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Die Ankunft

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„Eigentlich hatten wir Sie erst am Nachmittag erwartet. Bitte warten Sie hier. Ich werde nachsehen, ob der Herr für Sie zu sprechen ist.“

Der grauhaarige Mann im schwarzen Anzug bewegte sich genauso, wie er sprach, fand Emily. Stocksteif nämlich. Bevor er die Tür erreichte, drehte er sich um und fragte in Emilys Richtung.

„Sie haben nicht zufällig den Gärtner auf Ihrem Weg zum Haus gesehen? Nein? Hatte ich auch nicht erwartet.“

Ohne eine Antwort von der jungen Frau abzuwarten, drehte sich der Hausdiener wieder um. Langsam, mit schlurfenden Schritt, aber immer bemüht Würde auszustrahlen, verschwand der Mann hinter einer der schweren Mahagoniholztüren, die sich direkt hinter ihm schloss.

Emily schaute sich vorsichtig um. Schließlich wollte sie auf keinen Fall als neugierig erscheinen. Denn dann könnte sie wohl nicht mehr darauf hoffen, dass sie die Anstellung in diesem Haus wirklich erhalten würde. Und sie brauchte diese Anstellung dringend. Sehr dringen sogar.

Nach ihrem Studium in Anglistik und Geschichte, hatte sie sich bei unzähligen Firmen beworben. Doch immer wieder kam ein und dieselbe Antwort. Den einzigen Unterschied bildeten die verschiedenen Briefbögen, auf denen die Absagen geschrieben waren.

An ihren Noten konnte es nicht liegen. Die waren ausgezeichnet. Immerhin war Emily sogar die zweitbeste Absolventin ihres gesamten Jahrgangs. Auch an mangelnder praktischer Erfahrung konnte es nicht liegen, denn schon früh, während des Studiums hatte sie sich um Auslandspraktika bemüht.

Vielleicht war sie den Personalchefs einfach nur zu jung. Man hörte ja immer wieder, dass die Firmen am liebsten Mitarbeiter einstellten, die am besten noch während der Pubertät ihren Universitätsabschluss erlangt hatten und im Alter von zwanzig Jahren schon auf eine vierzigjährige Berufserfahrung zurückblicken konnten.

Nach der letzten erhaltenen Absage kam es für Emily aber noch schlimmer. Da sie keine Studentin mehr war, erhielt sie auch kein Geld mehr aus dem Stipendium, das sie aufgrund ihrer Leistungen bekommen hatte. Nun konnte sie seit vier Monaten die Miete nicht mehr bezahlen und saß sprichwörtlich auf der Straße.

Von dieser Stelle hatte sie von einer ehemaligen Studienkollegin gehört, deren Eltern im gleichen Golfclub zu Mittag aßen, wie der potenzielle Arbeitgeber. Gut, die Aufgabe wäre unter dem Niveau, das Emily zu bieten hätte, aber sie wäre gut bezahlt und, was für die junge Frau momentan noch viel wichtiger war, es gab eine Dienstwohnung.

Der Eingangsbereich, in dem sie hier stand und wartete, war gigantisch. Dass es sich um ein riesiges Anwesen handeln musste, konnte sie bereits am Eingangstor an der Straße erkennen. Es war gut und gerne drei Meter hoch und mindestens acht Meter breit.

Der Weg zum Haus, den die junge Frau gelaufen war, musste über einen Kilometer lang sein. Rechts und links neben der kiesbefestigten Straße, die sich über das Grundstück schlängelte, waren Blumenrabatten abgelegt. Die meisten dieser Blumen hatte Emily noch niemals in ihrem Leben gesehen. Auf den gepflegten weitläufigen Rasenflächen waren kunstvoll geschnittene Büsche und Sträucher zu bewundern. Offenbar schätze die hier lebende Familie die Abgeschiedenheit und Ruhe über alle Maßen. Und nun stand sie hier. Von der großen Halle, anders konnte Emily den Eingangsbereich des Hauses nicht umschreiben, führten zwei geschwungene Treppen an den Seiten des Raumes in das Obergeschoss.

Der Fußboden schien eine einzige riesige Platte aus dunklem Marmor zu sein. An den Seiten, in einem Winkel von neunzig Grad zur Eingangstür gingen zwei bogenförmige Türen aus Mahagoni ab.

Hinter einer von ihnen war der Hausdiener verschwunden. Direkt gegenüber der Eingangstür eröffnete sich eine Front aus Holz und Glas. Dort vermutete Emily den Wohnbereich der Familie. Doch wirklich sicher konnte sie sich nicht sein. Als ihr Blick nach oben wanderte, sah sie an der hohen Decke einen Kronleuchter hängen, der wohl jedem Schloss alle Ehre gemacht hätte.

Nervös strichen ihre Finger durch ihr schulterlanges dunkelblondes Haar. Vielleicht war diese Anstellung doch nicht das richtige für sie. Trotz des Studiums und ihres Abschlusses, war das wahrscheinlich eine ganz andere Welt, in die sie geraten war. Aber auf der anderen Seite, welche Chance hatte sie denn noch? Unter einer Brücke zu schlafen, war sicherlich keine Option. Eltern, zu denen sie gehen konnte, hatte Emily auch nicht mehr. Ihr Vater war gestorben, als sie erst zwei oder drei Jahre alt war. Sie wusste es nicht so genau, da sich ihre Eltern bereits vor ihrer Geburt getrennt hatten. Ein Jahr vor ihrem Studienbeginn starb dann auch ihre Mutter. Somit war Emily allein. Andere Familie als ihre Mutter hatte sie nie besessen. Gerade, als die junge Frau in den Gedanken an ihre Mutter versunken war, rissen sie Schritte vor der Eingangstür, zurück in die Wirklichkeit. Es folgte es wuchtiges Klopfen an der schweren hölzernen Tür.

Emily erschrak. Suchend schaute sie sich um. Irgendwoher musste doch der Hausdiener kommen. Doch nicht geschah. Der alte Mann tauchte nicht hinter einer der Türen auf. Wieder klopfte es, als würde jemand etwas Schweres gegen die Tür schlagen.

Wo blieb denn nur der Hausdiener? Emily spürte, wie ihr das Herz bis zum Hals schlug. Was sollte sie jetzt tun? Sie konnte doch nicht einfach so die Tür öffnen. Und wieder hämmerte es an der Tür.

Die junge Frau fasste einen Entschluss. Was konnte schon passieren. Sie konnte ja zumindest Bescheid sagen, dass gleich jemand erscheinen würde. Also ging sie zur Tür und öffnete diese. Und sofort drängte sich ein Mann in den geöffneten Spalt.

„Na endlich, das wurde ja auch Zeit.“

Die Stimme des Mannes klang verärgert. So hatte sie Emily die Situation nicht vorgestellt. Eigentlich wollte sie dem Klopfenden nur erklären, dass er sich noch einen Moment zu gedulden habe und nun drängte er sich gleich in das Haus, in dem sie nur Gast war. Das würde die Aussicht auf eine Anstellung wohl erheblich mindern, wenn sie wildfremden Menschen Einlass zu diesem Haus verschafft. Energisch versuchte Emily die Tür zurück ins Schloss zu stoßen.

„Hey, Sie können hier doch nicht einfach so rein laufen“, versuchte sie den Besucher zu erklären.

In diesem Moment schlug die Tür schon gegen den Fuß, der zwischen Tür und Türrahmen stand.

„Au, verdammt, was soll denn der Quatsch. Wer sind Sie überhaupt?“

Aus der Stimme des Mannes war eine Mischung aus Schmerz und Wut zu entnehmen. Was fiel dem denn ein, dachte Emily und drückte die Tür noch etwas stärke. Doch der Mann auf der anderen Seite schien sich nicht vor die Tür drängen lassen zu wollen. Stattdessen schob er nun selbst. Die schmale Frau hatte gegen den Mann keine Chance und nur wenige Sekunden später war die Tür weit offen.

Nun sah Emily den Mann zum ersten Mal. Er war groß und schlank, etwa zehn bis fünfzehn Jahre älter als sie und hatte zerzaustes Haar, dessen Farbe hervorragend zu dem Marmor auf dem Boden passte.

Gekleidet war er in eine Art Arbeitsoverall. Seine Hände waren mit Dreck bedeckt und sogar in seinem Gesicht fanden sich eindeutige Spuren von dem Dreck. Das war dann wohl der Gärtner dachte Emily. Aber sicher war sie sich nicht.

„Was machen Sie denn hier?“, fragte der Mann. Doch aus irgendeinem Grund war sein Tonfall nun nicht mehr ganz so boshaft.

„Das gleiche sollte ich wohl Sie fragen, oder?“

Emily wusste, dass das einer der klischeehaftesten Gegenfragen war, die es überhaupt gab, doch etwas anderes fiel ihr nicht ein. Sie war immer noch ein wenig verängstigt. Und eigentlich hoffte sie, dass nun endlich der Hausdiener wiederkommen würde. Doch der ließ sich Zeit.

„Nein!“, der Mann vor ihr konnte ein freundliches Lächeln nicht mehr unterdrücken.

„Ich habe Sie zuerst gefragt.“

Nun war Emily in Schwierigkeiten. Was sollte sie sagen. Sie entschloss sich zu einer Notlüge.

„Ich, ähm, ich bin das Kindermädchen. Und Sie?“

Aus dem Gesicht des Mannes wich das freundliche Lächeln. Er schaute etwas verwundert zu der jungen Frau hinüber.

„Sie sind das Kindermädchen? Sind Sie sich da sicher?“

„Ähm, ja, natürlich bin ich mir sicher“, log Emily weiter. Was blieb ihr auch anderes übrig.

„In Ordnung. Und warum habe ich Sie dann hier noch nie angetroffen?“, bohrte der Mann nach.

Sie konnte sich irren, doch irgendwie hatte Emily das Gefühl, als hätten die Augen des Mannes vor ihr ein merkwürdiges Aufblitzen erkennen lassen.

„Ich, naja, ich bin sozusagen neu hier. Erst seit heute. Quasi“, stammelte Emily.

„Ach so, na dann.“

Das Lächeln war in das Gesicht des Mannes zurückgekehrt. Doch es war nicht freundlich, wie zuvor. Es wirkte vielmehr überlegen. Das missfiel der jungen Frau. Wie konnte sich dieser Gärtner ihr überlegen fühlen? Das war doch eine Frechheit. Oder war es vielleicht ein wissendes Lächeln?

„Schön Sie kennen zu lernen.“ Der Mann streckte ihr die rechte Hand entgegen.

Emily wusste nicht, ob sie diese dreckige Hand wirklich schütteln sollte, aber irgendetwas in dem Blick des Mannes übte eine angenehme Faszination auf sie aus.

„Danke. Ich bin übrigens Emily.“

„Nett, Sie kennen zu lernen, Emily. Ich bin Roger.“

Wieder lächelte der Mann die junge Frau an. Dabei bildete sich auf seiner rechten Wange ein kleines Grübchen, während die linke Wange weiter glatt blieb. Sofern man dies unter dem ganzen Dreck in seinem Gesicht überhaupt erkennen konnte.

„Also Roger, was machen Sie hier? Sind Sie der Gärtner?“

Roger strich sich mit der rechten Hand durchs Haar und schaute etwas verwundert zu Emily herüber.

„Der Gärtner? Oh, ja, ja. Der bin ich. Ganz offensichtlich.“

Schmunzelt schaute der Mann an sich herunter und betrachtete die mit Dreck beschmierten Hände. Auch der Overall, den er trug war weit davon entfernt, als sauber bezeichnet werden zu können.

„Ihr Arbeitgeber ist sicherlich gerade nicht zu sprechen, oder? Und wie mir scheint, ist der alte Luttner auch nicht zugegen?“

Emily musste überlegen. Ihren Arbeitgeber, der genau genommen noch nicht einmal ihr Arbeitgeber war, der wahrscheinlich sogar auf ihre Anstellung verzichten würde, wenn er von dem allen hier erführe, hatte sie noch nie gesehen. Und wer Luttner war, wusste sie auch nicht. Sie musste aber davon ausgehen, dass es sich bei dem alten Luttner wohl um den Hausdiener handeln musste.

„Herr Luttner ist leider damit beschäftigt, nach Ihnen zu suchen“, antwortete Emily mit einem verhalten vorwurfsvollen Ton.

Roger hob nachdenklich seine rechte Augenbraue.

„Tja, da kann man wohl nichts machen. Sagen Sie bitte Ihrem Chef, dass ich für heute fertig bin und erst in der nächsten Woche wiederkommen werde. Vielen Dank.“

Der Mann drehte sich um und offenbarte dabei einen riesigen schwarzen Fleck, der sich quer über seinen Rücken zog. Wie der Fleck dorthin gekommen war, wollte sich Emily nicht ausmalen.

Plötzlich schaute der Mann noch einmal zurück zu der jungen Frau und lächelte sie an.

„Es war schön Ihre Bekanntschaft zu machen, Emily. Hoffentlich bis nächste Woche“, er strahlte sie freundlich an und ging die Stufen vom Haus hinab auf den Kiesweg, der vom Grundstück führte.

Emily schloss die Tür, ohne ein weiteres Wort zu sagen. Ein netter Mann, dachte sie. Etwas forsch vielleicht, aber irgendwie ganz nett.

Ein aufgesetztes Hüsteln brachte sie aus ihren Gedanken. Der alte Hausdiener schien aus dem Nichts aufgetaucht zu sein und stand nun direkt neben ihr an der geschlossenen Tür.

„Ich konnte den Herrn leider nicht finden, also gehe ich erst einmal davon aus, dass ich Ihnen das Dienstzimmer zeigen darf.“

Während der Alte sprach, verzog er keinen Muskel seines Gesichtes. Über die Jahre hatte er seine Mimik derart zu kontrollieren gelernt, dass es wohl ein Graus sein musste, mit diesem Mann zu pokern, dachte Emily.

„Tja, dafür habe ich den Gärtner gefunden. Er hat erklärt, dass er erst nächste Woche wiederkommen würde“, sagte sie zu dem Hausdiener.

Dieser stutzte kurz und erlaubte sich nun doch einen kurzen Moment der Schwäche. Dann nickte er einfach und bedeutete der jungen Frau mit einer Handbewegung ihm zu folgen.

Emily ging dem alten Mann hinterher. Dabei bemerkte sie, wie schwer es ihm fiel, sich derart grade und aufrecht zu halten.

Als sie versuchte an ihm vorbeizuhuschen, um ihm die Tür zu öffnen, drängte er sie gekonnt zur Seite und hielt seinerseits die Tür auf, um sie hindurchgehen zu lassen.

Links hinter der Tür erreichten sie eine Treppe, die ins Obergeschoss führte. Anders als die Treppen im Empfangsraum war diese eher schmal und wies so gar nichts von dem Prunk auf, der vom Rest des Hauses erstrahlte.

Langsam, geradezu vorsichtig ging der alte Mann diese Treppe hinauf. Emily hatte etwas Sorge, dass er das Obergeschoss wohl nicht erreichen würde. Mittlerweile verstand sie auch, warum der Hausdiener zuvor so lange verschwunden gewesen war.

Endlich oben angekommen wies der Alte mit einer Handbewegung auf eine Tür.

„Dort ist dann Ihr Zimmer, junge Dame“, sagte der Alte.

Emily ergriff die Klinke, öffnete die Tür und trat ein.

Das Zimmer war geräumig. Es war fast so groß, wie die Wohnung, in der sie bisher gelebt hatte. Das Zimmer hatte einen kleinen Balkon und sogar ein eigenes Badezimmer. Das war ja fast besser als in jedem Hotel, dachte die junge Frau.

„Ich gehe davon aus, dass Sie sich umziehen möchten, bevor Sie bei dem Hausherren vorsprechen wollen.“

Mit diesen Worten taxierte der Hausdiener die junge Frau sehr gründlich und schien besonderen Anstoß an der Jeans zu nehmen, die sie trug. In diesem Hause war man ganz offensichtlich einen anderen Kleidungsstil der Angestellten gewohnt.

Emily erschrak. Sie hatte keinerlei Kleidung mitgebracht. All ihre Habseligkeiten waren bei Freunden in der Wohnung verstaut, in der Hoffnung sie zeitnah nachholen zu können. Dass sie für den Posten eines Kindermädchens in einem Kostüm hätte auftauchen sollen, war ihr nicht in den Sinn gekommen.

Der Hausdiener erkannte nicht zuletzt an Emilys bleichem Gesicht, dass sie wohl mit der Situation ein wenig überfordert war.

Eigentlich hätte es ihm egal sein können, doch dieses junge Mädchen hatte etwas Erfrischendes an sich, dass in diesem Haus schon lange nicht mehr vorhanden war. Und es wäre schon bedauerlich, wenn sein Herr die junge Dame nur wegen ihres Kleidungsfauxpas nicht einstellen würde.

„In dem Schrank hinter Ihnen befinden sich verschiedene Kombinationen. Ich gehe davon aus, dass Ihnen die Kleidergröße 36 passen wird. Ich werde Sie dann in etwa einer halben Stunde abholen und in das Arbeitszimmer des Hausherren begleiten. Seien Sie bitte pünktlich.“

Mehr Freundlichkeit konnte der alte knorrige Hausdiener nun wirklich nicht aufbringen. Selbst wenn er lange nachdachte, würde er sich wahrscheinlich nicht daran zurückerinnern können, wann er das letzte Mal derart persönlich zuvorkommend zu einem fremden gewesen war. Sein Beruf verlangte immerhin Zurückhaltung in jeder Art.

Als der grauhaarige Mann aus dem Zimmer gegangen war und die Tür hinter sich geschlossen hatte, drehte sich Emily zu dem riesigen Kleiderschrank um. Es war ein unglaublicher Schrank. Er musste uralt sein. An den Türen befanden sich handgeschnitzte Verzierungen kupferne Beschläge. Etwa in Kopfhöhe waren dann Fenster in die Türen eingelassen, die einem ermöglichten, in den Schrank hineinzusehen, ohne ihn zu öffnen, wenn man die richtige Körpergröße hatte.

Emily konnte nicht hineinsehen, obwohl sie es versuchte, indem sie sich auf die Zehenspitzen stellte. Doch dann kamen ihr die Worte des Hausdieners in den Sinn, der ihr erklärt hatte, dass sie sich die Kleidung aus dem Schrank nehmen sollte, um sich angemessen zu kleiden. Die junge Frau öffnete die Türen des Schrankes und bemerkte, dass sich diese überraschend leicht öffnen ließen.

Zum Glück! Ein Kindermädchen

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