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Kapitel 3.

Mathéo hätte geschworen, gerade erst eingeschlafen zu sein, als das Hämmern an der Zimmertür einsetzte. Doch die Sonnenstrahlen, welche durch das staubige Fenster in den Raum fielen, belehrten ihn eines Besseren.

»Ja?«, brummte er muffig und setzte sich auf. War das diese Lene, oder was sollte das Gehämmer? »Steht das Gebäude in Flammen oder was?«

»Mathéo?«, erklang Pierres Stimme vom Flur. »Du solltest langsam aufstehen! In 20 Minuten haben wir den Termin mit dem Notar!«

»Mist!« Er schälte sich aus dem Bett und schlurfte zur Tür. Es war tatsächlich bereits 8:30 Uhr! Er hatte verschlafen! Dabei war er sonst ein ausgeprägter Frühaufsteher und selten nach sieben Uhr noch im Bett.

Missmutig öffnete er die Tür und Pierre drängte sich ins Zimmer. Entsetzt musterte er Mathéo. »Um Himmels willen! Zieh dich an! Wir dürfen nicht zu spät kommen!«

»Reg dich ab, der Notar wird schon warten, wenn wir nicht rechtzeitig da sind«, brummte Mathéo, während er im Koffer kramte und in einen makellosen schwarzen Anzug schlüpfte. »Ich muss mich frischmachen und frühstücken ...«

»Vergiss es! Der Notar kommt extra aus Bastogne; wenn wir nicht einigermaßen pünktlich sind, verschwindet er wieder und stellt dir den Termin in Rechnung! Beeilung!«

Nachdem er angezogen war und mit einem Kamm notdürftig seine Haare geglättet hatte, folgte er dem Sohn des Arztes ins Erdgeschoss. Von Lene oder ihrer unbekannten Kollegin war keine Spur zu sehen; der Gastraum und der Tresen lagen verlassen da.

Vor dem Gasthaus stand bereits der Karren, mit dem Pierre ihn vom Bahnhof abgeholt hatte. Die zwei Pferde stampften ungeduldig auf der Stelle.

Kaum war Mathéo umständlich auf den Kutschbock geklettert, als Pierre auch schon anfuhr. Mathéo wäre fast wieder heruntergefallen. Geradeeben konnte er sich noch festhalten. »Hättest du die Güte, etwas langsamer zu fahren?« Der Wagen polterte durch ein Schlagloch nach dem anderen. Zwar war das Wetter an diesem Morgen heiter und freundlich, die Straße aber noch vom Regen des Vortages in Mitleidenschaft gezogen. Schlamm spritzte auf und er fürchtete um seinen Anzug.

»Keine Zeit! Chateau Leclerc ist nicht eben um die Ecke, weißt du?«

»Na super! Und wie komme ich von dort ins Dorf?«

»Es gibt eine Kutsche und Pferde.«

»Ich kann weder reiten noch eine Kutsche fahren!«

»Der Butler chauffiert dich.«

»Ich dachte, der ist in Brüssel!«

»Na ja, einstweilig wirst du dir so behelfen müssen. Die sind doch bald alle wieder da!«

Pierre jagte den Karren durch den dichten Wald. Zu ihrer Rechten erhob sich ein felsiger Abhang mit verkrüppelten Bäumen. Die Gegend wurde zunehmend bergiger.

Unvermittelt brachen sie aus dem Wald. Aus dem Tal vor ihnen reckte sich ein einzelner Berg in die Höhe, auf dessen Gipfel eine Art Festung thronte. Eine steile Straße führte hinauf.

»Das ist Chateau Leclerc?«, rief Mathéo ungläubig.

»Ja, in der Tat.«

»Ich hatte mir das Schloss irgendwie schlossähnlicher vorgestellt, nicht wie eine mittelalterliche Burg!« Von ihrem Punkt am Fuße des Berges sah er einen massiven Wall aus Feldsteinen, hinter dem sich ein Turm mit spitzem Dach erhob. Der Rest der Anlage blieb bisher seinen Blicken verborgen.

»Gefällt es dir nicht?«

»Na ja ... ehrlich gesagt ...«

»Warte, bis wir dort sind!« Pierre steuerte direkt auf ein Tor in der Mauer zu. Während sie hindurchfuhren, sah Mathéo ein hölzernes Fallgitter. Das würde er dringend erneuern müssen!

Die dicke Mauer umschloss einen großen Hof, welcher von einem dreistöckigen Gebäude dominiert wurde. Dieses bildete eine U-Form, auf deren geschlossene kurze Seite sie geradewegs zuhielten. Daneben lagen kleinere Nebengebäude, die wie Ställe und dergleichen aussahen. Das wirkte schon schlossähnlicher, fand Mathéo, aber die Objekte benötigten zwingend einen frischen Anstrich. Allerdings ließen die ausladenden bunten Blumenrabatten überall auf dem Gelände alles sehr freundlich wirken. Zumindest der Gärtner schien sein Handwerk zu verstehen.

Direkt vor einer völlig überdimensionierten Freitreppe ließ Pierre die Pferde abrupt anhalten. Mathéo wurde fast vom Wagen geschleudert. Während sein neuer Freund behände absprang, kletterte er umständlich herunter und sah sich nochmals in Ruhe um. Neben ihnen parkten eine teuer aussehende geschlossene Kutsche und ein weiterer Karren, wie der, mit dem sie gekommen waren.

»Komm mit!« Pierre führte ihn die Treppe hinauf und stieß die massive zweiflügelige Eingangstür auf. Mathéo wollte den gusseisernen Türklopfer in Form eines Wolfskopfes genauer betrachten, doch er wurde unbarmherzig in eine düstere Eingangshalle gezogen.

Pierres Vater, Dr. Aubuchon, hatte scheinbar direkt dort gewartet, denn plötzlich stand er vor ihnen, einen sehr ungeduldigen Blick aufgesetzt. »Na endlich! Ihr seid spät!«

»Ich habe verschlafen und bitte vielmals um Entschuldigung«, murmelte Mathéo und sah sich in der dämmerigen Halle um. Mangels Beleuchtung konnte er nicht mehr erkennen, als eine ausladende Treppe, welche sich im rückwärtigen Teil des Raumes nach oben wand und in der Dunkelheit verschwand. Davor erspähte er ...

»Sind das etwa Ritterrüstungen?«

»Ja.« Statt näher darauf einzugehen, zerrte ihn Pierre hinter seinem Vater durch eine Flügeltür neben der Treppe. Der Saal dahinter war groß (kleine Räume gab es auf diesem Anwesen scheinbar nicht) und durch riesige Fenster hervorragend beleuchtet. Es musste sich um einen Speisesaal handeln, denn neben einem Kamin, in dem er aufrecht hätte stehen können, wurde der Saal von einem langen und sehr edel aussehenden Eichenholztisch dominiert. An der Tafel hätten mindestens 12 Leute Platz gehabt, eher mehr, doch im Moment saß dort nur einer. Es handelte sich um ein knochiges, dürres Männchen mit grauen Haaren und einer dicken Hornbrille, welche die Augen ihres Trägers riesenhaft erscheinen ließ.

Mathéo ignorierte den Drang, dem Männchen an der langen, dünnen Nase zu ziehen und hielt ihm lächelnd die Hand hin. »Guten Tag. Mathéo Leclerc.«

Der Notar musterte ihn missbilligend und nahm seine Hand zögernd zur Begrüßung, als habe Mathéo ihm stattdessen etwas Ekliges zu Essen hingehalten. »Schab ist mein Name, Notar. Setzen Sie sich!« Die Stimme war rau und schien keinen Widerspruch zu dulden. Schon alleine die Aufforderung, ohne ein angehängtes ›Bitte‹, wirkte wie ein förmlicher Befehl. Mathéo ließ sich genervt auf einen der lederbezogenen Essstühle fallen. Der Arzt und sein Sohn nahmen neben ihm Platz.

»Sie wissen, warum Sie hier sind?«, näselte der Notar.

»Weil mein Onkel Alain sich jetzt die Radieschen von unten anguckt?«

Schab sah ihn pikiert an, Dr. Aubuchon setzte einen entsetzten Blick auf und Pierre musste sich ein Grinsen verkneifen.

Ohne weiteren Kommentar sagte Schab: »Wir reden also über den bedauerlicherweise von uns gegangenen Alain Leclerc.« Er zog ein Blatt Papier aus den Unterlagen. »Wer ist heute erschienen?«

Die Anwesenden nannten der Reihe nach ihre Namen und der Notar machte sich Notizen. Nachdem er Mathéos Ausweispapiere überprüft hatte, kramte er eine Urkunde aus seinem Stapel und rückte sich umständlich die Brille zurecht.

»Also, dies ist das Testament des Alain Leclerc. Er vermacht seinem derzeit jüngstem lebenden Nachfahren - das wären ja dann wohl Sie - das Chateau Leclerc. Selbiges ist das Anwesen, auf dem wir uns gerade befinden. Weiterhin vermacht er Ihnen ein Barvermögen von 10000 Franc. Folgende Besonderheiten gilt es in Bezug auf das Erbe zu beachten ...« Der Alte fuhr fort, das Angestelltenverhältnis des Dienstpersonals zu beschreiben und zu betonen, dass Mathéo dieses nicht entlassen dürfe und das Vermögen überwiegend für die Instandhaltung des Schlosses und die Entlohnung des Personals zu verwenden sei. Mathéo hörte nur mit einem Ohr hin und ließ seinen Blick über die holzgetäfelten Wände und die massiven Deckenbalken schweifen. Alles sehr edel. Die Kerzenständer auf dem Tisch bestanden garantiert aus echtem Silber. Und die Wandhalterungen für die Öllampen sahen auch überaus nobel aus. Die Bodendielen wirkten blitzblank und auf Hochglanz poliert. Das Hauspersonal war scheinbar sehr bemüht.

Überrascht registrierte er, dass der Notar nicht mehr sprach und ihn alle erwartungsvoll ansahen. »Äh ... wie bitte?«

»Ich fragte: Nehmen Sie das Erbe an?« Schab musterte ihn wieder herablassend.

»Äh ... ach so ... Ja. Ja, das tue ich.«

Der Notar schob ihm ein Formular und einen Füllfederhalter entgegen. »Unterschreiben Sie bitte hier unten!«

Schwungvoll setzte er seine Unterschrift unter das Blatt und schob es zurück zum Alten, der es ebenfalls unterschrieb. »Dann gratuliere ich Ihnen zum Besitz des Chateau Leclerc.« So enthusiastisch, wie er das sagte, glaubte ihm Mathéo kein Wort, aber das war ihm egal. Nachdem der Notar ihm noch einen Stapel Papiere ausgehändigt hatte, welcher die Besitzurkunde des Anwesens darstellte, erhob er sich und ging zur Tür. »So, meine Herren, ich empfehle mich. Zeit ist wertvoll. Machen Sie sich keine Mühe, ich finde hinaus.« Damit hatte er das Zimmer verlassen.

Die Eingangstür des Chateaus fiel hörbar ins Schloss und Pierre kicherte los. Mathéo grinste ihn an.

»Na ja, ich konnte den Kerl auch nicht leiden«, schmunzelte Dr. Aubuchon. »Lust auf eine kleine Führung?«

Als sie etwa eine Stunde später das Gebäude verließen, schwirrte Mathéo der Kopf. So viele Zimmer, nur für ihn? Was für eine Verschwendung. Und jetzt steuerte Dr. Aubuchon auch noch auf die Nebengebäude zu. »Das sind die Pferdeställe. Das Chateau Leclerc beherbergt 4 Pferde. Zwei sind reine Kutschenpferde, zwei zum Reiten.«

»Reiten? Ich fürchte, das habe ich noch nie gemacht.«

»Nun, du könntest es ja lernen.« Der Arzt ging weiter zu einem angrenzenden Gebäude mit einem breiten Tor. »Darin steht die Kutsche.«

»Aha.«

Aubuchon zog das Tor auf und Mathéo sah eine prachtvolle Kutsche mit geschlossener Kabine, ähnlich der des Notars. »Der Butler kann dich damit chauffieren.«

»Hübsch.« Er nickte. »Ich glaube, da muss ich mich erst einmal dran gewöhnen.«

Pierre und sein Vater wandten sich in die Richtung des Eingangstores. Mathéo beeilte sich, ihnen zu folgen.

Das Tor war von zwei hohen Türmen flankiert, an denen sich die dicke Außenmauer anschloss, welche rings um das Gelände führte. Vor den Türmen stand ein kleines Häuschen.

»Das Wachhaus«, erläuterte der Arzt.

»Wachhaus? Gibt es denn einen Wächter?«

»Nein, der Gärtner wohnt darin.«

»Wozu hat das Chateau ein Wachhaus? Und warum die zwei Türme direkt am Tor?«

Dr. Aubuchon warf Mathéo einen merkwürdigen Blick zu. Eine Antwort gab er nicht.

Der Fluch der Wölfe

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