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Noch zu Hause in Gettlingen

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Oh nein! Warum müssen wir ausgerechnet heute schon wieder mal einen dieser gräßlich kalten Wintermorgen haben? Leider muß ich aber genau dieses schon beim Augenaufschlagen oder besser beim Augenliderhochklappversuch an den leicht weißlich bemehlten Ästen meiner Birke vor dem Schlafzimmerfenster feststellen. Ein noch immer ziemlich getrübter Blick meiner alten Augen weiter nach oben, Richtung Himmel, bestätigt mein Unbehagen:

„Alles dunkel und wolkenverhangen!“

Also bleibt eigentlich nur eines und das kann ich mir gerade jetzt so gar nicht leisten, nämlich die Decke über den Kopf ziehen und im Bett bleiben!

Dummerweise habe ich Lausi, meinem etwas zu groß geratenen Sohn, versprochen seinen Telefondienst ausgerechnet heute morgen zu übernehmen, da er einen Termin außer Haus hat, und seine Bürohilfe, passend dazu, dann einen Arzttermin haben muß!

Was tut man als Mutter nicht alles, auch für einen bereits erwachsenen, aber ganz brauchbaren und manchmal auch sehr liebenswürdigen Nachwuchs?

Lausi, eigentlich Ladislaus, wohnt und arbeitet derzeit tatsächlich noch bei uns in unserem Hause in Gettlingen, einem Vorort von einer größeren Kreisstadt in der Nähe von „Stutengarten“. Er hat dort im Erdgeschoß ein Büro für die rechtlichen Fragen des täglichen Daseins.

„Uns“ bezeichnet meinen so gut wie nie, weder geistig noch körperlich anwesenden Nochehemann Johann Weckerle, genannt Wecki und mich, die Frührentnerin Elsbeth, wobei dieser Name jedoch nur in meinem Paß steht. Gerufen und allseits bekannt bin ich seit meinen längst vergangenen Schulzeiten nur als Elli.

Aber auch diesen Namen finden viele der Nichteinheimischen vor allem heute noch als nicht zeitgemäß und natürlich zudem als so gar nicht passend. Johann und Ladislaus, genannt Lausi, genauso wie unser Nachname Weckerle, sind tiefschwäbisch und alle diese Namen wurden uns eben von unseren Vorfahren vermacht.

Nur weil wir nicht in der absoluten Öffentlichkeit stehen, glaubt man immer wieder unsere Namen als veraltet oder unpassend hinstellen zu dürfen. Dabei läßt sich keiner dieser „Neuzeitlichen Alleswissenden“ darüber aus, daß auch Namen wie Helmut, Peer, Eckhard, Gerhard, Angelika, Roswitha, Barbara, Heidelinde und viele weitere, dann ebenfalls nicht so überaus moderne, wohlklingende Namen sind wie natürlich Torben, Sören, Finn, Adine, Novalee, Mia, Zoey und ähnliche!

Dasselbe gilt wohl auch für politisch bekannte Nachnamen wie Schwaetzer, Schnarrenberger, Piepenkötter, Wurmeling oder Karrenbauer. Die alle ändern wohl kaum oder nur ganz selten ihre Namen und so halten wir es eben auch.

Doch jetzt versuche ich zuerst einmal, nach einem weiteren Blick auf die Uhr, mich so schnell es geht aus meinem Bett herauszuarbeiten. Arbeiten deshalb, weil ich nach der leider krankheitsbedingten, verordneten Anzahl einer Menge, von für mich unverträglichen Tabletten, alle meine Knochen und sonstiges noch deutlicher spüre, als es eigentlich in meinem Alter üblich ist.

Da Wecki und ich seit langem getrennte Schlafzimmer haben, es gab dazu vielerlei Gründe, kann ich mich ungestört daranmachen, zuerst einmal eine kurze, aber intensive Morgentoilette einschließlich Dusche, den dazugehörigen Reinigungs- und Deomitteln und viel Farbe einzulegen, um dann in der Küche ein Kleinfrühstück für Lausi und mich vorzubereiten.

Wecki nimmt nämlich seit seiner Pensionierung aus wichtigen Schönheits-, Gesundheits- und sonstigen unverständlichen Gründen kaum mehr an einem gemeinsamen, wie früher üblichen Frühstück am Eßtisch in unserem Wohnzimmer, teil. Dies ist uns derzeit auch beinahe lieber, denn seinen neuen, angeblich „gesunden“ Frühstücksgewohnheiten kann man eigentlich nicht einmal zusehen, ohne daß einem dabei übel wird.

Seit diesen, seinen wichtigen, eben neu erworbenen Schönheits- und Gesundheitsvorstellungen, geprägt durch sich gut bezahlen lassende Firmen aller Art, ernährt er sich morgens nur noch mit so was wie Joghurt, Ziegenmilch, Sojaartikeln, verschiedenen Körnern, getrockneten oder „frischen“ Früchten aus dem biologisch fernen Ausland, Haferflocken, Nüssen und natürlich den üblichen verschiedenen Frühstücksflocken. Das „natürliche Aroma“ lebe hoch!

Dazu gibt es Kaffee, selbstgesammelten Alpentee, Honig und verschiedene Tabletten zu den unterschiedlichsten Verlust-Ergänzungen, welcher Art auch immer. Für den allerwichtigsten Verlust, es sei jedermann freigestellt zu beurteilen, was wohl darunter fallen könnte, gibt es aber leider derzeit noch keine probaten Aufbau-, Ersatz- oder Ergänzungsmittel weder im Handel noch in der freien Natur!

Nach Auskunft vieler selbsternannter Gesundheitsgurus, deren Wissen sich Wecki angeeignet und verinnerlicht hat, sollen wenigstens bestimmte Lebensmittel, teure Kuren und Fastenveranstaltungen aller Art, den Körper bei der Entschlackung und Entgiftung unterstützen.

Irgendwo mußte ich da wohl etwas in meinem ehemaligen Biologieunterricht versäumt haben oder ich habe wie üblich nicht aufgepaßt. Denn die einzige Form der Schlacke, von der ich weiß, entsteht beim Verbrennen sowohl in heimischen Öfen wie auch in industriellen Hochöfen und die entsorgt man entweder im Mülleimer, als Rohstoff im Garten oder sie dient als Grundlage für verschiedene Baustoffe, wie Hüttensand, Hochofenzement und vieles andere.

Muß ich das Entsorgen eventuell mit Wecki oder seinen Überresten in Zukunft auch noch selbst erledigen? Höchstwahrscheinlich bleibt genau dies mir aber erspart, denn wenn er noch dünner und knochiger wird, zerfällt er ganz von alleine und wenn ich Glück habe, weht dann ein etwas stärkerer Wind!

Auch beim Entgiften habe ich scheinbar enorme Wissenslücken, denn bei mir, in meinem Körper, sind im biologischen Normalgebrauch die Nieren, die Leber und weitere „innere Gänge“ dazu da. Der Körper entgiftet sich im Normalfall selbst und wenn nicht, ist man tot! Vielleicht irre ich mich auch wie üblich oder habe, wie sehr häufig behauptet wird, einfach keine Ahnung von Nichts und es gibt dazu doch vieles was man teuer kaufen kann und dann glücklich damit entgiftet!

Schade ist nur, daß leider aber gar nichts davon den Körper tatsächlich verjüngt, verschönt oder nachweislich, wie häufig mit bloßem Auge zu erkennen, gesund und länger am Leben hält!

Die Zubereitung und das angeblich optisch schöne Anrichten nicht nur von Weckis morgendlichen Mahlzeiten dauert ewig und wird auch noch bei Tisch, natürlich nur an unserem zu Hause, mit einer Anzahl an Salzen, Ölen, Pfeffern und zusätzlichen Ingredienzien aus dem weltweiten Pestizidanbau und der menschlichen Sklavenarbeit weiter „verfeinert“! Es ist wahrlich ein echter Genuß da zusehen zu dürfen!

Nachdem Lausi und ich mehrmals einige, anscheinend unsittliche Bemerkungen dazu haben fallen lassen, hatte Wecki beleidigt, wenigstens sein Frühstück in sein Büro vor den PC verlegt und sieht sich nun dabei die diversen wichtigen und aufklärerisch informativen Sendungen des Morgens im deutschen Hausfrauenfernsehen an.

Wir beide, Lausi und ich, können dagegen nun in aller Ruhe ein oder zwei Scheiben eines guten Körnerbrotes, mit Butter, Schinken und Käse belegt, zu uns nehmen und dabei so was wie unseren Tagesablauf festlegen.

Lausi, heute bereits fertig gerichtet, auf neudeutsch durchgestylt, und bis auf seinen Sakko perfekt angezogen, will sich nicht lange zu mir an den Tisch setzen. Er hat mir aber bereits die Großregionale Zeitung aus dem Briefkasten geholt, damit ich mich in seiner Abwesenheit, neben dem Telefon, nicht gar so rentnermäßig und total überfordert langweile.

Kurz legen wir noch etwaige Weitergaben von telefonischen Wichtigkeiten an sein Handy fest, genauso wichtig, wie ein vielleicht doch gemeinsames Mittagessen, das natürlich ich, wer auch sonst, zuzubereiten habe.

Dumm ist nur, wenn ich derartigen Ersatztelefondienst zu tätigen habe, wie bringe ich etwas tatsächlich Eßbares auf den Tisch, wenn nichts im Hause ist, und ich aus obigen, also telefonischen Gründen nicht einkaufen gehen kann? Irgend etwas wird sich schon machen lassen und wenn ich die TK-Truhe im Keller auseinandernehmen muß!

Wir genießen nun ungetrübt, wenn auch sehr kurz, gemeinsam unser Frühstück, bis sich Lausi, nach einem Blick auf die Kirchturmuhr gegenüber unserem Eßzimmerfenster, rasch fertigmacht und mit dem Minitablett-PC bewaffnet aus dem Haus Richtung S-Bahn stürmt. Er verzichtet aus vielerlei Gründen wenn es geht auf das Auto!

Hoffentlich hat er außer seinem Gehirn auch noch so einige Dinge des täglichen Gebrauchs dabei, die er vielleicht doch dringend benötigt. Aber da hoffe ich, daß er in seinem jugendlichen Alter mehrere Dinge doch gleichzeitig auf die Reihe bekommt und bei ihm noch nicht der frühe Alzheimer, wie bereits bei mir, zugeschlagen hat.

Irgendwie beruhigt lehne ich mich etwas zurück und schlage die Zeitung auf. Ein Blick auf die erste Seite hätte eigentlich genügt, um mir schon mal wieder den ganzen Tag zu verderben. Außer einem reizenden Bild unserer Oberpolitikerin, die gerade, laut Großüberschrift darüber, unser Geld weiterhin rundherum verteilt und dazu zusätzliche Sparmaßnahmen von uns normalen Bürgern fordert, fällt als weiterer Artikel nur das Drama um S-21 ins Auge.

Dabei kann man sich nur noch fragen, wie sich vermeintlich halbwegs denkende Menschen so einen absoluten Murks wie diesen angeblichen Superbahnhof unter der seit ewigen Zeiten bekanntermaßen problematischen Stuttgarter Erde haben ausdenken können und diesen Schwachsinn mit aller Gewalt immer noch haben wollen, obwohl feststeht, daß er weder den Bahnreisenden Vorteile bringt, noch perfekt geplant ist und schon gar nicht in das Bild von Stuttgart paßt.

Heute, in Zeiten absolut leerer Kassen und massenweiser mehr als irrer Katastrophenbauwerke, auch rund um und in Stuttgart werden es immer mehr, sollen sich nun viele andere, tatsächlich denkende Menschen eine derartige wirtschaftliche und geistige Fehlplanung gefallen lassen.

Man bedenke, ein architektonisches Kulturbauwerk in Stuttgart, ein einwandfrei funktionierender Kopfbahnhof mit hervorragender Leistung, nur ewig lange nicht renoviert, deshalb auch nicht sehr schön anzusehen, wird einfach zerstört.

Unter dem Deckmantel der weiteren Stadtentwicklung, die nur dem Geldbeutel einiger weniger Milliardärsfamilien dient, wird nicht nur das restliche Umfeld um den Bahnhof herum optisch total verschandelt werden, sondern ganz Stuttgart wird daran langsam aber sicher kaputtgehen.

Wenn keinerlei Verkehr mehr nach Stuttgart kommt, schon jetzt ist das Stauaufkommen von allen deutschen Städten hier am höchsten, der Nah- und Fernverkehr ebenfalls im Stau versinkt oder weit herumgeleitet wird, ist der Niedergang vorprogrammiert!

Dank einem zusätzlichen neuen ICE-Bahnhof an unserem Flughafen wird es Stuttgart bald so ergehen wie Frankfurt, denn es werden höchstens noch die Hälfte der ICEs an diesem neuen Hauptbahnhof der Innenstadt halten. Als Bahnfahrender muß man also, will man die gleiche Flexibilität wie zuvor haben, künftig zuerst einmal zum Flughafen fahren. Nur hat Stuttgart einen kleinen aber ganz klaren Nachteil zu Frankfurt:

Die Fahrt mit der S-Bahn zum Flughafen dauert bei uns eben ewig!

Dieser gesamte Schwachsinn soll großenteils hauptsächlich auch noch mit unseren Steuergeldern finanziert werden. Der nicht geplante und verplante und nicht überall genehmigte Bau, es handelt sich dabei nicht allein um das Bahnhofsgebäude selbst, wird vor allem auf dem Rücken der ihn finanzieren müssenden Bevölkerung ausgetragen, die auf die verschiedenen Bahnen im und unter dem Hauptbahnhof tagtäglich angewiesen ist.

Ganz abartig ist nur, leider ist dies durch Falschinformation dem normalen Bürger vorenthalten worden, daß dieser Bahnverkehr bis zu den ersten sogenannten Baumaßnahmen auch hervorragend funktioniert hat.

Am Ärgerlichsten ist jedoch, daß diejenigen, die noch nie mit irgendwelchen Bahnen gefahren oder auch nur einmal in Stuttgart gewesen sind, über dieses Projekt entscheiden und entschieden haben.

Es ist kaum anzunehmen, daß sowohl unsere Bundeskanzlerin, geschweige denn die zuständigen Ministerinnen und Minister oder gar die Aufsichtsräte und Manager der Bahn oder gar die Beamten und Architekten dieses Projekts, sicher auch nicht die Heerscharen der Lobbyisten, jemals die bisherigen Schienenverkehrsmittel in und rund um Stuttgart getestet oder vielmehr intensiv genutzt haben und nutzen müssen.

Diese Herrschaften, die meisten davon versehen mit kostenloser, auch aus Steuergeldern finanzierter Limousine und Chauffeur, würden sich doch nie, wie der gemeine Steuerzahler und echte Stuttgarter, so etwas plebejisches, wie Bahn- oder S-Bahnfahren antun. Alleine schon deshalb sollten sie dazu auch keinerlei Mitsprache oder gar Entscheidungsgewalt haben. Diese sollte alleine den kundigen Bahnreisenden und den nicht nur ortskundigen Gegnern von S-21 vorbehalten sein!

Da heute schon, kurz nach dem Baubeginn, verkehrsmäßig so gut wie nichts mehr funktioniert, wird nach vorhersehbaren weiteren Katastrophen, es gab schon zu viele, vermutlich gar nichts mehr in und rund um Stuttgart funktionieren!

Macht nichts, unsere Steuergelder sind hervorragend verschwendet! Es lebe die Vetterleswirtschaft, die Korruption und der Lobbyismus!

Vielleicht brauchen auch wir in Stuttgart, bald ähnlich dem hervorragend und bestens durchgeplanten Hauptstadtflughafen, noch einmal dessen fähigen und kompetenten Manager zurück, der in der Erzielung roter Zahlen eine hervorragende Kompetenz besitzt und diese sogar mit ausreichend vielen Referenzen belegen kann.

Aber auch der Blick auf die Überschriften im inneren Politik- und Wirtschaftsteil kann mich nicht animieren, tatsächlich mehr als die abschreckenden Großbuchstaben anzusehen. Also weiter zu den heimischen und weltumschreitenden Nachrichten des täglichen Daseins, die manchmal sowohl erheiternd wie auch informativ sein können oder sein sollten.

Heute fällt mir ein Artikel ins Auge, den ich schon wegen der Überschrift

„Vermißt bei einer Kreuzfahrt“

dann doch genauer lese.

Lausi und ich haben für das nächste Jahr tatsächlich eine Kreuzfahrt auf einem Kreuzfahrtschiff gebucht. Es ist das erste Mal, daß wir eine derartige Reise machen und wir sind sehr gespannt darauf, was uns dabei erwartet!

Wecki hat eine solchige Reise abgelehnt, wie er seit langem vieles, das wir schätzen, ablehnt. Er hat angeblich besseres, vor allem sogenanntes abenteuerlicheres, vor. Das bedeutet für ihn, so etwas wie wandern, laufen, tauchen oder noch besser, so was wie Berge besteigen und dabei Hungern. Man nennt das Fastenwandern und alles ist so schrecklich gesund, wichtig für die Schönheit und für das Rentnerego.

Seine gesamten neuen Ambitionen sind für mich ziemlich unklar und gewiß nicht das, was ich mir in meinem Alter unter Urlaub vorstelle. Betrachtet man heute einmal das sogenannte „richtige Wandern“ ebenso wie das Tauchen, dann ufert das meist in Massenaufläufe von großenteils unbefriedigten, sich ständig selbst beweisenden Rentnern aus. Je mehr Leute man mit so etwas ködert, um so teurer wird der Spaß und der kostet dann beinahe genauso viel wie eine Kreuzfahrt oder eine Studienreise. Die Veranstalter wissen schließlich wo und womit man das Geld holen kann.

Wenn ich mir das Geld zusammengespart habe, es mir also gerade leisten kann, schätze ich heute das etwas bequemere Reisen. Ich liebe organisierte Reisen in für mich unbekannte Gegenden, denn die sind meist wenigstens etwas komfortabler und oft sogar noch informativer. Ich mag es, häufig unterwegs zu sein, andere Kulturen, Menschen und Länder kennenzulernen.

Heute schätze ich es gar nicht mehr, immer dasselbe Ziel zu bereisen, weil es da so schön ist, ich mich erholen kann oder weil ich mich da auskenne. Derartige Urlaube macht oder muß man machen, wenn man Kinder hat oder Fun, Events und Action braucht. Das alles kann ich eigentlich auch zu Hause haben, nur billiger! Da kommt eben auch die Schwäbin bei mir durch.

Aber ich bin abgeschweift!

Der Zeitungsartikel handelt von einem älteren Herrn, der bei einer angeblich sehr exklusiven Kreuzfahrt mit einem noch exklusiveren Schiff, was auch immer das ist oder was man dafür hält, einfach verschwunden ist. Da der Mann nach dem letzten Landgang zwar wieder an Bord gekommen war, vermutete man, da das ganze Schiff gründlich durchsucht worden war, daß er, obwohl keinerlei Seegang geherrscht hatte, über Bord gefallen war.

Man hatte sogar das Schiff gestoppt, wie auch immer das bei einem Kreuzfahrtschiff so geht und hatte mit Scheinwerfern bis in die Nacht hinein alles versucht, den schon etwas betagteren Herrn zu finden. Man muß deshalb davon ausgehen, daß er tot ist!

„Na ja“,

dachte ich,

„so was kann uns nicht passieren, denn wir sind ja durch unsere vielen Tauchreisen, auf auch recht kleinen Schiffen, so einiges gewohnt und deshalb recht seefest, wenn ich selbst auch ohne passende Medikamente immer noch schnell seekrank werde.“

Von seekrank stand aber nichts in dem Artikel über den älteren Herren und älter kann ja ebenso eine sehr weitreichende Bezeichnung sein. Manche Menschen sind schon alt wenn sie auf die Welt kommen und das verwächst sich dann bei denen auch nicht!

Herr Mahr, der Besitzer des Reisebüros in der nahen Reichsstadt, bei dem wir, seit Karle Haug (siehe: Tatort Malaysia) sich wegen des Todes seines Sohnes und der Anklage seiner Schwiegertochter wegen Mordes in Malaysia immer mehr zurückgezogen und schließlich alles übergeben hat, weiterhin unsere Reisen buchen, hatte nämlich aus eigener Erfahrung heraus versichert, daß das von uns gebuchte Kreuzfahrtschiff extrem sicher und rundum nur gut ist.

Deshalb mache ich mich nun daran, den neuesten Klatsch aus unserem Ortsteil in der Zeitung zu studieren. Anschließend versuche ich mich eben doch noch nebenbei an dem, was so reizende Männer wie Wecki als das „Bißchen Haushalt“ bezeichnen.

„Bißchen“ bei ihm vor allem deshalb, weil ich nicht den ganzen lieben langen Tag vor dem Herd stehe oder, mit Putzeimer und Staubsauger bewaffnet, mindestens acht Stunden eifrig oder diesiges wenigstens vorgebend, beziehungsweise so tun als ob, durch unser Haus renne.

Ich, Elli, wage es doch tatsächlich einfach sehr häufig, oft sogar jeden Tag, nach meiner recht gut organisierten und von mir selbst immer noch durchgeführten schnellen Haus- und sogenannter Gartenarbeit, ganz gerne dazusitzen und ein Buch zu lesen.

Immer wieder gönne ich es mir sogar, eine meiner sogenannten „geistlosen“ Sendungen in „meinem“ Fernseher anzusehen, statt die dringend benötigte, und angeblich bei den Schwaben oder sonstigen Einheimischen angesagt nötige, übliche, achttägige Naßreinigung aller Fenster durchzuführen. Auch den Gehsteig vor unserem Haus einschließlich „dem Kandl“ (Abwasserrinne zwischen Straße und Gehweg) reinige ich nicht jeden Samstag, sondern dann, wenn Bedarf besteht!

Das bedeutet weiterhin natürlich auch, daß ich nicht bereit bin, mit Wecki für so tolle Dinge wie irgendwelche Shows, mit oder ohne Volksmusik oder politisch geprägte, tendenzielle sonstige Wissenssendungen mit Talkcharakter meine Zeit zu vergeuden. Für gesponserte, gedopte und von Lobbyismus durchzogene Sportsendungen habe ich schon lange keinerlei Verständnis mehr.

Ich liebe meine Zeiten am PC, um mich über so alles Mögliche zu informieren, einzukaufen, meine Bankangelegenheiten zu tätigen oder einfach meine Ergüsse und Reiseerlebnisse niederzuschreiben.

Alle diese Dinge am PC zu erledigen habe ich im Laufe der Zeit schätzen gelernt, da Wecki früher kaum mit mir ausging und sei es nur zum Tanzen oder ins Theater.

Als dann unser Sohn Lausi auf der Welt war, hat er es dann sogar auch von jetzt auf nachher eingestellt, so was wie einen Stadtbummel am arbeitsfreien Samstag mit mir zu unternehmen oder an den Wochenenden einfach Zeit mit mir alleine zu verbringen.

Die Argumente für seine Verhinderung, besser Interessenlosigkeit, lauteten plötzlich dann ständig und immer wieder, er habe „Wichtiges“ zu arbeiten! Was auch immer das war, es war wichtiger als wir und ist es heute immer noch!

Wichtig ist für Männer, wenigstens für sehr viele dieser Spezies, also auch für Wecki, nur ihr Dasein und das was sie tun und was sie wollen! Je älter diese Spezies wird, um so sturer, egomanischer und unbelehrbarer werden diese Männer.

Das Paradebeispiel für mich ist dazu mein Ur-großvater. Der arbeitete tagtäglich noch mit weit über achtzig Jahren bei Wind und Wetter angeblich sehr gerne im Garten, was auch immer! Bestand das Bedürfnis oder wurde der Wunsch von jemand aus der Familie ausgesprochen, daß heute doch das Gras gemäht werden müsse und ob er das nicht übernehmen könne, so mußte er gerade dann Bäume schneiden, den Hühnerstall umbauen oder Kartoffeln ernten. Er konnte also auch nie das tun worum man ihn bat oder woran gerade Bedarf bestand.

Wollte er auf einen Baum, um Äste abzuschneiden, stellte ihm mein Großonkel, ein sehr friedfertiger Mann, dann meist sogar eine Leiter an den entsprechenden Baum. Nur irgendwann geschah es eben doch, mein Urgroßvater setzte sich auf einen Ast, ignorierte stur die Leiter und sägte eben genau diesen Ast ab.

Darüber kann man sich nun verschiedene Gedanken machen, in welche Richtung auch immer! Paßt jedoch eben auf viele Männer. Nur mein Urgroßvater hat das Astabsägen nicht überlebt!

Bei mir als alter Frau, ich kann nicht sagen daß ich weiser und ruhiger geworden bin, dazu kommt, daß ich, schon wegen meines Aussehens, faltig, dick und meist nicht ganz passend für mein Alter angezogen, nicht mehr gerne ausgehe. Das Ausgehen habe ich im Laufe der Zeit buchstäblich verlernt. Muß ich ausgehen oder mache ich es dennoch freiwillig, fühle ich mich dabei nicht mehr immer wohl.

Häufig ist es auch so, daß ich mit meiner zu direkten Art, mich über etwas auszulassen, nicht überall gut ankomme. Das kann mir auch passieren, wenn ich gar nichts von mir gebe, also allein durch meine Anwesenheit.

Seit einiger Zeit bin ich zusätzlich noch mit den Nachwirkungen einer nicht so netten Krankheit belastet. Das alles hält mich eben davon ab, diese heutigen ganzen wichtigen „Events“, genauso wie ein ständiges in den Lokalen Herumhängen, mitzumachen.

Lieber gönne ich mir ein-zweimal im Jahr eine Reise in ein Land oder in eine Gegend meiner Träume, als daß ich für viele kleine Alpträume viel Geld rauswerfe und meine nun immer kostbarer werdende Zeit vergeude. Ich bin also rundherum die perfekte Bilderbuch-Schwäbin!

Gerade als ich nach halbwegs getaner Vorarbeit und Warten auf das Aus meines telefonischen Dienstes noch schnell meine E-Mails ansehe, sticht mir eine besonders ins Auge, denn diese kommt vom anderen Ende der Welt von jemand, den ich beinahe vergessen habe, weil er sich fast nie oder nur recht selten auf meine Mails gemeldet hatte, von Hugo, unserem Führer und Fahrer bei unserer Tasmanienreise vor etwas über drei Jahren.

Hugo bittet mich darin, ihm mitzuteilen, ob ich gegen 21 Uhr unserer Zeit zu Hause bin und er mich dann anrufen kann. Er hätte etwas zu berichten, das auch uns einmal „betroffen“ hätte, es gehe um „Bunny“!

Bei diesem Namen klingeln alle Glöckchen in meinem Oberstübchen und ich antworte sogleich mit einem:

„Ich bin da und gespannt wie ein Regenschirm!“

Bunny war bisher das „Irrste“ was uns jemals auf einer Reise begegnet war und wir hatten ja eigentlich schon eine ganze Anzahl nicht nur irre sondern auch unglaubliche und ungewöhnliche Erlebnisse auf unseren Reisen durchgestanden. Nur Bunny war etwas ganz Besonderes gewesen, vor allem war es eine Begegnung ohne irgendeine Endinformation oder einen Abschluß. Alles war offen geblieben!

Bunny

Lausi hatte sich zu einem LLM Studium im englischsprachigen Raum beworben, um noch eine Zusatzqualifikation zum bereits kurz davor abgeschlossenen Studium und dem zweiten Staatsexamen zu erwerben. Die Zusagen dazu kamen recht schnell von einigen ausländischen Universitäten.

Australien war schon immer ein Wunschziel meines Sohnes und deshalb entschloß er sich, das Angebot der Uni in Melbourne anzunehmen, nicht nur wegen der angebotenen Fächer, sondern auch wegen des hervorragenden öffentlichen Nahverkehrs in dieser Metropole.

Da Wecki damals viel anderes zu tun hatte oder nicht, so bot ich Lausi an, mit ihm zu kommen, um einmal selbst das australische Dasein zu genießen und in der studienfreien Zeit mit ihm zusammen diesen hochinteressanten Kontinent zu erkunden. Lausi war damit einverstanden und so machten wir beide uns mit zwei Koffern auf, für beinahe ein ganzes Jahr ein total anderes Dasein kennenzulernen.

Man lebt in Australien, so wie wir es erlebt haben, ob man es glaubt oder nicht, wirklich ganz anders als bei uns. Das fängt mit dem Wohnen an, das macht man vielfach nur auf Zeit, das heißt man mietet nur für wenige Monate und hört mit den Dingen des täglichen Daseins, wie etwa dem Waschen in australischen Waschmaschinen immer noch nicht auf. Doch das ist jetzt nicht das Thema!

Lausi hatte über die Ostertage Ferien und so suchten wir für diese Zeit eine passende Reise. Wir fanden auch recht schnell ein Angebot, das uns zusagte, mit wenigen Teilnehmern, wobei zwei die untere Grenze bildeten.

Da der Anbieter die Reise auf deutsch und englisch anbot, wählten wir deutsch aus, da sich zu dieser Zeit mein Schulenglisch noch nicht dem einheimischen australischen oder „Aussie“- Dialekt besonders angepaßt hatte. Es sollte eine kurze Studienreise durch Tasmanien, einen Bundesstaat und die größte Insel Australiens werden, aber mit allen sehenswerten, wichtigen Punkten.

Von unserer Wohnung in Melbourne war es mit dem Bus nur ein Katzensprung zum Flughafen und von dort ein weiterer nach Hobart, der Hauptstadt in Tasmanien.

Schon im Flieger fiel uns ein älterer Herr auf, der einige Reihen vor uns kurze Zeit für ein Chaos und einen erheblichen Rückstau der Passagiere sorgte, weil er sich zwischen den Sitzreihen hin und her bewegte und immer wieder seine Tasche in ein anderes Fach oben in den Ablagen zu plazieren versuchte. Erst als sich eine Stewardeß durch den Passagierstau durchgearbeitet und den alten Herrn „hingesetzt“ hatte, löste sich die Schlange langsam auf.

Unser Kurzflug verlief ohne Probleme, ebenfalls die für uns recht ungewöhnliche Landung in Hobart, die kaum handbreit über dem Wasser erfolgt - so üblich!

Da der Flughafen insgesamt sehr übersichtlich ist, sahen wir auch gleich hinter der Türe zur Ankunftshalle einen gutaussehenden, mittelalten Mann stehen, der ein Schild mit unserem Namen hochhielt und sich als Hugo, ehemals in Ulm aufgewachsen, vorstellte.

Er begrüßte uns freundlich und meinte, wir sollen einfach unsere Koffer vom Band holen und am Ausgang, also gleich neben dem Band, stehen bleiben. Er erwarte noch einen weiteren Gast aus dieser Maschine.

Erst da fiel mir auf, daß noch ein weiterer Name auf dem Schild steht, aber in der Hektik, die in der sehr winzigen Halle herrschte, hatte ich das wohl übersehen und derzeit vergesse ich sowieso alles ganz schnell, vor allem Namen.

In dem Gedränge, das am Band herrschte war es nicht ganz einfach, sich unser Gepäck herauszupicken. Als wir endlich dann doch unsere beiden Taschen vom Band geholt hatten, suchten wir in der Menschenmenge Hugo, unseren Guide.

Er kam auch schon, mit den Händen winkend auf uns zu und erklärte, daß der weitere Gast zwar da sei, sein Gepäck aber nicht angekommen ist und er sich darum jetzt bei der Fluglinie drüben am Schalter kümmern müsse. Wir sollten bitte so lange hier stehen bleiben.

Beim Umherschauen fiel mir einer der recht teuren Hartschalenkoffer auf, der gerade zum dritten Male über das nun fast leere Band an uns vorbeifuhr. Weiter entfernt entdeckte ich neben Hugo, der am Schalter stand und wild gestikulierte, unseren Chaosherrn aus dem Flieger, der auf einem Stuhl gerade eine kleinere Reisetasche ausleerte und ziellos darin herumkramte.

Nach gut einer halben Stunde, der alte Herr kramte immer noch, oder besser zu x-ten Male in seiner Tasche, fuhr der Koffer nun nicht mehr herum und außer uns waren auch keine Passagiere mehr in der Halle.

Hugo kam wieder auf uns zu und meinte, der Koffer sei vielleicht doch unterwegs verloren gegangen, da der Herr, er deutet auf den älteren Mann, direkt von Deutschland aus hierhergeflogen sei.

Ich erwähnte jetzt nur kurz, den herrenlosen Koffer, der mehrere Male allein durch die Gegend gefahren war und beschrieb ihn. Hugo rannte wortlos davon und kurze Zeit später brachte eine Angestellte des Flughafens genau dieses Gepäckstück aus einem Nebenraum. Es war natürlich das nicht angekommene!

Der ältere Herr, wir gingen zusammen zum Bus, machte für mich alten Pädagogen einen mehr als nur leicht verwirrten Eindruck und als wir uns vor dem Einsteigen in Hugos Kleinbus endlich vorstellen konnten, blickte er nur unruhig hin und her und murmelte etwas von Bunny, wobei er auf seine Schildmütze deutete, auf der Bunny stand. Die Hasenohren, die daran festgenäht sind sagten fast alles!

Im Bus setzte sich „Herr Bunny“ sofort ganz nach hinten und als Hugo darum bat, uns anzuschnallen sah Bunny, so nannte ich ihn bereits, nur recht abwesend zum Fenster hinaus.

Da Hugo, wohl im Glauben alle sind angeschnallt losfuhr, so sah auch ich erst etwas später nach hinten und bemerkte, daß Bunny unangeschnallt irgendwie zwischen zwei Sitzen saß, vor sich hinmurmelte und scheinbar völlig „daneben“ war.

Ich bat ihn, sich doch anzuschnallen, aber das was er dann machte, hätte bei einem kurzen scharfen Bremsen genügt, ihn zu erdrosseln. Er hatte es tatsächlich geschafft, sich sogar zwei Gurte irgendwie mehrfach um den Körper zu wickeln und dann auch noch um den Hals.

Ich flüsterte Lausi, der vorne neben Hugo saß zu, diesen doch zu veranlassen, schnellstmöglich anzuhalten, damit ich den alten Herrn richtig anschnallen könne.

Bunny schien nicht nur übernächtigt zu sein, sondern auch noch geistig sehr weit weg. Er wollte sich von mir zuerst gar nicht helfen lassen, sondern beharrte stur auf seiner Anschnallung! Mit viel gutem Zureden, wie bei einem widerspenstigen Kind, gelang es mir schließlich, ihn aus dem Gurt zu befreien, auf einen Sitz zu setzen und ihn richtig anzuschnallen.

Im Hotel angekommen, bei der Zimmerverteilung, erfuhren wir dann den richtigen Namen von Bunny. Es handelte sich um einen Herrn Professor Doktor Hase, anscheinend einen ehemaligen Wissenschaftler.

Hugo war nun auch wie wir der Meinung, daß der alte Herr unter der Anstrengung der langen Reise leide und überredete ihn, auf seinem Zimmer zu bleiben und sich auszuschlafen. An der Rezeption hinterließ er noch entsprechende Anweisungen und dann brachte er ihn selbst auf sein Zimmer.

Lausi und ich gönnten uns noch kurz etwas zum Essen im Restaurant des Hotels bevor wir uns zu Bett begaben.

Am nächsten Morgen beim gemeinsamen Frühstück erkannte Dr. Hase uns zuerst nicht. Im Verlauf des Frühstücks wurde er aufgeschlossener und begann sich dann zunehmend ganz angeregt mit Hugo und auch mit uns über so alles Mögliche zu unterhalten. Immer wieder erzählte er lebhaft und witzig von seinen vielen Reisen in der ganzen Welt.

Anschließend gab es bei unserer ersten Ausfahrt zwar zuerst wieder das Anschnallproblem im Auto, aber ansonsten schien alles in Ordnung, bis wir auf einem Ausflugsboot, für eine längere Fahrt, zusätzliche warme, wasserdichte Jacken und Mäntel bekamen und diese anziehen sollten.

Bunny weigerte sich stur und starr, etwas Warmes anzuziehen. Seine Begründung dazu lautete: „Wir sind hier doch im Süden und da ist es warm, wozu diese Jacke?“

Erst jetzt fiel mir auf, daß er eigentlich nur eine dünne Sommerhose und ein leichtes Sommersakko trug, wobei auch ein Blick auf seine Schuhe mich Schlimmes erahnen ließ. Er trug offene Sandalen!

Zu dieser Jahreszeit geht es jedoch in Tasmanien auf den Winter zu und in einigen Höhenlagen hatte es, laut Wetterbericht vom Vorabend, bereits den ersten Schneefall gegeben.

Was tun? Während wir uns noch mit Hugo beratschlagten und erfuhren, daß Bunny nur Sommergarderobe in seinem Koffer hat, Hugo hatte ihm gestern noch beim Auspacken geholfen, versuchte der junge Schiffsführer Kontakt zu Bunny aufzubauen und ihm gelang es dann, daß er wenigstens einen der langen warmen Mäntel anzog. Er ließ sich von dem netten jungen Mann sogar auf einem Sitzplatz anschnallen, wo er recht geschützt saß und sich zudem in unser aller Blickfeld befand.

Immer wieder versuchte er jedoch, sich während der Fahrt loszumachen und aufzustehen. Da wir ihn aber alle im Auge hatten, gelang es immer wieder ihn zum Sitzenbleiben zu motivieren. Es war ein hartes Stück Arbeit und als wir das Schiff verließen, wünschte uns der Schiffskapitän mit einem schiefen Grinsen im Gesicht noch viel Vergnügen.

Bei Bunnys Verhalten ganz allgemein, gingen mir die Begriffe Ritalin und Hyperaktivität durch den Sinn, ein Gedanke an eine von mir sehr geschätzte ehemalige Mieterin!

Viel Vergnügen mit Bunny hatten wir auch weiterhin, denn beim anschließenden Mittagessen merkten wir zunehmend deutlicher, daß der alte Herr doch immer mal wieder geistige Aussetzer hatte. Mal brach er mitten in einem Satz ab und sah uns mit leerem Blick an oder er starrte plötzlich auf seinen Teller und murmelte vor sich hin, daß er das doch gar nicht bestellt habe und sowas nie essen würde, wobei er dann den Teller Hugo oder Lausi, die neben ihm saßen, zuschob.

Die beiden redeten dann beruhigend auf ihn ein und er aß weiter. Ganz bedenklich war dann vor allem seine Aussage auf dem Rückweg zum Minibus, wo er der Meinung war, eigentlich sähe es in der Südsee etwas anders aus, da gäbe es doch mehr Palmen!

Unterwegs im Bus, Bunny schlief tief und fest, von mir gut angeschnallt ganz hinten im Bus, besprachen wir drei nochmals das doch sehr sonderbare Verhalten des alten Herrn und das weitere Vorgehen.

Laut den Unterlagen von Hugo war er einiges über 85 Jahre alt, was aber nichts über die Fitneß eines Menschen heutzutage aussagt. Wir drei stimmten jedoch darin überein, daß sein Verhalten unserer Meinung nach eindeutig doch nicht auf die lange Reise zurückzuführen ist.

Hugo setzte uns am Hotel ab, brachte Bunny eigenhändig noch auf sein Zimmer und wollte sich anschließend mit seinem Agenturchef besprechen, was zu tun wäre.

Als er uns zum Abendessen abholte, erzählte er, daß zwischenzeitlich ein Arzt Bunny untersucht habe, der aber nichts Ungewöhnliches hatte entdecken können. Er selbst habe nun dafür gesorgt, daß man dem alten Herrn im Hotelrestaurant ein Abendessen serviere und ihn dann auf sein Zimmer bringen werde.

Die Agentur hier vor Ort versuche noch im Laufe der Nacht, andere Ortszeit bei uns, etwas von dem Reisebüro, über das Bunny hierhergekommen war, zu erfahren und werde ihn notfalls zurückschicken, denn diese Reise durch Tasmanien sollte schließlich nicht nur eine bequeme Busfahrt sein. Die im Prospekt für diese Reise angebotenen und vorgesehenen Besichtigungen und Wanderungen könne Bunny auf keinen Fall mitmachen.

Beim Frühstück am nächsten Morgen kam Hugo alleine auf uns zu und während er ebenfalls hungrig zugriff, erzählte er, daß ein Wachmann des Hotels Bunny während der Nacht gerade noch hatte festhalten können, als der mit seinem gepackten Koffer das Hotel verlassen wollte, um mit dem Schiff seine Reise fortzusetzen.

Man hatte ihn dann doch dazu bewegen können, seine Weiterreise auf den nächsten Tag zu verschieben, da während der Nacht kein Schiff ablegen würde und er doch eigentlich mit dem Flugzeug weiterreisen wolle.

Die Agentur würde sich jetzt darum kümmern, daß man Bunny nach Deutschland zurückschickt, wobei die Auskunft des Reisebüros, das Bunny diese Reise vermittelt hatte, leicht verworren geklungen habe.

Mein ganz persönlicher Eindruck damals war, und den habe ich auch meinen beiden mitreisenden Männern mitgeteilt, daß wohl die Erben des vielleicht doch vermögenden Bunny ihn auf diese Reise geschickt hatten, in der Hoffnung, er geht dabei irgendwie verloren!

Lausi und Hugo waren natürlich nicht nur leicht geschockt über eine derartige Vermutung meinerseits. So was paßt einfach nicht in die Denkweise von Männern im Allgemeinen!

Damit war eigentlich für uns das Thema Bunny abgeschlossen und Lausi und ich genossen mit Hugo, unserem Fahrer und Führer, nun ungetrübte Tage in Tasmanien. Da sonst keine weiteren Touristen dabei waren, auf die wir Rücksicht hätten nehmen müssen, waren wir in unserer Reiseeinteilung ganz frei und Hugo konnte uns das eine und andere so ganz nach seinen persönlichen Vorlieben zeigen.

Während der Reise kam zwischen uns nun ein recht freundschaftliches Verhältnis zustande, vor allem da auch noch klar war, daß wir doch eine Zeitlang in Melbourne wohnen werden und uns somit des öftern treffen können, weil Hugo auch noch eine Wohnung in unserer Nähe dort besitzt.

Leider verlief der Kontakt dann doch irgendwann recht schleppend, da Hugo kurz danach wegen Krankheit längere Zeit im Krankenhaus verbringen mußte und wir wegen der Krankheit meiner Mutter leider doch früher wieder zurück nach Deutschland fliegen mußten. Wir tauschten nur noch spärlich E-Mails aus, weil Hugo nach unserer Rückreise nach Deutschland einfach sehr viel als Guide unterwegs war, um seine Krankheitszeit zu kompensieren. Typisch Mann!

Ich berichtete ihm eigentlich immer nur, welche Reisen wir vorhaben und planen und er schickte dann entweder eine kurze Mail dazu oder eine Postkarte von irgendwoher. Eigentlich hatte Hugo immer wieder beteuert, daß er auch ganz gerne reise, vielleicht auch mit uns zusammen. Nur war es bisher nie dazu gekommen, vielleicht weil er schon ganz nett viel oder zu viel in der Welt herumgekommen war.

Von Bunny hatten wir nichts mehr erfahren oder gehört und nun das. Was gibt es jetzt, beinahe zwei Jahre später, dazu noch zu erzählen?

Ich bin gespannt und als ich Lausi beim recht späten Mittagessen davon erzähle, meint Wecki, der die Geschichte damals von uns gehört hatte, ganz lapidar, der Mann sei ja so alt gewesen und da wäre er wohl jetzt gestorben!

Lausi nickt zwar beipflichtend mit seinem Haupte, aber sicher wie meist, wenn er zwar beim Essen körperlich anwesend ist, ohne etwas mitbekommen zu haben, also mehr als nur sehr weit abwesend vom derzeitigen Geschehen.

Ich selbst kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, daß sich Hugo nach dieser langen Zeit nur wegen des Ablebens von Bunny per Mail und dann noch telefonisch bei uns melden würde. Da steckt sicher etwas ganz anderes dahinter, vielleicht sogar etwas noch Verrückteres als Bunnys Reise damals nach Tasmanien.

Am Abend warte ich also gespannt auf den Anruf und der kommt dann auch beinahe pünktlich um 21 Uhr. Das was mir Hugo dabei erzählt ist eigentlich kaum zu glauben.

Bunny ist wirklich tot. Weckis lapidare Aussage hat also zugetroffen, nur nicht wegen des Alters. Bunny, zwar mit einem Doktor- und einem Professorentitel ausgestattet, ist oder jetzt wohl richtiger war der Besitzer von einigen Kreuzfahrtschiffen und einer Reederei im hohen Norden von Deutschland gewesen. Die Reederei hatte er anscheinend schon vor einiger Zeit seinen Söhnen als Geschäftsführer übergeben, jedoch immer noch seine Hände überall mit im Spiel gehabt, vor allem bei den Schiffen.

Damals, als wir ihn in Tasmanien erlebt hatten, war seine Reise von einem zur Reederei gehörenden Reisebüro gebucht worden, das angeblich immer alle Reisen Bunnys organisiert hatte, denn Bunny war ständig unterwegs und kerngesund, so die Auskunft.

Man hatte damals zwar die Rückreise Bunnys nach Deutschland schließlich mit der Begründung akzeptiert, alles sei wohl etwas zu viel für den alten Herrn gewesen, der ja kurz zuvor noch eine lange Reise in der Arktis unternommen hätte!

Hugo berichtet, daß Bunny damals auch wieder gut in Deutschland angekommen war, was die Söhne bestätigt hätten. Die hätten sich angeblich nicht erklären können, was in Tasmanien uns allen an ihrem Vater als so sonderbar aufgefallen war. Dem alten Herrn gehe es wieder hervorragend und er arbeite natürlich, wie immer, in der Reederei und bei der Leitung der Schiffe mit. So nach dem Motto:

Ende gut, alles gut und am Besten vergessen wir alles!

Nun aber kommt der Hammer. Bunny war vermutlich jetzt wirklich tot, denn er war mit einem seiner Kreuzfahrtschiffe unterwegs gewesen und dann dabei spurlos verschwunden.

Ich kann das kaum fassen. Der Vermißte aus dem Artikel in der Zeitung heute morgen ist also Bunny!

Hugo erzählt nun, daß er den Bericht über diesen Unfall schon seit einigen Tagen hat, aber erst jetzt wieder von einer Führung zurückgekommen ist und sich deshalb eben verspätet mit meinen Mails beschäftigt habe.

Dabei sei ihm erst aufgefallen, daß unsere nächste Reise nach Argentinien und weiter Richtung Südpol ja gerade mit einem der Kreuzfahrtschiffe geplant ist, die Bunny gehören. Deshalb habe er uns doch gleich mitteilen müssen, was dem alten Herrn passiert ist, obwohl damals die Agentur und er gebeten worden waren, uns nichts über den Hintergrund Bunnys mitzuteilen. Die Agentur hatte im Gegenzug auch unsere Namen nicht weitergegeben.

Hugo verspricht uns, nun wieder häufiger zu schreiben und will auch im nächsten Jahr endlich mal seine alte deutsche Heimat besuchen und dann bei uns vorbeischauen. Leider kann er die Antarktisreise nicht mitmachen, da er in dieser Zeit für die Hochzeit seines Sohnes in Hobart anwesend sein muß.

Das war wohl eine mehr als nur überraschende Nachricht. Das Schiff, das wir gebucht haben und mit dem wir in zwei Monaten losfahren wollen gehört Bunny! Kaum zu glauben! Sogar Lausi ist einmal mehr als überrascht, denn Bunny war uns total anders vorgekommen als ein Reeder und ganz echtes „Nordlicht“, vor allem nicht so, wie wir uns beides wohl vorgestellt hatten.

Bunny selbst hatte dazu nichts gesagt oder erzählt und es hatte wirklich nichts darauf hingedeutet. In Anbetracht seiner damaligen Ausstattung und mit der Kenntnis seiner Art nach Tasmanien zu reisen, hatte er sich uns keinesfalls als ein wohlhabender Reeder und Schiffseigner präsentiert, der wohl sicher nicht am Hungertuch zu nagen hat oder schon allein im Flugzeug auf die Bretterklasse angewiesen ist.

Mein Bauchgefühl behauptet mal wieder, daß da etwas ganz und gar nicht stimmen konnte!

Da Hugo nichts Genaues zu den oder dem Kreuzfahrtschiff das Bunny gehörte und auf dem er als vermißt gemeldet worden war gewußt hatte, versuche ich mich im Internet schlau zu machen.

Das ist ärgerlicherweise viel komplizierter als erwartet, denn die meisten Schiffe weltweit laufen ja auf irgendein Steuerparadies und die Besitzverhältnisse sind oft ebenfalls aus Steuergründen so verworren, daß man schlichtweg gar nichts erfährt, das bedeutet, man ist hinterher kaum klüger als zuvor.

Zudem, wenn Bunny tot ist, wäre es doch recht unwahrscheinlich, daß wir ausgerechnet auf gerade diesem, seinem „Todesschiff“, Richtung Südpol fahren würden. Ebenso sicher werden wir wohl nie mit seinen Söhnen in Kontakt treten, geschweige denn dies wollen.

Unsere Abreise naht. Es ist auch in Deutschland, vor allem bei uns im Süden, sehr kalt geworden und so ist es für mich nicht besonders schwierig, die Winterklamotten für die Antarktis, besser für unsere Reise dahin, einzupacken.

In die Antarktis reist man im allgemeinen in unserem Winter, also so November, Dezember bis Februar, dann ist dort Frühling, Sommer und Herbst und die Tiere bekommen oder haben bereits Nachwuchs und alles ist in Hochstimmung. Zudem soll es dann auch weniger Eis geben, also mehr eisfreie Zonen zum Herumschippern auf dem Wasser.

Da es auf dem von uns gebuchten Schiff, mit Ausnahme von ein, zwei Abendessen zu denen um elegante Kleidung und Anzug auf einer Infoliste gebeten worden war, recht leger zugehen sollte, so war es möglich, auch bei dem nur wenig zulässigen Gepäckgewicht beim Flug, doch so einiges einzupacken. Zudem kann man bei derartigen Witterungsbedingungen schon während des Hinflugs viel an dicken Pullovern, Jacken und Stiefeln anziehen.

Alles ist dann soweit geplant, daß wir nur noch am Abreisetag mit dem Taxi zum fast immer noch, trotz der absolut unnötigen Neubebauung mit ihren abartigen Baugruben, meist funktionierenden Bahnhof fahren müssen. Zurück bleibt Wecki, der sich um sich und das Haus kümmern will, was das auch immer bedeutet!

Tatort Kreuzfahrt

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