Читать книгу Unsere Liebe auf deiner Haut - E.M. Lindsey - Страница 6
Kapitel 1
Оглавление»Ich bin überrascht, dass du den Schwanz deines Freundes lange genug aus dem Mund genommen hast, um dich nach deinem alten Herrn zu erkundigen.« Die Grausamkeit in dieser Stimme berührte Derek kaum noch, aber heute Abend war es anders. Er hatte verschlafen, war im Laden schwer gestürzt und die Arbeit war auch nicht gut verlaufen. Eine Kundin aus der Vorwoche war wütend in den Laden gestürmt, denn jemand hatte sich über ihr neues Tattoo lustig gemacht ‒ etwas, das sie sich aus dem Internet ausgedruckt und von ihm verlangt hatte, dass er es auf ihre Haut übertrug, trotz seiner Warnung, dass es besser wäre, wenn er auf der Grundlage des Ausdrucks ein Design entwickelte, statt das Bild einfach zu kopieren. Doch sie hatte darauf bestanden, dass er es dennoch tat, also hatte er geliefert. Denn das war sein Job. Und als es nicht so ausging wie erwartet, war das natürlich auch seine Schuld. Die Beleidigungen, die ihr über die Lippen gekommen waren, gingen ihm nicht aus dem Kopf, genau wie die seines Vaters es oftmals taten, und es war einfach… zu viel. »Was zum Teufel machst du überhaupt, Junge?«
Derek rieb sich mit der Hand über das Gesicht und verengte die Augen, weil sein Fenster langsam beschlug. Der Regen wurde stärker, während er sich seinen Weg durch die Straßen zur Bank bahnte. »Ich, äh… ich bin gerade unterwegs zur Bank, Dad. Hast du deine Medikamente genommen?«
»Fick dich, du kleines Stück Scheiße. Wer gibt dir das Recht, mir Fragen zu stellen? Für wen, zum Teufel, hältst du dich? Du stolzierst auf deinen kleinen Pride-Paraden wie ein gottverdammter Homo herum und ich muss mich dafür rechtfertigen, dass ich eine Schwuchtel zum Sohn habe, der auf direktem Weg in die Höll‒«
»Mr. Osbourne?«, ertönte eine sanftere Stimme, nachdem sie seinem Vater das Wort abgeschnitten hatte.
Derek fuhr auf den Parkplatz der Bank und holte tief Luft, bevor er der Schwester antwortete. »Hat er heute Abend seine Medikamente genommen?«
»Ein wenig zu spät. Es tut mir wirklich leid. Ich habe es erst erfahren, als er schon Ihre Nummer gewählt hatte«, erklärte sie ihm.
Derek seufzte leise. »Ist schon in Ordnung. Glauben Sie mir, ich habe schon Schlimmeres gehört.«
»Das kann im Endstadium der Zirrhose vorkommen. Das hat der Arzt Ihnen bestimmt erklärt. Dann sind sie… einfach nicht mehr sie selbst.«
Nur dass Dereks Vater vollkommen er selbst war, und es schien, als würde der alte Mann auch ein wütender, hasserfüllter, bigotter, alter Scheißkerl bleiben, bis seine Leber endlich versagte und er seinen letzten Atemzug tat. Aber das würde wahrscheinlich noch Jahre dauern. Es war für Derek die Hölle zu wissen, dass er jede Woche diese Anrufe ertragen musste und ihnen nicht entkommen konnte, auch wenn er selbst es so gewollt hatte. Als das Krankenhaus sowohl ihn als auch seinen Bruder gebeten hatte, als Betreuer für ihren Vater zu fungieren, hatte Sage bloß gelacht und aufgelegt. Derek hingegen hatte es aus irgendeinem Grund nicht über sich gebracht, Nein zu sagen. Vielleicht aus Selbsthass, vielleicht als Märtyrertum, er hatte sein Schicksal akzeptiert und ertrug es. Es war ja nicht so, dass der alte Mann ihm noch Schlimmeres antun konnte, als er es bereits getan hatte.
»Rufen Sie mich an, wenn es schlimmer wird«, sagte Derek zu ihr. »Und ich werde morgen mit dem Arzt sprechen und ihm von den Problemen mit der Medikation berichten.«
»Das ist gut, Mr. Osbourne. Ich wünsche Ihnen einen schönen Abend.«
»Ihnen auch.« Derek legte auf und ließ sein Handy auf den leeren Beifahrersitz fallen. Er betrachtete den strömenden Regen, der an sein Fenster schlug. Die Bank war nur gut fünf Meter entfernt, aber es waren fünf Meter in sintflutartigem Regen, das Sahnehäubchen seines verdammten Tages. Sein Arm, auf den er gefallen war, weil Kat vergessen hatte, das Schild aufzustellen, dass der Boden nass war, tat immer noch weh und die wütende Stimme seines Vaters würde den ganzen Abend in seinem Kopf nachhallen, wenn er auch nur einen Moment Ruhe hatte. Er musste das Geld unbedingt einzahlen, damit er für die monatlichen Abbuchungen seiner Rechnungen keine horrenden Überziehungsgebühren bezahlen musste, aber bei dem Gedanken, deswegen vollkommen durchnässt zu werden, waren es ihm die 35 Dollar wirklich wert, die die Bank ihm für jeden Tag berechnen würde.
Er seufzte, lehnte die Stirn an das Lenkrad und murmelte erst ein paar Flüche, dann ein paar Gebete. »Na dann, Osbourne«, sagte er laut und nannte sich selbst beim Nachnamen, in der Hoffnung, sich dadurch zu motivieren, »schwing deinen Hintern aus dem verdammten Auto. Du kannst dich nachher immer noch abtrocknen und sogar den halben Becher Ben & Jerry's essen, den du noch im Gefrierschrank hast.«
Das war nicht ideal, aber es reichte. Er schnappte sich seine Autoschlüssel, nahm den Umschlag und steckte ihn unter sein T-Shirt, dann rannte er los. Auf halbem Weg durch den starken Regen fiel ihm ein, dass er sein Handy im Auto gelassen hatte, aber es würde nicht lange dauern. Einfach das Geld in den Schlitz des Geldautomaten schieben, dann konnte er diesen beschissenen Tag beenden.
In dem kleinen Raum, wo der Geldautomat in einer Ecke stand, war es zumindest warm. Die Bank-Götter waren zumindest dieses Mal auf seiner Seite und verhinderten, dass er sich verkühlte, während er eine zitternde Hand in die Tasche steckte und seine Geldbörse hervorholte. Zwar waren seine Finger steif, aber er schaffte es, seine Bankkarte herauszuziehen und in den Schlitz zu stecken.
Die Maschine klickte und im selben Moment schwang die Tür auf und ein Schwall eiskalter Luft traf ihn. Derek schaute über seine Schulter zu dem Mann, der gerade eingetreten war, seinen Schirm schüttelte und in der Nähe der Tür wartete, die sich wieder geschlossen hatte. Derek fühlte sich nur selten von anderen Leuten eingeschüchtert. Für gewöhnlich war er derjenige, vor dem andere Leute Angst hatten. Beinahe 1,90 Meter groß, 95 Kilo schwer, beide Arme mit Tattoos bedeckt. Die Ohrlöcher geweitet, immer einen grimmigen Gesichtsausdruck, was aber selten seine eigene Schuld war. Er gehörte zu den netteren Kerlen bei Irons and Works, das sah man ihm bloß nicht immer an.
Der Mann schien ihn allerdings nicht zu bemerken. Er hatte den Blick auf sein Handy gerichtet und wartete in gebührendem Abstand, bis Derek fertig war. Derek holte tief Luft und gab seine PIN ein, dann steckte er das Geld in den Automaten, bevor der Fremde auf die Idee kam, ihn auszurauben ‒ schließlich war es spät und sie befanden sich nicht gerade in einer sicheren Gegend. Der Automat piepte, was er sich als ein Dankeschön vorstellte, und spuckte seine Quittung aus. Er stopfte sie in seine Tasche und steckte seine Karte wieder ein, während er von dem Automaten zurücktrat, um dem anderen Mann Platz zu machen.
In dem gedämpften Licht konnte er ihn nun besser erkennen und sofort fiel ihm auf, wie attraktiv er war. Er war in einen dicken Mantel gehüllt, aber das Gesicht, das unter seinem hohen Kragen hervorschaute, war rund und voller weicher Konturen und trug ein natürliches Lächeln. Seine dunklen Augen zuckten kurz zu Derek und als ein Regentropfen an seinem Kinn herunterlief, verspürte Derek den starken Drang, ihn mit dem Daumen wegzuwischen.
Was zum Teufel war nur los mit ihm?
Er schüttelte den Kopf, um wieder zur Vernunft zu kommen, und drehte sich zur Tür um.
Dann passierten mehrere Dinge gleichzeitig. Es blitzte und sofort hallte ein Donnerschlag, und zwar so laut, dass die Fenster wackelten und der Boden unter ihren Füßen erzitterte. Die Lichter flackerten, dann wurden sie in beinahe vollkommene Dunkelheit gehüllt. Das Einzige, was Derek sehen konnte, war der schwache Schein vom Handy des Mannes, und das einzige Geräusch war das Pochen seines panischen Herzschlags in seinen Ohren.
Er war nur noch wenige Zentimeter von der Tür entfernt, deshalb streckte er die Hand aus und zog daran. Als sie sich nicht rührte, versuchte er es erneut ‒ er drückte und zog und wurde immer hysterischer, denn anscheinend waren die automatischen Schlösser eingerastet und er saß fest.
Es war kein Geheimnis, dass Derek an Klaustrophobie litt. Als er bei Irons and Works angefangen hatte, hatte James versucht, ihm einen Streich zu spielen, indem er ihn in den Vorratsschrank eingeschlossen hatte. Zu dieser Zeit war Dereks PTBS am schlimmsten gewesen und bis zum heutigen Tag konnte er sich nicht richtig erinnern, was passiert war, nur dass er mit der Hand an der Tür ohnmächtig geworden und in Antonios Büro mit einem kalten Waschlappen im Nacken wieder zu sich gekommen war, während Katherine ihm leise und beruhigende Worte ins Ohr geflüstert hatte.
Er war anscheinend für James' blaues Auge verantwortlich, aber der Mann war zerknirscht gewesen und hatte sich mehrmals entschuldigt, was wahrscheinlich bedeutete, dass Antonio ihm ein wenig von Dereks Vergangenheit erzählt hatte. Etwas Derartiges war nie wieder vorgekommen und von da an wussten alle, dass die Tür zum Hinterzimmer offen bleiben musste, wenn Derek etwas aus dem Schrank holte, und Derek bekam immer ‒ immer ‒ die Kabine, die dem Tresen am nächsten lag.
Doch im Moment ging Derek nach und nach die Schritte durch, die seine Therapeutin ihm beigebracht hatte. Größtenteils, weil er mit einem fremden Mann an einem fremden Ort war, und das Letzte, was der Mann brauchen konnte, war mitzuerleben, wie Derek vollkommen die Fassung verlor. Er wurde nicht immer gewalttätig, aber er hatte sich nicht mehr unter Kontrolle, wenn er zusammenbrach, und er wollte diesem beschissenen Tag keine Anklage wegen Körperverletzung hinzufügen.
»Zehn«, murmelte er zu sich selbst und drückte beide Handflächen an die Glastür. »Neun. Acht. Sieben…« Er schluckte schwer, als seine Kehle eng wurde und seine Finger zu zittern begannen. »Sechs. Bitte, Gott«, flüsterte er. Er rief nicht oft eine Gottheit an, an die er seit seiner Kindheit nicht mehr glaubte, aber im Moment hatte er keine bessere Idee. »Fünf…«
Er verstummte, als eine Hand seinen Arm berührte, dann erschien ein helles Licht vor seinem Gesicht. Nein, kein helles Licht, das Display eines Handys. Es zeigte eine Notiz-App, auf der ein kurzer Satz zu lesen war. Du OK?
Derek schüttelte den Kopf. »Nein. Scheiße, tut mir leid. Ich bin so was von nicht okay. Ich kann nicht… wir sitzen hier fest und ich habe das Gefühl, dass ich den Verstand verliere, und ich kann nicht…«
Der Fremde unterbrach ihn mit einem ungeduldigen Laut und zog sein Handy zurück, dann hörte er das leise Klicken der Tastatur des iPhones, während der Mann tippte. Es schien eine halbe Ewigkeit zu dauern, bis das Handy wieder in seinem Blickfeld erschien. Tut mir leid, kann nicht verstehen. Gehörlos. Ich bin Basil. Bitte schreiben.
Dir helfen, OK?
Derek starrte auf die Worte und versuchte, sie in seinem verwirrten Gehirn zu verarbeiten, aber er wusste nicht, was er jetzt tun sollte. Seine Hände lagen weiterhin am Fenster und das Atmen fiel ihm immer schwerer. Er kniff die Augen zu, als ein vertrautes Schwindelgefühl ihn überkam und der Raum begann, sich zu neigen.
Aber gerade, als er dachte, dass er den Verstand verlieren würde, legte eine Hand sich an sein Brustbein. Er wurde vorsichtig vom Fenster weggedreht und der Mann ‒ Basil ‒ nahm Dereks rechte Hand und legte sie auf sein Brustbein. Derek wusste nicht, was das zu bedeuten hatte, aber dann spürte er, wie die Brust des Mannes sich unter langsamen, gleichmäßigen Atemzügen hob und senkte. Basil zählte einen Rhythmus mit, indem er ihm auf den Arm klopfte.
Eins. Zwei. Drei.
Eins. Zwei. Drei.
Derek entließ langsam die Luft aus seiner Lunge, atmete ein, als Basils Brust sich weitete, und hielt den Atem für eine, zwei, drei Sekunden an. Dann atmete er zusammen mit dem Fremden aus ‒ einem Mann, den er noch nie zuvor gesehen hatte, aber der ihn irgendwie davon abhielt, vollkommen zusammenzubrechen.
Eins. Zwei. Drei.
Sein Kopf klärte sich allmählich, nach und nach, und der Raum hörte auf, sich zu bewegen. Plötzlich schämte er sich, dass er so die Kontrolle verloren hatte. Er war immer noch eingesperrt, der Strom war immer noch ausgefallen und das Gewitter wütete immer noch, aber Derek wurde ruhiger und kehrte langsam wieder in die Realität zurück.
»Scheiße«, sagte er laut. »Es tut mir wirklich leid.« Dann verstummte er, denn ihm fiel wieder ein, was der Mann geschrieben hatte. Im schwachen Lichtschein des Displays konnte er dessen verwirrten Gesichtsausdruck erkennen.
Es verging ein weiterer Moment, in dem Basil tippte, dann reichte er Derek erneut das Handy und trat einen Schritt zurück. Panikattacke? Früher ich auch haben. Dein Name wie?
Derek runzelte die Stirn, als er die Formulierung sah, und wünschte sich sehr, er hätte sich die Mühe gemacht, mehr Gebärden zu lernen. Ein paar Wörter kannte er, die alle mit Babys zu tun hatten, denn Antonio und Katherine hatten einen Anfängerkurs besucht, nachdem bei ihrer Tochter ein Hörverlust festgestellt worden war. Das gesamte Team kannte genug Gebärden, um Jasmine zum Lachen zu bringen und zu verstehen, wenn sie ihre Flasche, einen Keks oder zu ihren Eltern wollte. Aber damit hatte es sich. Tony und Kat lagen ihnen in den Ohren, dass sie einen Anfängerkurs in ASL belegen sollten, aber das hatten sie alle vor sich hergeschoben, was er nun bereute.
Da er keine andere Möglichkeit hatte zu antworten, tippte er ein paarmal die Zurück-Taste und gab dann eine Antwort ein. Mein Name ist Derek. Ich leide an Klaustrophobie und bekomme Panikattacken, wenn ich unerwartet in engen Räumen eingeschlossen bin. Es tut mir wirklich leid, wenn ich dir Angst gemacht habe.
Er gab das Handy zurück und sah, wie Basils Gesichtszüge ein wenig weicher wurden, während er die Worte las. Dann schaute er auf und tat Dereks Entschuldigung mit einer Handbewegung ab. Er deutete auf den Boden neben der Tür und machte ein Zeichen, das Derek erkannte. ›Sitzen.‹ Als Derek nickte und sich hinsetzte, wirkte Basil überrascht. Im Licht des Handydisplays sah Derek, dass Basil mehrere Gebärden machte, aber er erkannte nur zwei. ›Gebärdensprache, du?‹
Derek bedeutete, dass er das Handy wiederhaben wollte. Die kleine Tochter von meinem Boss verliert ihr Gehör. Ich kenne ein paar Wörter, aber nicht viele. Nachdem er das Handy zurückgegeben hatte, damit Basil seine Nachricht lesen konnte, demonstrierte er: ›Milch, Keks, Mom, Dad, sitzen, Nein.‹
Bei dem letzten musste Basil lachen, ein tiefer Laut, der direkt aus seiner Brust zu kommen schien. Irgendwie fand Derek das passend. Er erwiderte das Lächeln und ärgerte sich, dass er den Mann nicht richtig erkennen konnte, dennoch war es beruhigend, dass er da war. Zwar war es furchtbar, hier eingeschlossen zu sein, aber es half, dass er nicht allein war. Draußen tobte immer noch das Gewitter und machte keine Anstalten nachzulassen, aber sie würden ja nicht ewig hier festsitzen.
Morgen früh würde die Bank irgendwann öffnen. Oder eine Sicherheitsfirma würde vorbeikommen und sie entdecken. Irgendetwas. Er konnte mit Basils Telefon sogar die Polizei rufen, wenn es hart auf hart kam. Aber im Moment war er in Sicherheit. Er trocknete allmählich, hier drin war es immer noch warm und es gab nichts, was ihn umbringen konnte.
Dereks Gedankengang wurde unterbrochen, als Basil einen fragenden Laut von sich gab, ihn am Arm berührte und ihm das Handy reichte. Tattoo? Was bedeuten?
Derek schaute zu seinem linken Arm, den er um seine angezogenen Knie geschlungen hatte, um sich zu beruhigen. Diese Frage stellte man ihm oft, aber interessanterweise hatten die meisten seiner Tattoos keine tiefere Bedeutung. Es waren Bilder, die ihm einfach gefielen und die er dauerhaft auf seiner Haut tragen wollte. Manche waren Cover-ups, die Tattoos aus seiner Jugend überdeckten, die eine schlechte Linienführung oder misslungene Schattierungen gehabt hatten oder mit Nähnadel und Tinte selbst gestochen waren. Manche waren neu und ihre Farben leuchtend, andere waren schon ein wenig verblasst.
Ihre wahre Bedeutung war Rebellion. Das Sagen über seinen eigenen Körper zu haben, nachdem er jahrelang von Menschen misshandelt worden war, die ihn eigentlich lieben sollten. Er und sein Zwillingsbruder Sage waren als Söhne eines strengen und autoritären Politikers aufgewachsen, der es für das Beste hielt, jedes Mal den Stock zur Hand zu nehmen, wenn einer von ihnen auch nur den geringsten Fehler machte. Derek mochte enge Räume nicht, weil er den Großteil seiner prägenden Jahre stundenlang in eine winzige Gartenhütte eingesperrt verbracht hatte, bis sein Vater der Meinung war, dass er seine Lektion gelernt hatte.
Derek und sein Bruder hatten stets hochgeschlossene Hemden und ordentlich gebügelte Hosen getragen und nicht eine einzige Haarsträhne hatte bei ihnen falsch gelegen. Von außen betrachtet war er ein gut angezogener, disziplinierter Junge mit großen Ambitionen gewesen, dem eine glänzende Karriere bevorstand und aus dem Dr. Osbourne werden würde, egal, in welchem Berufsfeld. Sein Gehorsam und seine Kleidung verbargen sämtliche Sünden seines Vaters und er wagte nicht, auch nur einen falschen Schritt zu machen.
Aber dann hatte er es doch getan. Mit 15 hatte er es nicht mehr ertragen und stand kurz vor dem Zusammenbruch. Und so hatte er das Auto seines Vaters gestohlen und war vom örtlichen Sheriff angehalten worden, der die Angelegenheit mit »So sind Jungs nun mal« abgetan hatte. Dabei war ihm der verängstigte Ausdruck in Dereks Gesicht nicht entgangen, als sein Vater, grausame Vorfreude kaum verhohlen, mit ihm gelacht hatte. Erst nachdem er 36 Stunden am Stück ohne Essen und Trinken in der Gartenhütte eingeschlossen gewesen war, hatte ein panischer Sage die Regeln gebrochen und ihn befreit.
In dieser Nacht waren sie weggelaufen. Sie hatten Sages gesamte Ersparnisse genommen und hatten nicht zurückgeblickt. Derek wusste, dass sein Vater die Polizei angerufen und gefleht hatte, dass sie seine Jungs nach Hause brachte, aber Derek war sich sicher, dass sich der Polizeichef bei der Suche nach ihnen keine allzu große Mühe gegeben hatte.
Sie waren in Oklahoma City gelandet und hatten sich als Tagelöhner verdingt, um über die Runden zu kommen. Zusammen mit einer Gruppe anderer Ausreißer hatten sie in einem überraschend netten Lagerhaus gewohnt und dort hatte Derek sein erstes selbst gemachtes Tattoo von einem Jungen namens Pepper bekommen, der die Nadel über der offenen Flamme eines Campingkochers sterilisiert hatte. Es war das einzige Tattoo, das Derek niemals überstechen lassen würde. Es zeigte eine kaum erkennbare, schiefe Hand auf dem mittleren Glied seines rechten Mittelfingers, die den Mittelfinger hob.
Jedes einzelne Tattoo, das darauf gefolgt war, war ein an seinen Dad gerichtetes Fick dich gewesen. Als er den Anruf bekommen hatte, dass sein Dad im Krankenhaus lag ‒ Leberversagen hatte sein Leben drastisch verkürzt und dafür gesorgt, dass er Pflege benötigte ‒, hatte er ihn besucht. Danach war er in den Laden zurückgekehrt, hatte sich auf Antonios Liege gelegt und ihn gebeten, es solle wehtun. Es war eine Krähe auf der Innenseite seines Ellenbogens geworden, die vollkommen schwarz war, abgesehen von einer grellroten Schattierung am Auge.
Seine Tattoos waren der Beweis dafür, dass er überlebt und es hinter sich gelassen hatte. Dass er sich von einem misshandelten Kind zu einem Tätowierer und Vollzeit-Studenten entwickelt hatte, der fest entschlossen war, seine Werke in Galerien, Studios und den Händen von Menschen zu sehen, die ihn wirklich verstanden.
Da wurde Derek bewusst, dass er zu lange mit einer Antwort gezögert hatte, deshalb tippte er mit zitternden Fingern: Ich hatte eine schwere Kindheit und die Tattoos erinnern mich daran, dass ich sie überlebt habe. Ich arbeite in einem Tattoostudio namens Irons and Works. Kennst du es?
Basil las über seine Schulter hinweg mit, aber statt das Handy zurückzunehmen, lächelte er bloß und schüttelte den Kopf.
Wenn du jemals ein Tattoo willst, komm zu mir. Aber ich bin auch Künstler. Darf ich dir meine Galerie zeigen? Als Basil zustimmend nickte, gab Derek die Adresse seiner Internetseite ein und öffnete seine Online-Galerie. Am liebsten zeichnete er Dinge aus der Natur ‒ er liebte den Realismus, aber er wollte Dinge malen und zeichnen, die voller Leben waren. Obwohl die meisten seiner Werke, die Tiere zeigten, mit Ölfarben gemalt waren, war sein Lieblingsbild eine Kohlezeichnung eines Oktopus, der sich um einen Felsen umringt von Korallen geschlungen hatte. Es war komplett in Schwarz gehalten, aber aus irgendeinem Grund erschien ihm dieses Bild immer am lebendigsten. Es hing an seinem Platz im Laden, aber er wünschte sich mehr als alles andere, dass jemand es genauso schätzte wie er.
Vielleicht hätte es ihn nicht überraschen sollen, dass Basils langer Finger auf das Display tippte, damit der Oktopus auf dem gesamten Bildschirm zu sehen war, dennoch machte Dereks Herz einen Satz in seiner Brust. Da Basil sich so dicht zu ihm beugte, nahm Derek einen berauschenden und überwältigenden Duft wahr, als würde man den Kühlraum eines Floristen betreten, um die gekühlten Sträuße zu betrachten.
Er wagte einen Blick und sein Herzschlag beschleunigte sich, als er Basils Gesicht sah. Seine Augen waren geweitet, die Lippen leicht geöffnet und eine Locke schwarzen Haares fiel in seine Stirn, während er das Bild studierte. Als er sich zurückzog, öffnete Derek wieder die Notiz-App. Das ist mein Lieblingsbild, aber bisher wollte niemand es kaufen.
Du verkaufen wollen, tippte Basil als Erwiderung.
Derek zuckte mit dem Schultern. Ich will, dass jemand meine Arbeit liebt und schätzt. Ich werde es vermissen, wenn es verkauft ist, aber ich kann warten. Die richtige Person wird kommen.
Basil lächelte ihn an und lehnte sich vorsichtig an seine Schulter, um nach dem Handy zu greifen. Wunderschön. Ich Blumensträuße mache, mit Schwester in Laden verkaufen. Älter. Herrisch.
Derek lachte auf und schüttelte mitfühlend den Kopf. Ich habe einen Zwillingsbruder, der ist fünf Minuten älter und genauso herrisch.
Sieht aus wie du, wollte Basil wissen.
Derek wünschte, er hätte sein Handy bei sich, denn ja, Sage war ihm wie aus dem Gesicht geschnitten. Abgesehen von ein paar Tattoos und Sages kürzeren Haaren waren sie sich zum Verwechseln ähnlich. Aber nachdem es zum dritten Mal vorgekommen war, dass Dereks Eroberung für den Abend aus Versehen seinen Bruder geküsst hatte, hatte Derek darauf bestanden, dass Sage etwas unternahm, damit man sie auf den ersten Blick auseinanderhalten konnte. Sage hatte sich für einen Hai entschieden, der an seinem Hals hinauf bis zu seinem linken Ohr verlief. Derek hatte ihm das Bild gestochen und falls es ein wenig linkisch aussah, beschwerte Sage sich nie.
Wir sind eineiige Zwillinge, tippte er. Bevor er noch etwas schreiben konnte, gab es einen weiteren Blitz und einen Donnerschlag, der so nah klang, dass es ihm in den Ohren dröhnte. Als Basil ebenfalls zusammenzuckte, drehte Derek sich zu ihm um. Konntest du das hören?
Basil schüttelte den Kopf, dann legte er die Handfläche auf den Boden und tippte: Spüren. Geräusche Vibration machen.
Ein weiterer Donnerschlag, und dieses Mal spürte Derek das Grollen unter sich. Es lenkte ihn so weit ab, dass er nicht wieder in Panik verfiel. Zwar fühlte er das bedrohliche Gefühl in seinem Rückgrat, aber er weigerte sich, es anzuerkennen. Denn dass Basil sich in der leeren Bankfiliale an ihn drückte, war genug, um ihn zu beruhigen. Damit hätte er nie im Leben gerechnet. Da er die Panik im Zaum halten konnte, merkte er, wie sich nach dem anstrengenden Tag Erschöpfung in ihm ausbreitete. Seine Glieder wurden schwer und seine Augen brannten. Er wollte ein warmes Essen und sein gemütliches Bett und wollte diesen Tag einfach vollkommen vergessen.
Na ja, jedenfalls größtenteils. Denn dieser Teil war möglicherweise das Beste, was ihm seit Langem passiert war, und dieser Gedanke war irgendwie entsetzlich.
Bevor er erneut nach dem Telefon tasten konnte, begannen die Lichter zu flackern. Sie gingen an und wieder aus, dann mit einem Brummen erneut an, bei dem beide Männer auf die Füße sprangen. Sie schauten einander an und es war seltsam, Basil im schwachen Licht der trüben Halogenlampen über ihnen direkt ins Gesicht zu sehen.
Er sah unglaublich gut aus. Sein nasses Haar, das im Verlauf ihres Gesprächs aufgehört hatte zu tropfen, kringelte sich. Unter seinem dicken Mantel war er schlank, seine enge Jeans umschmeichelte seine Beine und seine Füße sahen in den Converse lang und schmal aus. Derek war mindestens zehn Zentimeter größer als er, aber aus irgendeinem Grund fühlte er sich nicht so monströs wie gewöhnlich. Derek verspürte den unerklärlichen Drang, die Arme um Basil zu legen, in die Knie zu gehen und das Gesicht am Hals des Mannes zu vergraben. Er musste tatsächlich einen Schritt zurücktreten, um sich davon abzuhalten.
Basils Blick zuckte zu dem Geldautomaten, der sich wieder eingeschaltet hatte, dann zu Derek, bevor er die Hände hob und gebärdete ›Du OK?‹ Es dauerte einen Moment, bis Derek das Gebärdenalphabet erkannte, denn er hatte gerade erst begonnen, es zu lernen, aber dann lächelte er. ›OK‹, wiederholte er. ›Danke‹, fuhr er fort, dann hielt er inne, denn er wusste nicht, wie er ausdrücken sollte, was er als Nächstes sagen wollte. ›FÜR HILFE‹, buchstabierte er.
Basils Lächeln war breit und hinreißend und Dereks Magen schlug bei dessen Anblick einen Salto. ›Hilfe‹, sagte er, dabei formte er das Wort mit den Lippen und zeigte ihm gleichzeitig die Gebärde. Als Derek sie korrekt nachmachte, gab er ihm einen Daumen nach oben.
»Ich sollte dich, äh…« Er deutete auf den Geldautomaten, denn er wusste nicht, ob Basil von seinen Lippen lesen konnte. Aber da der andere Mann nickte, hatte er wohl verstanden, was Derek meinte. ›Danke‹, gebärdete er erneut.
Es entstand eine schrecklich unangenehme Situation, aber schließlich drehte Derek sich um und verließ das Gebäude. Der Regen, der zuvor sehr ärgerlich und unwillkommen gewesen war, erschien ihm nun wie eine wundervolle Erleichterung, ein Beweis für seine Freiheit und dass er nicht mehr gegen seinen Willen gefangen war. Er schaute noch einmal durch das Fenster und sah, wie Basil seine PIN eingab, dann zwang er sich, zu seinem Auto zu gehen.
Es sprang sofort an und die heiße Luft, die aus der Lüftung drang, zeigte ihm, dass er nur ein paar Minuten eingesperrt gewesen war ‒ und nicht ewig lange Stunden, wie es ihm vorgekommen war. Er zögerte ein letztes Mal, dann legte er den Rückwärtsgang ein. Dabei überlegte er, ob er den Mann jemals wiedersehen würde. Aber nun war es zu spät, um etwas zu unternehmen. Er bog auf die Straße ab und beschloss, dem Schicksal seinen Lauf zu lassen. Wenn es so bestimmt war, würde es passieren.
Basil erreichte seine Wohnung, schüttelte seinen Mantel aus und trat seine Schuhe mehrmals auf der Fußmatte ab, bevor er den Flur betrat. Er konnte riechen, dass jemand kochte, und prompt knurrte sein Magen. Er legte sich die Hand auf den Bauch und lief den kurzen Flur entlang zur Küche.
Amaranth stand schon am Herd und hatte ihm den Rücken zugedreht, während sie etwas in einem riesigen Topf umrührte. Er konnte durch die Sohlen seiner Schuhe Vibrationen spüren, was bedeutete, dass sie die Musik laut gestellt hatte. Er schaltete das Licht kurz aus und wieder an, um ihr zu signalisieren, dass er endlich zu Hause war.
Sie drehte sich um und lächelte ihn an, während sie sich eine Haarsträhne hinters Ohr strich und den Kochlöffel auf die Anrichte legte. ›Du bist spät. War noch viel los, nachdem ich gegangen bin?‹
Basil ging zum Kühlschrank, um sich ein Bier zu holen, dabei verdrehte er die Augen und schüttelte den Kopf. Er öffnete die Flasche und nahm ein paar tiefe Schlucke, bevor er antwortete.
Größtenteils, weil er nicht wusste, was er sagen sollte.
Eigentlich war es ganz einfach. Er hatte eine kurzfristige Bestellung für eine Hochzeit erhalten, die eine Ewigkeit in Anspruch genommen hatte, denn die Frau ‒ die Mutter der Braut ‒ hatte sich geweigert, mit Notizblock und Stift zu kommunizieren, und stattdessen zwanzig Minuten lang darauf bestanden, dass er von ihren Lippen ablas, obwohl er mehrmals aufschrieb, dass er sehr schlecht darin war, und nach einem langen Arbeitstag war es ihm nahezu unmöglich.
Er hatte kurz davor gestanden, sie hinauszuwerfen, damit sie einen anderen Ladenbesitzer bevormunden konnte, doch dann hatte sie endlich nachgegeben und er konnte sich die vorläufige Bestellung, das Datum und die Arrangements notieren. Dann hatte er ihre Anzahlung angenommen und sich wirklich gefreut, sie nur noch von hinten zu sehen. Dann hatte der Wolkenbruch seine Fahrt nach Hause verkompliziert. Da er ganz auf sein Sehvermögen angewiesen war, um sicher durch die Straßen zu manövrieren, hatte es ihn ein wenig verängstigt, dass er nur durch die Windschutzscheibe etwas sehen konnte.
Er hatte vorgehabt, im Vorraum der Bank mit dem Geldautomaten auszuharren, bis der Regen ein wenig nachließ, aber er hatte nicht mit dem gerechnet, was passiert war, direkt nachdem er hereingekommen war. Weder mit dem unglaublich attraktiven Mann und seiner schlimmen Panikattacke, noch mit den Gefühlen, die er in Basil geweckt hatte, denn er hatte schon vor langer Zeit aufgegeben, etwas für dahergelaufene Hörende zu empfinden. Egal, wie groß und attraktiv sie sein mochten.
Und der Kerl war beides gewesen. Er überragte Basil um mindestens zehn Zentimeter und seine Arme waren in so intensiven Farben tätowiert, dass man die Bilder sogar in der Dunkelheit erkennen konnte, als der Strom ausgefallen war. Außerdem war er sehr nett und hatte für die gehörlose Tochter seines Freundes ein paar Gebärden gelernt, was Gefühle in Basil regte, die er nicht empfinden wollte. Wirklich nicht.
Dann hatte der Mann ‒ Derek ‒ ihm die Seite mit seinen Kunstwerken gezeigt. Eine Seite, die Basil sich nicht gerade unauffällig in seinem Browser gespeichert hatte. Da hatte er gewusst, dass er in Schwierigkeiten steckte.
Das Schlimmste war aber, dass, wenn er Amaranth davon erzählte, sie sich freuen und ihn sogar ermutigen würde. Denn obwohl sie wusste, was Basil mit Chad alles durchgemacht hatte, was sie selbst mit Männern erlebt hatte, die hörend waren, sah sie immer das Beste in den Menschen. Sie wollte nicht zwangsläufig, dass Basil mit einem hörenden Mann zusammenkam, aber sie wollte auf keinen Fall, dass er den Gedanken aufgab, die Liebe überall finden zu können.
Sie war schon immer fürchterlich romantisch veranlagt gewesen und das gefiel ihm am besten an ihr, obwohl er sich dagegen wehrte.
›Du siehst aus, als wolltest du eine komplizierte Gleichung lösen‹, sagte sie, nachdem sie mit der Hand gewedelt hatte, um seine Aufmerksamkeit zu erregen. ›Was ist passiert?‹
Er fasste es für sie kurz zusammen, aber als ihre Augen aufleuchteten wie eine Menora, wusste er, dass er am Arsch war. Sie war mit einer vagen Beschreibung von Derek nicht zufrieden und wollte Details wissen. ›Er war ganz okay. Kurz vor einem Nervenzusammenbruch‹, erklärte Basil ihr. ›Am Ende ging es ihm gut.‹
›Hast du seine Telefonnummer?‹, wollte sie wissen.
Basil stieß sich vom Tisch ab und fuhr sie an: ›Nein‹, dann ging er zum Herd, um in den Topf zu schauen.
Hühnersuppe. Wahrscheinlich das Rezept ihrer Mutter. Da war ihm zum Weinen zumute. Nach einem langen Tag mit der schrecklichen Brautmutter und dem tätowierten Kerl, zu dem er sich seltsam hingezogen fühlte, brauchte er etwas für die Seele.
Ama boxte ihn in die Schulter, um seine Aufmerksamkeit zu erregen, und er drehte sich mit finsterem Blick zu ihr um. ›Warum hast du dir nicht seine Nummer geben lassen? Das klingt wie aus einer Rom-com.‹
›Ich hasse solche Filme‹, gab er zurück, dann drehte er ihr demonstrativ den Rücken zu, denn er wusste, dass sie sich darüber ärgern würde. Er spürte, wie sie hinter ihm mit dem Fuß aufstampfte, aber er ignorierte sie, holte sich stattdessen eine Suppenschüssel aus dem Hängeschrank und füllte sie. Dann aß er ein paar Löffel, drehte sich wieder zu ihr um und versuchte, bei ihrem wütenden Gesichtsausdruck nicht in Gelächter auszubrechen.
›Arschloch.‹
Er zuckte mit den Schultern.
›Du musst damit aufhören, andere auszuschließen, nur weil sie Chad vielleicht ein bisschen ähneln. Damit streichst du hörende Männer, blonde Männer, Männer mit Bart und solche, die Hemden mit Kragen tragen, ja komplett von der Liste.‹
Er zuckte erneut mit den Schultern und aß noch ein paar Löffel, dann stellte er seine Schale ab, um ihr eine vernünftige Antwort geben zu können. ›Wenn ich sicher sein könnte, dass er Chad nicht im Geringsten ähnelt, würde ich ihm eine Chance geben. Aber ich bin nicht bereit dazu, jemandem zu vertrauen. Jedes Mal, wenn ich an ihn denke, denke ich an jenen Abend und dieses Risiko kann ich einfach nicht eingehen.‹
Ama wurde ernst und trat einen Schritt vor, um eine Hand auf seine Schulter zu legen. ›Es tut mir leid‹, sagte sie mit der freien Hand, dann zog sie sich zurück. ›Ich verstehe dich, Basil, und ich will nicht, dass du so etwas jemals wieder erleben musst. Ich erwarte nicht von dir, dass du Risiken eingehst, ich bitte dich bloß, nicht zu vergessen, dass nicht jeder so ist wie er.‹
Er wusste zu schätzen, dass sie nicht erwähnte, dass er mit Beziehungen in der Gehörlosengemeinschaft auch kein Glück gehabt hatte. Er begann allmählich zu vermuten, dass es nicht an den anderen lag ‒ sondern an ihm. Irgendwann vor langer Zeit musste anscheinend jemand die Zweitgeborenen seiner Familie namens Basil verflucht haben und nun musste er die Konsequenzen tragen. Doch es gab Schlimmeres, als Single zu sein. Er war seit drei Monaten nicht mehr mit jemandem ausgegangen und das Gefühl der Einsamkeit ließ langsam nach. Grundsätzlich war er ein glücklicher Mensch und er genoss es, allein zu sein.
Daher würde er nicht zugeben, dass er eine drängende Leere verspürt hatte, nachdem Derek den Vorraum verlassen hatte, oder dass er auf dem Weg nach Hause geübt hatte, die Buchstaben von Dereks Namen mit den Lippen zu formen. Oder dass er auf seinem Handy die Seite der Galerie öffnete, nachdem er zu Bett gegangen war.
Und falls ‒ nur falls ‒ er auf den Kaufen-Button unter dem hinreißenden Oktopus tippte, na ja, dann wüsste niemand, wieso.