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[21] Es war allerdings ein schattiger und lieblicher Fußweg, den Beide jetzt einschlugen, aber für Lucie schien er nur da zu sein, um ihn in allen möglichen und unmöglichen Windungen zu umkreisen. Wie ein junges Reh, das der Gefangenschaft entflohen und der Waldesfreiheit zurückgegeben ist, so sprang sie dahin, das ging immer mitten durch Gebüsch und Haidekraut, ohne nach Weg und Steg zu fragen. Jetzt lief sie einem Schmetterlinge nach, um in der nächsten Secunde drüben auf der entgegengesetzten Seite ein Eichhörnchen aufzujagen, oder eine Blume zu pflücken. Bald hier, bald dort sah Bernhard den blauen Schleier ihres Hutes zwischen den Bäumen aufflattern, und dann wehte er wieder dicht neben ihm, wenn sie athemlos an seiner Seite kam, beide Hände voll Blumen; dabei plauderte der kleine Mund unaufhörlich und floß über von Fragen und Neckereien, sie war zu glückselig.

„Nun aber ist’s genug!“ sagte Bernhard endlich und zog ihre Arme in den seinigen. „Jetzt bleibst Du an meiner Seite, dort drüben ist bereits der Ausgang des Waldes, wo der Wagen uns erwartet.“

„Schon? O laß mich nur noch einen Blick in die Schlucht dort thun, nur einen einzigen! Ich muß durchaus wissen, wo der kleine Bach herkommt, der dort drüben plätschert; in zwei Minuten bin ich wieder zurück.“

Und fort war sie, Bernhard sah den blauen Schleier bereits wieder drüben an der Felswand flattern und in der nächsten Minute dahinter verschwinden.

„Nun Gott sei Dank, eine geschraubte Modedame wenigstens hat die Pension nicht aus ihr gemacht! Das ist noch ganz das Kind, das ich vor vier Jahren dorthin brachte,“ sagte er, mit dem Ausdruck tiefster Befriedigung ihr nachblickend, und blieb geduldiger, als es wohl sonst seine Art war, stehen, um ihre Rückkehr zu erwarten.

Lucie hatte inzwischen die Schlucht erreicht und blickte neugierig hinein; es war ein reizendes Stück Waldeinsamkeit, das sich hier vor ihren Blicken aufthat. Rauschend und silberhell kam der Bach von der Höhe herab und stürzte, über glatte Kiesel und moosige Steine, an dunklen Felswänden vorüber, in den Wald hinein. Darüber wölbten sich hohe Buchen und dazwischen grünte weiches Moos und rankte sich blühendes Gesträuch – es war ein Ort, so recht zum Träumen und Sinnen geschaffen, aber gerade dies lag der jungen Dame himmelweit entfernt. Ihr erster Blick galt dem Orte selbst, ihr zweiter einem Himbeerstrauch, der, in der Felswand wurzelnd, mit einer Fülle dunkelrother Beeren über den Bach hinaushing. Das sehen und einen unbezwinglichen Appetit danach verspüren, war für Lucie Eins; vergessen war das Versprechen, sogleich zurückzukommen, vergessen das drohende Stirnrunzeln des Bruders. Ohne sich einen Augenblick zu besinnen, trat sie sofort den Weg nach der Felswand an; daß er mitten durch den Bach ging, kümmerte sie durchaus nicht. Ihr Kleid zusammennehmend, sprang sie leicht wie eine Elfe von Stein zu Stein. Das Wasser rieselte unter ihren Füßen und durchnäßte völlig die beiden Residenzstiefelchen, die für Spaziergänge im Gießbach wohl nicht berechnet waren, aber das erhöhte nur ihr Vergnügen; sie lachte laut auf, wenn die hellen Wassertropfen emporspritzten oder das niederhängende Gezweige ihre Stirn streifte. Der kleine Strohhut hatte sich schon beim ersten Schritt als zu lästig erwiesen, er hing am Arme und mußte einstweilen die duftende Fülle der im Walde gepflückten Blumen bergen; die Locken, von keinem Bande mehr gehalten, wehten lose um Hals und Schultern; dabei ging es vorwärts, über Felsgeröll, Baumwurzeln und Wassersturz, immer aufwärts, den Bach hinauf. Je schwieriger der Weg, desto größer wurde der Eifer, das junge Mädchen war nur eine Jugendlust, ein jubelnder Uebermuth, und jetzt endlich stand sie oben, hell beschienen von dem Sonnenstrahl, der durch das Laubdach drang und gerade auf das rosige Kinderantlitz fiel, mit flatternden Locken, mit glühenden Wangen und strahlenden Augen, und streckte die Hand nach dem ersehnten Gesträuche aus.

Aber plötzlich ließ sie dieselbe wieder sinken und stieß einen leisen Ausruf des Schreckens aus. Drüben vom Rande der Felswand blickten ein Paar große unheimlich tiefe und dunkle Augen starr zu ihr herüber, und als sie erschreckt noch weiter zurückwich, tauchte eine Gestalt in langem schwarzem Gewande aus dem Gebüsch hervor, und stand hochaufgerichtet ihr gegenüber.

Die erste Regung Luciens war, trotz der so nachdrücklich betonten sechszehn Jahre, eine ganz gründliche Gespensterfurcht, und ihre erste Bewegung ein Versuch davon zu laufen, aber schon im nächsten Augenblick siegte die Vernunft. Gespenster am hellen Mittage! Während die Sonne so goldig durch die Buchenzweige schien und der Bach zu ihren Füßen so lustig plätscherte, als wolle er sie auslachen über ihre kindische Angst – sie nahm allen Muth zusammen und wagte einen zweiten Blick hinüber.

[22] Da sah sie nun allerdings, daß es ein Mensch war, der dort drüben stand, ein Mann in langem geistlichem Talar, der bisher im Moose gelegen und von dort aus vermuthlich den ganzen Spaziergang durch den Gießbach mit angesehen hatte. Das Buch, in dem er gelesen, lag noch am Boden, er selbst aber stand mit verschränkten Armen und blickte düster und unverwandt auf sie hin.

Also ein Geistlicher, der wahrscheinlich seine Predigt einstudirte, und der hatte sie so erschreckt! Luciens ganzer Uebermuth kam zurück; ohne sich weiter um den fremden Zuschauer zu kümmern, der ihr jetzt ganz und gar kein Interesse mehr einflößte, begann sie eine gründliche Plünderung des Himbeergesträuches und schickte sich dann an, den Weg, den sie gekommen war, wieder hinabzusteigen.

Jetzt aber mußte sie bei dem Fremden vorüber, er stand noch immer wie angewachsen, ohne sich zu regen, und dabei stand er gerade auf einem der großen Steine, die den Pfad durch den Bach bildeten. Der unhöfliche Mann dachte nicht daran, auch nur einen Schritt zur Seite zu treten, trotzdem er doch sah, daß sie hinab wollte. Lucie begann sich über diese Rücksichtslosigkeit zu ärgern, sie setzte nachdrücklich ihr Füßchen in’s Wasser, daß es hoch aufspritzte, um ihm begreiflich zu machen, wie sehr störend ihr sein Standpunkt sei, und warf ihm einen ihrer allerungnädigsten Blicke zu.

Dabei begegnete sie aber zum zweiten Male seinen Augen, die noch immer unbeweglich auf ihrem Antlitz ruhten, gerade so starr und düster wie vorhin. Es mußte doch etwas Gespensterhaftes in dem Manne sein, denn dem jungen Mädchen ward auf einmal glühend heiß unter diesem seltsamen Blick, die ganze vorige Angst kam verdoppelt zurück, sie wünschte sich weit weg in die schützende Nähe des Bruders und doch stand sie wie gefesselt von einer fremden Macht und wagte keinen Schritt vor- oder rückwärts zu thun. So vergingen in paar beängstigende Secunden, da endlich wich der unheimliche Fremde langsam zur Seite, er gab den Weg frei und wie ein gescheuchtes Reh flog Lucie an ihm vorüber, den Bach hinab, und in den Wald hinein.

Hier kam ihr Bernhard, durch ihr langes Außenbleiben beunruhigt, bereits entgegen. „Sind das etwa die gewünschten zwei Minuten? Du scheinst wirklich – aber was hast Du denn, Kind, Du siehst ja ganz verstört aus!“

Lucie hing sich fest an seinen Arm, jetzt, wo sie sich geschützt wußte, brach der alte Uebermuth schon wieder durch, sie warf noch einen scheuen Blick zurück nach der Schlucht, aber es zuckte bereits schelmisch um ihre Lippen, als sie antwortete:

„Ich bin dem Währwolf begegnet, von dem es in den Märchen heißt, daß er in Menschengestalt umgehe! Drüben stand ein Mann, so finster und unheimlich, er trug einen langen schwarzen Talar –“

„Das wird einer von den Mönchen des Stiftes gewesen sein,“ meinte Bernhard gleichgültig. „Die Herren Benedictiner pflegen zwar sonst nicht gerade die einsamen Waldgründe aufzusuchen, wenn sie sich außerhalb des Klosters amüsiren! – Das Ordenskleid also hat Dich so erschreckt?“

Lucie sah zu Boden und schüttelte den Kopf. „Nicht das Kleid,“ sagte sie leise, „der Blick war es. Er hatte so seltsame Augen, wahre Gespensteraugen!“

Das Spottlächeln von vorhin erschien wieder auf dem Gesicht des Bruders. „Dein Heroismus scheint nur den Gouvernanten gegenüber zu existiren! Noch vor einer Viertelstunde prahlst Du damit, Dein ganzes Pensionat in Schach gehalten zu haben, und jetzt läufst Du vor einem Mönchsgewand und einem Paar Mönchsaugen davon. In der That, eine rechte Heldenseele, die ich da in meiner Schwester entdecke!“

Lucie wollte auffahren und sich eifrig gegen den Vorwurf vertheidigen, aber das Wort erstarb ihr auf den Lippen; denn in diesem Augenblick traten sie aus dem Walde auf die Höhen hinaus, und eine prachtvolle Gebirgslandschaft rollte sich vor ihren Blicken auf. Rauschend schoß der Bergstrom durch ein weites offenes Thal, im hellsten Sonnenstrahl schimmerten Flecken, Dörfer und einzelne Gehöfte, theils am Strome, theils am Bergeshang zerstreut liegend, von nah und fern herüber, dazwischen leuchtete das sonnige Grün der Matten, die ringsum all die tiefer gelegenen Höhen umkränzten, und darüber hinaus strebten dunkle Tannenwälder höher und höher an den Bergwänden empor, bis zum Gipfel hinauf. Im Vordergrunde lag ein Schloß, eine malerische alte Bergveste, die gerade hinab zum Strom blickte, aber so kühn es sich auch auf seinem Felsen hob, und so trotzig die grauen Erker und Söller aus dem Tannengrün hervorschauten, es trat doch zurück vor dem mächtigen, schloßartigen Gebäude, das sich ihm gegenüber auf einer Anhöhe ausdehnte, von weiten Gärten umgeben, mit Mauern und Pfeilern, die wie für die Ewigkeit gegründet schienen, mit langen Fensterreihen und zwei prachtvollen Thürmen über dem Hauptportal. Die Sonnenstrahlen fielen mit vollster Kraft auf die leuchtend weißen Mauern; vom hellsten Mittagsglanz umflossen lag die Benedictinerabtei stolz und mächtig da, weithin das Thal beherrschend, die Krone und der Mittelpunkt des ganzen herrlichen Landschaftsgemäldes, und über das alles hinaus hoben sich die riesigen Häupter des Gebirges, von blauem Duft umwoben, und ragten ernst und gewaltig hinein in die sonnige Welt.

Lucie war überrascht stehen geblieben, nur ein lautes Ah der Bewunderung entfuhr ihren Lippen, dann blieb sie regungslos im Anschauen versunken, Bernhard beugte sich zu ihr nieder.

„Nun, Lucie, wirst Du hier Deine engen Residenzstraßen, Deine hohen Häuser und den ummauerten Pensionsgarten vermissen? Ich denke nicht.“

Das junge Mädchen fuhr aus dem athemlosen Schauen auf bei dieser Anrede, sie schlang plötzlich ihre beide Arme um den Hals des Bruders und rief mit der ganzen stürmischen Freude eines Kindes: „O, ich habe nicht gewußt, daß die Welt so schön ist!“

Bernhard lächelte. „Du hast freilich noch nichts davon gesehen, als nur unsere märkischen Haiden. Sieh dort hinüber, dort liegt Deine künftige Heimath, und jetzt laß uns eilen, daß wir sie endlich erreichen, es ist hohe Zeit!“

Er hob sie in den bereits wartenden Wagen und nahm an ihrer Seite Platz, ein Druck mit dem Zügel, und die ungeduldigen Thiere griffen aus; dahin rollten sie, dem Thale zu, hinein in die Berge.

„Ist Pater Benedict schon zurückgekehrt?“

„Noch nicht, Euer Gnaden!“

„Er soll sofort nach seiner Ankunft benachrichtigt werden, daß ich ihn zu sehen wünsche, und daß der Herr Graf Rhaneck ihn hier erwartet.“

Der Kammerdiener schloß die Thüren und entfernte sich, den soeben erhaltenen Befehl auszuführen; die beiden Herren, welche sich im Arbeitszimmer des Prälaten befanden, blieben mit einander allein.

Es war ein großes, mit fürstlicher Pracht eingerichtetes Gemach. Die schweren purpurrothen Seidenvorhänge des hohen Bogenfensters wehrten, zur Hälfte herabgelassen, den glühenden Strahlen der Mittagssonne den Eingang. An einem Tisch, der mit kostbarem Schreibgeräth, mit Briefschaften und Papieren aller Art bedeckt war, saß der Prälat im reichvergoldeten, mit dunklem Sammet überzogenen Lehnstuhl, während Graf Rhaneck von seinem Sitze ihm gegenüber aufgestanden war, und mit raschen, etwas ungeduldigen Schritten das Zimmer durchmaß.

Es war nicht schwer, in den Beiden gleich beim erstens Blick zwei Brüder zu erkennen, die Aehnlichkeit zwischen ihnen trat deutlich genug hervor: dieselbe hohe, imponirende Gestalt, dieselben großen blauen Augen, derselbe Schnitt des Gesichtes, mit dem gleichen Ausdruck eines unnahbaren Stolzes. Es waren offenbar Familienzüge, die Züge eines edlen, kräftigen Geschlechts, die sich in diesen regelmäßigen Linien wiederholten, und vielleicht war sie auch unter den Rhanecks erblich, jene eigenthümliche Linie auf der Stirn, gerade zwischen den Augen, die, in ruhigen Momenten kaum sichtbar, sich bei jeder Erregung zu einer drohenden Falte vertiefte, ein Zug von Härte, ja von Grausamkeit, der, wenn er erst einmal hervortrat, das Antlitz fast entstellte und ihm einen ganz anderen Charakter lieh.

Aber trotz aller Aehnlichkeit waren die Brüder doch verschieden genug von einander. Auf dem Gesicht des Prälaten lag kalte leidenschaftslose Ruhe, die Augen blickten so scharf und durchdringend, als seien sie gewohnt, Alles und Jedes, was ihnen nahte, bis in die innersten Tiefen hinein zu durchschauen und zu ergründen; die Haltung war ernst und gemessen und das bereits [23] ergraute Haar, im Verein mit dem schwarzen Ordensgewande, ließen ihn um ein ganzes Theil älter erscheinen als den Bruder, obgleich in Wirklichkeit nicht viel mehr als ein Jahr zwischen ihnen liegen mochte. Das volle dunkelblonde Haar des Grafen dagegen zeigte nur hin und wieder einige Silberfäden, das Auge war noch voll Feuer, die Bewegungen rasch und energisch, in Gang, Haltung und Ausdruck sprach sich eine Lebhaftigkeit aus, die in früheren Jahren wohl Leidenschaftlichkeit gewesen sein mochte, und die reiche Uniform, welche einen hohen militärischen Grad kennzeichnete, hob die Erscheinung des noch immer schönen Mannes noch um ein Bedeutendes.

Er wartete, bis sich die Thür hinter dem Kammerdiener geschlossen hatte, und nahm dann das vorhin unterbrochene Gespräch wieder auf.

„Du scheinst so zurückhaltend über Bruno. Giebt er Dir irgendwelchen Anlaß zur Klage, oder was ist sonst mit ihm?“

„Nicht doch!“ sagte der Prälat ruhig. „Pater Benedict fährt nach wie vor fort, sich unter all seinen Mitbrüdern auszuzeichnen. Er ist streng gewissenhaft in der Erfüllung seiner Pflichten und sehr eifrig in seinen religiösen Uebungen, nur allzusehr.“

„Zu eifrig?“

„Ja, ich liebe es nicht, wenn meine jungen Mönche in diesem letzten Puncte allzu weit gehen. Diese ewigen Bet- und Bußübungen, dies fortwährende Fasten und Kasteien ist auf die Dauer nicht durchzuführen; es muß nothwendig einen Rückschlag erzeugen, der gefährlich werden kann.“

Der Graf lächelte. „Das mußt Du ihm zu Gute halten. Er ist nun einmal ein Schwärmer, ist es von jeher gewesen.“

„Es taugt aber hier nicht mehr!“ Die Stimme des Prälaten nahm unwillkürlich einige Schärfe an. „Ich habe schon öfter damit zu kämpfen gehabt. Das kommt aus den Seminarien mit seinen Idealen von begnadigter Priesterschaft, von ascetischer Weltentsagung und gottgeweihtem Leben und findet – ein Kloster, wie es eben in unserer Zeit besteht. Die Ernüchterung kann nicht ausbleiben, und was dann? Es will mir nicht gefallen, dies finstere, scheue Absondern von den Brüdern, dies fortwährende einsame Umherschweifen in den Wäldern, dies nächtelange Studiren und Brüten über den Büchern –“

„Und das machst Du ihm zum Vorwurf?“ unterbrach ihn der Graf rasch und beinahe unmuthig. „Du, der von jeher über die geistige Indifferenz und Trägheit Deiner Mönche klagtest! Ich begreife Dich nicht! Gerade dieser rastlose Wissensdrang im Verein mit seiner eminenten Begabung und seinem Feuereifer, das sind die Elemente, aus denen man die Stützen der Kirche heranzieht.“

„Oder die Apostaten!“

„Um Gotteswillen, Du glaubst doch nicht, daß Bruno –“

„Nein!“ sagte der Prälat. „Ich wiederhole es Dir, er hat mir noch keinen Grund zum Tadel gegeben; ich mißtraue nur dieser Richtung im Allgemeinen, und das muß anders werden, wenn er die Hoffnungen verwirklichen soll, die Du auf ihn setzest. Du schmeichelst Dir damit, in ihm dereinst meinen Nachfolger, vielleicht noch etwas Höheres zu sehen; Talent dazu hat er genug, aber ihm fehlt der freie Ueberblick, die Berechnung. Mit Beten und Kasteien, das einer untergeordneten Mönchskutte ziemen mag, erringt man keine hervorragende Stellung in der Kirche, noch füllt man sie damit aus. Er muß hinweg über das Schülerhafte des Neophyten, wenn er empor will, und daß er das noch immer nicht kann, flößt mir Besorgniß ein!“

Der Graf antwortete nicht, mit einem unterdrückten Seufzer trat er zum Fenster und schaute, den Vorhang zurückschiebend, hinaus in das sonnenbeschienene Thal. Der Prälat folgte der Richtung seines Blickes.

„Was sagst Du zu der neuen Nachbarschaft in Dobra?“ fragte er, plötzlich von dem soeben verhandelten Gegenstande abbrechend.

Rhaneck zuckte die Achseln. „Ich habe nicht geglaubt, daß die Seltenow’schen Besitzungen in solche Hände fallen würden!“ sagte er wegwerfend. „Es ist immerhin ein starkes Stück von diesem norddeutschen Bauer, sich so gerade in unsere Mitte hinzusetzen, als wäre er unseres Gleichen. Man ignorirt ihn einfach.“

Sehr ruhig stand der Prälat auf und trat gleichfalls zum Fenster. „Es ist von jeher Dein Fehler gewesen, Ottfried, die Gegner zu unterschätzen, und nichts rächt sich so schlimm wie gerade dies. Dieser Günther ist Keiner von Denen, die sich mit einem Stirnrunzeln und einem vornehmen Achselzucken abthun lassen. Man hatte allerdings die Absicht, ihn zu ignoriren; aber er kam uns zuvor und ignorirte einfach uns. Nebenbei ist er auf dem Wege, eine Macht in der Umgegend zu werden.“

„Warum nicht gar!“ fuhr der Graf auf. „Die Güter sind in Grund und Boden gewirthschaftet – er wird darauf zu Grunde gehen!“

„Ich fürchte, er bringt sie zu einer nie geahnten Höhe. Wo Graf Seltenow seinen Ruin fand, da findet dieser ‚norddeutsche Bauer‘ überall neue Hülfsquellen und deckt wahre Schatzgruben auf. Was er in dem einen Jahre schon geleistet, übersteigt alle Begriffe; seine Einrichtungen und Verbesserungen sind großartig, noch schlimmer, sie sind praktisch. Ich habe mir eingehenden Bericht darüber erstatten lassen. Geht das so fort, dann ist es allerdings keine Prahlerei mehr, wenn er behauptet, daß die Güter nach sechs Jahren das Sechsfache ihres bisherigen Werthes haben würden.“

„Nun, und wenn’s wäre, was geht das uns an?“ Der verächtliche Ausdruck lag noch immer um den Mund des Grafen. „Man wird dafür sorgen, daß er auf seiner Scholle bleibt. Uebrigens soll er ja, wie ich höre, ganz in seine wirthschaftlichen Angelegenheiten vertieft sein und gar nicht beabsichtigen, auf einem andern Gebiete irgend eine Rolle zu spielen.“

„Weil er noch fremd ist. Warten wir erst ab, wenn er festen Fuß gefaßt hat. Es ist immer gefährlich, wenn ein Fremder, ein Protestant, all die Arbeitskräfte der Umgegend an sich zieht und für sie eine Autorität wird. Es gährt ohnedies hier überall; man wird ihm gegenüber Stellung nehmen müssen.“

Der Graf hörte die letzten Worte kaum, er wandte sich hastig um, denn in diesem Moment wurde die Flügelthür von Neuem geöffnet und ein junger Mönch in der schwarzen Tracht der Benedictiner erschien auf der Schwelle.

Er konnte höchstens vier- oder fünfundzwanzig Jahre alt sein, aber es lag nichts von Jugendfrische und Jugendleben in diesen Zügen, die Beides vielleicht nie gekannt hatten. Ueppiges dunkles Lockenhaar kräuselte sich um die hohe Stirn und umgab ein Antlitz, das selbst in seiner ascetischen Blässe und seinem Ausdruck finsterer Verschlossenheit noch schön zu nennen waren. Die kalte, fast eisige Haltung contrastirte seltsam mit dem düstern Feuer der großen tiefliegenden Augen, während das lange dunkle Ordensgewand den hohen Wuchs noch mehr hervortreten ließ. Er blieb schweigend, mit einer tiefen ernsten Verneigung an der Thür stehen, trotzdem er sah, daß Graf Rhaneck im Begriff stand, ihm entgegen zu gehen, und trat erst auf einen Wink des Prälaten langsam näher.

„Graf Rhaneck wünscht Sie zu sehen, deshalb ließ ich Sie rufen, Pater Benedict!“ erklärte dieser. „Du ziehst doch wohl vor, Deinen Schützling allein zu sprechen, Ottfried; ich will das erste Wiedersehen nicht stören. Im Cabinet findest Du mich.“

Er grüßte leicht mit der Hand und zog sich in das anstoßende Gemach zurück, Pater Benedict neigte sich, wie vorhin, tief und unterwürfig vor seinem geistlichen Oberherrn, der Graf aber trat jetzt auf ihn zu und bot ihm die Hand.

„Wir haben uns lange nicht gesehen, ein volles Jahr lang nicht! Muß ich jetzt auch dem hochwürdigen Herrn Pater die Ehren seines neuen Standes geben, oder ist mir noch die frühere Vertraulichkeit und der weltliche Name erlaubt?“

Die Worte klangen freundlich und herzlich, und es war ein eigenthümlicher, halb froher halb düsterer Blick, der dabei forschend über das Antlitz des jungen Mönches glitt, aber dieser erwiderte die Begrüßung kaum, seine Hand lag kalt und still in der des Grafen, ohne dessen Druck zu erwidern, und seine Züge blieben unbeweglich, als er ablehnend sagte: „O, ich bitte, Herr Graf!“

Rhaneck lächelte. „Nun, der Vormund und ehemalige Beschützer kann auch wohl noch das alte Recht in Anspruch nehmen, nicht, Bruno? Also jetzt endlich ist das Ziel erreicht, dem Du von frühester Jugend an bestimmt wurdest, nach dem Du selbst mit allen Kräften gerungen hast. Du gehörst nun dem alten berühmten Orden an, der jedem seiner Mitglieder die Priesterwürde verleiht, zu dem ein Jeder das Wissen und den Beruf des Priesters mitbringen muß. Nicht wahr, es ist ein anderes Gefühl, als Geweihter des Herrn vom Altare auf die Menge herabzublicken, [24] die sich um Deinen Segen drängt, als unter ihr verloren zu knieen und zu beten?“

Es zuckte etwas auf in den Zügen des jungen Priesters bei den letzten Worten, vielleicht zustimmende Begeisterung, vielleicht auch etwas Anderes, deuten ließ es sich nicht, denn die langen Wimpern sanken sofort nieder und verschleierten den Blick, er sah zu Boden.

„Vor allen Dingen muß ich Ihnen, Herr Graf, meinen Dank aussprechen, daß Sie mir dies Ziel ermöglichten. Nur Ihrer Güte allein verdanke ich meine Erziehung und Ausbildung, verdanke ich die Aufnahme in das Stift, die dem armen elternlosen Knaben, von niedriger Herkunft, wohl nie zu Theil geworden wäre. Ich fühle tief die Schuld –“

Ueber die Stirn Rhaneck’s lief eine glühende, schnell verschwindende Röthe, und hastig, beinahe ungestüm fiel er dem Redenden in’s Wort.

„Nicht doch, nicht doch! Nur nichts von Dank, von Schuld und dergleichen! Es war mein Wunsch, Dich diesem Stande gewidmet zu sehen, und ich bin überzeugt, Du wirst ihm Ehre machen. Mein Bruder stellt Dir das ehrenvollste Zeugniß aus, aber auch ihm gehst Du zu weit in Deinem rastlosen Eifer. Ich hoffte, Du würdest nach dem angestrengten Studium des Noviziats hier im Kloster endlich die Ruhe finden, deren Du so sehr bedarfst, statt dessen überarbeitest Du Dich nach wie vor, wachst ganze Nächte hindurch, gönnst Dir selbst auf Deinen Spaziergängen keine Erholung. Der Pater Prior sagte mir, als ich bei der Ankunft nach Dir fragte, Du lägest sicher wieder im nahen Walde und brütetest über irgend einem canonischen Werke, das Du mit Dir genommen. Bruno, wo soll das denn endlich hinaus?“

Der Vorwurf klang sehr milde, aber er mußte doch irgend eine wunde Stelle berühren, bei Erwähnung des Waldes schoß plötzlich eine dunkle Gluth in dem Antlitz des jungen Mönches auf und färbte brennend heiß Stirn und Schläfe, der Blick suchte scheu den Boden und die Lippen zitterten leise, dann plötzlich sanken die Blutwellen wieder, so schnell und stürmisch, wie sie aufgestiegen waren, und das Gesicht wurde erschreckend bleich.

Der Graf, dem dieser jähe Farbenwechsel nicht entgangen war, schaute ihn betroffen an. „Du bist krank!“ sagte er unruhig. „Dein ganzes Aussehen verräth es! Solchen Anstrengungen und Bußübungen, wie die Deinigen, muß schließlich selbst eine eisenfeste Gesundheit unterliegen. Wozu das Alles? Du bist jung, Du hast noch keine Schuld auf Deinem Gewissen, mache ein Ende mit dieser ewigen Pönitenz, werde endlich einmal wie Deine anderen Mitbrüder. Schone Dich, Bruno, ich bitte Dich darum!“

Er hatte die beiden Hände des jungen Priesters ergriffen und zog ihn leise zu sich, während sein Auge mit unverhüllter Besorgniß auf dessen blassen Zügen ruhte. Es lag eine seltsame Weichheit in Ton und Blick, eine Zärtlichkeit, deren man dies Gesicht und diese Stimme kaum fähig gehalten hätte; es geschah sicher nicht oft, daß Graf Rhaneck bat, aber der Eindruck dieser Bitte war anders, als er erwartete. Benedict machte eine Bewegung, als wolle er die Hand zurückziehen, und ließ sie dann, wie sich plötzlich besinnend, in der des Grafen, in seiner ganzen Haltung war etwas wie unwillkürliches Zurückweichen, wie instinctmäßige Abwehr, und in dem Blick, den er jetzt langsam emporhob, lag noch Schlimmeres, ein vielleicht unbewußter, aber tiefer und nur mühsam bezwungener Widerwille, als er ehrfurchtsvoll, aber eisig antwortete: „Sie sind sehr gütig, Herr Graf.“

Rhaneck ließ seine Hand fallen und trat zurück; er schien die Abweisung zu verstehen, aber jener verächtliche Ausdruck, der seinen stolzen Lippen so sehr zu Gebote stand, als er vorhin von dem „Bauer“ gesprochen, erschien diesmal nicht, wo er doch fast beleidigt wurde; wohl zuckte eine tiefe Bitterkeit durch sein Gesicht, aber sie hatte mehr vom Schmerz, als vom Zorn an sich.

„Du willst in mir immer und ewig nur den Gönner sehen, nie den väterlichen Freund!“ sagte er rasch und heftig. „Ich habe es nun bereits aufgegeben, bei Dir je eine Regung des Vertrauens der Offenheit zu finden. Immer diese unübersteigliche Kluft zwischen uns! und Du mußt Dir doch selbst sagen, daß Deine Stellung mir und der Welt gegenüber jetzt eine andere geworden ist.“

Benedict’s Wangen begannen sich wieder leise zu färben, aber diesmal war es unverkennbar die Röthe der Beschämung.

„Verzeihung, Herr Graf! Ich fühle tief mein Unrecht gegen den Mann, dem ich Alles danke, aber –“

„Aber Du kannst es nicht ändern! Laß gut sein, ich mag keine erzwungene Zuneigung, noch weniger eine erheuchelte. Wir werden uns jetzt wohl öfter sehen, da ich den Sommer über in Rhaneck zu bleiben denke. Für heute lebe wohl!“

Er wandte sich nach dem anstoßenden Gemach, aber auf der Schwelle zögerte er einen Moment, wie um eine nochmalige Annäherung Benedict’s zu erwarten, doch dieser verharrte unbeweglich auf seinem Platze, und mit einer raschen, unmuthigen Bewegung trat der Graf in das Cabinet seines Bruders.

„Ist die Unterredung schon zu Ende?“ fragte dieser befremdet aufblickend.

Rhaneck warf sich finster in einen Sessel. „Bruno ist wieder einmal unzugänglicher als je! Diese eisige Zurückhaltung und Verschlossenheit ist nicht zu überwinden!“

Der Prälat lächelte etwas hohnvoll und ein leiser Hohn lag auch in seiner Stimme. „Pater Benedict hat wohl wieder Deine Zärtlichkeit mit seiner unterwürfigen Kälte zurückgewiesen? Ich dachte es mir! Sonst wäre der Liebling nicht so schnell entlassen worden. Du thätest besser, sie Deinem eigenen Sohne zuzuwenden.“

Rhaneck fuhr auf. „Meinem Sohne! Und Bruno – ?“

„Ich meine den künftigen Majoratsherrn, Ottfried Grafen zu Rhaneck!“ Die Stimme des Prälaten klang scharf und schneidend. „Ihm allein bist Du diese Regungen von Zärtlichkeit schuldig, die Pater Benedict weder verstehen kann noch darf.“

Der Graf stützte den Kopf in die Hand. „Laß das ruhen!“ sagte er gepreßt. „Du weißt, in dem Punkte gehen unsere Ansichten auseinander.“

„Ja, nur allzusehr! Du wirst dieser Schwäche doch niemals Herr werden, das habe ich längst eingesehen. Du hast Recht, es ist am besten, der alte Streit bleibt ruhen. Laß uns davon abbrechen!“ –

Pater Benedict hatte inzwischen, als er sich verabschiedet sah, die Gemächer des Abtes verlassen und öffnete jetzt die Thür zu dem Kreuzgange, der die Prälatur mit den übrigen Räumen des Klosters verband. In dem schattig kühlen Raume gingen zwei Männer, im Gespräch begriffen, langsam auf und nieder. Der eine, gleichfalls ein Benedictinermönch, der Prior des Klosters, mit klugen, aber unangenehmen Zügen und stechenden schwarzen Augen, die einen eigenthümlich lauernden Ausdruck hatten, schien das Wort zu führen, während sein Begleiter mit einer Art unterwürfiger Freundlichkeit zuhörte. Es war ein Mann, schon hoch bei Jahren, er stand bereits auf der Schwelle des Greisenalters, die Kleidung eines Weltgeistlichen, die er trug, war sehr einfach, um nicht zu sagen dürftig, und doch schien sie mit ganz besonderer Sorgfalt in Stand gesetzt zu sein. Spärliches weißes Haar kam unter dem schwarzen Käppchen zum Vorschein, welches das fast kahle Haupt bedeckte. Das blasse eingefallene Gesicht verrieth zwar keine hervorragende Intelligenz, aber es hatte einen freundlich bescheidenen, ja demüthigen Ausdruck und in den hellen Augen, die das Alter noch nicht getrübt, lag etwas wie stille Resignation. Seine ganze Haltung hatte etwas Gedrücktes und Schüchternes, er fühlte sich offenbar nicht heimisch auf diesem Marmorfußboden und in der Gegenwart des Priors, der in gönnerhafter, vornehm herablassender Art zu ihm sprach.

Bei dem Eintritt Benedict’s verstummte die Unterhaltung und Beide wandten sich dem Eintretenden zu, der mit dem üblichen Klostergruße an ihnen vorüber wollte, der Prior hielt ihn jedoch zurück.

„Ist die Audienz bei dem Herrn Prälaten schon beendet?“

„Ja, Hochwürden.“

„So?“ Der Prior schien befremdet, er machte eine nachlässig vorstellende Bewegung mit der Hand. „Pater Benedict, der Jüngste unserer Brüder“ – und zu diesem gewendet fuhr er fort: „Sie kennen ja wohl den Herrn Pfarrer Clemens noch nicht?“

„Nein, Hochwürden.“

„Er ist unser Gast für einige Tage! Wird der Herr Graf Rhaneck heut zur Tafel bleiben?“

„Ich weiß nicht.“

Der Prior sah ihn mit einem Blicke an, der deutlich verrieth, wie wenig er mit diesen einsilbigen Antworten zufrieden war. [26] Benedict schien das nicht zu bemerken, er wartete schweigend auf weitere Fragen seines Vorgesetzten, und als diese nicht erfolgten, neigte er sich wie vorhin, schritt durch den Kreuzgang, und verschwand durch die entgegengesetzte Thür.

Der Prior blickte ihm eine Weile nach und wendete sich dann mit dem Ausdruck unverstellten Hohnes zu seinem Begleiter.

„Da sehen Sie, Reverendissime, unseren zukünftigen Abt und Herrn – nach dem Willen des Prälaten und seines Bruders nämlich, die ihn schon als solchen betrachten.“

Der alte Pfarrer sah ihn fast erschreckt an. „Sie scherzen, Hochwürden! Dieser junge Priester!“

„Ist das Schooßkind des Prälaten, das Wunder des ganzen Klosters, man hat sehr hochfliegende Pläne mit ihm. Es ist nur ein Glück, daß mit dem Tode eines Abtes auch dessen Regiment aufhört, und die Freiheit der Wahl an uns zurückfällt. Pater Benedict müßte etwas weniger hochmüthig sein, und sich vor allen Dingen weniger Feinde unter den Brüdern machen, wenn er im Ernste von einer dereinstigen Erhebung träumen wollte, auf die jeder Andere denn doch mehr Anspruch hat, als er.“

„Mir schien in dem Wesen des jungen Paters nichts von Hochmuth zu liegen,“ wendete der Pfarrer schüchtern ein, „ich fand seine Haltung im Gegentheil unterwürfig und durchaus geziemend.“

Der Prior zuckte verächtlich die Achseln. „Ja, die Klostervorschriften hat er trefflich eingelernt, und dennoch gebe ich Ihnen mein Wort, es ist der hochmüthigste Starrkopf, der je eine Kutte getragen. Sie haben es ja gehört. ‚Ja‘ und ‚Nein‘ und ‚Ich weiß nicht‘, weiter ist überhaupt nichts aus ihm herauszubringen. Blicken Sie einmal in seine Augen, ob da etwas von Demuth und Unterwerfung geschrieben steht, ich lese ganz andere Dinge darin. Wir werden noch etwas erleben an diesem Eindringling, der von Rechtswegen in einen Bettelorden gehört, und nicht in ein Herrenstift, das sich immer nur aus den ersten und besten Familien des Landes recrutirte und dies Privilegium bisher festgehalten hat, trotz aller Klosterregeln. Aber unser Herr Prälat wollte und Seine Gnaden haben uns Alle so trefflich in Zucht, daß kaum Einer es mehr wagt, sein Veto noch geltend zu machen, diesem allmächtigen Willen gegenüber, genug, die Aufnahme ward durchgesetzt.“

„Pater Benedict ist also von sehr niedriger Herkunft?“

Ein boshaftes Lächeln glitt über die unangenehmen Züge des Priors. „Wie man’s nimmt! Es heißt, er sei der Sohn eines ehemaligen Dieners des gräflich Rhaneck’schen Hauses. Bah, wozu geben solche Leute den Namen nicht her, wenn man es ihnen gut bezahlt! Thatsache ist, daß Graf Rhaneck ganz vernarrt ist in diesen – Schützling; er liegt seinem Bruder fortwährend mit Briefen, und jetzt sogar persönlich an, ihm das Kleinod nur ja recht zu behüten, und Pater Benedict weiß nur zu gut, unter welcher mächtigen Protection er steht. Er versteht es meisterlich, das noli me tangere im Kloster zu spielen, keinen von den Brüdern würdigt er seiner Unterhaltung oder seines Umganges, Alle hält er sie sich vornehm fern, er, der Jüngste, der nur aus besonderer Gnade hier Aufgenommene! Freilich, er weiß, daß er sich schlechterdings Alles erlauben darf und in Allem geschützt wird.“

„Aber ich hörte bereits den Eifer und den Fleiß des jungen Bruders rühmen,“ wagte der Pfarrer mit seiner leisen schüchternen Stimme zu bemerken.

Das häßliche Lächeln von vorhin trat wieder auf die Lippen des Priors. „O ja, daran fehlt es ihm nicht, aber gerade dieser Eifer ist mir verdächtig. Er denkt zu viel! Das ist an und für sich schon gefährlich im Kloster, am gefährlichsten aber unter dem Regiment unseres Prälaten. Nicht wahr, Herr Mitbruder,“ ein halb mitleidiger, halb verächtlicher Blick glitt dabei über die dürftige Erscheinung des Greises, „damit haben Sie sich wohl niemals abgegeben?“

Jener verstand den Spott nicht. „Nein,“ sagte er treuherzig. „Ich habe redlich und treulich meines Amtes gewartet, aber mich nie an Grübeleien gewagt, die für mein geringes Wissen und Verstehen zu hoch waren.“

Der Prior legte ihm mit gönnerhafter Miene die Hand auf die Schulter. „Recht so! Deshalb werden Sie auch dereinst ruhig auf Ihrer Pfarre sterben, während Pater Benedict – nun, ich mag nicht zum Propheten werden. Lassen Sie uns gehen, soeben läutet die Mittagsglocke. Ich will sehen, daß ich Ihnen nach der Tafel die gewünschte Audienz beim Prälaten auswirke.“

Am Altar

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