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Die Stiftung

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Ich erinnere mich, wie mich mein Vater auf dem Friedhof der reformierten Kirche von Schwanden vor ein Grabmal aus schwarzem Marmor führt und erklärt, hier liege der berühmte Doktor Zopfy begraben, der Begründer der Zopfi-Stiftung. Wenn ich erwachsen sei und im Glarnerland wohne, würde ich von seiner Stiftung jedes Jahr Geld ­erhalten. Zopfy hatte verfügt, dass ab dem hun­dertsten Jahr nach seinem Tod alle im Kanton lebenden erwach­senen «männlichen und weiblichen Glieder des Zopfi-Geschlechtes» alljährlich in den Genuss der Ausschüttung aus dem durch Zinsen gemehrten Stiftungsvermögen kommen würden. «Zur künftigen ökonomischen Besserstellung des Zopfi-Geschlechtes, das mit irdischen Glücksgütern spärlich ausgestattet», heisst es in der Stif­tungs­ur­kun­de.

Während der Jahre, in denen ich mit meiner Fami­lie im Kanton Glarus wohnte, wurde mir einige Male ein Be­trag von etwa vierzig Franken überwiesen. Einmal nahm ich an einer Jahresversammlung der Stiftung teil und schrieb darüber einen Bericht in einer Zeitung. Zwei Dut­zend Zopfis hatten sich in der Gaststube der «Sonne» eingefunden, Frauen waren nicht dabei. Das Gasthaus befindet sich neben dem Rothaus, das einst dem Doktor Zopfy gehört und in dem er ab den 1830er-Jahren seine erste medizinische Praxis geführt hatte. Protokoll und Jahresrechnung wurden ­abge­nommen, der Verstorbenen ge­dacht, über Geld­an­lagen diskutiert, der Vorstand bestätigt. Ver­eins­ge­schäfte. Anschliessend lud die Stiftung zu einem Imbiss mit Sauerkraut und Speck ein. Man trank Wein und Bier, unterhielt sich, rauchte. Bei Kaffee und Schokoladentorte erzählte mir ein älterer Zopfi, dass vor Jahren ein Onkel meines Vaters, Polizist in Schwanden, den Antrag gestellt hatte, auf den tra­­ditionellen Imbiss zu verzichten. Heisst es doch in der Stiftungsurkunde: «Das Kapital darf niemals, unter keinerlei Titel noch ­Vorwand, verteilt oder geschmälert werden.» Die männlichen «Glieder des Zopfi-Geschlechtes» lehnten den Antrag ab, speisten weiter an den Versamm­lungen, denen der «Landjäger Zopfi» von da an aus Protest fernblieb.

Doch wer war dieser kuriose Doktor, der laut Nach­ru­fen auch mit Grundstücken handelte, seinen eigenen Wein kelterte, eine Seidenspinnerei und -weberei betrieb, die eines Nachts abbrannte, der eigentlich Ingenieur ha­be werden wollen, nebenbei Erfindungen machte und an einer Flugmaschine bastelte? Über seine sechzigjährigen Erfahrungen als Mediziner und Homöopath gab er im hohen Alter ein 670 Seiten umfassendes Werk im Selbstverlag heraus, Zopfys «Heilkunde».

An der Wand in der Gaststube der «Sonne» hing ein gemaltes Porträt des Stifters in einem Goldrahmen. Es zeigt einen nachdenklich dreinblickenden alten Mann mit Stirnfalten, grossen Ohren und einer vorspringenden Nase, wie sie nicht selten ist bei uns Zopfi-Männern. Die leicht nach vorn geneigte Haltung wirkt etwas resigniert und müde, melancholisch beinahe. Lachfältchen, die von den blauen Augen ausstrahlen, lassen jedoch vermuten, dass der Herr Doktor auch eine heitere Seite besass, vielleicht sogar Humor. Das kahle Haupt umgibt ein Kranz schütterer Haare. Der weisse Bart unter den schmalen Lippen, der in einer dunklen Jacke verschwindet, ist dem Maler schlecht gelungen, er sieht aus wie angeklebt. Zopfy wirkt auf diesem Gemälde wie ein strenger, aber im Grunde gütiger Sankt Nikolaus.

Durch einen Zufall beim Recherchieren einer ganz anderen Geschichte bin ich darauf gestossen, dass Zopfy zu den Teilnehmern des «Grande Consulto» am Krankenlager des verwundeten Generals Garibaldi gehört hatte. Ich sammelte weitere Informationen, und allmählich begann ich mir ein Bild dieses eigenartigen und eigenwilligen Angehörigen unseres Geschlechtes zu machen, der seinen Namen mit einem vornehmen Y schmückte. Die wenigen und zum Teil widersprüchlichen Fakten, die von ihm überliefert sind, bilden eine Art homöopathischer Grundsubstanz meiner Erzählung.

Garibaldis Fuss

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