Читать книгу Die Falle - Emanuel Müller - Страница 8

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Kapitel 2.

Die Tiefgarage des Bürogebäudes hatte drei Ebenen. Die beiden Oberen waren zugeparkt und zu Marias Leidwesen wurde es mit jeder Ebene, die es hinunter ging, enger. Doch ganz unten fand sie schließlich eine breite Parklücke und ließ ihren VW Polo vorsichtig hineinrollen.

Sie stieg aus dem Wagen, schloss sorgfältig die Tür und sah sich in der spärlich beleuchteten Tiefgarage um. Der ideale Ort für einen Überfall, schoss ihr durch den Kopf. Eilig lief sie in die Richtung, in der sie ein Schild mit der Aufschrift ›Aufzug‹ erspähte.

Die Fahrstuhlkabine erwies sich als um einiges geräumiger, als das beengte Parkhaus. Sie war auch um Längen besser beleuchtet. Nervös strich sie ein paar dunkelblonde Haarsträhnen aus ihrem Gesicht und warf einen Blick auf den Notizzettel. 7. Stock. Ganz oben. Sie atmete noch einmal tief durch und drückte auf die oberste Taste. Der Fahrstuhl setzte sich leise surrend in Bewegung.

Nachdem sich die Metalltüren wieder geöffnet hatten, trat sie auf einen lichtdurchfluteten Korridor hinaus. Eine Glasfront bot eine fabelhafte Aussicht über die Dächer der Stadt. Wie beschrieben fand sie gegenüber dem Aufzug eine weiße Tür mit der Aufschrift »Dr. med. Braden«. Mehr stand dort nicht. Man hätte auf die Idee kommen können, es handele sich um den Eingang zu einer Arztpraxis.

Neben der Tür sah sie einen Klingelknopf und betätigte ihn einfach. Nach einigen Sekunden summte ein Türöffner und sie trat ein. Sie kam in eine Art Empfangsbereich. Ein weißer Tresen teilte den spartanisch eingerichteten Raum in zwei Hälften. Auf der einen Seite standen ein paar Stühle und ein niedriges Holztischchen (keine Zeitschriften, also eher keine Arztpraxis), auf der gegenüberliegenden Seite metallene Aktenschränke. Alles machte einen schlichten und fast klinischen Eindruck; wohnlich war etwas anderes.

Hinter dem Tresen saß eine kleine, schwarzgekleidete Frau mit dunklen, kurzen Haaren und lächelte sie freundlich an. »Guten Tag. Frau Brandes, nehme ich an?«

Sie nickte irritiert. »Ähm ... Ja. Ich habe einen Termin mit ...«

»Dr. Braden«, beendete die Frau ihren Satz lächelnd und wies auf eine angelehnte Tür rechts von Maria. »Er erwartet Sie schon.«

Sie bedankte sich mit einem unbehaglichen Gefühl und ging langsam auf die zugewiesene Tür zu, als liefe sie über Wolken.

Sie gelangte in ein geräumiges Büro. In der Mitte stand ein weißer und makellos aufgeräumter Schreibtisch. Die Wand war gesäumt von einem Sofa und einer Reihe niedriger Regale voller Bücher oder seltsamer Dekorationsgegenstände, die sie nicht weiter in Augenschein nahm. Darüber hingen breite Gemälde, die sehr surrealistisch wirkten. Salador Gabi, oder wie dieser verrückte Maler hieß.

Hinter dem Schreibtisch erhob sich ein großer und hagerer Mann. Er hatte stechend grüne Augen hinter einer kleinen John-Lennon-Brille mit kreisrunden Gläsern und dickem, schwarzen Rand. Seine schwarzen Haare hatte er zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden und das schmale Gesicht wurde von einem Drei-Tage-Bart vervollständigt. Die bunte Kleidung - eine dunkelblaue Anzughose, ein kanariengelbes Hemd und eine schwarze Weste - passten so rein gar nicht in diese steril wirkende Umgebung. Maria hatte im Internet kein Foto von ihm gefunden, so blieb sie überrascht stehen. Dr. Braden bot ihr zur Begrüßung die Hand. »Frau Brandes, richtig? Ich bin Phelan Braden.« Seine Stimme war tief und gedehnt, was einschläfernd gewirkt hätte, wäre Maria nicht so nervös gewesen. Braden wies auf einen imposanten, sesselähnlichen Stuhl vor dem Schreibtisch, der aussah, als wäre er geradewegs einem Palast des französischen Mittelalters entsprungen. Sie ließ sich langsam darauf sinken und wusste einen Moment lang nicht, was sie sagen sollte. Dr. Braden nahm wieder Platz und zog ein dünnes Notizbuch aus einer Schublade. »Womit kann ich Ihnen dienen?« Interessiert sah er sie an.

»Ich ...« Maria räusperte sich und setzte nochmals an. »Ich habe im Internet gelesen, mit was Sie sich so beschäftigen.«

Braden nickte andeutungsweise, sagte jedoch nichts.

»Mein Mann ist verschwunden. Spurlos. Ich habe berechtigten Grund zu der Annahme, dass es sich um eine Entführung handelt.«

Ihr Gegenüber hob eine Augenbraue kaum merklich nach oben. »Ihr Mann ist verschwunden? Nun, das ist bedauerlich, aber ich fürchte, das fällt nicht in mein Fachgebiet. Wissen Sie, ich bin kein Privatdetektiv.«

»Das weiß ich, das weiß ich!«, beeilte sich Maria zu versichern. »Die Polizei fand damals keine Hinweise, bis auf sein Auto, und ein Privatdetektiv, den ich angeheuert hatte, ebenfalls nicht. Im Gegenteil, der verschwand auch!«

Diesmal hob Braden merklich eine Augenbraue. »Sie haben sich an einen Privatdetektiv gewandt, um Ihren verschwundenen Ehemann zu finden, und dieser verschwand dann gleichfalls, richtig? Das klingt zweifellos seltsam, aber ich sehe noch immer nichts, was in mein Fachgebiet fällt.«

»Anfang des Jahres war ich mit meinem Bruder unterwegs und wir fanden einen Verletzten auf der Straße. Wir riefen den Rettungsdienst und die brachten ihn ins Krankenhaus.«

Braden legte den Kopf schief und lauschte wortlos.

»Nach ein paar Wochen schien es dem armen Mann besser zu gehen und er wurde entlassen. Darauf kam er bei mir vorbei, um sich dafür zu bedanken, dass wir ihn nicht auf der Straße erfrieren ließen.«

»Frau Brandes, vorsorglich weise ich Sie darauf hin, dass Sie alleine dieses Gespräch bereits Geld kostet und ich die Gebühr nach Minuten abrechne, sofern ich den Fall nicht annehme. Also erinnere ich sie daran, dass ich medizinische Ermittlungen betreibe. Was mit Medizin nichts zu tun hat, fällt nicht in mein Gebiet, so interessant es sich auch anhören mag! Dass sich Privatpersonen an mich wenden, ist ohnehin selten. Normalerweise werde ich von Krankenhäusern oder Versicherungen beauftragt.«

»Ich weiß.« Maria nickte. »Lassen Sie mich trotzdem berichten. Der Verletzte war Arzt. Und er erzählte mir ...« Ihre Stimme begann zu zittern und sie stockte. Braden verzichtete darauf, sie erneut zu unterbrechen und wartete, bis sie sich wieder unter Kontrolle hatte. »Also, er erzählte mir, dass mein Mann noch lebt und er ihn getroffen hätte. Waldemar hatte ihn gebeten, mir das auszurichten.«

»Hat er gesagt, wo Ihr Mann sich aufhält?«

Sie nickte. »Im Wald auf der Nordseite des Brockens.«

Er runzelte die Stirn. »Was tut er da?«

»Das ist es ja! Was dieser Arzt berichtete ... Angeblich wurde Waldemar von einem verrückten Wissenschaftler entführt, der dort Experimente an Menschen durchführt!« Maria brach in Tränen aus. Braden erhob sich mit interessierter Miene. »Möchten Sie einen Kaffee?«

Daniel Menk warf die grünen OP-Klamotten in den bereitstehenden Wäschesack und schlüpfte in die weiße Hose und das Hemd. Dann zog er sich seinen Arztkittel über und verließ die Schleuse. Den ganzen Tag hatte er im OP gestanden. Irgendwie war heute Fraktur-Tag. Ein Haufen Leute mit mehrfach gebrochenen oder zertrümmerten Knochen kamen in die Notaufnahme. Und das im Sommer, das kannte er sonst nur, wenn draußen Glatteis herrschte.

Die Tür fiel hinter ihm ins Schloss und er erstarrte. Vor der OP-Schleuse stand ein Typ, als hätte er auf ihn gewartet. Während er noch das kanariengelbe Hemd und die schräge Brille musterte, schien der Fremde das Namensschild auf Daniels Arztkittel zu lesen und sah ihn dann erwartungsvoll an. »Dr. Menk, richtig?«

Voll böser Vorahnungen nickte Daniel. Wahrscheinlich ein Angehöriger, der mit ihm über seine Mutti sprechen wollte. Dass er ihn direkt am OP abgepasst hatte, war kein gutes Zeichen. Mit einem gequälten Lächeln schüttelte er die dargebotene Hand.

»Ich bin Dr. Braden.«

Braden? Der Name sagte ihm irgendetwas. Schließlich fiel es ihm ein. »Etwa Oberarzt Dr. Braden?«, rutschte es ihm heraus. Braden bedachte ihn mit einem belustigten Grinsen. »Oberarzt schon seit Jahren nicht mehr. Ich bin jetzt freiberuflich tätig. Sie kennen mich?«

»Professor Dr. Knapp erzählte oft von Ihnen.«

»Kann ich mir denken.«

»Worum geht es denn?«, wollte Daniel wissen.

»Das würde ich gerne unter vier Augen besprechen, wenn es möglich ist.«

»Nun, ich habe beinahe Feierabend. Gegenüber der Klinik gibt es ein nettes Café.«

»Klingt gut. Dort weiß man wenigstens noch, was das Wort Kaffee bedeutet. Lassen Sie sich von mir einladen.«

»Dr. Braden lädt mich auf einen Kaffee ein? Was für eine Ehre«, grinste Daniel.

Braden legte den Kopf schief. »Ehre?«

»Naja, nachdem was der Professor und ein paar ältere Ärzte so erzählen, sind Sie ja fast eine Legende! Stellen Sie sich vor, Dr. House würde mich auf einen Kaffee einladen!«

»Dr. House? Ich weiß nicht, ob ich das jetzt als Kompliment auffassen soll.«

Draußen schien die Sonne und die beiden hatten sich einen Tisch an der Straße ausgesucht. Während Daniel einfach einen Cappuccino bestellte, gab Braden (Daniel sollte ihn Phelan nennen) dem Kellner detaillierte Anweisungen, wie er seinen Kaffee gerne zubereitet hätte. »8 Gramm fein gemahlener Kaffee für meine Tasse bitte. Die Temperatur des Wassers sollte exakt 88 Grad Celsius betragen und der Brühvorgang muss 12 Sekunden dauern. Haben Sie das?«

Wahrscheinlich geht der jetzt nach hinten und drückt trotzdem nur das Knöpfchen auf der Kaffeemaschine, dachte Daniel belustigt. Nachdem der Kellner abgezogen war, machte er ein erwartungsvolles Gesicht. »Also, was will der berühmte Dr. Braden von mir?« Er kippelte leicht mit seinem Stuhl.

»Auskünfte.«

»Worüber?«

Phelan lehnte sich zurück. »Weißt du, wen ich heute Morgen in meinem Büro hatte?«

»Nein, aber mit Sicherheit werde ich es gleich erfahren.«

»Maria Brandes.«

Mit einem Klacken landete Daniels Stuhl wieder auf allen vier Beinen. »Maria Brandes!«

»Der Name sagt dir etwas, richtig?«

»Machen Sie ... Äh ... Machst du Witze? Das ist die Frau, die mich nach meinem Unfall im Januar gerettet hat, zusammen mit Ihrem Bruder.«

Phelan nickte. »Du erzähltest ihr eine abenteuerliche Geschichte über Ihren Mann.«

»Das stimmt. Und?«

»Ich glaube sie nicht.«

»Meine Geschichte?«

»Exakt.«

Daniel schwieg und beobachtete den Kellner, der ihnen ihre Tassen hinstellte. Als er wieder verschwunden war, blickte er Phelan ernst an. »Du meinst also, ich hätte Maria eine falsche Geschichte über ihren Mann aufgetischt?«

»Nicht über ihren Mann, den hast du wirklich getroffen. Die Rahmengeschichte war gelogen.«

»Warum hätte ich das tun sollen?«

Phelan nahm einen Schluck Kaffee. »Wahrscheinlich, weil dir Frau Brandes die Wahrheit kaum geglaubt hätte. Und du wolltest nicht, dass sie denkt, du hättest dir das nur ausgedacht, richtig?« Er sah prüfend in seine Tasse. »Dieser Kaffee wurde mindestens 17 Sekunden gebrüht!«

Daniel senkte den Kopf. »Was hat Maria von meiner Geschichte erzählt?«

Phelan trank noch einen Schluck. Dann schaute er sich um, bevor er begann, zu erzählen: »Angeblich warst du mit einem Freund unterwegs auf dem Brocken, eine winterliche Wanderung. Am Nordhang habt ihr ein altes Gebäude gefunden, in dem ein verrückter Wissenschaftler lebte. Dieser hielt unter anderem Waldemar Brandes gefangen. Ihr konntet mit Waldemar reden und er trug dir auf, seiner Frau zu bestellen, dass er am Leben sei. Bei dem Versuch, ihn zu befreien, wurde dein Freund getötet und du von einer Meute Kampfhunde schwer am Arm verletzt.« Er warf einen prüfenden Blick auf Daniels rechten Arm, der von tiefen Narben bedeckt war.

Daniel trank seine Tasse aus und nickte. »Das habe ich ihr erzählt.«

»Warum das und nicht die Wahrheit?«

»Weil ich ihr schlecht hätte erzählen können, dass ... dass ihr Mann ... Pass auf, das wirst du mir nie im Leben glauben!«

Phelan legte den Kopf leicht schief und sah ihn mit erhobenen Augenbrauen an. »Die Polizei hat das Gelände kurz darauf untersucht, fand allerdings keine Hinweise, die deine Geschichte bestätigen. Nicht einmal das Gebäude, in dem dieser Wissenschaftler gehaust haben soll. Auch die Leiche deines Freundes ...«

»Patrick.« Daniel starrte betreten in die Kaffeetasse. Noch immer gab er sich die Schuld am Tod seines besten Freundes, denn er hatte ihn zu dieser winterlichen Wanderung überredet.

Phelan nickte. »Also, auch Patricks Leiche hat die Polizei nicht finden können. Er wird bis heute als vermisst geführt, genauso wie Waldemar Brandes. Und genauso wie ein gewisser Peter Rost.«

»Wer ist das?«

»Ein Privatdetektiv, den Maria Brandes beauftragt hat, ihren Mann aufzuspüren.« Phelan leerte seine Tasse. »Was ist im Januar dieses Jahres nördlich des Brockengipfels wirklich passiert?«

Daniel schwieg eine Weile. Dann seufzte er auf. »Also gut, aber erklär mich hinterher bitte nicht für verrückt, ja? Ich kann es selbst kaum glauben.« Als Phelan nichts sagte, redete er weiter. »Ich hatte Anfang des Jahres einen Patienten mit furchtbaren Bissverletzungen. Kurz bevor er starb, erhielt ich von ihm eine Karte des Südharzes und des Brockens und musste ihm versprechen, ›ES‹ zu finden und zu beenden.«

»ES?«

»Ja, mehr hat er mir nicht verraten. Ich sah mich ihm gegenüber verpflichtet, weil ich sein Leben nicht retten konnte. Er hatte eine schlimme Wundinfektion, ich hatte keine wirkliche Chance, ihm zu helfen. Allerdings lehnte der Mann auch sämtliche lebensverlängernden Maßnahmen ab, obwohl diese ihm wahrscheinlich das Leben hätten retten können.« Er seufzte. »Jedenfalls wollte ich eh meinen Winterurlaub im Harz verbringen. Also dachte ich, es würde nicht schaden, die Orte zu inspizieren, die der Patient auf der Karte markiert hat.«

»Du hast deinen Urlaub zusammen mit Patrick verbracht, richtig?«

»Ja. Ich habe ihn überredet, bei unserer Brockenwanderung einen Abstecher zu machen, aber es wurde dunkel und wir verliefen uns. Im Wald stießen wir auf eine alte Ruine. Darin fanden wir einen Kerker voller eingesperrter Menschen.«

Der medizinische Ermittler setzte sich mit einem Ruck auf. »Eingesperrte Menschen?«

»Ja. Männer, Frauen, sogar Kinder. Darunter Waldemar Brandes. Und dann ...« Er hielt inne und sah sich ängstlich um. Mit gesenkter Stimme sprach er weiter. »Sie haben sich verwandelt.«

Phelan sah ihn argwöhnisch an. »Die Menschen haben sich verwandelt?«

»Vor unseren Augen, ja! Ich schwöre, so war es!«

»In was?«

Daniel atmete tief durch, bevor er sagte: »In Wölfe!«

Die Falle

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