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Eine Liebesgeschichte aus alter Zeit
ОглавлениеIch glaubte, dass meine Beziehungen zu Cranford nach Miss Jenkyns’ Tode aufhören oder sich doch wenigstens auf Korrespondenz beschränken würden, die ungefähr in demselben Verhältnis zu persönlichem Verkehr steht wie die Bücher mit getrockneten Pflanzen, die ich mitunter sehe (»Hortus siccus«, so nennen sie, glaube ich, ein solches Ding), zu den lebendigen und frischen Blumen in Feld und Wiese. Ich war daher sehr angenehm überrascht, als ich einen Brief von Miss Pole erhielt (die sich stets darum bemüht hatte, dass ich nach meinem alljährlichen Besuch bei Miss Jenkyns noch eine weitere Woche bei ihr blieb), in dem sie mir vorschlug, für einige Zeit zu ihr zu kommen. Wenige Tage nach meiner Zusage kam ein Briefchen von Miss Matty, in dem sie sehr umständlich und bescheiden aussprach, welche große Freude ich ihr machen würde, wenn ich vor oder nach meinem Besuch bei Miss Pole eine oder zwei Wochen bei ihr zubringen möchte; »denn«, sagte sie, »ich bin mir ja ganz klar, dass ich seit dem Tode meiner lieben Schwester nichts besonders Anziehendes mehr zu bieten habe; ich kann es nur der Güte meiner Freundinnen danken, wenn sie mir ihre Gesellschaft schenken«.
Natürlich versprach ich, zu der lieben Miss Matty zu kommen, sobald mein Besuch bei Miss Pole beendet sei; und am Tage nach meiner Ankunft in Cranford ging ich zu ihr, neugierig, wie es im Hause ohne Miss Jenkyns wohl sein würde; ja, ich fürchtete mich förmlich vor der Veränderung. Miss Matty fing an zu weinen, sobald sie mich sah. Sie war sichtlich aufgeregt durch die Erwartung meines Besuches. Ich beruhigte sie, so gut ich konnte, und fand, dass der beste Trost in dem ehrlichen Lobe bestand, mit dem ich der Verstorbenen gedachte. Miss Matty schüttelte still den Kopf bei jeder Tugend, die ich als Attribut ihrer Schwester aufzählte, und endlich konnte sie sich der Tränen nicht mehr erwehren, sie verbarg ihr Gesicht im Taschentuch und schluchzte laut.
»Liebe Miss Matty!«, sagte ich und ergriff ihre Hand, denn ich wusste nicht recht, wie ich ihr meine Teilnahme ausdrücken sollte, dass sie nun so allein in der Welt stand. Da legte sie ihr Taschentuch fort und sagte: »Meine Liebe, ich möchte gern, dass Sie mich nicht Matty nennen. Sie konnte es nicht leiden. Aber ich fürchte, ich habe manches getan, was sie nicht mochte – und nun ist sie von uns gegangen! Wenn es Ihnen recht ist, meine Liebe, dann nennen Sie mich Mathilde.«
Ich versprach es natürlich und übte den neuen Namen noch am selben Tage im Gespräch mit Miss Pole. Nach und nach wurde in ganz Cranford bekannt, wie Miss Mathilde über diese Angelegenheit dachte, und wir versuchten alle, den vertrauten Namen fallenzulassen, aber mit so schwachem Erfolg, dass wir mit der Zeit die Bemühungen wieder aufgaben.
Mein Besuch bei Miss Pole verlief sehr still. Miss Jenkyns hatte so lange die erste Rolle in Cranford gespielt, dass man nach ihrem Tode kaum noch eine Gesellschaft zu geben wusste. Mrs. Jamieson, der Miss Jenkyns immer den Ehrenplatz überlassen hatte, war dick und träge geworden und stand sehr unter dem Pantoffel ihrer alten Dienstboten. Wenn es diesen einfiel, dass Mrs. Jamieson die Damen einmal wieder einladen könnte, dann erinnerten sie ihre Herrin an ihre Pflicht, sonst unterblieb die Gesellschaft einfach. Ich hatte daher umso mehr Zeit, alte Geschichten von Miss Pole zu hören, während sie strickte und ich Hemden für meinen Vater nähte. Ich nahm immer eine ganze Menge einfacher Näharbeit mit nach Cranford, denn da wir weder viel lasen noch spazierengingen, so hatte ich die schönste Zeit zum Arbeiten. Eine von Miss Poles Geschichten bezog sich auf eine Liebesgeschichte, die vor langen Jahren in schattenhaften Umrissen bemerkt oder wenigstens vermutet worden war.
Bald rückte die Zeit heran, dass ich zu Miss Mathilde übersiedeln sollte. Sie war sehr besorgt und ängstlich wegen der Vorbereitungen für meine Bequemlichkeit. Während ich auspackte, kam sie immer wieder herein und schürte das Feuer, das dadurch nur umso schlechter brannte.
»Haben Sie auch Schubladen genug, Liebste?«, fragte sie mich. »Ich weiß nicht genau, wie meine Schwester es einzurichten pflegte. Sie hatte vorzügliche Methoden. Sie hätte ein Mädchen in einer Woche angelernt, ein besseres Feuer anzumachen als dieses hier, und Fanny ist doch schon vier Monate bei mir.«
Das Thema Dienstboten war ein ewiger Kummer für sie, und ich wunderte mich auch gar nicht darüber, denn wenn es auch wenig Herren in Cranford gab und in der »vornehmen Gesellschaft« von Cranford gar nicht die Rede davon war, so war dafür in den niederen Klassen eine wahre Überfülle an hübschen jungen Männern vorhanden. Die niedlichen sauberen Dienstmädchen hatten die Auswahl unter wünschenswerten »Verehrern«, und ihre Herrinnen konnten, wenn sie auch nicht eine so geheimnisvolle Angst wie Miss Mathilde vor den Männern und dem Ehestand hatten, wohl etwas besorgt sein, dass die Köpfe ihrer hübschen Mädchen durch den Tischler, den Schlächter oder den Gärtner verdreht würden, die in Ausübung ihres Berufes ins Haus kamen und, wie es das Unglück nun einmal wollte, fast immer gut aussahen und unverheiratet waren. Fannys Liebhaber, wenn sie überhaupt welche hatte – und Miss Mathilde traute ihr so viele Liebschaften zu, dass ich, wenn sie nicht so sehr hübsch gewesen wäre, gezweifelt hätte, ob sie überhaupt eine einzige habe –, waren eine fortdauernde Besorgnis für ihre Herrin. Es war ihr durch die Bedingungen des Arbeitsvertrages feierlich verboten worden, »Verehrer« zu haben; und obgleich sie unschuldig genug, mit dem Schürzenzipfel spielend, darauf geantwortet hatte: »Entschuldigen Sie, Madame, ich hatte nie mehr als einen zur selben Zeit«, verbot Miss Matty auch diesen einen. Aber das Gespenst eines Mannes schien in der Küche umzugehen. Fanny versicherte mir, es sei alles Einbildung, sonst hätte ich selbst gesagt, dass ich einmal die Rockschöße eines Mannes in der Abwaschküche verschwinden sah, als ich eines Abends etwas in der Speisekammer zu tun hatte; und eines andern Abends, als unsere Uhren stehen geblieben waren und ich nach der Küchenuhr sehen wollte, quetschte sich eine sonderbare Erscheinung, die einem jungen Manne erstaunlich ähnlich war, zwischen die Uhr und die offene Küchentür, und es kam mir vor, als ob Fanny mir das Licht sehr hastig aus der Hand nähme, so dass der Schatten auf die Uhr fiel, während sie mir sehr bestimmt die Zeit um eine halbe Stunde früher angab, wie wir später durch Vergleich mit der Turmuhr merkten. Aber ich wollte Miss Mattys Besorgnisse nicht vergrößern und erwähnte nichts von meinem Argwohn, um so weniger, als Fanny mir am andern Tage sagte, es sei eine merkwürdige Küche mit sehr sonderbaren Schatten, so dass sie sich beinahe fürchte, dort zu bleiben; »denn sehen Sie, Miss«, fügte sie hinzu, »ich sehe ja keine Menschenseele von abends sechs Uhr an, bis Missus um zehn Uhr zur Abendandacht klingelt«.
Es fügte sich jedoch so, dass Fanny gehen musste, und Miss Mathilde bat mich, zu bleiben und ihr bei dem Anlernen des neuen Mädchens zu helfen. Ich willigte ein, nachdem mir mein Vater geschrieben hatte, dass er mich zu Hause nicht brauchte. Das neue Mädchen war ein einfaches, ehrlich aussehendes Landmädchen, das bisher nur auf einem Bauernhof gewesen war, aber es gefiel mir, als es sich für die Stellung meldete, und ich versprach Miss Mathilde, es im Hause einzuweisen. Mit heiligem Ernst wurde alles genauso gemacht, wie nach Miss Mathildes Ansicht es ihre Schwester hätte haben wollen. Manche häusliche Regel und Anordnung war, während Miss Jenkyns lebte, ein Gegenstand klagenden Murrens gewesen, aber nun sie nicht mehr war, hätte nicht einmal ich, die ich ein besonderer Liebling war, eine Änderung vorschlagen dürfen. Um ein Beispiel zu erwähnen: Wir hielten uns streng an die Formen, die bei den Mahlzeiten in »meines Vaters, des Pfarrers Hause« eingehalten wurden. Demzufolge gab es immer Wein und Dessert; aber die Karaffen wurden nur für Gesellschaften gefüllt, und was übrig war, blieb meist bis zur nächsten festlichen Gelegenheit unangetastet, obgleich wir jede täglich zwei Weingläser vor uns stehen hatten. Dann wurde der übrig gebliebene Wein im Familienrat geprüft. Der Bodensatz wurde mitunter an die Armen gegeben, aber wenn ziemlich viel von der letzten Gesellschaft her übrig geblieben war (es war mitunter fünf Monate her), dann wurde aus einer frisch aus dem Keller heraufgeholten Flasche nachgefüllt. Der arme Hauptmann Brown schien Wein nicht sehr zu lieben, denn ich bemerkte einmal, dass er sein erstes Glas nicht einmal austrank, und die meisten Offiziere trinken doch mehrere Gläser. Was unser Dessert anbelangt, so pflegte Miss Jenkyns die Johannisbeeren und Stachelbeeren dazu selbst zu pflücken, obgleich ich manchmal dachte, dass sie uns im Garten frisch vom Strauch besser schmecken würden, aber dann, so bemerkte Miss Jenkyns, wäre ja im Sommer nichts zum Dessert dagewesen. So kamen wir uns sehr vornehm vor mit unsern beiden Gläsern, einer Schüssel Stachelbeeren in der Mitte, Biskuits und Johannisbeeren auf den beiden Seiten und im Hintergrund die beiden Karaffen. Wenn es Apfelsinen gab, verfuhr man sehr merkwürdig. Miss Jenkyns liebte es nicht, die Frucht zu zerschneiden, da sie meinte, der Saft liefe heraus, und niemand wüsste, wohin; aussaugen (sie gebrauchte allerdings, soviel ich mich entsinne, ein weniger drastisches Wort) wäre die einzig richtige Art, Apfelsinen zu genießen. Es störte hierbei aber die unangenehme Ideenverbindung mit einer häufig von Babys ausgeführten Prozedur; und so pflegten denn in der Orangenzeit Miss Jenkyns und Miss Matty nach Tisch aufzustehen, sich stillschweigend eine Apfelsine zu nehmen und sich in ihre eigenen Zimmer zurückzuziehen, um sich dem Aussaugen der süßen Früchte hinzugeben.
Ich hatte ein paar Mal bei solcher Gelegenheit versucht, Miss Matty zum Bleiben zu bewegen, und das war mir zu Lebzeiten ihrer Schwester auch geglückt. Ich hielt einen kleinen Lichtschirm zwischen uns und sah nicht hin, und sie versuchte, wie sie sagte, das Geräusch so wenig aufdringlich wie möglich zu machen. Nun aber, nachdem sie allein zurückgeblieben war, schien sie ganz entsetzt zu sein, als ich sie bat, bei mir in dem warmen Speisezimmer zu bleiben und ihre Apfelsine auf die ihr angenehmste Weise zu genießen. Und so war es mit allem. Miss Jessies Vorschriften wurden viel nachdrücklicher befolgt, seit die Urheberin derselben dorthin gegangen war, wo nicht mehr dagegen appelliert werden konnte. In allen andern Angelegenheiten war Miss Mathilde bis zur Schwäche sanft und unentschlossen. Ich hörte, wie Fanny sie des Morgens manchmal zwanzigmal in Bezug auf das Mittagessen umstimmte, gerade wie es der kleinen Person einfiel; und ich hatte den Eindruck, dass sie auf Miss Mathildes Schwächen hinarbeitete, um diese zu verwirren und immer mehr in ihre Gewalt zu bringen. Ich beschloss, sie nicht zu verlassen, bis ich gesehen hatte, was für ein Mensch Martha war; und wenn ich sie als zuverlässig erkannte, wollte ich ihr sagen, sie möchte ihre Herrin nicht mit jeder kleinen Entscheidung behelligen.
Martha war plump und äußerst offen, dabei ein frisches, gutmütiges, aber sehr unwissendes Mädchen. Sie war noch nicht acht Tage bei uns, als Miss Mathilde eines Morgens durch den Brief eines Vetters überrascht wurde, der zwanzig oder dreißig Jahre in Indien gewesen war und, wie wir in der Armeeliste gesehen hatten, nach England zurückkehrte mit einer kränklichen Frau, die ihren englischen Verwandten noch nicht vorgestellt worden war. Major Jenkyns schrieb, er und seine Frau würden auf dem Wege nach Schottland eine Nacht in Cranford zubringen und im Gasthof bleiben, wenn es Miss Mathilde nicht möglich wäre, sie bei sich aufzunehmen; für diesen Fall hofften sie aber, den Tag über recht viel mit ihr zusammen zu sein. Natürlich musste es ihr möglich sein, wie sie sagte; denn ganz Cranford wusste, dass das Schlafzimmer ihrer Schwester zur Verfügung stand; aber ich bin überzeugt, es wäre ihr lieber gewesen, der Major wäre in Indien geblieben und hätte seine Kusinen ganz und gar vergessen.
»Oh, wie richte ich es nur ein?«, fragte sie hilflos. »Wenn Deborah noch lebte, sie wüsste, was man mit einem Herrenbesuch macht. Muss ich ein Rasiermesser in sein Ankleidezimmer legen? Du mein Gott, ich habe ja gar keins. Deborah hätte bestimmt eines gehabt. Und Pantoffeln und Kleiderbürsten?« Ich meinte, dass er diese Dinge wahrscheinlich mitbringen würde. »Und nach Tische, wie soll ich wissen, wann wir aufstehen und ihn beim Wein allein lassen sollen? Deborah hätte alles richtig gemacht; sie wäre ganz in ihrem Element gewesen. Glaubst du, dass er Kaffee trinken will?« Ich übernahm die Kaffeebereitung und versprach ihr, ich würde Martha in die Kunst, bei Tische aufzuwarten, unterweisen, denn darin mangelte es noch sehr bei ihr; auch zweifelte ich nicht, dass Major Jenkyns und seine Frau Verständnis haben würden für die ruhige Lebensweise einer allein stehenden Dame in einer kleinen Landstadt. Aber sie war entsetzlich aufgeregt. Ich veranlasste sie, ihre Karaffen zu leeren und zwei frische Flaschen Wein heraufzuholen. Gern hätte ich verhindert, dass sie dabei war, als ich Martha instruierte, denn sie kam häufig mit einer neuen Anweisung dazwischen und verwirrte das arme Ding vollständig, das mit weit offenem Munde uns beide anhörte.
»Präsentiere das Gemüse«, sagte ich (törichterweise, wie ich jetzt einsah, denn das war mehr verlangt, als wir in Ruhe und Schlichtheit durchführen konnten) und fügte, als ich ihren verwirrten Ausdruck bemerkte, hinzu: »Reiche das Gemüse herum und lass die Herrschaften sich selbst bedienen.«
»Und geh immer zuerst zu den Damen«, warf Miss Mathilde ein.
»Immer zuerst die Damen und dann die Herren, wenn du aufwartest.«
»Ich werde es so machen, wie Sie sagen, Madame«, sagte Martha, »aber die Mannsleute sind mir eigentlich lieber.«
Wir waren sehr betreten und erschrocken über Marthas Äußerung; zwar glaube ich nicht, dass sie sich etwas Schlimmes dabei dachte, und im Ganzen befolgte sie unsere Anweisungen auch leidlich, abgesehen davon, dass sie dem Major einen kleinen Puff mit dem Ellbogen gab, als er sich nicht so schnell mit Kartoffeln versorgte, wie sie es beim Herumreichen erwartete.
Der Major und seine Frau waren ruhige, anspruchslose Leute, etwas schlaff, wie die meisten Bewohner Indiens zu sein scheinen. Wir waren ein wenig erschrocken, als sie zwei Dienstboten mitbrachten, einen Hindukammerdiener für den Major und ein gesetztes älteres Mädchen für seine Frau; aber beide schliefen im Gasthof und nahmen uns ein gut Teil Verantwortung ab, indem sie auf das Gewissenhafteste für die Bequemlichkeit ihrer Herrschaften sorgten. Martha hörte natürlich nicht auf, den weißen Turban und die braune Gesichtsfarbe des Inders anzustarren, und ich sah, dass Miss Mathilde etwas zusammenfuhr, wenn er bei Tisch bediente. Sie fragte mich sogar, als sie fort waren, ob er mich nicht an König Blaubart erinnere. Im ganzen fiel der Besuch aber sehr befriedigend aus und ist noch jetzt ein Gesprächsthema für Miss Mathilde; seinerzeit erregte er aber Cranford im höchsten Maße und brachte sogar die apathische und hochgeborene Mrs. Jamieson zu einem Ausdruck von Interesse, als ich zu ihr ging, um ihr für die freundlichen Antworten zu danken, die sie auf Miss Mathildes Fragen bezüglich der Einrichtung eines Herrenankleidezimmers gegeben hatte – Antworten, die, wie ich gestehen muss, in der müden Art der skandinavischen Prophetin gegeben wurden: »Lass mich, ach, lass mich in Ruh’.«
Und nun komme ich zu der Liebesgeschichte.
Wie es scheint, hatte Miss Pole einen Vetter zweiten oder dritten Grades, der vor langen Zeiten um Miss Matty angehalten hatte. Dieser Vetter lebte nun vier oder fünf Meilen von Cranford entfernt auf einer eigenen Besitzung; das Anwesen war aber nicht groß genug, um ihm einen höheren Rang als den eines Pächters zu verleihen; oder vielmehr hatte er mit dem »Stolz, der die Bescheidenheit nachäfft«, es verschmäht, sich wie so viele seiner Klasse vorwärtszudrängen in die Kreise der Esquires hinein. Er gestattete nicht, dass man ihn ›Thomas Holbrook, Esq.‹ nannte, sandte sogar Briefe mit dieser Adresse zurück und sagte der Posthalterin von Cranford, sein Name sei Mr. Thomas Holbrook, Pächter. Alle häuslichen Neuerungen hasste er; sein Haus musste im Sommer offen stehen und im Winter geschlossen sein ohne Türklopfer oder Klingel, um einen Dienstboten herbeizurufen. Die geschlossene Faust oder sein Stockknopf taten ihm diesen Dienst, wenn er die Tür geschlossen fand. Er verachtete jede Verfeinerung, die nicht eine tiefere Wurzel in der Menschlichkeit hatte. Wenn nicht jemand krank war, sah er nicht die Notwendigkeit ein, seine Stimme zu mäßigen. Er sprach den Dialekt seiner Gegend und benutzte ihn immer bei der Unterhaltung, obgleich Miss Pole, der ich diese Einzelheiten verdanke, hinzufügte, dass er schöner und mit mehr Ausdruck vorlese als irgendjemand, den sie je gehört, den verstorbenen Pfarrer ausgenommen.
»Und wie kam es, dass Miss Mathilde ihn nicht heiratete?«, fragte ich.
»Oh, ich weiß es nicht. Sie war sehr bereit dazu, wie ich glaube; aber Vetter Thomas war wohl nicht fein genug für den Pfarrer und Miss Jenkyns.«
»Ja, aber die sollten ihn doch gar nicht heiraten«, sagte ich ungeduldig.
»Nein; aber sie wollten nicht gern, dass Miss Matty unter ihrem Stande heiratete. Sie war doch des Pfarrers Tochter, wissen Sie, und etwas verwandt mit Sir Peter Arley, worauf Miss Jenkyns viel gab.«
»Die arme Miss Matty!«, sagte ich.
»Je nun, ich weiß weiter nichts davon, als dass er einen Antrag machte und abgewiesen wurde. Miss Matty machte sich vielleicht doch nicht so viel aus ihm – und Miss Jenkyns hat vielleicht gar nichts dagegen gesagt –, es ist nur eine Vermutung von mir.«
»Hat sie ihn seitdem nie wieder gesehen?«, fragte ich.
»Nein, ich glaube nicht. Sehen Sie, Woodley, Vetter Thomas’ Haus, liegt auf halbem Wege zwischen Cranford und Misselton. Nachdem er um Miss Matty angehalten, brachte er sehr bald seine Waren nach Misselton auf den Markt, und ich glaube nicht, dass er mehr als ein- oder zweimal wieder in Cranford gewesen ist, seit ich einmal mit Miss Matty in der High Street spazierenging und sie plötzlich von mir wegstürzte und die Shire Lane hinaufschritt. Ein paar Minuten später traf ich zu meiner großen Überraschung Vetter Thomas.«
»Wie alt ist er?«, fragte ich nach einer Pause, in der ich allerhand Luftschlösser gebaut.
»Ich denke, er muss nahe an Siebzig sein, meine Liebe«, sagte Miss Pole, mit einem Schlage all meine Luftschlösser zertrümmernd.
Sehr bald darauf – während meines langen Besuchs bei Miss Mathilde – hatte ich Gelegenheit, Mr. Holbrook zu sehen und zugleich sein erstes Zusammentreffen mit seiner ehemaligen Liebe nach dreißig- oder vierzigjähriger Trennung zu erleben. Ich musste gerade bei der Entscheidung helfen, ob etwas von der neuen Auswahl bunter Seide, die der Kaufmann soeben erhalten hatte, zu einem grau und schwarzen Wollmusselinkleid passen würde, das neu ausgeputzt werden sollte, als ein langer, dünner, alter Mann vom Typ des Don Quichotte in den Laden kam, um sich wollene Handschuhe zu kaufen. Ich hatte die ziemlich auffallende Persönlichkeit nie vorher gesehen und beobachtete sie aufmerksam, während Miss Matty mit dem Kaufmann verhandelte. Der Unbekannte trug einen blauen Rock mit Messingknöpfen, mausgraue Breecheshosen und Gamaschen und trommelte mit den Fingern auf der Ladentafel, bis er bedient wurde. Als er auf die Frage des Ladenburschen »Was darf ich Ihnen vorlegen?«, antwortete, sah ich Miss Mathilde zusammenfahren und sich dann plötzlich hinsetzen, so dass ich sofort erriet, wer es war. Sie hatte eine Frage gestellt, die dem andern Verkäufer überbracht wurde.
»Miss Jenkyns wünscht von dem schwarzen Taft zu zwei Schilling.« Mr. Holbrook hatte den Namen aufgefangen und war mit zwei Schritten an ihrer Seite.
»Matty – Miss Mathilde – Miss Jenkyns! Du meine Güte! Ich hätte Sie nicht erkannt. Wie geht’s, wie steht’s?«
Er schüttelte ihr fortwährend die Hand in einer Weise, die die Wärme seiner Freundschaft bewies; wiederholte aber so oft vor sich hin: »ich hätte Sie nicht erkannt!«, dass jeder sentimentale Roman, den ich mir hätte ausspinnen wollen, durch sein Benehmen gleich in nichts zerfiel. Er unterhielt sich jedoch mit uns, solange wir im Laden waren, winkte dem Kaufmann mit den ungekauften Handschuhen »ein andermal, ein andermal!« zu und begleitete uns nach Hause. Ich freue mich, sagen zu können, dass mein Schützling, Miss Mathilde, den Laden in ähnlicher Verwirrung verließ und weder rote noch grüne Seide gekauft hatte. Mr. Holbrook war offensichtlich ehrlich und aufrichtig erfreut, seine alte Liebe wiedergetroffen zu haben; er erwähnte die eingetretenen Veränderungen, sprach sogar von Miss Jenkyns als »Ihre arme Schwester! Ja, ja, wir haben alle unsere schwachen Seiten«; dann sagte er uns Lebewohl und sprach die Hoffnung aus, Miss Matty bald wieder zu sehen. Sie ging sogleich in ihr Zimmer und kam erst zu unsrer frühen Teestunde wieder zum Vorschein, wobei es mir vorkam, als ob sie geweint hätte.