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ОглавлениеÜberraschung auf vier Beinen
von Monika Büchel
Marlene stand am Küchenfenster und blickte zu den Eiszapfen, die vom Dach der gegenüberliegenden Garage wie Orgelpfeifen hingen. Es schneite. Wie schön und friedlich das aussieht, dachte Marlene. So muss Weihnachten sein. Dann drehte sie sich um und legte ihre Geldbörse in den Einkaufskorb, um letzte Besorgungen zu machen. Während sie ihre weiche Daunenjacke anzog, rief sie Richtung Wohnzimmer: „Ich gehe einkaufen! Bin gleich wieder da.“
„In Ordnung!“, rief Thomas, ihr Mann, zurück. Seit letztem Jahr schmückte er mit den Kindern am Vormittag von Heiligabend den Christbaum. Die Kinder unten herum, er oben. „Dann sind die Quälgeister wenigstens beschäftigt“, hatte er gemeint.
Ein eisiger Luftzug streifte Marlene jäh, als sie die Haustür öffnete. Sie schauderte – und blieb abrupt stehen. Neben der Tür saß ein zitterndes, zotteliges Etwas. Das kann nicht wahr sein, dachte Marlene. Der Hund blickte sie abwartend mit schiefem Kopf an. Schnell zog Marlene die Tür hinter sich zu.
„Bist wohl davongelaufen, was? Du gehst bei diesem Wetter besser nach Hause“, herrschte sie ihn an und scheuchte ihn mit der Hand fort. Der Hund erhob sich widerwillig und trottete davon.
Marlene atmete auf. Wieso kam ein Hund ausgerechnet zu ihnen? Marlene hatte keine Antwort darauf.
Als sie vom Einkauf zurückkam, saß der Hund wieder da.
„Du kommst mir nicht ins Haus“, drohte sie ihm mit dem Finger, „da kannst du mich noch so flehentlich ansehen. Marsch, geh dahin, von wo du hergekommen bist“, scheuchte sie ihn erneut weg. „Und komm ja nicht wieder!“, rief sie ihm nach. Dann eilte sie ins Haus.
„Mama, schau, der Christbaum ist geschmückt“, rief die 6-jährige Sofia, als Marlene fröstelnd in den Flur trat. „Gefällt er dir?“
Nachdem Marlene den Baum zur Freude aller gründlich bestaunt hatte, verkündete Thomas: „Und jetzt gehen wir Schnee schippen.“ Florian, ihr Neunjähriger, war sofort dabei und rannte zur Garderobe. Sofia hatte keine Lust.
Hoffentlich ist der Hund weg, dachte Marlene, während sie in der Küche den Einkauf auspackte, sonst …
„Da sitzt ja ein Hund vor unserer Tür!“, rief Florian. Marlene hielt in ihrer Bewegung inne.
„Ein Hund?“ Sofia riss ihre himmelblauen Augen auf und rannte hinaus.
„Tatsächlich, ein Hund“, hörte sie Thomas’ Stimme.
Marlene seufzte. Sie konnte sich lebhaft ausmalen, was jetzt folgen würde, während sie innerlich gewappnet zur Haustür ging.
„Mama, der ist ja sooo lieb“, sagte Sofia, beugte sich über den Hund und streichelte ihn.
„Fass ihn nicht an“, schrie Marlene. „Vielleicht hat er Flöhe.“ Erschrocken zog Sofia ihre Hand zurück.
„Das glaube ich nicht, bei dem kalten Wetter“, bemerkte Thomas. Marlenes mahnender Blick brachte ihn zum Schweigen. Seit Monaten wünschten sich die Kinder nichts sehnlicher als einen Hund. Thomas konnte sich mit dem Gedanken an ein Haustier anfreunden. Nicht aber Marlene.
„Er trägt kein Halsband, auf dem die Adresse stehen könnte, wem er gehört. Also wissen wir nicht, wem er weggelaufen ist“, dachte Thomas laut.
„Vielleicht ist er ja ausgesetzt worden, weil ihn sein Herrchen oder Frauchen nicht mehr mag“, überlegte Florian.
„Der arme Hund. Mama, der hat bestimmt Hunger und Durst.“ Sofia versuchte es auf die mitleidige Tour. Und Florian ergänzte: „Und kalt ist ihm bestimmt auch.“
„Der Hund hat ein dichtes Fell. Dem kann gar nicht kalt sein“, behauptete Marlene.
„Aber zu essen können wir ihm doch was geben. Was isst denn ein Hund?“, fragte Sofia.
„Das heißt fressen“, korrigierte sie der große Bruder.
„Du sollst mich nicht immer verbessern“, gab Sofia heftig zurück.
„Na, na, ihr beiden“, griff Thomas ein. „Ich denke, wir können dem Hund schon was zum Fressen geben. Nur dies eine Mal.“
Fragend sah er Marlene an. „Du weißt, was ich von Haustieren halte“, entgegnete sie ihm mit erhobener Stimme.
„Vielleicht ein Brötchen in Milch aufgeweicht?“, fuhr Thomas unbeirrt fort.
Die Kinder witterten ihre Chance.
„Aber nicht in der Wohnung. Der Hund kommt mir nicht ins Haus. Womöglich ist er gar nicht stubenrein“, rief Marlene, als die Kinder in die Küche stürmten.
Thomas wollte Marlene einen versöhnlichen Kuss auf die Wange geben. Aber sie wehrte ihn ab. Sie mochte nicht, wenn er ihr in den Rücken fiel. Das wusste er, und das sollte er auch spüren, selbst heute, an Heiligabend.
„Mama, der Hund hat alles aufgefressen. Können wir ihm noch ein Brötchen geben?“, fragte Florian.
„Ich glaub, der hat gaaanz viel Hunger“, ergänzte Sofia.
„Na gut, aber dann reicht’s!“
Wenig später tollten die Kinder mit dem Hund im Garten herum. Thomas und Marlene beobachteten sie vom Fenster aus.
„Reinrassig ist er ja nicht“, begann Thomas. „Wohl eher eine Promenadenmischung aus Yorkshire Terrier und Zwergpinscher oder Collie. Aber er sieht irgendwie besonders aus, findest du nicht auch?“
Marlene gab keine Antwort. Sie war verärgert: über den Hund, der den ganzen Heiligabend durcheinanderbrachte, über ihren Mann, der sich nicht auf ihre Seite stellte. Nun war sie wieder einmal die Spielverderberin.
„Den Hund hat uns Gott geschickt, weil doch Weihnachten ist“, behauptete Sofia beim Mittagessen unvermittelt. „Und weil wir uns schon so lange so doll einen Hund gewünscht haben“, ergänzte Florian. Marlene schüttelte den Kopf. Wie die beiden an einem Strang ziehen konnten, wenn sie sich nur einig waren. Laut sagte sie: „Ich glaube nicht, dass Gott solche Geschenke macht.“ Doch Sofia beharrte auf ihrer Logik.
Nach dem Mittagessen waren die Kinder damit beschäftigt, sich Namen für den Hund auszudenken. Dazwischen rannten sie bestimmt zwanzig Mal zur Haustür, um nach ihm zu sehen und kurz mit ihm zu sprechen.
„Ich finde, er könnte Jesus heißen“, schlug Sofia vor, gerade als Marlene in Florians Zimmer trat.
„Du spinnst! Kein Hund heißt Jesus“, antwortete Florian.
„Ich spinne nicht. Schließlich feiern wir heute den Geburtstag von Jesus. Da passt der Name“, rechtfertigte sie sich.
„Dann können wir den Hund ja auch Josef nennen“, brummelte Florian. „Außerdem wissen wir gar nicht, ob er ein Männchen oder ein Weibchen ist“, gab er zu bedenken.
„Da uns der Hund nicht gehört, braucht er auch keinen Namen und ihr braucht euch nicht zu streiten“, schloss Marlene die Debatte und befahl den Kindern, ihre Zimmer aufzuräumen.
Als es schließlich Zeit war, sich für den Weihnachts-Familiengottesdienst auf den Weg zu machen, lag der Hund auf einer alten Decke vor der Haustür. Marlene hatte nur einen in Verdacht, der dieses Bett herbeigezaubert hatte: ihr weichherziger, angetrauter Ehemann. Der sah jedoch geflissentlich an ihr vorbei.
„Bleib schön hier. Es dauert nicht lange, dann sind wir wieder da!“, redete Sofia beruhigend auf den Hund ein.
„Bloß nicht“, sagte Marlene an Thomas gewandt. Aber sie ahnte, dass sich ihre Hoffnung nicht erfüllen würde. Sie hatten dem Hund schon zu viel Fürsorge und Aufmerksamkeit geschenkt. Es sei denn, ein mitleidiger Nachbar entdeckte den Hund und hielt ihm eine dicke Wurst unter die Nase …
Nach dem Gottesdienst machten sie sich schnell auf den Heimweg. Waren die Kinder sonst kaum zu bändigen, so aufgeregt waren sie wegen der bevorstehenden Bescherung, war es diesmal anders. Natürlich waren sie gespannt auf die Geschenke. Aber die Frage, ob der Hund noch da sein würde, beschäftigte sie mehr. Und die Freude, ihn hoffentlich wiederzusehen, war groß.
So sollte es eigentlich an Weihnachten sein, schoss es Marlene plötzlich durch den Kopf. Dass sich alles um einen dreht: Jesus. Dass die Gedanken um dieses großartige Geschenk kreisen, das Gott allen Menschen gemacht hat. Dass die Freude einen von Kopf bis Fuß durchdringt, weil der Sohn Gottes Mensch geworden ist, um am eigenen Leib Durst, Hunger und Kälte zu spüren, eben alles, was das Leben an Schwerem, aber auch Schönem ausmacht. Dass man ihn in sein Leben hineinbittet, um immer, immer mit ihm zu leben.
Die Kinder rannten voraus, als sie in ihre Straße einbogen.
„Er ist da!“, hörten sie Florian rufen, der als Erster am Haus angelangt war.
„Mama, darf er nicht doch mit rein? Bitte!“, bettelte Sofia „Der friert doch heute Nacht hier draußen.“
Marlene atmete tief durch. „Na gut, weil heute Heiligabend ist. Aber nach den Feiertagen bringen wir ihn ins Tierheim.“
Die Kinder jubelten, der Hund ging Schwanz wedelnd auf Marlene zu. Er hatte die Veränderung in ihr gespürt. Thomas sah seine Frau ungläubig an. Dann nahm er sie in die Arme. Diesmal wehrte sie ihn nicht ab.