Читать книгу Die Falle - Emanuel Müller - Страница 9
ОглавлениеKapitel 3.
Phelan betrat den Vorraum des Büros und schloss sorgfältig die Tür.
»Und, war das Gespräch aufschlussreich?«, wollte Bea wissen, seine Assistentin. Sie sortierte hinter dem Tresen gerade eine Akte.
»Das könnte man sagen«, antwortete er knapp und marschierte zu seinem Büro. Dann blieb er stehen. »Können Sie mir Satellitenbilder des Brockens besorgen?«
»Sie meinen den Gipfel im Harz?«
Phelan nickte. »Allerdings nicht diesen Google-Maps-Firlefanz, sondern richtige Bilder.«
»Verstehe. Das lässt sich machen. Reicht es in 20 Minuten?«
Der Arzt nickte erneut und schloss die Bürotür hinter sich. Einige Sekunden später riss er sie jedoch wieder auf. »Und danach benötige ich sämtliche Informationen, die Sie über einen gewissen Dr. Aubuchon finden können.« Er buchstabierte ihr den Namen und verschwand endgültig in seinem Büro.
Am nächsten Morgen war Daniel zum vereinbarten Zeitpunkt an der genannten Adresse. Während er noch das vor ihm aufragende Bürogebäude betrachtete, hob sich die Schranke zur Tiefgarage und ein schwarzer VW-Bus kam heraus. Er hielt direkt vor ihm am Bordstein, so dass er den Fahrer erkennen konnte. Mit der markanten Brille konnte es niemand anderes als Phelan sein.
Er öffnete die Beifahrertür und kletterte umständlich hinein. Nachdem er den Rucksack zu seinen Füßen platziert hatte, fuhr Phelan mit quietschenden Reifen an. »Gab es Probleme?«
Daniel schüttelte den Kopf. »Mein Chef war keineswegs begeistert, aber Krankenschein ist eben Krankenschein. Dass ich noch Probleme mit den Bissverletzungen habe, ist ja auch nicht weit hergeholt.«
»Und kein bisschen gelogen«, bemerkte der Ermittler mit einem kurzen Seitenblick. Daniel ging nicht darauf ein. Phelan hatte das auch nicht erwartet, sondern sprach weiter: »Die Polizei ist damals keinesfalls gründlich vorgegangen.«
»Warum?«
»Die haben nicht einmal die Ruine finden können, die du beschrieben hast.«
»Ich wusste die genaue Lage nicht mehr. Die Karte hatte ich zusammen mit dem restlichen Gepäck im Wald verloren.«
Phelan winkte ab. »Nebensächlich. Meine Assistentin hat 15 Minuten gebraucht, eine Luftaufnahme des Gebäudes ausfindig zu machen und weitere 20 Minuten, um in Erfahrung zu bringen, dass es sich dabei um die Überreste des alten Brocken-Sanatoriums handelt.«
»Aubuchon nannte es in der Tat ein Sanatorium.«
»Dort wurden wohlhabende Bürger mit Tuberkulose behandelt. Die frische Harzluft tat den Leuten gut. Als die Entwicklung moderner Antibiotika derartige Therapien obsolet machte, wurde die Einrichtung geschlossen und verfällt seitdem. Es ist schwer zu finden, weil die Zufahrtsstraße inzwischen vom Wald verschluckt wurde und es nur zu Fuß durch unwegsames Gelände zu erreichen ist. Sogar in der Szene der Geocacher und der sogenannten Lost-Place-Fotografen ist das Objekt fast völlig unbekannt, und das will was heißen, richtig?«
»Klingt nach einem idealen Versteck.«
Phelan schien das für offensichtlich zu halten, jedenfalls kommentierte er diese Bemerkung nicht. »Kommen wir zu Dr. Aubuchon.«
»Über den hast du auch etwas in Erfahrung bringen können?«, staunte Daniel.
»Meine Assistentin war so nett.« Während er weiterfuhr, kramte Phelan einen Stapel zusammengefalteter Blätter aus der Mittelablage und entfaltete sie mit einer Handbewegung. »Frédérick Aubuchon, 1949 in Paris geboren, Sohn von Èglise und Alain Aubuchon. Die Eltern waren sehr wohlhabend. Nach seiner Ausbildung auf einer teuren Privatschule studierte Aubuchon Medizin, praktizierte einige Jahre als Neurologe und promovierte schließlich. Seine Doktorarbeit trug den Titel »Zoonoseninduzierte neurologische Degeneration«. Er arbeitete in einer ganzen Reihe von Krankenhäusern in Frankreich und Deutschland. Nirgends blieb er sehr lange. 1990 unternahm er mit seinem Assistenten Mathéo Leclerc eine Forschungsreise nach Schottland. Sie kamen allerdings nie an. Ihr Flugzeug, eine einmotorige Cessna, stürzte über dem schottischen Festland ab und wurde nie gefunden. Man geht davon aus, dass die Piloten und die beiden Passagiere dabei ums Leben gekommen sind.«
»Man hat das Flugzeugwrack nicht gefunden?«
»Angeblich ist es mitten in der Nacht in den Loch Lomond gestürzt. Das ist der größte See Schottlands. Und wer hätte an so einer Suche Interesse? Aubuchon und Leclerc hatten keine Angehörigen mehr.«
»Aber mindestens Aubuchon muss den Absturz überlebt haben!«
»Oh, Leclerc auch!«
»Warum? Von dem habe ich nie gehört!«
Phelan schwieg eine Weile, während er den VW-Bus auf die Autobahn Richtung Erfurt lenkte. Dann wandte er sich zu Daniel. »Leclerc hatte einen Spitznamen.«
Daniel ahnte bereits, was kommen würde. Mit großen Augen sah er Phelan an. Dieser nickte. »Mathéo Leclerc wurde meistens Stryker genannt. Der Name kommt dir bekannt vor, richtig?«
Sie waren erst wenige Kilometer weit gekommen, als Phelan den Blinker setzte und die Ausfahrt ansteuerte. Daniel sah stirnrunzelnd auf die Straßenschilder. »Wo willst du hin? Ich dachte, wir fahren in den Harz?«
»Tun wir auch. Aber wir müssen noch jemanden mitnehmen.«
»Aha.« Daniel schaute aus dem Fenster und musterte die Häuser irgendeines Vorortes, durch den sie gerade fuhren. Als Phelan langsamer wurde, sah er eine kleine Frau mit einem Wanderrucksack am Straßenrand stehen. Sie hatte dunkle, kurze Haare und trug teuer aussehende Wanderkleidung, als wäre sie geradewegs einem Jack-Wolfskin-Katalog entsprungen. Ein knallgelbes Tuch zierte ihren Hals und sie hatte sich eine schwarze Sonnenbrille frech in die Haare geschoben. Gelassen blickte sie dem VW-Bus entgegen.
»Deine Frau?«, wollte Daniel wissen. Seiner Meinung nach musste jemand mit einem ähnlichen Kleidungsstil wie Phelan einfach mit ihm zusammenleben.
»Ich bin unverheiratet.« Phelan brachte den Wagen direkt vor der Frau zum Stillstand, die daraufhin den Rucksack anhob, als wäre er nur mit Watte ausgepolstert, und ihn zur Heckklappe schleppte.
»Ach so. Dann ist es deine ...?«
»Meine Assistentin.«
Daniel wandte sich nach hinten, um zu beobachten, wie sie den Rucksack mit Leichtigkeit einlud und wieder nach vorne kam. »Verstehe ...«, brummte er. Die Beifahrertür wurde aufgerissen und sie sah grinsend herein. »Rutschen Sie mal!«, rief sie fröhlich. Daniel rückte auf den mittleren Sitz und die Frau schwang sich ins Auto, so dass Daniel jetzt zwischen ihr und Phelan saß. Kaum hatte sie die Tür geschlossen, fuhr Phelan mit quietschenden Reifen an und wendete den Wagen, um zur Autobahn zurückzukommen.
»Ich bin Bea«, sagte die Frau und streckte ihm die Hand hin.
»Ähm, Daniel. Ich wusste gar nicht, dass Sie mitkommen.«
»Macht nix!«
Phelan sah auf die Uhr. »Wir werden am frühen Nachmittag in Wernigerode sein. Dann haben wir genug Zeit, das Sanatorium zu finden.«
»Wernigerode?«
»Ja, dort in der Nähe beginnt die alte Zufahrtsstraße, die einst zum Sanatorium führte. Freilich für das Auto nicht mehr passierbar, aber zu Fuß die kürzeste Strecke.«
»Eine Zufahrtsstraße?«
»Wenn Sie alles wiederholen, was er sagt, brauchen wir noch eine Weile«, bemerkte Bea.
»Äh ... Sorry.« Daniel bedachte sie mit einem irritierten Seitenblick und wandte sich dann wieder an Phelan, der sichtlich schmunzelte. »Und was machen wir dort? Reingehen und Aubuchon rausholen?«
»Oh, er wird nicht da sein.«
»Warum nicht?«
»Weil das nicht klug von ihm wäre«, warf Phelans Assistentin wieder ein. Die Antwort fand Daniel ganz schön dürftig, er verzichtete aber auf weitere Nachfrage. Stattdessen fragte er: »Wenn er nicht dort ist, was machen wir dann da?«
»Wir suchen natürlich nach Hinterlassenschaften. Denk dran: Unser Auftrag ist es, Waldemar Brandes zu finden, nicht Dr. Aubuchon!«
»Stimmt ... Wobei Aubuchon zu finden wäre auch nützlich, oder?«
»Ohne Zweifel«, stimmte Phelan zu.
Bea berührte die Narbe an Daniels Arm, der ihn schnellstens wegzog. »He, lassen Sie das!«
»Was haben Sie denn da gemacht?« Neugierig grinste sie ihn an.
»Kleiner Unfall mit Aubuchons Schoßhündchen!«, giftete er zurück.
»Hey, nicht gleich beleidigt sein!«
»Jetzt hört auf, euch zu streiten«, tadelte Phelan.
Bea zwinkerte Daniel zu und zog ein iPad aus ihrer Umhängetasche. Daniel schielte zur Seite, um zu erkennen, was sie darauf machte, doch sie zog es demonstrativ weg und hielt es so, dass er nichts sehen konnte. Seufzend starrte er auf die Straße.
Maria zückte ihr Handy. Eine neue Nachricht.
Dr. Braden ist jetzt am Brocken angekommen. Er wird deinen Mann sicher finden.
Sie überlegte kurz und tippte dann: Danke. Ich glaube, dieser Dr. Braden war wirklich eine gute Empfehlung. Danke nochmals dafür.
Nur Sekunden später kam die Antwort: Lovely. Immerhin kann ich damit auch eigene interests verfolgen. In den nächsten Stunden bin ich nicht zu erreichen, aber mach dir keine Sorgen. Wenn du möchtest, können wir uns im Harz treffen, dann kann ich dir die neuesten News aus erster Hand weitergeben. Mehr dazu später.
Ohne über die nähere Bedeutung der letzten Nachricht nachzudenken, legte Maria das Handy zur Seite. Sie hatte diese geheimnisvolle Person im Internet kennengelernt, kurz, nachdem der Privatdetektiv verschwunden war. In einem Internetforum hatte sie nach Hilfe gesucht. Der Fremde hatte den Nicknamen B-Wulf getragen und ihr Dr. Phelan Braden ans Herz gelegt. Nachdem Maria im Internet einige positive Dinge über Braden gelesen hatte, hatte sie sich schließlich entschlossen, ihn aufzusuchen. Und in der Tat musste es eine gute Idee gewesen sein. Doch sie sollte sich besser nicht zu früh freuen. Peter Rost war auch so weit gekommen, jedoch vom Brocken nie wieder zurückgekehrt. Hoffentlich verschwand nicht auch Dr. Braden spurlos. Dass dieser Fremde sie jetzt auf ein Treffen einlud, war allerdings überraschend. Eigentlich hatte sie alles Dr. Braden überlassen wollen. Vielleicht sollte sie ihn anrufen und von der Kommunikation mit dem Unbekannten berichten? Aber das konnte sie später immer noch tun. Erst einmal abwarten, was er in der nächsten Nachricht schrieb.
Der VW-Bus bremste abrupt und legte sich in eine scharfe Kurve. Daniel, der in der letzten Stunde vor sich hingedöst hatte, riss die Augen auf, als er gegen Bea geschleudert wurde. »Phelan, um Himmels willen!«
Inmitten einer Staubwolke kam der Wagen zum Stillstand. Phelan war von der Landstraße jäh auf einen Schotterweg abgebogen, der mitten in den dichten Wald führte. Dabei hatte er das Fahrzeug anscheinend nicht abgebremst und war danach mit einer Vollbremsung zum Stehen gekommen. Daniel schaute sich erschrocken um. Der Ermittler zog gelassen die Handbremse und schaltete den Motor ab, als hätte er soeben auf einem Supermarktparkplatz eingeparkt.
»Er hat das Einparken so auf der Geheimagentenschule gelernt«, grinste Bea, was ihr einen scharfen Blick von Phelans Seite einbrachte.
»Geheimagentenschule?«, wollte Daniel neugierig wissen.
»Das war ein Witz, Sie Spaßbremse!«, sagte Bea, jedoch nicht sehr überzeugend. Phelan öffnete die Fahrertür und sprang heraus. »Dahinten ist es!«
Daniel starrte den Feldweg entlang und konnte in der Ferne ein Backsteingebäude erkennen. »Das ist schon das Sanatorium?«, fragte er verwundert.
Bea war inzwischen auch ausgestiegen. »Natürlich nicht, doch nicht so nah an der Straße!«
Daniel folgte den beiden und schulterte seinen Rucksack.
»Das ist das ehemalige Verwaltungsgebäude der Anlage«, erklärte Phelan. »Die eigentliche Klinik befand sich etliche Kilometer weiter den Brocken hinauf. Hier unten ist heute ein Gasthaus untergebracht.« Nachdem er den VW-Bus sorgfältig verschlossen hatte, liefen sie los. Sie wanderten am Restaurant vorbei, welches nicht gerade vor Gästen überzuquellen schien, und tauchten im dichten Wald unter. Die Geräusche der Straße traten in den Hintergrund und wurden durch das Rauschen der Bäume und Vogelgezwitscher ersetzt.
»Schön hier«, stellte Bea fest.
»Mag sein. Aber wenn man einmal mitten in der Nacht bei hohem Schnee von einer Meute Wölfe quer durch den Wald gejagt wurde, kann man dem irgendwie nichts mehr abgewinnen«, entgegnete Daniel. Bea sah ihn pikiert an. Dann warf sie einen Blick auf ihr Handy. »Gar kein Empfang hier!«
»Der dichte Wald wird das Signal abschirmen«, meinte Phelan. »Auf dem Gipfel des Brockens dürfte das anders aussehen, doch bis dorthin wollen wir ja nicht.«
Der Weg wurde schmaler und zugewucherter, bis er lediglich noch ein dünner Trampelpfad war. Von links und rechts ragten Büsche hinein. Ab und zu mussten sie Bäume umrunden, die mitten auf dem Pfad wuchsen.
»Da hätten wir auch gleich quer durch den Wald laufen können«, beschwerte sich Bea.
»Der Weg ist seit Jahrzehnten unbenutzt«, erklärte Phelan. »Einst war er breit genug, dass man mit Lastwagen bis zur Klinik fahren konnte.«
»Das weiß ich! Ich habe Ihnen diese Informationen schließlich selbst herausgesucht!«
Daniel erinnerte der schmale Weg stark an die Wanderung im Januar, bei der er mit seinem besten Freund vom Brockengipfel aus zum Sanatorium marschiert war. Nur, dass damals hoch Schnee gelegen hatte. »Kein Wanderfan?«, wandte er sich grinsend an Bea.
»Klappe!«
»Pst!« Phelan war mit grimmigem Gesicht stehen geblieben und starrte den Abhang hinunter. Das Knirschen von Autoreifen auf dem Schotterweg drang durch den Wald leise zu ihnen. Sie hatten bereits ein gutes Stück an Höhe gewonnen und konnten durch die Bäume herabblicken. Daniel sah das Dach des Restaurants zwischen den Blättern. Das Echo der Reifengeräusche, welches ohnehin nur mit Mühe zu hören gewesen war, verhallte am Berghang. Fragend schaute er Phelan an, doch dieser sagte nichts weiter. Schließlich zog er ein Fernglas aus seinem Rucksack und setzte es an die Augen.
»Wonach suchen Sie?«, wollte Bea wissen.
»Da steht ein Auto neben unserem auf dem Feldweg!«
Daniel war schleierhaft, wie er das durch das Dickicht erkennen wollte, aber er fragte nicht nach. Stattdessen meinte er verwundert: »Und was ist daran so schlimm? Bestimmt sind es Gäste des Restaurants.«
»Das hat einen eigenen Parkplatz.«
»Oder Wanderer. Es ist Sommer und die Landschaft ist herrlich.«
Phelan ließ das Fernglas sinken. »Hoffen wir, dass du recht hast.« Damit drehte er sich um und stapfte den ansteigenden Weg hinauf. Daniel folgte ihm. Zuletzt kam Bea, ihr Handy in der Hand und über den nichtvorhandenen Empfang murrend.