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Kapitel 1

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Andrew

Die Kapuze tief ins Gesicht gehangen, laufe ich an der Bar vorbei. Absolute Stille und Dunkelheit umgeben mich in der kleinen Seitenstraße. Die Laternen von der Hauptstraße beleuchten nur die ersten Meter dieser Gasse. Gerade weit genug, um den Weg in die Bar und wieder hinaus zu finden.

Die letzten Tage hat es viel geschneit. Der Boden unter meinen dunklen Schuhen ist noch an einzelnen Stellen leicht mit Schnee bedeckt. In einer Gasse wie dieser wird nicht besonders darauf geachtet, den Weg ordentlich frei zu halten.

Die Tür der Bar neben mir öffnet sich und ein betrunkenes Pärchen torkelt über die Schwelle. Die beiden sind so sehr mit lachen und küssen beschäftigt, dass sie mich gar nicht wahrnehmen. Und das ist auch gut so. Bei Einsätzen wie diesem hier muss ich absolut sichergehen, dass mich niemand erkennt. In diesem Moment bin ich nicht mehr der Sergeant eines Polizeireviers, sondern ein Jäger. Ein Jäger, der dort Gerechtigkeit walten lässt, wo unsere Justiz versagt hat.

Straffen Schrittes laufe ich auf den Mann zu, der nun auch nicht mehr der Captain meines Reviers ist. James war es, der aus mir einen Vampir machte, als ich dem Tod in die Augen sehen musste.

Ich laufe an einer offen stehenden Tonne vorbei, aus der ein übler Geruch dringt. »Du bist dir ganz sicher, dass sie hier sind?«, frage ich mit Blick zu der Bar und bleibe vor James stehen. Kein menschliches Auge vermag es mehr, uns in dieser dunklen Ecke wahrzunehmen.

James verschränkt die Arme vor seinem massiven Körper. Sein schulterlanges blondes Haar ist wie immer zu einem Zopf gebunden. »Natürlich bin ich das.«

»Alle vier?«

Er nickt und sieht an mir vorbei. Seine Augen sind starr auf die Bar gerichtet. Seine Körperhaltung ist angespannt und strahlt etwas Bedrohliches aus. Ich habe bereits eine große und kräftige Statur, aber James überragt mich um eine halbe Kopflänge. Seine Schultern sind so breit, dass sich mühelos mehrere Frauen dahinter verstecken könnten. Die Muskeln an seinen Armen spannen durch seinen schwarzen Pullover. Auch ich trage trotz Eiseskälte statt einer dicken Jacke nur dieses graue Sweatshirt. Wir Vampire spüren keine Kälte.

»Kommt noch jemand von den anderen?«

»Nein«, antwortet James, ohne den Blick von der Bar abzuwenden. »Mit den vier Bastarden werden wir auch allein fertig.«

Mein Captain und ich sind nicht die Einzigen, die bei Nacht auf Verbrecherjagd gehen. Es gibt genügend Schweine in der Stadt, um eine Vielzahl von uns zu beschäftigen.

Gefühlte Stunden verharren James und ich vor der Bar. Wieder und wieder verlassen Gäste das Gebäude. Manche betrunkener als andere. Doch die Männer, wegen denen wir gekommen sind, lassen auf sich warten. Aber selbst wenn wir die ganze Nacht warten müssen, wir werden dafür sorgen, dass sie nie wieder einer Menschenseele etwas antun können.

Wieder öffnet sich die Tür, und eine Gruppe Männer, im Alter von einundzwanzig bis achtundzwanzig Jahren, tritt in die schlecht beleuchtete Gasse. Jeder Muskel meines Körpers spannt sich bei ihrem Anblick an. Endlich schlägt die Stunde der Vergeltung. Einer der Männer zündet sich eine Zigarette an, während ein anderer sich fröstelnd die Hände reibt. Sie sind Medizinstudenten, Informatiker und Versicherungsvertreter und verstehen sich darauf, ihr wahres Ich zu vertuschen. Nie werde ich ihr hämisches Grinsen vergessen, als der Richter ihren Prozess aufgrund eines Verfahrensfehlers für gescheitert erklärt hat. Zwei Frauen haben diese Typen zusammengeschlagen und brutal vergewaltigt. Doch weder James noch ich werden zulassen, dass sie ungeschoren davonkommen.

»Hey, ihr da«, ruft James ihnen zu und tritt aus der Dunkelheit. Seine Anspannung und der Durst nach dem Tod dieser Männer sind so präsent, dass ich sie förmlich riechen kann.

Ruckartig dreht einer nach dem anderen seinen Kopf in unsere Richtung. Sie haben uns gerade erst erspäht, da rennen wir auch schon auf sie zu. Die Augen weit aufgerissen, unternehmen sie den Versuch einer Flucht. Einer von ihnen gerät bei dem vereisten Boden sofort ins Straucheln, kann aber gerade noch rechtzeitig die Balance finden. Nur nützt es ihm nichts. Wir werden sie nicht entkommen lassen, keinen von ihnen. Ich packe mir zwei der Männer und ziehe sie mit mir zurück in den Schatten. Einen werfe ich so fest gegen die Wand, dass er benommen zu Boden geht.

»Bitte«, fleht der andere, als ich ihn am Kragen packe. »Nehmen Sie unser Geld, aber bitte lassen Sie uns gehen.«

Ich höre ein kehliges Stöhnen hinter mir. Ich brauche mich nicht umzudrehen, um zu wissen, was James da gerade macht. Er hat einem der Kerle die Kehle durchgebissen. Wir würden sie nicht auf diese Art töten, wenn wir nicht dafür sorgen würden, dass niemals jemand ihre Leichen findet. Nur sehr wenige Bewohner New Yorks wissen von unserer Art und wir werden sie nicht in Angst und Schrecken versetzen. Ganz gleich, ob wir für Gerechtigkeit sorgen oder nicht.

Der Mann vor mir pisst sich vor Angst gleich in die Hose. Bevor er auch nur in Erwägung ziehen kann, zu schreien, bohre ich meine Zähne in seinen Hals. Heißes Blut strömt aus der Wunde und ich bin versucht, mehr davon zu trinken, als ich benötige. Ich kämpfe gegen den Drang, der meine Sinne trüben und mich zu einem blutrünstigen Tier machen würde. Nicht zu viel Menschenblut, niemals. So lautet unsere Regel.

Ich lasse den Mann wie Abfall zu Boden fallen und laufe auf den blonden Medizinstudenten zu, der sich an der Wand stützend erhebt. Er ist der Kopf dieser Bande. Sein superreicher Daddy hat ihm den besten Anwalt besorgt. Eben jener Anwalt hat den Verfahrensfehler durchbekommen und diese vier Schweine auf freien Fuß gesetzt.

»Bitte«, heult er beinahe. »Verschont mich.« Er zieht seine Geldbörse aus der Jackentasche. Just in dem Moment taucht James neben mir auf. Ein kurzer Blick über die Schulter verrät mir, dass er dem zweiten Kerl ebenfalls die Kehle durchgebissen hat.

»Hast du Mary Donovan oder Nina Smith verschont?«, knurrt er bedrohlich.

Mistkerle wie der vor uns verdienen keine Gnade, er soll leiden wie seine Opfer. James packt ihn und presst ihn gegen die Wand. Mit wilden Faustschlägen malträtiert er den Vergewaltiger, der nicht mehr als ein flennendes Häufchen Elend ist. Er bekommt James' blanke Wut zu spüren. Seine Fäuste sind voller Blut, als der Student keuchend zu Boden geht. Ich zerre ihn an seinem Haar nach oben, sodass sein Nacken schmerzhaft überdehnt ist.

»Du wirst nie wieder einer Frau zu nahe kommen«, stößt James in einer mehr als bedrohlichen Tonlage aus. »Du bekommst auch kein Grab, an dem dich dein Bonzendaddy betrauern kann. Du wirst für das, was du getan hast, in der Hölle schmoren.«

Ein jämmerliches Winseln ertönt und ich töte den Mann auf die gleiche schmerzende Art und Weise wie seine Mittäter. Mit ihrem Tod zählt die Stadt vier Schwerverbrecher weniger. Es ist keine feine und keine gesetzlich korrekte Vorgehensweise, aber die Einzige, die uns in solchen Fällen noch bleibt.

»Los, lass uns diesen Abschaum wegschaffen«, knurrt James und packt sich zwei der toten Männer, als wären sie leicht wie Federn. Als Vampire sind wir nicht nur schneller, sondern auch wesentlich stärker, vor allem bei Nacht.

Ich schnappe die beiden anderen leblosen Körper und folge James durch die Dunkelheit. Wir werden sie weit weg von der Stadt vergraben. So tief, dass sie niemals jemand finden wird.

Midnight Breath

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