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Ein Seminar in Deutschland

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Eines dürfte mittlerweile feststehen. Für den Fremdenhass gibt es klar auszumachende Schuldige: die Fremden. Ihr Verhalten in diesem unserem Lande spottet jeder Beschreibung. Dass es auch anders geht, zeigt der folgende Bericht über eine lobenswerte Eigeninitiative türkischer Mitbürger in der berühmten Autostadt Wolfslingen.

ÜZTÜR Liebe Landsleute, ich begrüße Sie bei unserem Seminar Selbstschutz durch Undeutsch. Die vorherrschende Grundhaltung des deutschen Normalmenschen gibt ja leider wieder einmal zu den schlimmsten Befürchtungen Anlass, so dass auch ungewöhnliche Mittel angemessen erscheinen. Lassen Sie uns gleich in medias res gehen. Beim letzten Mal hatten wir wichtige und häufige Redewendungen aus dem Berufsleben durchgenommen. Heute wollen wir uns mit allgemeinen Lebenssituationen beschäftigen. Herr Jamal, bitte übersetzen Sie: "Könnte ich bitte diesen roten Pullover ansehen?"

JAMAL stockend Äh - bitte, zeigen diese rote Pullover.

ÜZTÜR Na ja, recht ordentlich, Herr Jamal. Besser noch wäre "rot' Pullover", das wirkt fremdländischer. - Jetzt bitte, Herr Sedek, was heißt: "Das Bier ist für den anderen Herrn, ich hatte einen Kaffee bestellt."

SEDEK fließend Bitte entschuldig', Bier für andere Mann, ich Kaffee, bitte!

ÜZTÜR anerkennend Sehr gut, Herr Sedek, wirklich sehr gut! Sie haben begriffen, worauf es ankommt. Wer möchte sich an diesem Beispiel versuchen: "Könnten Sie mir bitte erklären, wie die Sortierfunktion an diesem Fotokopierer funktioniert?"

DEMIR hebt schüchtern den Finger Vielleicht so: "Bitte mir sagen, wie geht Sortierfunktion an Fotokopierer."

ÜZTÜR Für den Anfang nicht schlecht, Herr Demir, aber Sie sollten einen Grundsatz nie aus den Augen lassen: Vorsicht mit Fachbegriffen.

DEMIR Wie muss ich das verstehen?

ÜZTÜR Ein Migrant, den selbst einfachste deutsche Satzstrukturen überfordern, hat keine Probleme mit komplexen Begriffen? Das ist nicht plausibel. Sie fliegen schneller auf als Sie Abschiebung sagen können. Versuchen Sie es noch einmal.

DEMIR konzentriert "Bitte ... mir ... sagen, wie geht ... Sort' Papier an Fotokopierer."

ÜZTÜR Fotokopierer?

DEMIR Ja, richtig, hab' ich übersehen. "Bitte mir sagen, wie geht Sort' Papier an Kopier Maschin'."

ÜZTÜR Na bitte, es geht doch, Herr Demir! Jetzt ist noch eine Kleinigkeit zu optimieren. Hat jemand eine Idee?

JAMAL "Bitte mir sag'".

ÜZTÜR Genau, Sie haben's erfasst. Jetzt noch mal im Zusammenhang, Herr Demir.

DEMIR "Bitte mir sag' wie geht Sort Papier an Kopier Maschin'."

ÜZTÜR Sehr gut. Gleich noch ein Beispiel: "Bitte, wie komme ich von hier zum Fundbüro?" Und Vorsicht, die Übersetzung ist schwieriger als es den Anschein hat.

DEMIR zögernd "Wie ... komme ... zu ... Fundbüro, bitte?" Nein, das ist Unsinn.

SEDEK Ich glaube, das "komme" sollte man vermeiden. Vielleicht so: "Bitte, wie Weg zu Fundbüro?"

ÜZTÜR Das ist nicht übel. Aber da ist noch ein Schönheitsfehler. Wer findet ihn?

JAMAL "Weg"?

ÜZTÜR Nein, Herr Jamal, das ist ein Basiswort, das wohl jedem Migranten relativ früh geläufig sein dürfte. Andere Vorschläge?

SEDEK Dann bleibt eigentlich nur Fundbüro.

ÜZTÜR Ganz richtig. Die Erwartungshaltung ist, dass dieses Wort nicht geläufig ist. Wie könnte man es übersetzen?

DEMIR Gar nicht so einfach. Vielleicht "Verloren Amt"?

ÜZTÜR Das ist problematisch. Dass die Archivierung verloren gegangener Dinge in den amtlichen Aufgabenbereich fällt, gehört nicht zum vermuteten Migrantenwissen.

SEDEK Ich glaube, da müsste man eine sperrigere Formulierung verwenden, etwa: "Haus für Sache wenn verloren".

ÜZTÜR Guter Vorschlag, Herr Sedek. Umständliche Formulierungen sind in diesem Zusammenhang ein gutes Stilmittel. Das Integrationshemmnis lässt sich durch den Umbau des Satzes noch steigern. Weiß jemand wie?

DEMIR Hilfloser klänge es so: "Haus für wenn verloren Sache".

ÜZTÜR erfreut Wunderbar, Herr Demir! Und alles zusammen?

SEDEK "Bitte, wie Weg zu Haus für wenn verloren Sache?"

KOYUNCU Blödsinn!

ÜZTÜR pikiert Bitte?

KOYUNCU Blödsinn, habe ich gesagt. Das ist alles kompletter Blödsinn. Wie soll uns dieses schwachsinnige Babygebrabble vor der Ausländerhetze schützen? Blödsinn, sage ich. Allgemeines Gemurmel in der Gruppe

ÜZTÜR laut, um die Stimmen zu übertönen Herr Koyuncu, ich muss mich wirklich wundern. Einen derart unqualifizierten Einwurf hätte ich von Ihnen nicht erwartet. Lassen Sie mich eines fragen: Was fürchtet der wahre Deutsche am meisten?

KOYUNCU wegwerfend Ach, was weiß ich!

ÜZTÜR Herr Koyuncu! Sie sind zwar das erste Mal bei uns, aber immerhin ... Am meisten fürchtet der wahre Deutsche einen derart integrierten Ausländer, dass er ihn möglicherweise gar nicht mehr als solchen erkennen kann. Vor dieser Angst wollen wir ihn mit diesem Sprachkurs bewahren, um die Ressentiments nicht noch weiter anzuheizen.

KOYUNCU Blödsinn.

ÜZTÜR verärgert Herr Koyuncu, bitte! Wir sind hier nicht im Bierzelt! Haben Sie sich denn noch nie Gedanken darüber gemacht, warum unsere germanischen Mitmenschen bei Gesprächen mit Ausländern eben dieses "schwachsinnige Babygebrabble" anwenden, wie Sie sich auszudrücken belieben?

KOYUNCU Warum wohl! Weil Sie glauben, wir würden sie sonst nicht verstehen.

ÜZTÜR Falsch, Herr Koyuncu, ganz falsch! Wenn dem so wäre, wie ist es dann möglich, dass wir immer wieder mit Sätzen konfrontiert werden, wie sie unser geschätzter Herr Jamal beim letzten Mal vorgetragen hat? Einen Moment, ich lese vor ... Blättert in seinen Unterlagen Ah ja, hier: "Wenn du zwischenfinanzieren deine Überziehungs­kredit, dann wir außer Kraft setzen gerichtliche Mahnverfahren, bis wieder zurückführen Außenstände." Verhaltenes Lachen der Gruppe

JAMAL Mein Freund hat erzählt, der Bank­angestellte hätte sogar versucht, mit türkischem Akzent zu sprechen. Lautes Lachen der Gruppe

ÜZTÜR Sehen Sie, Herr Koyuncu? Glauben Sie wirklich, der Mann hat versucht, sich leichter verständlich auszudrücken?

KOYUNCU Na ja ...

ÜZTÜR Herr Koyuncu, es hat keinen Sinn, die Augen vor den Tatsachen zu verschließen. Das "Babygebrabble" ist eine hochkarätige Integrationsbarriere.

KOYUNCU Blödsinn.

ÜZTÜR Na gut, Herr Koyuncu, Sie haben natürlich ein Recht auf Ihre eigene Meinung. Lassen Sie uns fortfahren. Versuchen Sie sich einmal daran: "Könntest du morgen meine Schicht übernehmen? Ich habe eine familiäre Verpflichtung."

JAMAL Darf ich?

ÜZTÜR Sicher, Herr Jamal, nur zu.

JAMAL "Du können nehmen morgen meine Schicht? Ich Verpflichtung für Familie."

ÜZTÜR diplomatisch Ja, Herr Jamal, nicht übel. Ich denke, Sie haben den Kern der Sache noch nicht völlig erfasst, aber das wird schon, keine Sorge, das wird schon. Möchte es noch jemand versuchen?

DEMIR "Du können nehmen" klingt irgendwie - ich weiß nicht - unecht.

ÜZTÜR Gut erkannt, Herr Demir. Die Nutzung des Infinitiv statt der konjugierten Form ist ein plakatives Klischee aus der Frühzeit des Rassismus. Das glaubt Ihnen heute keiner mehr. Wie würden Sie das ausdrücken?

DEMIR Vielleicht eher: "Du mach'"?

ÜZTÜR Das kommt auf den Kontext an. Möchte jemand versuchen, den Satz unter Verwendung von "Du mach'" zu konstruieren?

SEDEK "Du mach' morgen meine Schicht?"

ÜZTÜR Hm, hm. Das klingt ein wenig aggressiv, finden Sie nicht?

DEMIR Vielleicht eine andere Wortfolge, zum Beispiel: "Du morgen mach' meine Schicht?"

SEDEK Ja, das ist gut! Man könnte das noch mit Höflichkeitsfloskeln aufpolstern: "Entschuldig', du morgen mach' meine Schicht, bitte?"

ÜZTÜR erfreut Sehr gut, meine Herren. Und was machen wir mit dem zweiten Teil: "Ich habe eine familiäre Verpflichtung"?

DEMIR Das würde ich stark komprimieren, etwa so: "Ich Familie."

ÜZTÜR Gute Idee. Jetzt wieder im Zusammenhang.

DEMIR "Entschuldig', du morgen mach' meine Schicht, bitte? Ich Familie."

ÜZTÜR Ausgezeichnet. Dann wollen wir gleich eine weitere Übung wagen: "Ich möchte bitte diesen Flug auf Donnerstag nächste Woche umbuchen. Gibt es noch Flüge am Vormittag?" Wer möchte?

JAMAL eifrig Jetzt hab' ich's begriffen! "Flug bitte umbuch' nächste Donnerstag. Geht Vormittag?"

ÜZTÜR verblüfft Nicht schlecht, Herr Jamal, gar nicht schlecht! Kann man das noch verbessern?

DEMIR "Umbuch'" ist vielleicht etwas zu kompetent. Wie wär's mit: "Mach' andere Flug"?

ÜZTÜR Guter Vorschlag. Das erfordert dann aber eine andere Satzkonstruktion. Versuchen Sie es gleich noch einmal?

DEMIR Uhm ... "Bitte mach' andere Flug nächste Donnerstag. Geht Vormittag?"

ÜZTÜR Ja, das kann man durchaus so lassen.

SEDEK Das "Geht Vormittag" klingt meiner Ansicht nach ein wenig künstlich. Wie wär's mit: "Vormittag gut?"

ÜZTÜR erfreut Klasse, Herr Sedek! Und jetzt im Zusammenhang.

SEDEK Bitte mach' andere Flug nächste Donnerstag. Vormittag gut?

KOYUNCU Ich bleibe dabei. Das ist alles Blödsinn. Absolut paranoid.

ÜZTÜR Oh nein, Herr Koyuncu! Können Sie sich an unser Seminar Richtig gekleidet - gut getarnt vom letzten Oktober erinnern?

KOYUNCU Offen gestanden nicht.

ÜZTÜR Darin ist dieses Thema ausführlich zur Sprache gekommen. Sie hätten daran teilnehmen sollen, es hätte Sie sicher interessiert. Mit nichts kann ein Ausländer einen aufrechten Deutschen mehr beunruhigen als mit fortschreitender Anpassung. Solange er gebrochen deutsch spricht, ist er als Fremdkörper auf beruhigende Weise sofort und mühelos erkennbar. Das ist doch evident, nicht wahr?

KOYUNCU Der gelbe Davidstern im türkischen Gewand, wie?

ÜZTÜR Da steckt leider mehr Wahres dahinter als Sie glauben.

KOYUNCU gelangweilt Wenn Sie meinen ...

ÜZTÜR Erst, wenn der Ausländer sich der Sprache seines Gastlandes bemächtigt, wenn er sie vielleicht fehlerfrei oder sogar ohne Akzent spricht, könnte er aus seiner Ghettosituation wegtauchen und für Migrantenparanoiker zu einer schleichenden Gefahr werden, ein- für allemal. Um das zu verhindern, wird der wahre Deutsche eben das nicht tun, was zum Lehren einer Sprache das einzig Richtige ist: korrektes Vorsprechen.

KOYUNCU Dr. Üztür, wollen Sie damit andeuten, dass Deutsche absichtlich so daherstammeln, nur um uns davon abzuhalten, auch ... aber das ist ja absurd!

ÜZTÜR Sie werden sich damit abfinden müssen. Und aus diesem Grund, um die Giftmischung aus Angst, Hass und Unwissenheit nicht durch die Zurschaustellung fortgeschrittener Integration noch mehr anzureichern, sollen Sie in diesem Seminar die richtige Rhetorik für den sprachlichen Umgang mit Ihren deutschen Mitbürgern erlernen. Also, Herr Koyuncu, wenn wir wieder aufs Thema zurückkommen dürften - bitte übersetzen Sie: "Ich hätte gerne einen Fotoband über die Schönheiten dieses Landes."

KOYUNCU widerwillig "Bitte mir geben Buch mit Foto von diese Land."

ÜZTÜR Und der Infinitiv?

DEMIR "Bitte mir geb' Buch mit Foto von diese Land."

ÜZTÜR "... von diese schöne Land."

Gespräche auf einem absurden Planeten

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