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Montag, 14. Oktober

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»Nun guck dir die an, wie fett die geworden ist! Ein Arsch wie ein Zehntalerpferd«, tuschelt Gesa und deutet auf eine Frau, die ihren Einkaufswagen zwischen den Regalen hindurch schiebt. Ihre Gesprächspartnerin grinst erfreut, sie ist selbst nicht gerade schlank. Außerdem riecht sie unangenehm, was Gesa nicht daran hindert, sich noch näher zu ihr hin zu beugen. »Kein Wunder, dass der ihr Mann fremdgeht«, bemerkt sie in falschem Deutsch gehässig.

»Meinst du?« Die kleinen Schweinsäuglein in dem runden Gesicht blitzen aufgeregt. »Ich dachte immer, das wäre die große Liebe bei den beiden.«

Sie beobachten, wie ein kleiner, dürrer Mann der Frau etwas in den Einkaufswagen legt und sie gemeinsam lachen. Obwohl die beiden äußerlich so unterschiedlich sind, wirken sie sehr harmonisch.

»Das ist doch meistens so. Gerade bei denen, die immer so nett zueinander sind, stimmt was nicht. Die verstellen sich nur.«

»Ja, das stimmt. Mein Alter war auch immer besonders freundlich, wenn er was zu verbergen hatte. Weißt du denn, mit wem? Mit welcher er was hat, meine ich?«

Gesa blickt sich eifrig um und überlegt kurz. Es ist heute nicht sehr voll im Rewe-Markt, man erkennt jetzt wieder die Einheimischen, die sonst im Sommer zwischen den Urlaubern verschwinden. »Na, mit ihrer Nachbarin natürlich«, behauptet sie dann. »Sie hält die für ihre Freundin. Wenn die wüsste, was die so hinter ihrem Rücken treiben. Vielleicht sollte ihr das mal einer sagen.« Sie schiebt ihren Wagen weiter und beobachtet nach einer Weile zufrieden lächelnd, wie ihre Gesprächspartnerin eifrig mit einer anderen einheimischen Frau tuschelt.

Auch heute ist die Sicht wieder ungewöhnlich klar, der Himmel strahlend blau und das leuchtend bunte Laub gibt dem ganzen Ort ein fröhliches Aussehen. Es ist jetzt viel ruhiger als im Sommer, aber noch sind Gäste da. Meist ältere Leute, die die Nachsaison den hektischen Sommermonaten vorziehen, und Familien mit kleinen Kindern. Einige Körbe stehen noch am Strand, Kinder buddeln im Sand, die Eltern sitzen auf Decken daneben. Nur baden will wohl niemand mehr, bei 15° C Wassertemperatur.

›Außer Arno, natürlich‹, denkt Berta, als sie langsam über die Strandpromenade schlendert. Der Fischer geht zu jeder Jahreszeit beinahe jeden Tag in der Ostsee baden, aber meist ganz früh am Morgen.

Die Tür zur Fischerbude steht auch heute weit offen. Paul Plötz hat zwar schon einen Eimer voll Briketts und einige Holzscheite neben dem Ofen stehen, aber bei 20° C draußen mag selbst er noch nicht heizen. Dabei liebt er die Wärme. Selbst im Sommer trägt er seine langärmligen, karierten Hemden und die Cordhose, die er Manchesterhose nennt und die von Hosenträgern gehalten wird. Berta hat ihn im Verdacht, dass er auch in der warmen Jahreszeit eine lange Unterhose darunter anzieht. Jedenfalls kommt er nie auf die Idee, die Hose auszuziehen oder auch nur die Hosenbeine umzukrempeln. Wenn er durch das flache Wasser zu seinem Boot geht, zieht er hohe Fischerstiefel, die bis zu den Oberschenkeln reichen, an.

Heute ist Bertas Stammplatz, der alte Küchenstuhl neben dem Ofen, besetzt. Boto Thor, ein Kollege von Paul und Arno, hat es sich darauf bequem gemacht. Während er dröhnend über die Fangquoten der EU schwadroniert, schwenkt er wütend seine Bierflasche. Der Mann stammt aus einer alten Fischerfamilie. Schon sein Vater, sein Großvater und wahrscheinlich auch sein Urgroßvater sind vom Bansiner Strand aus zum Fang auf die Ostsee gefahren. Während der DDR-Zeit waren sein älterer Bruder Ansgar und sein jüngerer Cousin Cuno mit ihm auf dem Boot, jetzt ist er allein. »Ansgar, Boto, Cuno. Klingt wie eine Hundezucht«, hatte Anne einmal festgestellt. Berta hatte lachend genickt und geantwortet: »Stimmt, die sehen auch so aus. Also – nicht wie Hunde, aber alle drei sehen sich ähnlich. Groß und hager, alle drei haben rote Haare und Hakennasen. Boto ist ein bisschen kleiner und kräftiger als die anderen beiden. Als Kind haben sie ihn Bötchen genannt, das hört er aber nicht gern.«

Paul blickt zum Eingang, in dem Berta stehen geblieben ist und verzieht missmutig das ohnehin faltige Gesicht in Richtung Boto. »Hör endlich auf mit dem Thema! Ich kann es nicht mehr hören. Setz dich lieber woanders hin! Das ist Bertas Stuhl.«

Der Fischer stutzt einen Moment, steht dann aber bereitwillig auf und lächelt die alte Frau freundlich an. Er zieht sich einen Stapel umgedrehter Fischkisten heran und nimmt darauf Platz. »Na, Berta, du wirst ja gar nicht älter«, schmeichelt er. »Der Ruhestand bekommt dir.«

»Ja«, Plötz mustert seine alte Freundin wohlwollend, »frische Seeluft, viel Fisch essen und Grog trinken, das hält jung und gesund. Dafür sorg ich schon.«

»Na, ich nehme an, ihre Nichte kümmert sich auch gut um Berta«, schmälert Boto das Verdienst seines Kollegen.

»Was macht denn dein Neffe?«, lenkt Berta von sich ab. »Kümmert der sich um dich?«

»Wie ein eigener Sohn.« Er nickt zufrieden. »Ist ein guter Jung, unser Mick. Wenn es nach ihm geht, muss ich gar nicht mehr fischen. Ich mach das ja auch nur noch als Hobby.«

»Was regst du dich denn über die Fangquoten auf?«, unterbricht Plötz.

»Aus Prinzip. Weil es eine Schweinerei ist. Und weil es bald gar keine Fischer mehr auf Usedom geben wird, wenn die so weitermachen.« Augenscheinlich steigt Boto Thors Blutdruck wieder.

»Hast ja recht«, stimmt Paul Plötz ihm resigniert zu. »Fischfang ist das älteste Handwerk überhaupt, eine jahrhundertealte Tradition an der Küste. Und die schaffen uns einfach ab. Aber was soll man machen? Da kommen wir nicht gegen an.«

»Ich komm gut zurecht«, fährt sein Kollege fort. »Ich hab ja meine Rente, wenn es auch nicht viel ist. Meine alte Wohnung in der Bergstraße könnte ich davon ja nun nicht mehr bezahlen. Ich hatte schon so halbwegs beschlossen, ins Dorf zu ziehen, in eine kleine Wohnung im Plattenbau. Aber mir hat wirklich davor gegraut – so weit weg vom Strand.«

Berta nickt mitfühlend. »Das versteh ich. Wenn man sein Leben lang auf die Ostsee geguckt hat, wird man da, hinter den Bahnschienen, nicht glücklich. Und nun ziehst du zu Mick, hab ich gehört?«

»Ja.« Boto strahlt. »Der hat doch ein Haus da hinten an der Promenade gekauft, Richtung Heringsdorf. Da sehe ich die Fischerbuden zwar nicht mehr, auch nicht das Wasser, weil meine Wohnung nach hinten raus geht, aber ich bin dicht am Strand.«

»Ich bin da neulich vorbeigegangen«, erzählt Berta. »Das alte Haus hat er wirklich schön restauriert.«

»Ja, das hat er sich was kosten lassen. Aber er hat ja gut verdient als Kapitän. Und unten zur Straße hin hat er Ferienwohnungen gebaut. Die bringen auch ein bisschen was ein.«

»Und die Wohnung oben, mit dem Balkon zur Promenade, ist doch wohl auch eine Ferienwohnung, oder?«

»Ja, na klar«, bestätigt Boto nach kurzem Zögern, was ihm einen misstrauischen Blick von Berta einbringt. »Mick wohnt unten und ich nach hinten raus«, bekräftigt er noch einmal.

»Aber die Bude hier und das Boot behältst du doch noch, oder?«, fragt Plötz und atmet erleichtert auf, als Boto nickt.

»Ja, Mick hat ja nun Zeit. Er will auch ein bisschen fischen und hin und wieder mal mit Gästen rausfahren. Ist schließlich ein Seemann, den zieht es immer wieder aufs Wasser.«

Bansiner Fischertod

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