das Badewasser und fuhr mit dem Staubsauger (zum Teufel mit den Nachbarn, die machten viel mehr Krach zu viel abartigeren Zeiten) flüchtig durch alle Räume, wischte alle Flächen feucht ab, putzte Klo und Waschbecken, drehte das Badewasser ab und stieg hinein. Herrlich!
Sofort kam ich mir mies vor. Trixi war tot und ich genoss das Schaumbad, den Duft, die Hitze, den feinporigen Schaum. Sogar noch mehr als sonst: Weil ich jetzt wusste, wie schnell es vorbei sein konnte? Oder bloß, weil ich einen Gegenentwurf zu gestern brauchte? Oder weil ich mich nur auf meine eigenen Bedürfnisse konzentrieren konnte? War ich gefühlsroh oder bloß auch nicht anders als andere Leute?
Wenn ich mich wohl fühlte, konnte ich aber besser denken, tröstete ich mich. Und wenn ich besser denken konnte, konnte ich der Polizei vielleicht helfen, den Fall zu lösen. Gott, wie eingebildet! Ich kippte mir eine Handvoll Wasser über den Kopf, um mich wieder zu dämpfen.
Aber Trixi hatte sich garantiert nicht selbst vom Dach gestürzt – und dann schuldeten wir es ihr doch, herauszufinden, wer es gewesen war. Oder etwa nicht? Wer kam denn da in Frage? Ich grübelte darüber nach, bis das Wasser kühl zu werden begann, kam aber zu gar keinem Ergebnis, nur zu der Erkenntnis, dass ich Trixi doch relativ wenig gekannt hatte. Liebhaber? Der geheimnisvolle supertolle Lover, früher mal Ferdinand... dazwischen eine Horde von tollen Männern, deren Namen ich längst vergessen oder nie gewusst hatte. Familie? Vater, Mutter, eine Schwester, mehr wusste ich auch nicht, nicht, ob es da was zu erben gab oder nicht, ob da alte Fehden existierten oder nicht – nichts.
In der Buchhandlung gab es nichts, da war ich sicher. Wer sollte denn etwas gegen sie haben? Ich jedenfalls nicht. Sonja auch nicht - und Ferdi hatte es gelassen hingenommen, dass Trixi Schluss gemacht hatte, sobald ihr klar geworden war, dass er sich doch nie scheiden lassen würde. Außerdem war das schon zwei Jahre her. Und beruflich... Trixi war die einzige, die keine Buchhandelslehre gemacht hatte, also verdiente sie auch am wenigsten und hatte keine Aufstiegschancen. Sonja und ich könnten uns selbständig machen, wenn wir Lust hatten, und ich konnte immer noch gucken, ob es irgendwo einen Job für eine Germanistin gab, einen Job mit Stuhl.
Kein Motiv, nirgendwo.
Es sei denn, ihr obskurer Lover hatte genug von ihr. Aber warum Mord? Warum nicht Schluss machen? Nein, das war alles Unsinn, außerdem war es kaum möglich, rauszukriegen, wer dieser Liebhaber überhaupt war. Toll war ja wohl kein unveränderliches Kennzeichen!
Schließlich rappelte ich mich auf und entstieg leicht verschrumpelt der Wanne, trocknete mich ab, cremte mich sogar ein und stand dann ratlos vor dem Kleiderschrank: Was trug man, wenn man am Wochenende zur Polizei bestellt wurde? Was Besseres oder Wochenendkluft? Wochenendkluft, entschied ich. Was Besseres sah bloß so aus, als müsste ich einen guten Eindruck machen, und das hatte ich weiß Gott nicht nötig, ich war´s nicht gewesen und hatte gestern schon wesentliche Tipps geliefert. Die sollten mir ruhig dankbar sein!
Ich fischte Jeans aus dem Schrank, ein dazu passendes Sweatshirt, Wäsche und blaue Socken, zog mich an, hängte den Krempel von gestern Abend auf, soweit noch sinnvoll, und zog das Bett ab. Fast schon halb zehn – ich schaffte es gerade noch, mir einen Zopf zu flechten und mir das Gesicht zu pudern. Wenn ich so brav daherkam, konnte dieser dämliche Weiß ja wohl nicht meckern. Armer Spengler, dass er mit einem solchen pampigen Assistenten geschlagen war!
Und diese Jacke... wie Schimanski, tausend Taschen, völlig verbeult. Die ließ diesen Kerl bloß noch riesiger aussehen. Und dick machte sie auch. Spengler in seinem Anzug wirkte dagegen richtig elegant. Naja, vergleichsweise.
Wenn dieser Kerl schon so schlampig daherkam, musste ich mich ja wohl nicht weiter aufbrezeln! Und warum dachte ich über solchen Blödsinn überhaupt nach? Ich sollte lieber aufbrechen, schließlich musste ich sicher wieder meine Scheiben freikratzen. Mehr oder weniger im Blindflug rollte ich durch die leeren Straßen in die Altstadt und fand – es lebe der Sonntagmorgen! – direkt vor dem Präsidium einen Parkplatz, sogar einen legalen.
Der Pförtner verwies mich auf den zweiten Stock, und ich kletterte das imposante Jahrhundertwende-Treppenhaus hinauf. Bei einem Wandertag hatten wir mal die Münchener Uni besichtigt, die ja deutlich eindrucksvoller war als unsere, und dort gab es so ähnliche Treppen, so breit, dass man auf den Absätzen Platz für ein Einzimmerappartement gehabt hätte, mit marmornem Geländer und steinernen Figuren an den Ecksäulen. Sollte man sich hier besonders klein und hässlich fühlen?
Im zweiten Stock irrte ich etwas herum, durchquerte einige Schwingtüren, die immer hässlicher wurden, je weiter ich mich von diesem eindrucksvollen Treppenhaus entfernte, und landete schließlich in einem Gang, der anscheinend in den Sechzigern gestaltet worden war – Schachbrettmuster auf dem Boden, ein toter Ficus vor dem Fenster, dicht an dicht blassgrün gestrichene Türen. Da, 219! Spengler und Weiß. Spengler war richtig auf das Schild gedruckt, Weiß stand nur auf einer Karte, die man dazu gesteckt hatte. Der war dann wohl eher eine flüchtige Erscheinung?
Ich klopfte, es war exakt fünf vor zehn.
Weiß riss die Tür auf. „Ach, Frau – äh – Conradi.“
„Herr Weiß“, antwortete ich gemessen und hoffentlich einigermaßen kalt.
Spengler kam hinter seinem Schreibtisch hervor und reichte mir die Hand. „Schön, dass Sie schon da sind! Setzen Sie sich, bitte. Kaffee?“
Weiß warf mir einen Wehe-du-traust-dich-Blick zu. Ich fand den Gedanken zwar verlockend, ihn Kaffee kochen zu lassen, aber solche Behördenplörre konnte ich mir schon vorstellen, also lehnte ich artig ab und wartete, was jetzt kam. „Ich brauche aber einen“, beharrte Spengler und warf Weiß einen auffordernden Blick zu. „Wenn man die ganze Nacht durchgearbeitet hat, hält einen eben bloß noch Koffein auf den Beinen. Daniel, trinken Sie auch einen, Sie haben es nötig.“
„Jetzt komme ich mir richtig faul vor“, murmelte ich, „ich muss gestehen, ich habe geschlafen und erst in der Badewanne über die Sache nachgedacht.“
„Badewanne“, murmelte Spengler, „erinnern Sie mich bloß nicht! Erzählen Sie mir lieber, was Sie alles über Beatrix Berger wissen.“
„So viel ist das leider gar nicht, das ist mir mittlerweile klar geworden“, gestand ich. „Ich meine, ich glaube, dass ich sie ganz gut kenne, immerhin haben wir vier Jahre zusammen gearbeitet und auch öfter was zusammen gemacht, aber – so richtige Fakten, da beißt es schon aus.“
„Fangen Sie einfach mal an, dann sehen wir schon. Stört Sie der Recorder?“
„Nein. Solange ich mir meine Blechstimme nachher nicht anhören muss...“
„Das wird alles abgeschrieben. Also?“
„Naja“, ich wusste nicht recht, wie ich anfangen sollte. „Ich weiß schon mal nicht, wie alt Trixi eigentlich war. Sie hat immer gesagt, neunundzwanzig, aber das war sie irgendwie schon länger. Meiner Ansicht nach hatte sie Angst vor der magischen Dreißig und wollte vorher noch heiraten. Überhaupt war sie auf der Suche nach einem Ehemann. Als Sonja vorgestern erzählt hat – das ist unsere andere Kollegin – dass ihr Olli sie heiraten will, war Trixi völlig von den Socken, weil Sonja erst vierundzwanzig ist. Ich hatte das Gefühl, da war ein bisschen Neid dabei.“
„Wollen nicht alle Frauen heiraten?“, fragte Weiß, der mit zwei Kaffeebechern hereinkam. „Sie wollten ja keinen, oder?“
„Schon okay. Ja, vielleicht – aber so verbissen? Bei ihr war das wie eine Trophäe, die sie zum richtigen Zeitpunkt einheimsen wollte. Ach, ich kann das nicht so richtig erklären – irgendwie kam bei ihr zuerst das Heiraten und dann der Mann... nein, das hört sich ja bescheuert an. Also, ich denke mir, die meisten Frauen lernen einen kennen, verlieben sich, und nach einiger Zeit wissen sie, dass sie mit dem zusammen bleiben wollen und dann ziehen sie eine Heirat in Betracht. Bei Trixi war es irgendwie umgekehrt. Verflixt, ich hab einen Magister in Germanistik und sage dauernd irgendwie wie ein doofer Teenie! Sorry, noch mal von vorne: Trixi wollte heiraten und es war ihr zwar nicht wirklich egal, wen, aber der Wunsch war bis vor einiger Zeit gar nicht so sehr an einen bestimmten Mann gebunden. Besser?“
Spengler lachte. „Wir haben es schon verstanden, denke ich. Und was war vor einiger Zeit?“
„Ja... so etwa seit Ende September, da war sie in München auf dem Oktoberfest, war sie so richtig verträumt und abwesend...“
„Verliebt?“
„Mir kam´s so vor. Aber was das nun für ein Mann war... je neugieriger wir wurden, desto geheimnisvoller hat sie getan. Sie hat uns nur erzählt, dass er ganz, ganz toll ist und reich, und dass er sein Monogramm auf dem Nummernschild hat – das hab ich Ihnen doch gestern schon erzählt, oder? Wenn er so war wie ihr üblicher Typ, dann eher dunkel, sie hatte eine Vorliebe für Latin Lover, jedenfalls äußerlich. Gesehen haben wir ihn alle nie, deshalb haben Sonja und ich ja schon gewitzelt, ob sie ihn erfunden hat. Ansonsten – sie war sehr auf ihr Äußeres bedacht und immer sehr gepflegt und gut zurechtgemacht, deshalb glaube ich ja auch nicht, dass sie wirklich von selbst gesprungen ist.“
„Ja, das haben Sie auch gestern schon gesagt. Und ich gebe zu, die Sache mit der fehlenden Sektflasche irritiert mich auch. Die könnte gut jemand mitgenommen haben, der bei diesem Sprung etwas nachgeholfen hat, zusammen mit dem zweiten Glas.“
„Wegen der Fingerabdrücke, meinen Sie?“
„Möglich. Wir wissen natürlich noch gar nichts. Wie sieht es mit Familie aus?“
„Ihre Eltern wohnen irgendwo bei München, und sie hat noch eine ältere Schwester, die schon ewig verheiratet ist und einen Haufen Kinder hat. Das hat sie sicher auch angetrieben. Aber wie die Schwester heißt oder wo die Eltern genau wohnen – keine Ahnung. O Gott, die wissen das ja noch gar nicht! Wie schrecklich – und dann noch so kurz vor Weihnachten.“ Ich hörte mich plappern und schüttelte innerlich den Kopf. Wie hohlköpfig das klang!
„Richtig. Deshalb bitten wir Sie auch, nicht mit der Presse zu sprechen. Ihren Chef werden Sie morgen natürlich informieren müssen. Obwohl, das können wir auch heute noch tun, vielleicht war sie ihm gegenüber offener.“
„Glaube ich nicht, dann eher schon bei Sonja, aber die ist wie jedes Wochenende beim Skifahren, die erwischen Sie frühestens heute Abend.“ Ich diktierte Weiß die beiden Adressen.
„Seien Sie, wenn Sie Ferdi zu Hause befragen, ein bisschen vorsichtig, ich glaube, seine Frau weiß nicht, dass er mal was mit Trixi gehabt hat.“
„Ach was?“ Beide sahen mich an wie die Katze vor dem Mausloch. Ich machte eine wegwerfende Handbewegung. „Ist schon gut zwei Jahre her, und die beiden haben sich ganz friedlich getrennt. Ferdi wollte sich nicht scheiden lassen, Trixi wollte heiraten, und nach einem Zielvergleich haben sie gemerkt, dass die Affäre nirgendwohin führt, und es gelassen. Sie haben sich immer noch gut verstanden.“
„Vielleicht hat sie ihn erpresst?“, schlug Weiß vor.
„Glaube ich nicht. Wie ich Ferdi kenne, hätte er dann alles seiner Frau gebeichtet. So streng ist die wieder auch nicht, und Geld hat Ferdi sowieso keins, so toll sind die Gewinnspannen in einer Buchhandlung nicht, dass der Geschäftsführer ein Vermögen scheffeln könnte. Da wäre für Trixi nicht mal eine Gehaltserhöhung drin gewesen. Nicht für eine Verkäuferin ohne Buchhandelslehre.“
„Dieser Kastner ist der Geschäftsführer? Wem gehört die Buchhandlung denn?“
„Der XP-Holding, seit vier Jahren. Vorher lebte der alte Gothing noch, ein Enkel des Firmengründers, aber dessen Erben hatten keine Lust auf den Laden, und da hat Petersen den Laden gekauft, damit er nicht Teil einer Kette wird, sondern so erhalten bleibt, wie er immer schon war. Ein Teil Uni-Geschichte eben. Aber ich denke, dass auch Petersen bei allem humanitären Einsatz erwartet, dass sich der Laden wenigstens selbst trägt.“
„Petersen“, murmelte Spengler, „soso. Leisenberg ist doch wirklich ein Kaff.“ Ich grinste. „Das ist mir schon lange klar, aber das macht doch gerade den Charme aus. Ich möchte nicht in München oder so wohnen. Viel zu groß.“
Weiß schien daraufhin etwas freundlicher dreinzuschauen, aber das bildete ich mir wahrscheinlich bloß ein.
„Gab es sonst Ärger im Betrieb?“, fuhr Spengler fort.
Ich schüttelte den Kopf, merkte, dass der Recorder das nicht registrieren konnte, und sagte: „Nein. Wir sind recht gut miteinander ausgekommen, haben geblödelt, versucht, rauszukriegen, wer dieser Superlover ist, uns gegenseitig auf den Arm genommen, ab und zu miteinander was getrunken oder waren in der Disco – wollten wir gestern ja auch.“ Mir fiel wieder ein, wie sie vor dem Haus gelegen hatte, ein Bündel Discoklamotten, und ich verstummte. Spengler schaltete den Recorder aus. „Möchten Sie nicht doch einen Kaffee?“
„Nein, danke.“
„Eine Zigarette?“
Ich sah ihn ungläubig an. „Hier darf man rauchen? Das glaube ich ja nicht.“
„Wir machen das Fenster auf und der Kollege Weiß wird schweigen wie ein Grab.“
„Wenn er auch eine kriegt, dann schon“, ließ sich Weiß vernehmen. Wir rauchten einträchtig vor uns hin, und als ich meine Zigarette ausgedrückt und tief geseufzt hatte, fragte Spengler: „Geht´s wieder?“
Ich nickte, und er schaltete den Recorder wieder ein. „Gibt es in der Wohnung denn nichts, was auf diesen Heiratskandidaten hindeuten könnte?“, fragte ich. „Im Moment ist die Spurensicherung noch drin, danach schauen wir uns um. Wenn Sie wollen, können Sie mitkommen und das putzen, was wir erledigt haben. Wenn Sie noch wollen, heißt das.“
„Ja, natürlich. Ich glaube, das wäre Trixi wichtig gewesen. Dass sie auch jetzt noch gut dasteht, meine ich. Ich schmeiße auch bestimmt nichts weg, ohne Sie zu fragen.“
„Versteht sich. Aber so weit wird es wohl erst heute Nachmittag sein. Wissen Sie etwas über die Nachbarn?“
„Nein. Ich glaube aber nicht, dass Trixi die gut kannte. Wenn irgendein Schnuckelhase darunter gewesen wäre, hätte sie sicher davon erzählt, wenigstens Andeutungen gemacht. Ich glaube, sie fand sie uninteressant.“
„Schnuckelhase?“, fragte Weiß.
„Sie wissen schon. Jagdbares Wild eben.“
„Sie haben vielleicht ein Männerbild!“
„Ich habe gar kein Männerbild“, wehrte ich ab, „ich versuche nur, Trixi zu zitieren. Und sie war eben auf der Pirsch.“
„Also“, fasste Spengler zusammen, „keine Konflikte im Beruf, wenig Informationen über die Eltern und die Nachbarn, gar keine über den Liebhaber, wenn man von diesem Autokennzeichen absieht. Tolle Ausbeute.“
„Tut mir wirklich Leid“, beteuerte ich, „aber fragen Sie doch mal Ferdi und Sonja, vielleicht hat sie denen andere Andeutungen gemacht.“
„Keine Sorge, das machen wir auch. Gut, dann wären wir vorerst fertig. Wenn wir Sie so gegen vier abholen, ist Ihnen das Recht?“
„Ja, kein Problem. Vielleicht hat sie ja Tagebuch geführt, wer weiß. Oder ihr Terminplaner verrät Ihnen etwas.“
„In ihrer Handtasche war der aber nicht!“
„Nein, natürlich nicht, dafür ist er zu groß. Für Telefonnummern von süßen Männern hatte sie nur einen ganz kleinen silbernen Stift und einen ebenso winzigen Block dabei, aber sie hat – hatte – einen Filofax, da bin ich ganz sicher.“
Spengler notierte sich das. „Vielleicht können wir damit ja was anfangen, wenn wir ihn finden. Was ist mit ihrem Handy?“
„Das ist ihr letzte Woche kaputtgegangen. Sie wollte auf der Straße eine Nummer aufrufen, es ist ihr runtergefallen und dann ist ein Laster gekommen… Totalschaden. Sie hat die Scherben mit dem Fuß in den nächsten Gully gefegt.“
Spengler brummte, Weiß brummte. Spengler seufzte: „Gut, dann sind wir vorerst fertig. Ich verlasse mich darauf, dass Sie uns helfen, wenn wir nachher in der Wohnung sind.“
Ich stand auf. „Mach ich, keine Frage. Ich möchte doch auch wissen, was da wirklich passiert ist.“
„Aber Chef -“, fing Weiß wieder an, wurde aber mit einem Stirnrunzeln zum Schweigen gebracht. Ich verbiss mir ein triumphierendes Grinsen und verabschiedete mich sittsam. Zu Hause frühstückte ich erst einmal und ging dann daran, meine Wohnung weiter auf Vordermann zu bringen, sonst wirkte ich ja später als Putzkraft wohl kaum sehr glaubwürdig.
Verflixt, wer konnte Trixi vom Dach geschubst haben? Sie hatte doch keinem was getan! Es konnte höchstens der geheimnisvolle Liebhaber gewesen sein - aber warum? Wollte er sie abservieren und sie wehrte sich dagegen? War er verheiratet? Prominent? Sonst jemand, der es sich nicht leisten konnte, mit ihr in Verbindung gebracht zu werden? Wer sollte das denn schon sein, dachte ich ärgerlich, bezog mein Bett frisch, saugte noch einmal und dieses Mal gründlich Staub, polierte alles Holz mit Politur, bügelte, was ich gestern gewaschen hatte, räumte es weg, wusch eine dritte Ladung, arrangierte den Krempel im Flur etwas gefälliger (das bedeutete, dass ich das meiste einfach in die Flurkommode stopfte und die Türen schnell zuknallte, bevor das Zeug wieder herausquoll), trug den Müll nach unten, den ich auf dem Weg zur Polizei vergessen hatte, hängte die Wäsche auf, schüttelte die Sofakissen auf, kochte mir einen Tee (Blutorange, besonders lecker), warf eine völlig tote Topfpflanze weg und goss die andere, die noch schwache Überlebenschancen zu haben schien, wechselte die Patrone am Duftstecker aus und sah mich dann billigend um. Ja, so musste die Wohnung einer Frau aussehen, die in der Wohnung eines Mordopfers putzen wollte, damit dieses Mordopfer sich nicht noch postum vor den Eltern schämen musste.
Ziemlich blöd, eigentlich – und machte mich das nicht verdächtig? Als ob ich Spuren beseitigen wollte? Aber warum hätte ich Trixi denn was antun sollen? Sie hatte mir nie einen Kerl ausgespannt, schon deshalb nicht, weil die Kerle, die ich so zu haben pflegte, nicht ihr Geschmack waren, ihnen fehlte der Duft des Erfolges. Warum ich dauernd an solche Versager geriet, wusste ich auch nicht. Wenn ich da bloß an den legendären Markus dachte, den hätte ich Trixi mit Freuden angedreht, aber sie wollte ihn auch nicht. Markus, so jung und spontan – jemand, der auf dem Weg zu einer Verabredung jemanden traf, der gerade nach Rom fahren wollte, und sich spontan entschloss, mitzufahren. Die ursprüngliche Verabredung (zum Beispiel mit mir) dann abzusagen, wäre natürlich spießig und unspontan gewesen.
Manchmal sollte ich sogar bei solchen Aktionen mitmachen: „Komm, wir fahren nach Berlin, da gibt´s heute Abend eine Aktion in den Hackeschen Höfen. Wann? Na jetzt, wir können bei Theo mitfahren, in der Ente. Was heißt, du musst arbeiten? Himmel, bist du spießig!“ Ich grinste bei der Erinnerung – armer Theo! Auf einem Rastplatz im Sächsischen war Markus ausgestiegen, um aufs Klo zu gehen, und hatte dabei Leute getroffen, die zu einer Demo nach Hamburg wollten. Das war natürlich noch besser. Wie lange hatte Theo gewartet, bis er gemerkt hatte, dass Markus längst über alle Berge war? Drei Stunden? Vier?
Wenn man ihn ignorierte und keine Verabredungen mit ihm traf, konnte man es mit Markus aushalten, aber wozu dann eigentlich? Als er eines Tages im Bett mittendrin die geniale Idee hatte, sich einen Riesensetzkasten für seine Reiseandenken zu bauen, sich unvermittelt aus mir zurückzog, aufstand, sich anzog und in den Baumarkt fuhr, hatte ich die Nase voll. Als er wiederkam, hatte ich seinen Krempel schon vor die Tür gestellt und reagierte nicht auf sein Klingeln. Dass ich es mir anders überlegt hatte, konnte er nun absolut nicht verstehen.
Ich war eben zu spießig für ihn gewesen. Und dass ich es fast drei Jahre mit ihm ausgehalten hatte, zeigte wahrscheinlich nur, wie unspontan ich war.
Tim, der mit einem Ponyhof, einem Kurierdienst und seiner Zwischenprüfung gescheitert war und dann mir an allem die Schuld gab – ich hatte ihn nicht genügend unterstützt – war auch so ein Fall gewesen... Ach, was hatte ich davon, wenn ich über doofe Kerle nachdachte! Lieber sollte ich überlegen, ob mir zu Trixi noch was einfiel! Und meine Weihnachtsgeschenke einpacken. Das konnte ich gleich machen, vielleicht kamen mir dabei noch Ideen.
Ich wickelte die Bücher und den Kosmetikkram in weißes Papier mit bunten Sternchen (auch von Gothing) und band blaue Schleifen darum, dann stellte ich alles ins Regal und überlegte weiter. Nein, über den Liebhaber hatte sie weiter nichts gesagt, da half auch die Liste nicht, auf die ich starrte:
Hat sein Monogramm auf dem Kennzeichen; damit wussten wir nur, dass sein Monogramm nicht NS oder so war, denn das war immer noch verboten.
Hat ein tolles Auto – gewaltige Bandbreite, Trixis Männer hatten immer tolle Autos.
Ist reich - reicher als Trixi oder wirklich reich?
Wollte sie heiraten – oder war das so ein Tagtraum von ihr?
Hat er auf dem Dach mit ihr Schluss gemacht, während sie einen Antrag erwartet hat? Ist sie deshalb gesprungen, ohne lange zu überlegen? Es wird ihm noch Leid tun, wenn ich da unten liege? Unglaubhaft. War es ein Unfall? Ein Streit und sie ist einen Schritt zu weit zurückgetreten? Er hat den Kopf verloren, Flasche und Glas eingesackt und hat sich davon gemacht? Hat jemand ein Auto gesehen?
Hat überhaupt jemand gesehen, wie sie gefallen ist? Exakter Zeitpunkt? Fremder Mann? Fremde Frau?
Vielleicht ist der Traumtyp doch verheiratet und seine Frau hat Trixi besucht, es gab Streit... Quatsch, wieso auf dem Dach? Und wieso Sekt? Die beiden hatten ja wohl kaum was zu feiern!
Ein Nachbar hat sie auf dem Dach getroffen und sie angemacht, sie wollte nicht (alt, hässlich, arm) und ist aus Versehen zu nahe an die Brüstung gekommen. Wie niedrig die war, wusste ich ja. Dann müsste aber der Nachbar den Sekt mitgebracht haben – bloß war es Trixis Glas, eindeutig.
Der Sekt auf dem Dach deutet schon auf eine romantische Szene hin, und die kann keiner künstlich arrangiert haben, nicht mit Trixis eigenem Glas. Na gut, der Hausmeister. Der hat einen Generalschlüssel. Bloß – wozu das Ganze? Es ist verwirrend, aber es legt doch keine falsche Spur, oder?
Ich seufzte und schob den Zettel beiseite. Das brachte mich doch auch nicht weiter! Ich konnte das Gekrakel Spengler nachher ja geben, aber es würde ihm garantiert nichts nützen. Und der doofe Weiß würde sowieso bloß die Nase rümpfen. Jetzt wusste ich, an wen mich Weiß erinnerte! An Bill Pullman in Während du schliefst, aber nur, wenn er Lucy misstraute und recht mies dreinschaute. Bill Pullman sah besser aus, klar, aber vielleicht nur, weil er ein freundlicheres Wesen hatte.
Und Spengler – an wen erinnerte der mich? Schwer zu sagen. Netter Kerl, auf jeden Fall. Nicht mein Typ, aber nett. Vor allem gefiel es mir, dass er nicht dauernd mit dieser Halten-Sie-sich-da-raus-Masche daherkam, sondern mich einbezog. Ich wusste zwar nicht viel, aber vielleicht doch ein bisschen was. Der blöde Weiß wollte mich immerzu ausschließen – oder was sollte sein ewiges „Aber Chef!“ sonst bedeuten?
Ich trank meinen Tee, fröstelte aber immer noch, obwohl die Heizung aufgedreht war. Ich würde doch nicht krank werden, weil ich gestern Abend so lange in der Kälte herumgestanden hatte? Während frisches Teewasser zu kochen begann, suchte ich etwas Putzzeug zusammen und stopfte es in eine Tüte – wie ich Trixi kannte, war ihr so einiges ausgegangen. Nach den hektischen letzten Wochen vielleicht auch kein Wunder!
Ich hatte den zweiten Tee kaum getrunken, als es klingelte. Misstrauisch nölte ich in die Sprechanlage, aber es war bloß ein Teenie mit Postwurfsendungen. Wieso klingelten die immer bei mir?
Kaum hatte ich mich wieder an den Tisch verzogen und starrte die Liste unlustig an, klingelte es erneut. Wieder krähte jemand „Werbung!“, und wieder drückte ich ärgerlich auf den Türöffner. Beim dritten Mal wurde ich sauer. „Könnt ihr eure blöden Werbezettel nicht gleich in die Altpapiertonne schmeißen? Wir lesen den Mist doch sowieso nicht!“
„Äh – was? Hier ist Weiß...“
Mist. Tatsächlich, schon halb vier.
„Tschuldigung“, krächzte ich und drückte auf den Türöffner. Spengler und Weiß kamen die Treppe herauf, Spengler eindeutig grinsend, Weiß ebenso eindeutig beleidigt.
„Tut mir Leid“, sagte ich und ließ sie herein, „aber das war schon das dritte Mal, und immer klingeln die bei mir, ich weiß gar nicht, wieso.“
„Kenne ich“, meinte Spengler, „Sie sollten mal meine Freundin hören, wenn sie in die Sprechanlage pöbelt!“
Weiß sah sich prüfend um. Wollte er gucken, ob ich besser geputzt hatte als Trixi? Hielt er uns alle für heiratswütige Schlampen? Erst einen Kerl vor den Altar schleifen und dann den Haushalt vernachlässigen? Was hatte der bloß für eine Frauenbild? Aber sich über mein Männerbild aufregen – dabei war es noch nicht mal meins! „Möchten Sie einen Tee?“, fragte ich.
Spengler nickte. Weiß lehnte ab. Ich zeigte Spengler meine Auswahl, er wünschte sich Jasmin mit Zitrone und ich drückte ihm meine blöde Liste in die Hand. „Wahrscheinlich alles Quatsch, aber das ist alles, was mir in der Zwischenzeit eingefallen ist. Das meiste wissen Sie eh schon. Setzen Sie sich doch! Sie auch, Herr Weiß.“ Weiß, der mein Bücherregal mit kritischer Miene studiert hatte, setzte sich aufs Sofa. „Sie lesen gerne Krimis, was?“
„Klar, wer nicht? Keine Sorge, ich glaube nicht, dass es in Wirklichkeit genauso zugeht.“
„Na, wenigstens etwas.“
Das Teewasser begann zu singen, und ich goss die beiden Becher auf. Durch die offene Küchentür sah ich, dass Weiß schon wieder herumwanderte. „Nächste links!“, rief ich ihm zu, weil ich glaubte, dass er das Badezimmer suchte. Als der Tee gezogen hatte und ich ihn ins Zimmer trug, stand die Badezimmertür aber offen und Weiß war immer noch verschwunden. Dann gab es ja nur noch eine Möglichkeit! „Keine Mordwaffe unter dem Bett?“, erkundigte ich mich freundlich, als er wieder ins Zimmer trat, und er hatte wenigstens den Anstand, rot zu werden. „N-nein.“
„Hätte ich Ihnen auch gleich sagen können, aber mir ist schon klar, dass Sie mir nichts glauben dürfen.“ Spengler grinste in seine Teetasse; ich reichte Weiß meine Putztüte. „Was soll ich damit?“
„Kontrollieren. Nicht, dass ich in Trixis Wohnung was einschleppe. Oder nachher etwas herausschmuggele. Sehen Sie? Zwei neue Lappen, etwas Spülmittel, Badreiniger und ein Staubtuch.“ Weiß nickte griesgrämig und ich nahm die Tüte wieder an mich; jetzt hatte ich ihn wohl genug geärgert.
„Ich hoffe, Sie finden es nicht verdächtig, dass ich Trixis Unordnung ein bisschen bändigen will?“, wandte ich mich an Spengler. „Wissen Sie, normalerweise sieht es bei ihr nicht ganz so furchtbar aus. Die Klamotten schon, sie wusste nie, was sie anziehen sollte – aber die Küche, das Bad, die Schmutzwäsche, das liegt bestimmt an der Hektik in der letzten Zeit. Nicht, dass Sie denken, Sie sei immer so schlampig gewesen. Bloß ein bisschen unordentlich.“
„Schon klar“, meinte Spengler, und Weiß schnaufte viel sagend. Ich warf ihm einen zornigen Blick zu, den er ausdruckslos quittierte. Einen so starren Blick kriegten wohl auch bloß Leute mit schokoladenbraunen Augen hin!
„Hauptsache, Sie vernichten keine Spuren“, blaffte er dann.
„Ich denke, wenn wir kommen, ist die Spurensicherung fertig?“, fragte ich erstaunt, und er schnaufte wieder. „Was wollen Sie denn überhaupt machen?“
„Gar nicht so viel. Abspülen, ein bisschen das Bad putzen, die Klamotten in den Wäschekorb werfen. Nur, was Sie mir erlauben. Und Ihnen helfen, wenn ich kann.“ Er brummte etwas Unverständliches und ich verzichtete lieber darauf, nachzufragen. Blöder Kerl. „Ihnen wäre es wohl lieber, wenn ich mich raushalten würde?“, erkundigte ich mich stattdessen.
„Daniel, wenn Sie erstmal so lange im Geschäft sind wie ich, werden Sie wissen, dass man die Mitarbeit der Beteiligten nutzen muss“, merkte Spengler mit sanfter Stimme an. „Ich weiß schon, wann es zu weit geht und juristisch zweifelhaft wird, dazu brauche ich keinen Anwalt.“ Weiß warf ihm einen beleidigten Blick zu und schwieg. „Brechen wir auf“, schlug Spengler vor.
Trixis Wohnung war nicht mehr versiegelt. „Ah, gut, sie sind durch“, folgerte Spengler und entfernte die Reste des durchtrennten Siegels.
Die Wohnung sah noch genauso aus wie gestern, nur graues Fingerabdruckpulver war an einigen Stellen zu sehen und mitten im Flur lag eine kleine Plastiktüte, die gestern nicht da gewesen war. Wohl so ein Beweismittelding. Spengler hob es mit missbilligenden Geräuschen auf und steckte es ein.
„Wir fangen bei der Küche an, dann können Sie abspülen“, schlug er vor.
Die beiden durchsuchten rasch alle Schränke und schichteten die schmutzigen Teller um, aber auf jedem waren andere Reste zu finden – kein Dinner à deux. „Trixi konnte nicht kochen“, erklärte ich, „die Reste dürften von lauter Fertiggerichten stammen. Sie hat mal gesagt, wenn sie verheiratet ist, will sie ein Au pair haben, das kocht.“
„Was wollte sie zu einer Ehe eigentlich beitragen?“, brummte Weiß. „Arbeiten wollte sie dann ja wohl nicht mehr, aber den Haushalt auch nicht machen, oder?“
„Sich um die Kinder kümmern, denke ich. Und repräsentieren, organisieren, dekorieren. Wie sie sich eben das Leben der Dame des Hauses vorstellte. Mit dem richtigen Mann hätte das bestimmt auch geklappt. Jedenfalls glaube ich nicht, dass sie einen Mann zum Essen hierher eingeladen hätte. Das hätte wohl eher abschreckend gewirkt.“ Spengler nickte, Weiß sah sich ungläubig um. „Dekorieren? Da schaut es ja bei Ihnen noch besser aus!“
„Oh, herzlichen Dank“, zischte ich, „was genau war denn bei mir so schrecklich?“ Er starrte mich verblüfft an. „Nichts, warum?“
„Wenn es bei mir nur vergleichsweise besser war, heißt das doch, dass ich so ungefähr die gleiche Schlampe bin, oder? Sie müssen ja ganz schön verwöhnt sein!“
Er schenkte mir einen zornigen Blick und wandte sich ab. Arschloch.
Spengler klappte den letzten Schrank zu. „Hier scheint nichts zu sein. Oder glauben Sie, dass sie einen Verlobungsring im Mehl versteckt hat?“
Ich kicherte. „Kaum. Erstens mangelt es am Mehl, und zweitens hätte sie so einen Ring doch getragen und uns allen gezeigt. Als Zeichen, dass sie geschafft hat, was das wahre Ziel einer Frau ist.“ Das klang sogar in meinen Ohren boshaft und ich entschuldigte mich verlegen. „Sie können schon mal abspülen. Aber lassen Sie die Finger von den Mülltüten, ja?“ Ich versprach alles, schichtete die verklebten Teller ins Spülbecken und ließ heißes Wasser darüber laufen – mit viel Schaum.
Weiß und Spengler wandten sich dem kleinen Schreibtisch zu, auf dem ein Laptop zugeklappt stand. Während ich den ersten Teller mit der Kratzseite eines ältlichen Spülschwamms attackierte, hörte ich, wie sie den Rechner hochfuhren und dann frustrierte Geräusche von sich gaben.
„Mylady“, sagte ich hilfsbereit. „Was?“ Weiß starrte mich wieder wie eine Verrückte an. Wenn er das weiter trieb, wurde ich noch tatsächlich verrückt!
„Das Passwort dürfte Mylady sein, groß geschrieben. Das benutzt sie auch bei Gothing. Trixi hat – hatte – ein schlechtes Gedächtnis, und da wäre es logisch, nicht unnötig viele Passwörter zu benutzen, oder?“ Ich wandte mich wieder den Tellern zu. Boah, Champignonsauce, mindestens zehn Tage alt – wie das stank! Trixi war ja doch ein Ferkel gewesen. Ich nahm mir vor, die Schmutzwäsche nicht zu genau zu betrachten, um ihr wenigstens einen Rest Würde zu lassen, falls sie es auch da nicht so genau genommen hatte.
Hinter mir erklang die alberne Melodie von Windows 2000, die ich bei meinem Rechner sofort abgewürgt hatte. Na prima! Die beiden mussten mir doch wirklich dankbar sein, oder? Ich verzichtete edel darauf, das anzudeuten, sondern spülte das komplette herumstehende Geschirr, trocknete es mit einem frischen Geschirrtuch ab, warf das alte in die Schmutzwäsche, wo es schon länger hingehörte, und räumte alles in die richtigen Schränke.
„Darf ich das abgelaufene Zeug aus dem Kühlschrank entsorgen?“, fragte ich schließlich.
„Später“, murmelte Spengler, der sich durch Trixis Dateien klickte. „Wozu hat sie einen Organizer, wenn sie ihn nicht benutzt?“
„Der war wahrscheinlich schon vorinstalliert“, antwortete ich und musterte sehnsüchtig die verfleckten Oberschranktüren, „sie hat doch ihren realen Filofax benutzt. Der ist sicher in der großen schwarzen Umhängetasche, die sie in der Arbeit immer dabei hatte. Sagen Sie, brauchen Sie die Flecken auf den Oberschränken noch?“
Spengler drehte sich um. „Was? Nein, da dürften schon Fingerabdrücke genommen worden sein. Putzen Sie ruhig.“
Weiß begann herumzustreichen und fand schließlich die schwarze Tasche und den überquellenden Filofax. Ich schrubbte genüsslich die Oberschranktüren und beobachtete die beiden mit einem Auge. Als sie den Kalender öffneten, quollen ihnen diverse Zettelchen, Visitenkarten, Quittungen und anderer Papierkram entgegen. Na, viel Spaß damit! Trixi hatte so etwas nie weggeworfen. Ich polierte die Arbeitsplatte und spülte den Lappen sorgfältig aus, bevor ich ihn über den Wasserhahn hängte.
„Kann ich Ihnen was helfen? Mit der Küche bin ich soweit fertig“, bot ich schließlich an. „Ja“, sagte Spengler. „Sie können mit dem Kollegen Weiß die herumliegenden Kleidungsstücke durchsehen und bei Bedarf wieder in den Schrank hängen. Oder in die Wäsche werfen.“
Weiß und ich sahen uns an. Das war ja, als müsste man mit dem Hassobjekt Nr. 1 zusammen ein Referat machen! „Gut“, seufzte ich schließlich und öffnete den Schrank weit. Nahezu leer, wenn man von den vielen Drahtbügeln absah, die sachte vor sich hin schaukelten.
Weiß legte eine große Plastiktüte so aufs Bett, dass man alle Fundstücke hineinwerfen konnte, und ich nahm den grauen Samtblazer mit den Glitzerkanten auf und fuhr in die Taschen. Ein Streichholzheftchen, ein abgefahrener Busfahrschein, ein Fitzelchen von einer Rolle Kaudrops. Genau, was ich auch immer in den Taschen hatte. Ich kontrollierte noch die Ärmelaufschläge und stellte fest, dass der Blazer keine Innentasche hatte, dann hängte ich ihn in den Schrank.
Das feuerrote Kleid mit der Goldstickerei war völlig taschenlos. Der dunkelblaue Anzug mit den bunten Aufschlägen bescherte uns ein weiteres Streichholzheftchen, die Visitenkarte eines Afrika-Imports, die Weiß sehr interessant zu finden schien, einen Zettel, auf dem Svetlana/Minsk stand (Russenmafia?), allerdings nicht in Trixis Schrift mit den Kringeln statt Punkten, ein Feuerzeug (leer), ein einzelner Ohrring, Silber mit einem kleinen Türkis. Da Weiß mir mittlerweile auch ein Paar Plastikhandschuhe gegeben hatte, konnte ich alles in die Tüte fallen lassen, ohne es zu kontaminieren; Weiß tat nichts als zu gucken, was ich fand, und aufzupassen, dass ich nichts unterschlug.
Bis alles, was noch vorzeigbar war, wieder im Schrank hing, hatten wir noch drei weitere Streichholzheftchen gefunden, alle angebraucht, eine Telefonkarte, drei Visitenkarten, einen Zettel, auf dem außer einem Lippenstiftkuss nichts zu sehen war, einen Strafzettel, weil sie im Halteverbot geparkt hatte, mehrere Büroklammern, Sicherheitsnadeln und eine Menge Krümel und Staubflusen.
„Der Wagen ist in der Werkstatt“, merkte ich an, als Weiß die Tüte zusammenraffte. „Deshalb sollte ich ja gestern fahren.“
„Wissen Sie, in welcher?“
„Nein“, musste ich zugeben, „aber sie hat doch sicher ältere Rechnungen im Schreibtisch, oder?“
Spengler am Schreibtisch lachte unfroh auf. „Die reinste Sisyphusarbeit. Hat diese Frau eigentlich nie etwas abgeheftet oder aufgeräumt?“
„Nicht so gerne“, gab ich zu. „Aber, wie gesagt, die momentane Unordnung ist schon mehr als das Übliche. Wahrscheinlich hatte sie sich auch den ersten Feiertag für einen Generalputz vorgenommen.“
„Auch?“, fragte Weiß.
„Das machen Singles so“, klärte ich ihn auf. „Familie ist abgehakt, und frei hat man auch. Und beim Sissigucken kann man prima putzen.“
„Aha.“ Er sah nicht wirklich überzeugt aus, aber er war ja auch kein Single. Sicher hatte er einen Putzteufel zu Hause, sonst wäre er nicht so anspruchsvoll! Ich erhielt die Erlaubnis, die offensichtlich getragenen duftigen Teile, die noch überall herumlagen, in den Wäschekorb zu stopfen. Weiß sah etwas peinlich berührt zu, und ich wollte auch nicht so genau wissen, wie lange Trixi manche Dinge getragen hatte. Schließlich sah die Schlafnische einigermaßen akzeptabel aus; wir durchsuchten noch das Bett – keine Geheimdokumente unter der Matratze, keine gebrauchten Kondome mit DNA-fähigem Material unter dem Kopfkissen – und ich durfte es aufschütteln und glattstreichen. Es frisch zu beziehen, fand ich dann doch übertrieben, wenn die Familie die Wohnung ohnehin auflösen würde.
„Sollen wir noch ins Bad gucken?“, schlug ich vor. Weiß warf einen sehnsüchtigen Blick auf seinen Chef, der immer noch mit Kalender und Rechner zugange war. „Sie müssen nicht das Klo putzen“, beruhigte ich ihn – vergeblich.
„Glauben Sie, das könnte ich nicht?“, fuhr er sofort auf.
„Woher soll ich das wissen?“, fragte ich. „Also?“
„Chef?“
„Ja, okay. Aber nichts wegwerfen!“ Wir waren doch nicht blöd!
Ich sprühte die Kloschüssel und das Waschbecken mit Putzschaum ein, während Weiß das Spiegelschränkchen durchsuchte. „Na, wer sagt´s denn!“, triumphierte er und hielt eine weiße Schachtel hoch.
„Was ist das?“, fragte ich abgelenkt, weil ich gerade überlegt hatte, ob die Badewanne noch ging oder es schon nötig hatte. Eher nötig.
„Kennen Sie so was nicht?“
Ich guckte genauer hin. Ein Schwangerschaftstest?
„Glauben Sie, jede Frau braucht so was dauernd? Können Sie bei der Obduktion feststellen, ob Trixi schwanger war?“ Er schluckte. „N-natürlich.“
„Müssen Sie da teilnehmen?“
„Einer von uns sollte schon“, antwortete er leise und schüttelte die Schachtel kurz, „Kann man die mehrfach benutzen?“
„Nicht dass ich wüsste. Ich glaube, man muss auf den Teststreifen pinkeln, und das geht ja wohl nur einmal, oder? Wenn noch was in der Schachtel ist, hat sie ihn wohl noch nicht benutzt. Gucken Sie doch mal rein!“
Er tat es, und der Inhalt sah ziemlich vollständig aus, Plastikhalterung, ein weißer Stift, alles mit der Anleitung umwickelt. Plötzlich merkte ich, dass ich so nahe bei ihm stand, dass ich sein Aftershave riechen konnte. Gar nicht übel, ein bisschen wie Bittermandel. Hastig trat ich einen Schritt zurück, mehr ging in diesem engen Raum nicht. Wieso benutzte er Aftershave, wenn er sich doch gar nicht rasierte? Und wieso interessierte mich das?
Er inspizierte weiter das Schränkchen und packte alles, was er fand, in eine neue Tüte, während ich die Badewanne einschäumte und schrubbte. Nachdem Klo und Wanne funkelten, schüttelte ich den Badeteppich aus und hängte ihn über den Wannenrand. Dabei fand sich der zweite Türkisohrring, den ich Weiß reichte. Der schnupperte gerade an Trixis Flasche mit Shalimar und rümpfte die Nase.
„Bisschen schwül, was? Kann ich das Waschbecken abwischen?“
Er trat beiseite, und ich gab dem Waschbecken den letzten Schliff. „So“, meinte ich dann, „jetzt trifft Trixis Eltern wenigstens nicht mehr der Schlag. Die restliche Unordnung ist normal, denke ich.“
„Sind die Eltern so streng?“
„Weiß ich nicht, ich kenne sie nicht. Sie scheinen nach Trixis Erzählungen das Übliche zu sein, halb besorgt und halb enttäuscht, weil sie noch nicht mit Mann und Kinderchen aufwarten konnte. So geht´s doch den meisten.“
„Ihnen auch?“
Ich drehte mich zu ihm um. „Nein, meine Eltern sind echt okay, die nerven mich nicht mit so was. So. Können Sie bestätigen, dass ich keine Beweise ruiniert habe?“ Er brummte etwas Zustimmendes und folgte mir ins Zimmer, wo Spengler gerade den Laptop einpackte und dann den Filofax dazuquetschte. „Daniel, das gibt noch einen langen Abend, bis wir das alles durchsucht haben.“ Weiß sah schon ziemlich fertig aus.
„Müssen Sie das denn wirklich noch heute machen?“, fragte ich. „Reicht es nicht, wenn Sie Ferdi und Sonja fragen, ob sie was über diesen Lover wissen, und sich den Rest morgen vornehmen?“
„Sagen Sie uns nicht, wie wir unsere Arbeit machen sollen“, blaffte Weiß mich prompt an. Bitte, dann nicht, du Idiot!
„Sie hat Recht“, meinte Spengler. „Schnappen wir uns die beiden und machen wir danach Feierabend. Mir langt es eigentlich auch.“
„Erzählen Sie mir, was Sie rausgefunden haben?“, bettelte ich, als Spengler die Wohnung abschloss und ein neues Siegel aufklebte. Spengler lachte. „Na, mal sehen. Wir kommen morgen garantiert in Ihrer Buchhandlung vorbei. Vielleicht gibt´s dann ein Häppchen.“ Weiß verdrehte die Augen – das war wohl wieder mal unkorrekt?
Sie fuhren mich brav nach Hause, und Spengler bedankte sich sogar für die Hilfe. „Und erzählen Sie die Sache noch nicht rum, heute wenigstens noch nicht. Wir haben die Eltern noch nicht ausfindig gemacht. Wieso muss sie auch Berger heißen!“ Ich winkte den beiden nach, wartete, bis sie abgebogen waren, und schoss dann zum Bahnhofskiosk. Ob in der Sonntagszeitung schon was stand?
Zu Hause warf ich mich mit der Beute aufs Sofa und blätterte hastig. Da, ja, unter letzte Meldungen, aber nur, dass anscheinend jemand in Selling von seinem Balkon gefallen war und die Polizei noch keine Stellungnahme abgegeben hatte. Dürftig. Trotzdem schnitt ich den winzigen Artikel aus und hob ihn auf.
Dann versuchte ich, mich an die Fundstücke zu erinnern. Diese Streichholzheftchen... typisch für jemanden, der immerzu sein leeres Feuerzeug einsteckte und nie daran dachte, sich ein neues zu kaufen. Ganz normale Kneipen, oder? Charlie´s hatte ich gesehen, den Herzogsgarten, das Café de la Nuit, den Rest kannte ich nicht. Und diese Afrika-Visitenkarte hatte ich auch, die kriegte man von den Afrikanern, denen man in der Kneipe keine Holz- und Elfenbein-Ketten abkaufen wollte. Ob dieser Weiß daraus was konstruierte? Oder sollte ich ihn warnen, bevor er sich da verrannte? Himmel, der Kerl war nicht viel älter als ich, der musste sich doch in der Kneipenszene auskennen und das selber wissen! Bis jetzt hatte er mir jede Einmischung übel genommen, also sollte er doch schauen, wie er selbst zurechtkam. Ich jedenfalls würde die beiden ignorieren, bis sie mich um Hilfe baten. Naja, und natürlich selbst ein bisschen über die Sache nachdenken...
Leider war das einzige Ergebnis, dass ich auf dem Sofa einschlief und mit knurrendem Magen aufwachte, als es schon wieder Zeit war, ins Bett zu gehen. Ich aß ein paar Chips und verzog mich dann in meine frisch bezogene Pracht. Tolles Wochenende, wirklich!