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II. Das Erbe des Imperium Romanum

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Die ältesten Spuren menschlicher Kultur fanden sich in der Umgebung von Otranto und stammen aus der älteren Steinzeit. Namengebend für Vitalia, wie Italia ursprünglich hieß, dürften oskische Bauern gewesen sein, die zwischen Sila und Aspromonte in einem Stierkult (vitulus) dem Gott Mars huldigten. Von Süden aus verbreitete sich der Name Vitalia, rasch zu Italia verschliffen, nach Norden. Die Griechen nannten das gesamte Gebiet bis Paestum Italia; eine gedankliche Grenzziehung, die in der politischen Neuordnung der Halbinsel unter den Römer immer weiter nach Norden bis zur Magra (Mündung auf der Höhe von La Spezia) und dem Rubikon (Mündung auf der Höhe Riminis) rückte, dahinter begann die Gallia Cisalpina, die erst Gaius Julius Caesar administrativ angliederte.

Die Bewohner des Römischen Reiches waren ursprünglich keinesfalls alle rechtlich gleich; die Bürger der Stadt Rom hatten einen Sonderstatus; ihnen standen die Bundesgenossen und Latiner gleichsam gegenüber. Zwar mussten auch sie keine Grundsteuern zahlen – ein Vorteil gegenüber der Bevölkerung in den Provinzen –, aber im Ansehen waren sie doch nur Bewohner minderen Ranges. Solange sich Rom nicht zu sehr in die inneren Angelegenheiten der Bundesgenossen einmischte, nahmen sie die Zurücksetzung relativ klaglos hin. Erst der Bundesgenossen-Krieg von 91– 88 v. Chr. brachte einen grundlegenden Wandel. Das dominante Auftreten Roms und die hartnäckige Verweigerung des römischen Bürgerrechts hatte die Bundesgenossen nachhaltig verärgert. Als die Kriegswirren gefährlich anschwollen, gestand Rom 89 v. Chr. in der Lex Plautia Papiria den Bundesgenossen das ersehnte römische Bürgerrecht zu. Noch im gleichen Jahr wurde dies in der Lex Pompeia de Transpadanis auch den Bewohnern nördlich des Po bewilligt. Vollständigen Gebrauch konnte ein civis Romanus allerdings nur dann von seinen Bürgerrechten machen, wenn er sich in Rom aufhielt.

Einschneidendere Folgen hatte die Gewährung des römischen Bürgerrechts für die freien Bewohner der Provinzen 212 n. Chr. in der Constitutio Antoniniana des Kaisers Caracalla, wodurch die Bewohner des Mittelmeerraums mit denjenigen Italiens gleichgestellt und vollends in das Imperium integriert wurden. Ziel der nur scheinbar großzügigen Neuregelung war die Umverteilung der öffentlichen Lasten und die Heranziehung der Vollbürger zum Militärdienst. Als Kaiser Diocletian die Provinzialordnung neu regelte, dehnte sie sich plötzlich auch auf Italien aus, das damit steuerpflichtig wurde. Lediglich Rom, die Herzkammer des Imperiums, behielt seinen Sonderstatus. Mit Ausnahme der Ewigen Stadt bildete Italien jetzt nur mehr einen Teil des gewaltigen Imperium Romanum.

Durch die Öffnung des römischen Bürgerrechtes stiegen Führungseliten aus entfernten Reichsteilen in den senatorischen Adel auf, die neue kulturelle Gepflogenheiten an den Tiber brachten. Vor allem Träger hellenistischer Bildung gewannen Einfluss in allen Bereichen der Kunst, Literatur, Philosophie und Jurisprudenz sowie im Sozialwesen.

Neben diesen Veränderungen erlebte die Apenninen-Halbinsel auch in der Landwirtschaft entscheidende Umwälzungen. Aus Kostengründen wurde die Produktion in die Peripherie des Reiches verlegt, auf der Apenninenhalbinsel stagnierte die Wirtschaft. Die Provinzen verselbständigten sich. Getreide gedieh in Nordafrika und Sizilien besser als auf dem Festland Italiens. Erze gab es in England, Zypern und Dakien reichlich, während man es in Italien, vor allem auf Elba, nur mühsam schürfen konnte. Der Osten verfügte über Handwerkskünstler, die Italien nicht bieten konnte, und links des Rheins ließ sich trefflich Geschirr herstellen – nicht ganz so schön wie in Arezzo, aber unvergleichlich viel billiger.

Die Folgen waren vielfältig. Auf der Apenninenhalbinsel fielen weite Ackerflächen wüst und wurden zu Weidegebieten oder zum Vergnügen der Großgrundbesitzer zu Jagdreservaten umgewandelt. Die Landbevölkerung wanderte ab und die Geburtenrate brach ein, was dem spätantiken Imperium chronischen Menschenmangel bescherte. Der Schwund der freien Kleinbauern wurde durch den Mangel an Sklaven verstärkt. Rom führte kaum mehr Expansionskriege und erbeutete daher auch keine Menschen mehr. Die noch vorhandenen Sklaven stiegen daher im Wert und mussten pfleglicher behandelt werden. Je stärker das Land entvölkert wurde, desto mehr schwoll Rom an und musste wachsende, aber kaum zu ernährende Menschenmengen versorgen.

Der kritische Zustand war in Friedenszeiten kaum auszubalancieren; Kriegsbelastungen hielt das mühsam errungene Gleichgewicht nicht stand. Der Ausbruch der Markomannenkriege 166 n. Chr. verdeutlichte die Instabilität des Imperiums. Der Druck auf die Außengrenzen des Reiches wuchs und die steigenden Staatsausgaben belasteten die Haushalte der Städte, in denen bislang das Leben kulminierte. Italien war bis in das 4. nachchristliche Jahrhundert ein urbanes Land. Aber die Steuerbelastung wurde unerträglich und immer weniger Männer übernahmen öffentliche Ämter, da sie mit ihrem Vermögen hafteten. Die Senatoren zogen sich auf ihre Landgüter zurück und die Städte sanken danieder. Freilich rekrutierten sich die Senatoren aus neu aufsteigenden Familien aus der Peripherie des wankenden Reiches; aber diese Männer waren weitab von der Hochblüte römischer Kultur geboren worden. Zeitgleich zum kulturellen Aderlass musste Rom aufrüsten, um sich zu behaupten. Perser und Germanen drohten im 3. Jahrhundert das Reich zu überrennen. Als die Gegner in Mittelitalien standen, ummauerte Kaiser Aurelian eiligst die Ewige Stadt.

Zur Verteidigung brauchte Rom immer mehr Soldaten und musste Barbaren unter Waffen nehmen, denen römische Kultur fremd war. Die Bezeichnung fiscus barbaricus für den Militärhaushalt kam nicht von ungefähr. Zudem war es nötig, die Kriegstechnik den Kampfgewohnheiten der Feinde anzupassen. Die traditionellen Fußsoldaten waren zu langsam; das Imperium brauchte eine Reiterei, um Heereseinheiten rasch verlagern zu können. Erstmals ist das neue, mobile Heer unter Kaiser Gallienus bezeugt. Dies alles musste bezahlt werden, und so drehte der Staat weiter an der Steuerschraube und steigerte die Belastungen ins Unerträgliche. Die öffentliche Fürsorge verfiel, Elend und Armut breiteten sich mit rasender Geschwindigkeit aus und das Imperium verwandelte sich in einen Zwangsstaat, der seine Bürger auspresste. Als die Zahlungsfähigkeit sank, mussten die Steuereintreiber für die vollständige Erhebung der Abgaben mit eigenem Vermögen haften. Da unter diesen Bedingungen niemand das Amt ausüben wollte, wurde es zwangsweise vergeben. Im Steuerwesen durften keine Lücken entstehen.

Vor dem ungeheueren Steuerdruck flohen die Stadtbürger unter die Obhut reicher senatorischer Großgrundbesitzer auf das Land. Sie pachteten einzelne Parzellen auf Zeit und gegen einen festen Anteil der Erträge. Gleichzeitig verdingten sie sich als Soldaten, um die Latifundien gegen Räuber und rabiate Steuereintreiber zu schützen. Hierfür genossen sie die Fürsorge des Grundherrn, der Richter, Armenpfleger und Hüter der öffentlichen Ordnung in Personalunion war. Das Minimum an Sicherheit war es ihnen wert, nicht nur wirtschaftlich, sondern auch persönlich und körperlich vollständig vom Grundherrn abhängig zu werden. Soziale Lebensformen zeichnen sich ab, die für das Mittelalter bestimmend werden sollten.

Aber Rom hatte nicht nur Probleme an den Grenzen und soziale Konflikte, sondern auch kultische Unruhen im Innern. Die Einheit von Glaube und Staat war in Rom seit den glorreichen Tagen der Republik selbstverständlich, dennoch herrschte im Imperium große religiöse Toleranz. Keine Kompromisse gab es aber hinsichtlich des seit Augustus etablierten Kaiserkults, diente er doch der Integration des Riesenreiches und galt neben dem Staatskult als Garant für das göttliche Wohlwollen. Die Weigerung der Christen, den Kaiserkult zu vollziehen, wog daher schwer. Hinzu kam, dass sich die Christen den heidnischen Römern überlegen fühlten. Als die Christengemeinde immer stärker anwuchs und sich erkennbar vom Judentum trennte, wurde es gefährlich, denn Rom sah in ihr eine den Staat von innen heraus zersetzende Kultgemeinschaft. Daher kam es vom 1. bis zum Beginn des 3. Jahrhunderts wiederholt zu Christenverfolgungen. Unter Kaiser Decius (249 –251) ging das Römische Reich erstmals geschlossen und auf breiter Front gegen die Christen vor. Die bislang ungekannte Lückenlosigkeit der Verfolgung erklärt sich aus der politischen Lage Roms, das angesichts der allseitigen Bedrohung seiner Grenzen im Innern keine religiösen Unruhen tolerieren konnte. Die unterschiedlich blutigen Verfolgungswellen endeten im Westen erst mit dem Tod des Kaisers Galerius 311. Konstantin schaffte den Zwang zum Kaiserkult ab und das Christentum trat gleichberechtigt neben den römischen Staatskult, ja übernahm zunehmend dessen Aufgaben.

Aber den Christen fehlte Geschlossenheit. In der Zeit der Verfolgung hatten die dogmatischen Differenzen angesichts der Bedrohung keine wesentliche Bedeutung. Aber nach der Etablierung des Christentums als Staatsreligion wurde ein verbindliches Credo unabdingbar, wollte man eine Kirchenordnung und eine klare Definition der orthodoxen Katholizität erreichen. Das Hauptproblem lag in der Natur Christi. War er Gott oder nur gottähnlich? Der Monophysitismus-Streit zog sich bis zum Konzil von Chalkedon (451) hin, das die Natur Christi als unzertrennlich und unvermischt festlegte: Christus wahrer Mensch und wahrer Gott. Die Kirche in Konstantinopel sah hierin einen glatten Verrat am Konzil von Nicäa. Als Kompromissversuche scheiterten, kam es im Akakianischen Schisma zur Abspaltung von Rom.

Gleichzeitig sorgte die Bestrebung des römischen Patriarchen, seinen Primat gegenüber den anderen vier Hochthronen (Konstantinopel, Alexandria, Antiochia und Jerusalem) durchzusetzen, für Verstimmung vor allem am Bosporus. Basierend auf den Einsetzungsworten Christi an Petrus (Matth. 16, 18) legitimierten sich die römischen Patriarchen als Nachfolger des Apostelfürsten. Die Lehre von der apostolischen Sukzession beinhaltete die Überzeugung, dass die Gewalt, die Christus Petrus übertragen hatte, auf alle Nachfolger Petri ungeschmälert übergehe.

Aber noch waren die heidnischen Kulte nicht am Ende. Einen letzten Höhepunkt erlebte das Ringen der Christen gegen die Heiden im Streit um den Victoria-Altar im 4. Jahrhundert. Das Beutestück des Krieges gegen Pyrrhus von Epirus (272 v. Chr.) hatte Augustus nach seinem Sieg bei Actium in der Kurie aufstellen lassen und die Senatoren brachten vor Beginn jeder Sitzung auf dem Altar ein Rauchopfer dar. Als der christliche Kaiser Constantius II. 357 den Altar entfernen ließ, brach Streit aus. Julian Apostata brachte den Altar zurück in die Kurie, doch Gratian ordnete 382/83 zum zweiten Mal seine Entfernung an. Vordergründig ging es nur um die Beseitigung des Victoria-Altars; tatsächlich jedoch stritt man um gegenseitige Toleranz und Achtung der Religionen. Die Wortführer waren Quintus Aurelius Symmachus, der heidnische römische Stadtpräfekt, und Bischof Ambrosius von Mailand auf christlicher Seite. In programmatischen Verlautbarungen wandten sich beide 384 an Kaiser Valentinian II. Symmachus argumentierte mit der Romidee, der ruhmreichen Vergangenheit und dem Hinweis, dass heidnische Götter den Aufstieg Roms zur Weltherrschaft ermöglicht hätten. Zudem seien die Unterschiede zwischen Christen und Heiden nur äußerlich, da sie unter verschiedenen Bezeichnungen doch nur den einen Gott verehrten, der ihnen jedoch – gemäß der Ideenlehre Platons – nur schattenhaft erkennbar bliebe. Dieser klugen, sachlich-ruhigen Argumentation hielt Ambrosius in scharfem Ton entgegen, jegliche Opferungen durch christliche Senatoren seien inakzeptabel, ebenso die Gleichstellung von Christen und Heiden, die der Kaiser mit seinem Gewissen nicht vereinbaren könne. Zwischen den Zeilen drohte Ambrosius mit der Exkommunikation und dem erbitterten Widerstand der Geistlichkeit. Für ihn lauerte hinter dem heidnischen Wunsch nach Toleranz die Gefährdung des alleinigen Wahrheitsanspruches des Christentums. Schließlich entfernte Kaiser Theodosius 394 den Altar und die auf ihm stehende vergoldete Statue der geflügelten Göttin Victoria, die einen Palmzweig und einen Lorbeerkranz hielt, zum letzten Mal aus der Kurie. Da Theodosius bereits 391 alle heidnischen Kulte verboten hatte, kam die Entfernung einer vernichtenden Niederlage der heidnischen Partei in Rom und im Imperium gleich.

Auf einem Gebiet jedoch überlebte die Kultur des Heidentums: im Bildungswesen. Schreiben, Lesen, Rhetorik und Philosophie lernen auch christliche Schüler anhand heidnischer, antiker Schriftsteller. In Rom rettete man die antike kulturelle Hinterlassenschaft, indem man empfindliche Papyrusrollen durch durable Pergamentcodices ersetzte. Grammatiken, Textkommentare und die Meisterwerke antiker Autoren bildeten die Grundlage christlich-mittelalterlicher Ausbildung. Die Hochschätzung der Weisheit der Antike übertrug sich zuweilen auch auf heidnische Skulpturen. So bat Bischof Ennodius von Pavia, wahrhaftig kein Heide, man möge eine Minerva-Statue aus einem römischen Bordell entfernen, da die Göttin der Weisheit dort fehl am Platz sei.

Rom selbst spielte damals nur noch eine untergeordnete Rolle. Schon seit der Mitte des 3. Jahrhunderts führte das Imperium nahezu permanent Krieg an mehreren Fronten. Da der Kaiser die militärische Oberhoheit innehatte, brauchte es zwei Imperatoren, um den Herausforderungen gerecht werden zu können. Die Doppelung der Zentralgewalt führte zwangsläufig zum Bedeutungsverlust Roms; neue Hauptstädte entstanden, die näher an den umkämpften Grenzen lagen. Mailand, Arles, Trier und – mit einiger Verzögerung – Ravenna stiegen auf. Die Abkehr von der Ewigen Stadt fiel den Kaisern leicht, da viele von ihnen keine Römer mehr waren; Konstantins Vater, Konstanz, war ein Illyrier. Die Verlagerung der Macht führte nicht nur dazu, dass Rom politisch an Gewicht verlor, die einstige ,Kulturhauptstadt‘ des Imperiums erlebte einen erschreckenden Niedergang. Der Verfall beschleunigte sich, als heidnische Kunstdenkmäler und restaurierungsbedürftige Bauwerke, die der neuen Staatsreligion ein Dorn im Auge waren, nicht mehr gepflegt wurden.

An den Grenzen strömten neue Kulturen auf das Imperium ein, das permanent Verstärkung für seine unablässig kämpfenden Truppen suchte. Der erste entscheidende Kontakt ergab sich mit den Westgoten (eigentlich ein Gemisch aus Ostgoten unter ihren Anführern Alatheus und Sphrax sowie Westgoten unter Fritigern), die teilweise vor dem Hunnensturm aus Mittelasien an die untere Donau geflüchtet waren. Nachdem sie zunächst freundlich von den Römern aufgenommen, dann aber schlecht von ihnen behandelt worden waren, kam es zum Aufstand gegen die thrakische Armee und 378 zur Schlacht bei Adrianopel. Die Römer erlitten eine verheerende Niederlage, Kaiser Valens fiel. Sein Nachfolger Theodosius I. schloss am 3. Oktober 382 mit den Goten einen Föderaten-Vertrag, billigte ihnen Siedlungsraum innerhalb der Grenzen des Imperiums zu, gewährte ihnen aber gleichzeitig vollkommene Autonomie. Auf dem Gebiet des heutigen Bulgarien durften sie unter ihren eigenen Fürsten leben und ihre christliche Religion arianischer Prägung pflegen, obwohl diese sonst im Imperium verfolgt wurde. Die foedera machten sie zu Reichsangehörigen ohne Recht des conubium und verpflichteten sie zur Waffenhilfe.

Der Vertrag entwickelte sich zum Präzendenzfall. Auf der Basis des ius hospitalitatis kamen immer neue Gruppen in die Grenzregionen. Ihnen wurde die Landnahme gewährt und sie erhielten Anspruch auf ein Drittel des Bodens, der Erträge und der Gebäude. Die ansässige Bevölkerung musste für die Fremden die Äcker bestellen und zudem noch ein Drittel der Erträge abgeben. Aber die näher rückenden Bedrohungen ließen dem Imperium keine Wahl. Nach den Goten kamen andere germanische Verbände, die in Gallien, Nordafrika, Spanien und auch in Italien angesiedelt wurden. Sie alle bildeten eigene kleine Staatswesen innerhalb des Imperiums. Damit markiert der Vertrag von 382 den Beginn einer Entwicklung, „die das einstige römische Großreich in eine Pluralität von selbständigen regna auflöste“ (Postel, S. 152).

Die Föderaten waren für Rom unentbehrlich und gefährlich zugleich. Brachte das Land zu wenig Erträge, plünderten sie ungeniert die Äcker ihrer Gastgeber und suchten sich – ohne Verträge – bessere Wohnplätze. Ohne Scheu verlangten die Goten Subsidien; als Rom nicht zahlte, kündigten sie dem Imperium den Föderatenvertrag und fielen mit verheerenden Folgen in Griechenland ein. Doch sie ließen es damit nicht bewenden. Unter König Alarich zogen sie nach Italien. Aus Angst, Mailand könnte zu unsicher sein, verlegte Kaiser Honorius II. seine Residenz in das durch unwegsame Sümpfe geschützte Ravenna, das die Seeverbindung nach Konstantinopel gewährleistete. Seine Sorge war berechtigt; anscheinend mühelos eroberten die Westgoten Mailand. Einzig dem genialen vandalischen Heermeister Stilicho gelang es, den Weiterzug der Westgoten aufzuhalten. Aus Vernunftgründen plädierte er für Ausgleichszahlungen an Alarich, was ihm – als Folge einer Intrige am weströmischen Kaiserhof – statt Anerkennung eine Hochverrats-Anklage und 408 die Hinrichtung in Ravenna eintrug. Nun lag Italien für Alarich und seine Westgoten offen. 410 stürmten sie Rom und plünderten tagelang. Die Nachricht erschütterte die Welt. Als die Heiden propagierten, die Einnahme Roms sei die Strafe der Götter, replizierte Augustinus in seinen 22 Büchern vom Gottesstaat.

Von Rom aus wandte sich Alarich nach Süden, offenbar im Bestreben, die Kornkammern des Reiches in Nordafrika zu erobern. Aber er starb in Kalabrien und sein Schwager und Nachfolger Athaulf dirigierte die Westgoten in die Provence und nach Spanien. Der Kaiserhof in Ravenna hatte dem Zug der Westgoten mit atemloser Spannung zugesehen und war froh, verschont geblieben zu sein. Dass die Schwester des Kaisers, Galla Placidia, entführt und mit Athaulf zwangsverheiratet worden war, nahm man kampflos hin.

Das Kaiserreich im Westen war nur noch ein Schatten seiner selbst. 452 fielen die Hunnen ein und plünderten Aquileja und Padua, bis ihnen Papst Leo I. vor Mantua entgegentrat und Attila zur Umkehr bewog. 455 plünderten die Vandalen unter Geiserich Rom 14 Tage lang. Diesmal war die Katastrophe aus Nordafrika gekommen und nach der Eroberung Sardiniens, Korsikas, Teilen Siziliens und der Balearen durch Geiserich schon zu erahnen gewesen.

Das Ende kam 476. Im Westreich ließ Orestes seinen Sohn Romulus zum Kaiser ausrufen. Halten konnte er sich nur dank Odoakar und seinen germanischen Truppen, die aber endlich entlohnt werden wollten. Für den zu erwartenden Fall, dass Orestes nicht zahlen könnte, forderten sie nach dem Föderatenvertrag ein Drittel ganz Italiens. Als Orestes sich weigerte, verjagte ihn Odoakar aus Pavia, nahm ihn bei Piacenza gefangen und ließ ihn hinrichten. Milder verfuhr er mit Romulus Augustulus, dem letzten weströmischen Kaiser, den Odoakar 476 auf seine Landgüter nahe Neapel in Pension schickte.

Damit endete das Kaiserreich im Westen, das nach dem Verlust Galliens und Spaniens sowie Nordafrikas ohnehin nur noch Italien umfasste. Odoakar, von seinen Truppen zum Heerkönig ausgerufen, riss im Augenblick des Triumphes die imperiale Würde nicht an sich, sondern sah sich als Stellvertreter des fernen Kaisers im Osten, den er um Anerkennung als Statthalter und Heermeister sowie um die Verleihung des Ehrentitels eines Patricius bat. Wegen der Zurückhaltung Odoakars ist 476 nicht als die einschneidende Zäsur zu werten, wie dies gelegentlich geschah. Da er die Zusammenarbeit mit der Macht am Bosporus suchte, arbeiteten Verwaltung und Justiz nahezu bruchlos weiter; die Münzen zeigten weiterhin das kaiserliche Bild, als sei nichts geschehen. Zwar fühlte sich der Skire Odoakar als Sachwalter des Kaisers in Italien, aber seine Truppen unterstanden ihrem eigenen Recht und waren auch keine Untertanen des Reiches, sondern von diesem durch Hospitalitätsverträge in freie Dienste genommen. Aber obwohl die neuen Herren auf italischem Boden einen Fremdkörper darstellten, zogen sie die Zugehörigkeit Italiens zum Reich nicht in Zweifel. Vielmehr bemühte sich Odoakar das Reich zu stärken. Die vertragliche Bindung Siziliens garantierte den Zugang zu der Kornkammer der Apenninenhalbinsel, und die Vernichtung der Rugier beruhigte die Nordgrenze.

Obwohl Odoakar dem Reich nützliche Dienste leistete, misstraute man ihm in Konstantinopel und fürchtete eine Abspaltung Italiens. Um zwei lästige Fliegen mit einer Klappe zu schlagen, plante man am Bosporus, die Germanen gegeneinanderzuhetzen. Wohlüberlegt ernannte man 488 Theoderich zum Statthalter des Kaisers für Italien, insgeheim hoffend, der Gote und der Skire würden sich gegenseitig vernichten.

Theoderich, der Sohn des gotischen Oberkönigs Thiudimir, hatte 10 Jahre seiner Jugend als Geisel am Bosporus verbracht und war dort byzantinisch erzogen worden. Mit 18 Jahren kehrte er in seine Heimat zurück, wo er 474 zum König der Goten erhoben wurde. Als magister militum und patricius wurde er wohl 476 in die byzantinische Militärhierarchie integriert. Glaubt man dem Geschichtsschreiber Jordanes, dann machte ihn Kaiser Zeno darüber hinaus noch zu seinem Waffensohn, ging also mit ihm einen amicitia-Vertrag ein, der eine Friedensgarantie und ein formloses Freundschaftsabkommen enthielt.

481 unternahm Theoderich einen Feldzug gegen Griechenland und erpresste vom Kaiser Wohngebiete für seine Goten in Uferdakien und Niedermösien; er selbst erhielt die Würde eines Konsuls. Langsam nahm die politische Expansion Theoderichs für den Kaiser bedrohliche Züge an; ein gotisches Königreich praktisch vor den Toren Konstantinopels musste verhindert werden. Daher ernannte Zenon Theoderich 488 zu seinem Stellvertreter in Italien, der Odoakar beseitigen sollte. Noch im gleichen Jahr zog er los. Nach zermürbenden Kämpfen kesselte Theoderich seinen Gegner Odoakar im schier uneinnehmbaren Ravenna ein. Den Sieg trug der Gote durch eine List davon. Im März 493 einigte er sich mit Odoakar darauf, künftig gemeinsam über Italien zu herrschen. Kaum hatte ihm der Skire die Stadttore geöffnet, ermordete ihn Theoderich mit eigener Hand. Unmittelbar darauf erhob ihn sein siegreiches Heer erneut zum König. Eid- und Vertragsbruch sowie schnöder, politisch motivierter Mord stehen am Anfang der Herrschaft Theoderichs über Italien.


Taufe Christi durch Johannes den Täufer mit dem Flussgott Jordan.

Kuppelmosaik im Baptisterium der Arianer in Ravenna, erbaut 493 –526.

Damit endeten die Schrecken nicht; Theoderich betrieb eine umfassende Säuberungspolitik. Allerdings mordete er nicht planlos. Die senatorischen Anhänger Odoakars ließ er ungeschoren davonkommen, wohl wissend, dass er ihre vermittelnde Fürsprache brauchte, um die Anerkennung seiner Königsherrschaft durch den Kaiser zu erlangen. 497 war es so weit; Kaiser Anastasius übersandte Theoderich zum Zeichen der Anerkennung königliche Gewänder und Herrschaftszeichen. Angesichts der von Ostrom aus praktisch unregierbaren Reste des Westreiches garantierte die Machtübernahme Theoderichs dem Kaiser ein „Minimum an politischer Berechenbarkeit“ (Postel, S. 154).

Durch kaiserliche Anerkennung, Heerkönigtum und Stammeskönigtum vielfach legitimiert, baute Theoderich seine Herrschaft auf. Sein Machtbereich erstreckte sich über ganz Italien und Sizilien, wozu im Norden noch Teile Rätiens, Dalmatiens und des Noricums sowie ab 511 die Provence und das spanische Westgotenreich hinzukamen. Wie konnte es aber einer zahlenmäßig und kulturell unterlegenen, zudem arianisch-gläubigen Minderheit gelingen, die katholische Substratbevölkerung erfolgreich zu beherrschen? Wie schon Odoakar tastete Theoderich die römische Administration nicht an, so dass die bäuerliche Bevölkerung kaum gespürt haben dürfte, dass sie nicht mehr von Römern, sondern von Goten regiert wurde. Zudem setzte Theoderich auf Kooperation mit den alten stimmungsprägenden Schichten. Kompromisse im Glauben machte er dagegen nicht. Die neuen, fremden Führungseliten waren und blieben Arianer. Sie vertraten die Gottähnlichkeit Christi, lehnten seine Gottgleichheit aber vehement ab. Im Baptisterium der Arianer in Ravenna ist diese Glaubensüberzeugung im Kuppelmosaik zu sehen; während Christus im Baptisterium der Orthodoxen gleichsam geschlechtslos dargestellt wird, sieht der Betrachter in der Taufkirche der Arianer einen nackten Mann im Jordan stehen. Ein friedliches Miteinander war hier nur durch klare Scheidung möglich; Ehen zwischen Arianern und Christen waren untersagt. Zugleich beschützte Theoderich die katholischen Romanen vor den Verfolgungen aus Byzanz während des Akakianischen Schismas. Er, der im dogmatischen Ringen um die Natur Christi eine ganz eigene Position bezog, verteidigte seine katholischen Untertanen.

Angesichts der kultischen Differenzen mussten weitere Konflikte vermieden werden. Schon die Ansiedlung der Goten stellte eine administrative und logistische Herausforderung dar, bei der Theoderich auf die Hilfe bereits unter Odoakar erfolgreicher Verwalter vertraute, vor allem auf den Prätorianerpräfekten Liberius (seit 493). Dank seiner Übersicht und Theoderichs politischem Weitblick wurde das Land so verteilt, dass ein existenzgarantierender Umfang sichergestellt war. Nach dem Verjährungs-Edikt Theoderichs (508/9) sollten die Goten nach Ablauf von 30 Jahren den Boden zu eigen besitzen. Wie die adligen, römischen Grundherren auch, bebauten die Goten das Land nicht selbst, sondern ließen es bewirtschaften. Überhaupt orientierten sie sich an ihren römischen Nachbarn. Theoderich soll gesagt haben: „Ein reicher Gote imitiert die Römer, ein armer Römer die Goten“ (Postel, S. 155). Treffend beschrieb er damit einen schichtenspezifischen Prozess wechselseitiger Assimilation.

Theoderich verstreute seine Goten nicht über ganz Italien, sondern siedelte sie in Gruppen an, worauf einzelne Ortsnamen – etwa Goito nahe Mantua – hinweisen. Vorwiegend massierten sie sich an strategisch wichtigen Punkten in der östlichen Toskana, in Ligurien und im Gebiet um Ravenna. Um die indigene Bevölkerung nicht zu benachteiligen, forderten die Goten von ihren Siedlungsgebieten ein Drittel der Bodenerträge. Die Gerechtigkeit Theoderichs, die Cassiodor eindringlich schildert, förderte seine Akzeptanz und führte zur reibungslosen Ansiedlung der Goten und zu erheblich steigendem Steueraufkommen, obwohl die Steuerforderungen nicht höher waren als in der Zeit zuvor. Ausgleichende und integrierende Politik war vonnöten, denn dem Westreich drohte Partikularisierung und Aufsplitterung in kleine, sich der Obrigkeit entziehende Herrschaften.


Ravenna, Sant’Apollinare Nuovo, Mosaik (6. Jh.) an der Nordwand des Mittelschiffs. Ansicht der Stadt Classe mit Hafen (Portus Classis).

Integrierend wirkte die Fortdauer der römischen Provinzialverwaltung, der Vikariate sowie der Hofämter, wobei letztere ausschließlich von Römern besetzt wurden. So blieben die alten stadtrömischen Führungseliten bestehen, doch förderte Theoderich zugleich den Aufstieg neuer Familien, denen sich Karrierechancen am Gotenhof boten. Sie übernahmen vor allem die Verwaltung des Königsgutes und der königlichen Domänen. Dies musste zu Spannungen mit den alten Familien führen, zumal Theoderich die Besetzungdes Senats steuerte und so die senatorische Beschlussfassung kontrollierte. Er unterwanderte den Senat, ohne an dessen alten legislativen Kompetenzen zu rütteln. Zudem erweiterte Theoderich die Aufgaben der Militärverwaltung, die nahezu ausschließlich in der Hand seiner Goten lag.


Ravenna, Sant’Apollinare Nuovo: Langobardische Altarschranke.

Ein Problem stellte die Rechtsprechung dar. Zwar galten das römische Territorialrecht, die königlichen Verfügungen und die Kaisergesetze sowohl für Römer als auch für Goten, aber nur die rein römischen Rechtsfälle wurden beim Provinzialstatthalter entschieden. In rein gotischen oder gemischten Rechtsfällen entschied der comes Gothorum unter Hinzuziehung eines römischen Rechtskundigen. Dennoch empfanden die Romanen diese Lösung als Affront.

An den wachsenden Spannungen änderten auch integrierende Baumaßnahmen wenig. Zur Demonstration seines Herrschaftsanspruchs erweiterte Theoderich den Kaiserpalast in Ravenna, wie zuvor bereits Odoakar. In der architektonischen Mischung aus spätantiker Villa und byzantinischem Kunstwollen imitierte der Gote die imperiale Pracht des Kaisertums. So entsprach der Palast in Ravenna dem Atrium des Diokletianspalastes in Split. Auch die zur Erholung erbaute Jagdvilla Theoderichs in Forlì orientierte sich an spätrömischer Palastarchitektur und griff kaiserliche Bautraditionen auf. Gleichzeitig stiegen Ravenna und Rom zu Kristallisationspunkten säkularer Bildung auf, zu nennen wären nur der Dichter Venantius Fortunatus, der Philosoph Boethius und der Mönch, Kanonist und Übersetzer Dionysius Exiguus.

Demonstrativ stiftete Theoderich San Apollinare Nuovo als neue Hofkirche. Der herrliche Mosaikenschmuck zeigt die Fassade des Palastes und die Hafeneinfahrt Ravennas; ursprünglich war auch das Porträt des Königs zu sehen, aber die Ausmerzung alles Arianischen machte vor Theoderichs Abbild nicht halt. Einziges ostgotisches Merkmal der prachtvollen Kirche sind die Pilaster sowie die Doppelmäander an den Chorschranken. Das eher puristische gotische Stilwollen findet sich weit reiner ausgeprägt in S. Spirito, das ebenfalls von Theoderich gestiftet wurde.

In Rom restaurierte Theoderich die kleine Kirche S. Agatha dei Goti, eine Gründung des Heermeisters Rikimer. Aber nicht nur christliche und arianische Bauwerke erfreuten sich seiner Fürsorge, auch antike Architektur sowie die römischen Verkehrswege und Entwässerungsgräben ließ er sanieren.

Untrennbar mit seinem Namen und seinem politisch begründeten Stilwollen verbunden ist sein Mausoleum in Ravenna. Es kombiniert spätrömische und gotische Architektur, ohne sie miteinander zu verschmelzen und dadurch zu verfälschen. In einem gewaltigen Kraftakt schaffte man enorme Kalksteinblöcke aus Istrien herbei. Die Konstruktion ruht auf einer römischen Bogenanordnung; das Dach bildet ein gewaltiger Monolith, wie dies nur in germanischen, nordischen Bautraditionen zu finden ist. Das Programm hätte klarer nicht sein können: Auf der in Ehren gehaltenen römischen Basis thront nun die gotische Macht.

Um die Integration voranzutreiben und die Herrschaft unabhängig vom byzantinischen Kaisertum zu legitimieren, legten die Amaler, das Geschlecht, dem Theoderich entstammte, eine Hausüberlieferung im Sinne einer politischen Publizistik an. Die siebzehngliedrige Königsreihe der Goten erinnert an die 17 sagenhaften Römerkönige und vereint Goten- und Römer-Geschichte. Folgerichtig ordnet Cassiodors Gotengeschichte Theoderich in die Reihe der westlichen Kaiser ein. Bewusst imitierte Theoderich in seinen Verlautbarungen Wortwahl und Ton des alten Kaiserreiches und schmeichelte sich bei den Senatoren ein, indem er ein hohes Maß an Bildung zur Conditio sine qua non für die Senatorenwürde erhob; glaubt man Cassiodor, so sah der Gote einen engen Zusammenhang zwischen Bildung und Moral. Unethisch handelnde, wortbrüchige und Steuern hinterziehende Senatoren strafte Theoderich hart. Trotz der hohen Ideale ebnete eben doch unbedingter Gehorsam den Weg zu einer steilen Karriere und weniger hervorragende Ausbildung.

Theoderich war klug; er wusste, dass man am Bosporus seine Herrschaft in Italien als interimistisches Übel betrachtete. Daher sicherte er sich politisch mittels eines Netzes durch Freundschaftsbande assoziierter germanischer Pufferstaaten ab. Garant des Netzwerkes war die Heiratspolitik. Theoderich selbst ehelichte die Schwester des Franken Chlodwig I., Audofleda, und verheiratete eine seiner Töchter, Ariadne, mit dem Sohn des Burgunderkönigs. Den Westgotenkönig Alarich II. sowie den Thüringerkönig Herminefred verheiratete er mit weiteren Töchtern. Schließlich vermählte er noch seine Schwester, Amalafrida, mit dem Vandalenkönig Thrasamund.

Der Erfolg des Ehenetzwerkes war sehr unterschiedlich. Chlodwig kümmerte seine neue Verwandtschaft wenig; skrupellos eroberte er das westgotische Gallien und Aquitanien; König Alarich II. starb in der Schlacht bei Vouillé. Die Ausdehnung der Franken wurde immer bedrohlicher, vor allem nachdem Byzanz Chlodwig 508 zum Ehrenkonsul erhob. Theoderich begriff sofort, dass er nun nicht mehr der einzige kaiserliche Statthalter im Westen war, und stemmte sich gegen weitere fränkische Expansionsbestrebungen.

Die Bedrohungen veränderten Theoderich. Der lange auf Ausgleich Bedachte wurde misstrauisch und grausam. Die Gotenherrschaft drohte zur Tyrannei zu verkommen. Daran änderte auch der Tod Chlodwigs (511) und die Versöhnung mit Byzanz wenig. Zunehmend machten die Romanen ihrem Unmut über die Fremdherrschaft Luft, doch Theoderich konnte sich bis zu seinem Tod 526 behaupten. Sein Grabmal in Ravenna ist die Stein gewordene Ehrung für den großen Gotenkönig.

Die Nachfolge war kompliziert. Theoderich hatte keinen eigenen Sohn und hoffte daher auf seinen einzigen Enkel Athalarich, für den seine Mutter Amalaswintha die Regentschaft übernahm. Eigentlich galt die Beauftragung durch Byzanz nur für die Lebenszeit Theoderichs, aber die hochgebildete Amalaswintha vermochte sich mit dem Kaiser zu einigen. Zudem arbeitete die Verwaltung hervorragend, was vor allem Cassiodor zu danken war, einem Stilisten, Historiographen und Verwalter von besonderem Rang. Dank seiner Variae des magister officiorum weiß man viel über die Ordnung des Gotenreiches. Seine Gotengeschichte ist verloren; ihr Wert lässt sich nur in den Auszügen des Jordanes erahnen.


Das Mausoleum des Theoderich in Ravenna ist eines der hervorragendsten ostgotischen Bauwerke. Die Kuppel mit einem Gewicht von 300 Tonnen wurde aus einem einzigen Steinblock gefertigt.

Amalaswintha war zu schwach, um der gewaltigen fränkischen Expansion ernsthaften Widerstand entgegensetzen zu können. Atemlos musste sie zusehen, wie die Franken zunächst die Thüringer und dann die Burgunder überrannten. Zudem durchschaute sie das politische Spiel nicht, das Kaiser Justinian mit ihr trieb. Er wollte das Westreich zurückerobern, alle christlichen Sonderentwicklungen unterbinden und autokratisch über das Imperium und die Kirche herrschen. Zäsuren in der Nachfolge schienen dem Kaiser ein guter Kriegsgrund.

534 starb Athalarich und seine Mutter heiratete ihren Vetter, Theodahad, den sie zum Mitregenten machte. Keine gute Wahl, denn Theodahad nahm sie binnen Jahresfrist gefangen, kerkerte sie auf der Isola Martana im Lago di Bolsena ein und ermordete sie. Nun hatte Byzanz doppelten Grund, in Italien einzugreifen. 20 Jahre lang wurde Italien zum Kampfplatz, bis die Goten niedergerungen, ausgemordet oder in alle Winde zerstreut waren. 552 besiegte Narses die Goten endgültig. Das Wüten des Krieges konzentrierte sich auf die alten Kaiserstädte Rom und Ravenna sowie auf die Via Flaminia, die wichtigste Verbindungsstraße. An der Furlo-Schlucht stellten sich die Goten zum letzten Gefecht, aber Narses brachte die strategisch entscheidende Engstelle mit dem antiken Straßentunnel Pietra Pertusa in seine Hand. Mit der Niederlage am Fuße der Lattarischen Berge (553), der Einnahme Luccas durch die Byzantiner und dem Fall des Kastells Compsa am Ofanto 555 gingen Theoderichs Goten endgültig unter.

Für Italien hatte die byzantinische Rückeroberung weit schwerwiegendere Folgen als die gotische Machtübernahme. Im Gegensatz zu den Goten wüteten die Byzantiner unter der Zivilbevölkerung, verwüsteten das Land, versklavten die Menschen und tauschten die Führungseliten komplett aus. Was an Infrastruktur den Niedergang des Westreiches überlebt hatte, wurde nun planmäßig vernichtet, die antike Verwaltung ausgeschaltet. An die Stelle der gotischen Ordnungsmacht trat das völlige Chaos; Seuchen taten ein Übriges. Als die Langobarden sich anschickten, die Apenninenhalbinsel zu erobern, hatte diese dem Ansturm nichts mehr entgegenzusetzen.

Etwas jedoch überlebte den Zusammenbruch. Theoderich war gegenüber Juden und Katholiken tolerant gewesen. Da er als Arianer nicht wie die Kaiser ein cäsaropapistisches Patronat über die orthodox-katholische Kirche übernehmen konnte, vermochte sie sich völlig frei zu entfalten. Papstwahlen und Konzilien fanden ungestört und ohne königliche Einmischung statt. Dass gerade zur Zeit Theoderichs Papst Gelasius I. seine berühmte Zwei-Gewalten-Theorie entwickelte, in welcher er für die klare Scheidung der Kompetenzen von Kaisertum und Papsttum eintrat und wegen ihrer höheren Verantwortlichkeit einen Ehrenvorrang der Bischöfe einforderte, ist kein Zufall, sondern das Ergebnis dieser neuen Freiheit der Kirche.

Nur einmal griff Theoderich in innere Kirchenangelegenheiten ein, als beide Streitparteien ihn ausdrücklich darum baten. 498 erlebte Rom eine Doppelwahl – Sinnbild für zwei programmatisch differierende Richtungen. Laurentius von S. Praxedis suchte den Ausgleich mit der Ostkirche, sein Kontrahent Symmachus von S. Maria Maggiore hatte die Durchsetzung und den Ausbau des römischen Primats zum Ziel. Theoderich entschied zugunsten Symmachus’ und feierte im Jahr 500 zugleich das vermeintliche Ende des Schismas und sein dreißigjähriges Herrschaftsjubiläum in kaiseridentischen Formen in Rom. In der folgenden juristischen Auseinandersetzung zwischen den Kontrahenten übte Theoderich aus Respekt vor der katholischen Kirche Zurückhaltung.

Aber nicht nur in der Amtskirche tat sich einiges. Zur Zeit Theoderichs lebte auch Benedikt von Nursia; zunächst als Einsiedler in Sacro Specco in Subiaco, dann ab 529 als Gründer des Mutterklosters aller Benediktiner in Montecassino, auf halber Strecke zwischen Rom und Neapel auf einem Bergsporn an der Stelle eines alten heidnischen Tempels. In seiner Regula Benedicti, die freilich maßgeblich auf älteren Mönchsregeln fußt, findet das abendländische Mönchtum seine schriftliche, lebensfeindliche Extreme ausgrenzende Norm. Rasch breiteten sich die Benedikter in Italien aus und bewahrten in ihren Bibliotheken die antiken Bildungsgüter, wodurch sie maßgeblich zum Aufbau der europäischen Kultur beitrugen.

Cassiodor, der begnadete Verwalter und von 523 bis 527 ranghöchste Minister Theoderichs, zog sich im Angesicht der Katastrophe des Gotenreiches auf seine Landgüter zurück und gründete in Kalabrien Vivarium. Nachdem seine Initiative zur Errichtung einer theologischen Hochschule in Rom an den Gotenkriegen scheiterte, baute er Vivarium zu einem Studienrefugium für die dortigen Mönche aus. Dort wurden die septem artes liberales vermittelt und die klassisch-antike, profane Bildungstradition bewahrt. Die wertvollen Abschriften aus Vivarium retteten sowohl die Werke antiker als auch christlicher Autoren vor der Vernichtung und dem Vergessen.

Diese Rückzugsräume der Kultur hatte Italien bitter nötig, denn die Zeiten waren schlecht. Nach den Grauen der Gotenkriege drohte schon neues Ungemach in Gestalt der Langobarden.

Geschichte Italiens im Mittelalter

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