Читать книгу Voll erwischt - Ellen Sommer - Страница 6
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Lille
Ich freute mich riesig, dass ich nicht zu spät war, mich nicht vorstellen musste, sondern einfach nur in der letzten Reihe sitzen und beobachten konnte. Sara saß neben Nils, einem hochgeschossenen Schlaks mit mausbraunen Haaren und einer riesigen Nerd-Brille. Nils hatte als einziger in der Klasse ein Tabloid dabei und hatte es schon angeworfen, während Sara und die dicke Alice noch nach Block und Stiften kramten und dabei fast mit den Köpfen aneinander stießen. Neben Alice saß ein etwas schlankeres Mädel mit blonder Lockenfrisur, die mich eindeutig an Miss Piggy erinnerte.
Ich biss mir auf die Unterlippe. Ging das schon wieder los? Ich konnte es nicht lassen, wenn ich Zeit hatte, andere Leute zu beobachten und zu kategorisieren. Judy meinte immer, es gäbe niemanden, mit dem man besser ablästern konnte als mit mir. Aber Judy war ja nicht da. Ich nahm mir vor, ihr heute Nachmittag gleich wieder zu mailen. Gemeinerweise hieß Miss Piggy auch noch Molly. Das Leben ist schon fies. Ich schaute mich weiter um. Vorbei an ein paar eher langweilig aussehenden Mädels und Jungs blieb mein Blick an einen Mädel hängen, das irgendwie gar nicht in einen Mathekurs zu passen schien. Sie hätte in jedem amerikanischen College-Film die Schöne spielen können. Christopher raunte mir zu: „Guck weiter, Sandy ist eine Zicke, wie sie im Buche steht…“ und ich fühlte mich ertappt. Ich schaute weiter zur Tür zu dem Jungen neben Sandy, der in jedem Film den Schönling hätte spielen können und es war mir sofort klar, dass die beiden zusammengehörten. Er hieß Boris und meldete sich gerade, um Herrn Heitmanns Frage zu beantworten, die ich überhaupt nicht mitbekommen hatte. Peinlich! Ich versuchte mich wieder auf den Unterricht zu konzentrieren, als mir schon wieder von links ein Zettel zugeschoben wurde: „Noch sauer?“ Ich schüttelte den Kopf, woraufhin Herr Heitmann auf mich aufmerksam wurde und fragte: „Sind Sie nicht der Meinung wie Boris?“ OH, was sollte ich jetzt sagen? Ich hatte weder die Frage noch die Antwort mitbekommen und starrte ihn nur entsetzt an. Logischerweise wurde ich rot weil diesmal alle mich anstarrten. Ein plötzlicher Schmerz an meinem linken Fuß ließ mich erneut zusammenzucken und ich schaute entrüstet nach links, wo Chris gerade in seinen Block schrieb: „DOCH!“
„Doch“, war das Einzige, was ich raus brachte und ich sah, wie Sara in sich zusammenfiel.
„Das sollten Sie auch, denn seine Antwort war 100% richtig, Frau …?“
„Dechamps- ich heiße Lille Dechamps.“
„Ah, die neue Schülerin. Willkommen in Mathe.“
Na klasse, das hatte ich ja hervorragend hinbekommen. Super Aktion Lille! Ich bemühte mich, den Rest der Stunde nicht nach links oder rechts zu gucken und nachdem zwei Zettel zu mir rüber gewandert kamen, schob ich sie demonstrativ unter meinen Block und schrieb: „NACHHER“ über die Seite, so dass Christopher, bei normaler Sehstärke, wusste woran er war. Puh, wie peinlich.
Christopher
„Einfach süß, wenn sie rot wird“, war alles was mir dazu einfiel. Ich grübelte, wie ich sie dazu bekommen konnte, mich wieder anzusehen, denn sie schaute jetzt demonstrativ und hochkonzentriert nach vorne. Dabei war Heitmanns Show heute alles andere als spannend. Er liebte es, gleich voll in die Materie einzudringen und erst mal auszusortieren, wer ein mathematisches Genie war (Nils und der eine oder andere), wer ein solides Grundwissen mitbrachte und wer ein absolut hoffnungsloser Fall war. So stand die Endnote schon am Ende der ersten Stunde fest, und es erleichterte ihm den Unterricht enorm. Er konnte also immer die richtigen Schüler fragen und der Rest konnte in gnädiger Agonie verharren. Es ersparte uns und ihm einigen Ärger, auch wenn teilweise doch ziemlich unfaire Noten dabei herauskamen. „Hey, wenn sie mich gefragt hätten, hätte ich ihnen beweisen können, dass ich es auch wusste“, galt bei ihm nicht als Argument, denn seiner Meinung nach hatten wir eine „Bringschuld“. Die Klausuren waren eh nur was für Cracks und man konnte froh sein, etwas mehr als 50% zu schaffen, um zu bestehen. Im letzten Jahr hatte ich mitbekommen, wie Sara immer kurz vor den Klausuren mit panikerstickter Stimme bei Nils um Nachhilfe bettelte, der sich das gut bezahlen ließ. Mich zu fragen, hätte sie nichts gekostet, aber auf die Idee kam sie gar nicht erst.