Читать книгу Bleiweiß – Der schleichende Tod - Elvira Alt - Страница 9
Der geheimnisvolle Fund
ОглавлениеLilo hielt inne. Es war 7:00 Uhr. Wer in aller Herrgottsfrühe war schon auf den Beinen, außer ihr?
Sie stand auf der obersten Stufe der Treppe als wäre sie gegen eine unsichtbare Wand gelaufen. Lilo stand da wie angenagelt und nestelte an ihrer Halskette.
Durch die halbgeöffnete Schlosstür drangen Stimmen an ihr Ohr.
Verflixt. Eugen Hofer, Spitzname Barbarossa, unterhielt sich lautstark mit ein paar Studenten. Unterhaltung war leicht untertrieben.
Sie sah ihn bildlich vor sich. Dick wie ein Fass, etwas grobschlächtig. Sein rundes, freundliches Gesicht, seinen hässlichen roten Schnurrbart und seinen Kopf, wo bereits das Knie durch sein Haar wuchs.
„Halt endlich Dein Krümelloch!“, befahl er. Eugen tobte! Schäumte vor Wut, faltete einen von den Jugendlichen ordentlich zusammen. „Das ist kein Dummejungenstreich!“
Er hatte eine Postkarte aus Gretna Green erhalten. < Liebe Grüße aus Schottland, bin auf dem Weg >. Er schlug sie einem der Studenten um die Ohren.
„Bildet Ihr Euch ein, mich ungestraft in die Pfanne zu hauen? Ich vergesse nie etwas. Ich vergelte Gleiches mit Gleichem!“
Ein arrogantes Grinsen breitete sich auf ihrem Gesicht aus. Lief vielleicht nicht alles wie am Schnürchen, so, wie es von Prinzessin Evelyn verlangt wurde?
Im Ballsaal stieg jemand auf einen Stuhl und hängte die letzten weiße Strohsterne auf. Allmählich sah die Bühne wie eine vom Monsun zerfetzte Markise aus. Der Gestaltungstechniker fand das schön. In Wahrheit zeugte es vor allem von blindem Aktionismus. Im vorderen Teil des großen Raumes, als besonderer Akzent, dominierte ein schwarzer Konzertflügel.
Die Hochzeitsvorbereitungen liefen immer noch auf Hochtour.
Bis tief in die Nacht, von Barbarossa überwacht, war er und seinen Lakaien, am Werk. Es herrschte Ausnahmezustand. Sämtliche Angestellten inklusive Gärtner und Chauffeur, von seiner Assistentin, seiner Sekretärin bis hin zur Putzfrau waren alle emsig, teils fieberhaft damit beschäftigt, das Silber zu putzen und die Kristallgläser auf Hochglanz zu polieren. Das kostbare Porzellan, auf weißen Dammasttischdecken, stand auf den Tischen, die Kerzen brannten probeweise und flackerten hektisch, obwohl keine Zugluft herrschte. Blumentöpfe und exklusive Orchideen-Gestecke unterstrichen die Perfektion.
Alles, was nicht vor Ort war, wurde angekarrt.
Lilo vernahm das Geräusch von einem Fahrzeug.
Der Getränkelieferant traf ein und brachte Bier vom Fass, Wein, antialkoholische Getränke und Unmengen an Champagner.
Sie hatte wenig Lust weder dem einen noch den anderen zu begegnen.
Die Feier im Schloss war für den späten Nachmittag geplant. Sollte Eugen nach dem Rechten sehen, ob alles so vorbereitet war, wie es seiner Tochter wünschte? Noch bestand die Möglichkeit kleinster Veränderungen.
Sie drehte sich um und raste, wie von Furien gehetzt, den Flur entlang, hielt Ausschau nach einem Schlupfloch. Ihre Absätze hämmerten auf dem harten Steinboden und das Klappern hallte im ganzen Gebäude wider. Sie öffnete die erstbeste Tür und schloss sie leise hinter sich wieder zu.
Das Schloss hatte viel Zimmer und Geheimtüren, die nur Paddy wie seine Westentasche kannte. Lilo residierte hingegen in Fechenheim, einem auf der anderen Mainseite gelegenen Bungalow. Sie verbrachte eher selten die Nächte im Schloss und schon gar nicht in Paddys Bett.
Die Tatsache, dass man sie immer wieder anstarrte wurde ihr allmählich unheimlich. Die vielen Menschen die Tag und Nacht durch das Gebäude wuselten. Ein Schloss, dass nie wirklich schlief.
Die Wohnung war nicht groß. Ein Wohnzimmer, ein Schlafzimmer, ein geräumiges Bad und eine kleine Küche. Es war nichts bemerkenswertes an den Räumen. Sie war komfortabel und das war wirklich alles, was man über sie sagen konnte.
Im Gang stapelten sich die Hochzeitsgeschenke.
Befand sie sich in der Honeymoon Suite? Auf gar keinen Fall!
Teure Möbel, weder besonders geschmackvoll noch geschmacklos, die aussahen, als seien sie in einem großen, langweiligen Geschäft aufs Geratewohl gekauft worden. Ungemusterte, dreifarbig gewebte Leinenvorhänge, ein Teppich, der nichts als eben ein Teppich war, ein großer Büroschreibtisch aus hellem Holz, sehr ordentlich. Ein großes Sofa, keine Sessel. Ein ziemlich hässlicher Couchtisch mit Messingfassung. Ein paar Fächer mit Büchern in einem Hängeregal, in dem auch eine Hausbar und zusätzliche Lautsprecher für den riesigen, altmodischen Musikschrank, an der angrenzenden Wand, untergebracht waren. Daneben eine große Vitrine mit mehreren Reihen säuberlich etikettierter Schallplattenhüllen. Zentralheizung wie im übrigen Gebäude.
Es war nicht einmal sehr sauber. Ordentlich in dem Sinne allerdings, als nicht viel herumlag und das Zimmer offensichtlich nicht wirklich bewohnt wurde. Keine Blumen und nichts an persönlichen Dingen. Eine ganze Menge militärischer Kinkerlitzchen. Eine kleine Messingkanone auf einer eichenen Lafette stand auf dem Tisch, auf Wandkonsolen einige Segelschiffmodelle, darunter die 1958 in Dienst gestellte, als Bark getakelte, Gorch Fock II. Ein offener Kasten aus Mahagoniholz, in dem auf grünem Filz ein Paar Duellpistolen aus dem 18.Jahrhundert lagen. Auf dem anderen Wandbrett befanden sich ebenfalls Waffen: eine silberbeschlagene Muskete, Arkebuse oder dergleichen sowie ein hölzerner Humidor. Leer. Offensichtlich hatte sein Besitzer das Zigarrenrauchen aufgegeben. Allerlei Stehrümmchen. Keine Bilder an der Wand. Das Fenster ging zur Mainseite. Auf einem kleinen Beistelltisch stand ein großen Schiffsteleskop aus Messing. Es war ein recht wohnliches Zimmer. Bemerkenswert schön hätte es niemand genannt.
Warum war dieser Raum so nichtssagend?
Die Tür zum angrenzenden Schlafzimmer stand offen. Auch dort wenige Möbel und nichts, was den persönlichen Geschmack verraten hätte, es sei denn die Vorliebe für gymnastische Übungen.
Ein Bett, ein Kleiderschrank, ein Spiegel.
Eine an der Decke befestigte und freischwingende Strickleiter aus Hanf-Seil und Bambussprossen. Ein Springsein, ein paar Hanteln, ein Punchingball …
Allerdings wurde der Raum von einem Tisch beherrscht, der um all seine Ausziehmöglichkeiten erweitert worden war. Darauf lag ein Brett und auf dem Brett ein Puzzle, das einem schon beim bloßen Ansehen Kopfschmerzen bereitete. < Die Skyline von Frankfurt in dreitausend Teilen > stand auf der Schachtel.
Schritte auf dem Flur rissen Lilo aus ihren Gedanken. Sie kamen näher, die Stimme von Eugen Hofer wurde lauter, gefolgt von unterschiedlichem Gemurmel.
Verzweifelt suchte sie nach einem Fluchtweg. Lilo entdeckte eine weitere Tür, öffnete sie und wollte eintreten um sich zu verstecken, blieb allerdings auf der Schwelle stehen.
Auf einmal bekam sie wahnsinnige Kopfschmerzen. Ein penetranter Geruch aus Lack und Farben raubten ihr den Atem.
Ein Kabuff, klein wie eine Schuhschachtel und … was sie erblickte warf sie vollkommen aus der Bahn. Sie ging einen Schritt zurück und schlug die Tür mit einem lauten Knall wieder zu. Ihr wurde von der Duftwolke ganz schwindelig.
Die Migräne klopfte bereits an ihre Schädeldecke, ihre Schmerzen wurden unerträglich. Sie halluzinierte. Lilo fiel in Ohnmacht, sank der Länge nach auf den Boden. Diagnose: Leichte Gehirnerschütterung!
Nur ein paar Minuten später wurde sie von Eugen und den Jungs, bepackt mit weiteren Hochzeitsgeschenken, gefunden.
Er wirkte sehr wütend als er den Notruf absetzte. Was hatte Lilo hier zu suchen und was hatte sie gefunden?
Mit einem Nervenzusammenbruch, Gedächtnisverlust rund um das traumatische Erlebnis, wurde sie ins Krankenhaus eingeliefert und musste die Nacht dort verbringen.
Lilo hatte für den Abend der Hochzeitsfeier ein wasserdichtes Alibi.