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Wie war dein Tag?“, rufe ich Jo vom Sofa im Wohnzimmer aus zu.

„Ganz gut, nichts Dramatisches “, höre ich ihn antworten.

Soeben habe ich, einem plötzlichen Bedürfnis nach Wärme folgend, ein Feuer im Kamin angezündet, dessen Flammen über das Eschenholz zu züngeln beginnen. Obwohl es noch nicht ganz fünf Uhr nachmittags ist, herrscht draußen eine Dunkelheit, die weder von Straßenlampen noch Mond oder Sternen durchbrochen wird.

Diese Jahreszeit ist für mich hier am schwersten zu ertragen. In einer Stadt wird der Winterhimmel nachts wenigstens künstlich erhellt. Hier herrschen in bedeckten Winternächten absolute Stille und bodenlose Schwärze. Manche Gäste beklagen sich über die ihnen unheimliche Ruhe, wegen der sie nicht schlafen können. Vielleicht, weil sie hier nichts von ihren eigenen Geräuschen und Gedanken ablenkt.

Jo sitzt nebenan in seinem Büro vor dem Computer und schreibt vermutlich Patientenberichte. Als er etwas Unverständliches murmelt, gehe ich zu ihm hinüber, trete hinter ihn, massiere erst seinen Kopf und streiche dann über seine Stirnfalten, bis sie sich glätten. Das wirkt immer. Er lehnt sich auf seinem Stuhl zurück, schließt die Augen, seufzt leise und lässt mich gewähren. Ein Lächeln entspannt sein Gesicht.

„Dem Schwan geht es etwas besser“, murmelt er. “Der Arme hatte einen Köder samt Nylonschnur verschluckt. Was Angler so alles liegenlassen, zum Kotzen!“

Sanft massiere ich nun Schläfen und Ohrmuscheln, seine sensibelsten Stellen am Kopf.

„Wie schön, dass du ihm helfen konntest.“ Ich küsse seine Wange, ganz in der Nähe des Ohres. Hier duftet es so sehr nach ihm. Tief atme ich den Geruch ein. Einen Augenblick lang schließe ich die Augen, dann hocke ich mich vor ihn, lege die Hände auf seine Oberschenkel und betrachte sein Gesicht. Er lächelt mich an, in seinen Augen schimmert Zärtlichkeit.

„Ich habe so viel an Julia denken müssen“, sage ich. „Es ist unfassbar, dass sie tot sein soll!“

„Es geht mir auch unter die Haut“, murmelt er. „Schreckliche Geschichte. Aber was können wir tun? Wie gut, dass wir uns haben. Was wäre ich ohne dich? Ich liebe dich. Du bist alles, was ich brauche.“

Vielleicht ist jetzt der Moment, in dem ich es ihm sagen kann, ohne dass er aufbraust. Ich zögere. Er schaut mich fragend an.

„Und du? Liebst du mich noch? Oder bereust du manchmal, dass wir nun zusammen leben?“

„Wie kannst du so etwas überhaupt denken. Ich liebe dich über alles in der Welt“, sage ich.

„Aber ...?“

Natürlich spürt er, dass da noch etwas ist. Ich stehe auf, stelle mich wieder hinter ihn und lege die Hände auf seine Schultern.

„Kein aber, Jo. Es ist nur ... Du wirst die nächsten paar Tage ohne mich zurechtkommen müssen. Ich habe nämlich für morgen ein Flugticket nach München gebucht. Kannst du tagsüber die Hunde mit hinüber in die Arche nehmen? Für die Gäste ist gesorgt. Christine kommt zum Frühstückmachen und Aufräumen.“

Langsam wendet er sich zu mir um. Seine grünen Augen blitzen vor Zorn.

„Was heißt das, du hast gebucht? Einfach so? Findest du nicht, wir müssten das erst einmal miteinander besprechen? Oder meinst du, das alles geht mich nichts an? Du hast ja nicht mal gefragt, ob ich dich begleiten möchte! Aber – nein danke, ich bleibe lieber hier.“

Ich trete einen Schritt zurück und mustere ihn kühl. Meine zärtlichen Gefühle sind verflogen.

„Siehst du, ich wusste doch, wie du reagieren würdest. Deshalb habe ich allein entschieden. Tut mir leid. Ich werde morgen fliegen. Ich muss hinfahren!“

Er schüttelt den Kopf, bedenkt mich mit einem fassungslosen Blick und wendet sich dann wieder dem Bildschirm zu. Sein Rücken bildet jetzt eine schroffe, abweisende Wand, doch ich stelle befriedigt fest, dass sein Ärger mich nicht einschüchtert. Er beginnt, wie wild auf die Tastatur einzuhämmern. Es klingt zornig und verzweifelt. Ich presse die Lippen zusammen, warte noch einen Moment, dann verlasse ich leise den Raum.

Im Kamin lege ich ein paar Holzscheite nach. Flammen schießen hoch. Die beiden Hunde folgen mir wie Schatten in den benachbarten Raum, die Bibliothek, die das Feuer angenehm erwärmt hat.

All dies hat mir Mira, meine großzügige Freundin, vermacht. Haus, Garten, Bibliothek. Wie sehr ich sie immer noch vermisse. Die Jahre, die ich bei ihr gelebt und mit ihr gearbeitet habe, sind die wichtigsten und erfülltesten meines Lebens gewesen. Wie man so schön sagt: Es war ein Privileg, sie gekannt zu haben. So abgedroschen das klingt, so ehrlich meine ich es. Und weil mir wegen Julia ohnehin schwer um’s Herz ist, treten mir jetzt bei dem Gedanken an Miras Tod vor fünf Jahren Tränen in die Augen.

Die Bibliothek ist der einzige Raum in unserem Haus, in dem ich, ähnlich wie in einer Kirche, so etwas wie Ehrfurcht empfinde. Dies ist mein Raum. Ich liebe die alten breiten Eichendielen, die leise unter meinen Schritten knarren, bis ich den abgewetzten persischen Teppich erreiche, der alle Geräusche dämpft. Dort befindet sich mein Arbeitsplatz, an dem ich zu Miras Lebzeiten unzählige Stunden mit ihr gesessen und über unsere Reisen gesprochen habe. Hier diskutierten wir über botanische Themen und Forschungsergebnisse und überlegten, welche Illustrationen für Miras Veröffentlichungen geeignet sein würden. Hier planten wir den neuen Garten in Elmhill, in dem wir Medizinkräuter züchten würden.

Ich setze mich an den glänzend polierten, etwas wackeligen Tisch aus Mahagonyholz. Wenn nötig, lässt er sich weiter ausziehen. Dann füllt er die ganze Breite des Raumes. Auf ihm liegen Miras botanische Zeichnungen, Reisetagebücher und meine Notizen ausgebreitet. Zum Fenster hin steht mein Laptop, daneben die alte Schreibtischlampe mit dem schilffarbenen Glasschirm.

Unglaubliche Schätze füllen die hohen Bücherregale in diesem Raum. Hier befinden sich nicht nur die von Mira gesammelten Botanikbücher aus aller Welt, sondern auch alte medizinische Werke und Kunstbände, die sie von ihren Eltern und Vorfahren geerbt hat. Hier könnte ich Monate, wenn nicht Jahre verbringen, ohne mich je zu langweilen.

Bis spät in die Nacht übertrage ich Miras Notizen zu ihrem letzten Werk über peruanischen Schamanismus auf den Computer. Erinnerungen überfluten mich an unsere Nächte in einer Hütte im Regenwald, als ich mir unter dem Einfluss von Ayahuasca die Seele aus dem Leib gekotzt habe, während Mira von unvergleichlichen Rauscherlebnissen schwärmte. Irgendwann höre ich mit halbem Ohr, wie Jo auf seinem Flügel Schumanns „Waldszenen“ spielt. Die Musik schleicht sich in mich hinein wie ein warmer Cognac. Später geht er nach oben, erst ins Bad, dann ins Schlafzimmer. Entgegen seiner Gewohnheit fragt er mich nicht, ob ich auch ins Bett komme.

Kalte Schatten

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