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Die silberfarbene Gebäckdose

Wir schreiben das Jahr 1854. Heute ist der 5. September. Dorothea feiert ihren achtzigsten Geburtstag.

Dorothea hat nie geheiratet. Mit sechzehn Jahren traf sie ihre große Liebe. Johannes war zehn Jahre älter und stammte aus reichem Haus. Seine Eltern hatten etwas gegen die Verbindung und Johannes‘ Liebe war nicht stark genug, um sie zu verteidigen. Er trennte sich von ihr. Ein paar Jahre später heiratete er die Tochter eines Geschäftsfreundes seines Vaters. Dorothea hat ihn nie wiedergesehen.

Ihre ganze Liebe schenkte sie nun den fünf Kindern ihres früh verwitweten Bruders Wilhelm. Nun sind auch diese schon Eltern, teilweise Großeltern geworden. Ihr Bruder lebt bei der jüngsten Tochter Johanna, die auch unverheiratet ist. Dorothea ist vor einigen Jahren zur Familie ihrer Großnichte Ingeborg gezogen. Noch immer lässt sie es sich nicht nehmen, im Haushalt zu helfen und auf ihre Urgroßneffen aufzupassen. Ingeborg und ihr Mann haben drei Jungs, eine richtige Rasselbande.

Aber heute soll gefeiert werden. Alle wollen kommen und Dorothea freut sich schon sehr. Ob ich auch meine Lieblingskekse bekomme, überlegt sie. Johanna wird bestimmt welche backen, freut sie sich und ein Lächeln zieht über ihr runzliges Gesicht. Dorothea ist eine Naschkatze und die Mandelplätzchen ihrer Nichte Johanna liebt sie besonders.

Am Nachmittag sind alle versammelt. Es gibt Blumen, Schokolade und natürlich eine große Tüte Mandelplätzchen von Johanna. Davon probiert Dorothea gleich eines. „Oh, sind die lecker, danke“, strahlt sie.

„Aber wir haben ja noch etwas für dich, Urgroßtante Dorothea“, ruft plötzlich Lina, die jüngste der großen Familie und hält Dorothea ein buntes Päckchen hin. Ganz gespannt öffnet Dorothea es. Zum Vorschein kommt eine Silberdose. Natürlich ist es kein echtes Silber, das ist viel zu teuer. Sie ist aus Zinn, doch wunderschön, mit eingravierten Mustern und dem Wort „Gebäck“ auf einer Seite. Auf dem Deckel aber steht die Zahl 1774. „Aber das ist ja mein Geburtsjahr.“ Dorothea hat Tränen der Freude in den Augen und umarmt alle nacheinander.

Kurz vor ihrem fünfundachtzigsten Geburtstag stirbt Dorothea. Bis zuletzt hat sie jeden Tag zwei Mandelplätzchen gegessen. Johanna sorgte dafür, dass die Dose nie leer wurde.

Ja, so könnte es gewesen sein, denkt Hanna und betrachtet die silberfarbene Dose in ihrer Hand. An den Seiten sind reichhaltige Verzierungen zu sehen und etwas verblasst das Wort „Gebäck“. Im Deckel ist die Jahreszahl 1774 eingraviert. Die Dose stammt aus dem Nachlass ihrer Schwiegereltern. Ihr Mann und sie haben immer geglaubt, sie stamme auch aus diesem Jahr.

Kürzlich hat Hanna die Dose von einem Experten begutachten lassen. Dabei erfuhr sie, dass sie nicht 1774 hergestellt wurde, sondern viel später, im neunzehnten Jahrhundert. Sie sei nur ein paar Euro wert.

Verkaufen will Hanna die Dose auch nicht, dazu gefällt sie ihr zu sehr.

Ja, so könnte es gewesen sein, denkt Hanna noch einmal und stellt die Dose zurück auf den alten Messingtisch, den ihr Mann vor vielen Jahren aus einem Nachlass erworben hat.

Was der wohl für eine Geschichte hat?

Die silberfarbene Gebäckdose

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