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Kapitel 5.

»Lene!« Perplex verharrte Mathéo in der offenen Tür und blinzelte vor der hellen Sonne, die ins Gebäude drang. Draußen auf dem Treppenabsatz stand das Mädchen aus dem Gasthaus, gekleidet in ein einfaches weißes Kleid und einen schwarzen Mantel. Ihre blauen Augen strahlten ihn belustigt an.

»Ich wollte mir dein neues Chateau angucken!« Ohne eine Antwort abzuwarten, marschierte sie an ihm vorbei in die Eingangshalle. Mathéo sah fassungslos zu.

»Was zum ... äh ...«

Lene ging bis in die Mitte der Halle und bestaunte die Rüstungen.

»Sag mal ... Du kannst doch nicht ... Stattest du all deinen Gästen ungebetene Besuche ab?«

»Nein, normalerweise nicht.«

»Ach, aber bei mir machst du eine Ausnahme, ja?«

»So ist es.«

»Darf ich dir noch einen Tee kochen? Einen Kuchen backen? Oder wie wär’s mit einer Rechtsberatung? Stichwort Hausfriedensbruch?«

»Werd nicht albern«, entgegnete sie belustigt.

»Wie kommst du überhaupt her? Zu Fuß?«

Lene ließ ihr seltsames glockenhelles Lachen hören. »Das wäre wohl ein bisschen weit, oder?«

Mathéo nickte und wartete auf eine Antwort.

»Alec Sinne hat mich mitgenommen, nachdem er im Gasthaus gefrühstückt hat. Er hat einen Bauernhof in der Nähe.«

»Aha. Und mit welcher Intention schneist du einfach hier herein?«

»Zwei von den Bauern unterhielten sich heute Morgen im Gasthaus. Ich konnte zufällig lauschen. Sie wollen herkommen und hier einbrechen.«

»Was soll denn das?«

»Du solltest das Tor schließen!«

Mathéo warf einen Blick auf das hölzerne Fallgitter. »Oje. Wie auch immer das geht.«

»Das kriegen wir schon heraus.«

»Warum wollen die hier einbrechen? Wollen die mich ausrauben? Ich muss die Gendarmerie informieren!«

»Das ist keine gute Idee! Die möchten den Grimoire finden und vernichten!«

Mathéo schüttelte ärgerlich den Kopf. »Dr. Aubuchon erwähnte ebenfalls so etwas. Was ist ein Grimoire und wie kommen alle auf den Gedanken, im Chateau wäre sowas versteckt?«

»Nun, das sind halt so Gerüchte. Dein Onkel war in einige seltsame Sachen verstrickt, die besonders die Kirche nicht guthieß.«

»So, die Kirche also. Dann ist ein Grimoire ...?«

»Ein böses Objekt!«

»Ach so. Dann solltest du im Gasthaus nachsehen«, sagte er ernst. »Ich glaube, du hast es mir gestern Abend als Brot serviert.«

Lene ignorierte den Kommentar und lief, sich emsig umsehend, in der Eingangshalle umher. »Gibt es hier eine Bibliothek?«

»Oh ja! Den Gang entlang und ...«

»Gut, dort brauchen wir nicht zu suchen. Der Ort ist zu naheliegend, also hätte Monsieur Leclerc den Grimoire niemals da versteckt.«

»Wenn du mir nicht auf der Stelle erklärst, wovon du überhaupt redest, schmeiße ich dich raus und du kannst zu Fuß ins Dorf zurücklaufen!« Langsam wurde Mathéo ungeduldig. »Was zur Hölle ist ein Grimoire?«

»Hölle trifft es ganz gut.« Lene sah ihn eindringlich an.

»Ach ja?«

»Ein Grimoire ist ein Buch. Ein böses Buch voller dunkler Magie!«

Das wurde ja immer besser. »Das ist nicht dein Ernst.«

»Warum?«

»Dunkle Magie, so ein Blödsinn!« Mathéo wollte weiterreden, doch Lenes erstaunlich ernster Gesichtsausdruck brachte ihn zum Schweigen.

»Du kannst darüber denken, was du willst. Fakt ist jedoch, dass das Spiel mit den schwarzen Mächten nie gut ausgeht! Das Beschwören der Geister ist eine extrem gefährliche und gottlose Tätigkeit! Nicht nur für den Beschwörer selbst, sondern für alle in der Umgebung!«

»Verstehe! Und weil ihr glaubt, mein Onkel sei eine Art Geisterbeschwörer gewesen, der euch die Ernte verdirbt, wart ihr schlecht auf ihn zu sprechen?« Mathéo schüttelte unwirsch den Kopf.

»Ich hatte nie etwas gegen Alain. Aber gerade die Bauern ...«

»Schon klar. Gut, sollen sie es versuchen. Was machen wir?«

»Punkt 1: Das Schloss sichern.«

»Aha.«

»Punkt 2: Den Grimoire finden.«

»Oh.«

Neben dem Wachhäuschen fanden sie eine Tür, hinter der sie eine steile Wendeltreppe direkt auf die Türme am Tor brachte. Lene war leichtfüßig emporgerannt, Mathéo missmutig hinterhergetrottet.

»Na, das sieht doch vielversprechend aus!« Sie schien voller Begeisterung.

»Ach ja?« Mathéo bog um die letzte Windung der staubigen Treppe. Das Mädchen wartete vor einer in die Mauer eingelassenen Plattform, auf der eine Seilwinde und ein seltsamer Mechanismus standen. Aus einem undurchschaubaren Sammelsurium an Zahnrädern und Bolzen ragten zwei lange und abgewetzte Hebel aus rostigem Metall hervor.

»Na, wenn das nicht die Maschinerie ist, um das Fallgitter zu bedienen!«

»Sieht aus, als wäre sie seit der Jahrhundertwende nicht mehr benutzt worden«, maulte Mathéo. Überhaupt war es ein bizarrer Apparat. Die Einzelteile schienen gar nicht verschraubt, aber irgendetwas hielt sie trotzdem an Ort und Stelle. Auch die Hebel ragten irgendwie in einem physikalisch unmöglichen Winkel aus dem Wirrwarr an Zahnrädern und Bolzen.

Statt sich die Mühe einer Antwort zu machen, zog Lene an einem der beiden Hebel. Er rührte sich nicht. Kommentarlos probierte sie den anderen.

Ein Kreischen geschundenen Metalls ließ Mathéo zusammenfahren. Dann rumpelte es unter seinen Füßen und Ketten rasselten laut. Mit einem finalen dumpfen Knall verstummten die Geräusche wieder.

»Ich würde sagen, das war ein Volltreffer!«, grinste Lene. »Komm, lass uns nachsehen!« Fröhlich hüpfte sie die Stufen hinunter. Mathéo trottete ihr hinterher.

Das hölzerne Fallgitter war tatsächlich heruntergekommen und hatte das Tor, den einzigen Zugang zum Schloss, komplett blockiert. Von Nahem machte es doch einen recht stabilen Eindruck, fand Mathéo. »Hauptsache, wir bekommen das Ding auch wieder nach oben, wenn wir von hier wegwollen«, versuchte er, zu kritisieren.

»Darüber mache ich mir keine Sorgen. Das bewirkt bestimmt der zweite Hebel.« Lene drehte sich um und wirbelte nur Zentimeter an ihm entfernt vorbei. Einen Moment lang berührten ihn sogar ihre Haare. Ohne seinen Blick von ihr abwenden zu können, folgte er ihr. Sie lief auf das Wohngebäude zu.

»Wo willst du hin? Diesen Grimoire suchen?«

»Das wird uns erst nach Sonnenuntergang gelingen.«

»Ja?« Er gab sich betont interessiert. Sie hatte so eine schöne Stimme, sie konnte ruhig noch weiterreden. Insgeheim hielt er das Gerede von den Geisterbeschwörungen allerdings für totalen Humbug.

»Ja. Wenn der Grimoire nicht gefunden werden will, findet man ihn auch nicht.«

»Verstehe. Und das will er erst nach Sonnenuntergang, ja?« Die Belustigung in seiner Stimme konnte er schlecht abstellen, aber Lene schien es nicht zu bemerken. Stattdessen nickte sie und sagte: »Ich dachte eher an ein Mittagessen.«

»Das ist eine exzellente Idee!« Bei der Erwähnung einer Mahlzeit knurrte sein Magen vernehmlich. Es musste bereits später als 13 Uhr sein!

Die Speisekammer des Schlosses erwies sich als gut gefüllt und Lene entpuppte sich als hervorragende Köchin.

Nach dem Essen flanierten sie satt nebeneinander über den Schlosshof und nahmen sich die Zeit, jede Ecke in Ruhe zu untersuchen. Mathéo fand mehr und mehr Gefallen an seinem neuen Anwesen.

Die Sonne sank schon merklich tiefer, als sie das Klappern von Rädern und Hufgetrappel vor dem Tor hörten. Schließlich erklang Pierres Stimme. »Mathéo? Bist du da?«

Lene und Mathéo schlenderten zum Fallgitter, durch das ihnen der Arztsohn ungeduldig entgegensah. »Da bist du ja. Warum ist das Gitter unten?« Sein Blick fiel auf Lene. »Und was machst du hier?«

»Ich statte dem frischgebackenen Schlossherrn einen Höflichkeitsbesuch ab«, kicherte Lene.

»Seit wann machst du Höflichkeitsbesuche? Hast du nicht im Gasthaus zu tun?«

Als Antwort schüttelte sie nur den Kopf, dass ihre hellen Haare in alle Richtungen wedelten.

»Ist ja auch egal. Darf ich jetzt rein?«

»Wir probieren es.« Mathéo grinste.

»Lasst mich das machen!« Lene verschwand im Turm.

»Wie ist sie denn hergekommen?«, wollte Pierre wissen.

»Irgendjemand hat sie mitgenommen, glaub ich.«

»Und warum?«

»Sie möchte ein Buch finden, hat sie gesagt. Weil es sonst jemand klauen will. Deswegen ist das Tor zu.«

Pierre schüttelte nachdenklich den Kopf. »Lene kannst du vertrauen, denke ich. Aber pass trotzdem auf, was sie im Schilde führt, ok?«

Mathéo öffnete gerade den Mund, um zu antworten, als über ihren Köpfen ein ohrenbetäubendes schrilles Kreischen erklang. Gleichzeitig hob sich das schwere Gitter mit einer bemerkenswerten Geschwindigkeit. Wahrscheinlich waren irgendwo Gegengewichte, die es nach oben zogen, vermutete Mathéo. Sicherlich im zweiten Turm. Augenblicke später stand Lene wieder neben ihm. »Funktioniert super!«

»Hm.« Misstrauisch das Fallgitter beäugend bugsierte Pierre das Pferd und den Karren durch das Tor auf den Schlosshof, wo er schließlich stehen blieb. Behände sprang er vom Kutschbock und zerrte Mathéos Koffer von der Ladefläche.

»Vielen Dank.« Mathéo setzte das Gepäckstück zur Seite. Dann wandte er sich um. Lene stand im Tor und blickte mit abwesendem Gesichtsausdruck ins Tal.

»Was ist?« Er stellte sich neben sie.

»Ich finde, wir sollten einen kleinen Ausflug mit Pierres Wagen machen.«

»Was?« Der Arztsohn schnaubte. »Wohin?«

»Zum Loup-Cliff.«

Pierre bekam große Augen. »Was willst du denn dort?«

Mathéo sah fragend zwischen den beiden hin und her. »Loup-Cliff? Ist das nicht die Stelle, wo ...«

»... Alain Leclerc ermordet wurde!«, beendete Lene den Satz. »Den Grimoire können wir später suchen!« Bei der letzten Aussage atmete Pierre erschrocken ein.

»Und was machen wir an diesem Cliff?«, wollte Mathéo wissen.

»Uns ein bisschen umsehen. Ich denke nämlich, dass dein Onkel ermordet wurde, doch nicht von Menschen.«

Pierre hatte inzwischen seine Sprache wiedergefunden, sah aber etwas blass aus. »Das halte ich für eine sehr schlechte Idee! Was den Mord angeht, die Untersuchungen müssen wir den Gendarmen überlassen! Es gibt Sachen, in die sollte man sich nicht reinhängen!«

Lene lachte glucksend auf. »Gendarmen! Du bist lustig, Pierre! Als ob die da was rausfinden! Die helfen höchstens dabei, den Vorfall zu verschleiern!«

»Es gibt nichts zu verschleiern!«, widersprach Pierre. »Leclerc wurde ermordet und der Mörder wird gefunden werden! Und natürlich war es ein Mensch, mein Vater hat eindeutig Messerstiche festgestellt, und mit Messern gehen üblicherweise nur Menschen um!«

Lene protestierte. »Nein, nicht nur Menschen!«

Pierre seufzte. »Ich habe noch nie ein Tier mit einem Messer gesehen. Du vielleicht, Mathéo?«

Der Angesprochene schüttelte verneinend den Kopf.

»Ich rede ja auch nicht von Tieren!«, verteidigte Lene vehement ihren Standpunkt.

»Ach nein?«, höhnte Pierre. »Was dann? Eine Pflanze? Oder ein Mineral? Vielleicht war es ja ein Rosenquarz? - Hey, was soll das? Komm da runter!« Aufgebracht versuchte er, Lene daran zu hindern, den Kutschbock zu besteigen. »Lass das, das ist mein Wagen!«

»Fahr uns zum Loup-Cliff!«

»Ja, wenn ihr unbedingt wollt! Doch dann lasst uns beeilen, wenn es dunkel wird, will ich da weg sein. Zwar haben wir Vollmond, aber im Wald wird es trotzdem stockfinster sein. Das tue ich mir nicht an!«

Lene machte bereitwillig Platz und Pierre ergriff die Zügel. »Was ist?« Er sah zu Mathéo, der verdutzt dastand und nur langsam aus seiner Starre erwachte.

»Ja, ich komme!« Da Lene neben Pierre auf dem Kutschbock Platz genommen hatte, blieb ihm nichts anderes übrig, als auf die Ladefläche zu steigen, was ihm ein Naserümpfen abrang. Sauber war was anderes, Pierre hatte garantiert schon Mist auf die Felder gefahren und das Ding hinterher schlecht saubergemacht! Wie das roch!

Der Wagen wendete und rollte durch den Torbogen auf die Zufahrtsstraße. Lene ließ Pierre anhalten, sprintete den Turm hinauf und schloss das Fallgitter. Über eine in das Gitter eingelassene Tür schlüpfte sie anschließend wieder nach draußen. »Mathéo, die sollten wir abschließen, sonst können wir uns das Gitter auch sparen!«

Da er drauf verzichten wollte, nochmals umständlich von dem Karren herunterzuklettern, reichte er nur wortlos seinen Schlüsselbund an Lene, welche damit zügig die Tür verriegelte. »So, da bricht heute keiner ein!« Behände kletterte sie auf die Ladefläche und ließ sich neben Mathéo fallen. Gleich darauf fuhr Pierre eilig an und hetzte die Pferde den Berg herunter.

Der Fluch der Wölfe

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