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Der „Junge Herr“

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Es war viertel vor sieben, als Emily wieder vor dem Haupteingang des Hauses stand und klingelte, um so wieder in die riesige Eingangshalle zu gelangen. Einen Schlüssel oder ähnliches hatte sie noch nicht erhalten, wobei sie ohnehin davon ausgehen musste, nur einen Schlüssel für den Diensteingang am anderen Ende des Hauses zu bekommen.

Luttner öffnete ihr die Tür und schaute für einen kurzen Moment etwas ungläubig auf die junge Frau.

„Ein Schlüssel für den Personaleingang erwartet Sie in Ihrem Zimmer. Um genau zu sein, liegt er auf der kleinen Kommode, gleich links neben Ihrer Tür.“

„Vielen Dank“, entgegnete Emily verlegen.

Schon wieder war sie in eines der unzähligen Fettnäpfchen in diesem Haus getreten. Sie nahm sich fest vor, noch heute Abend den Diensteingang des Hauses zu suchen, sodass ihr Luttner nicht noch einmal einen solchen Fauxpas vorwerfen konnte. Sie war sich nicht sicher, ob es auch in diesem Haus so war, aber in den Häusern, die sie kannte – wenn auch nur aus diversen Fernsehsendungen oder Hollywood-Filmen – war es fast immer so, dass der Diener ein gutes Verhältnis zu seinem Herrn hatte und somit durchaus Einfluss auf Einstellungen und Entlassungen nehmen konnte.

Und das letzte, was Emily gerade gebrauchen konnte, war diese Anstellung gleich wieder zu verlieren.

Punkt neunzehn Uhr fuhr eine dunkle Limousine vor dem Haus vor. Emily hörte das Öffnen und Schließen von zwei Wagentüren, gefolgt von den stapfenden Geräuschen einer Person, die die Treppe zum Haupthaus herauf kam.

Dann läutete es. Luttner öffnete mit einer gekonnten Handbewegung und begrüßte den Ankömmling, noch bevor dieser die Tür durchschritten hatte.

„Hallo Luttner“, entgegnete der Junge, der gerade durch die Tür gekommen war.

Wenn es sich bei diesem Kind um den Sohn von Roger, also ihrem Arbeitgeber handelte, dann hatte er aber überhaupt keine Ähnlichkeit mit seinem Vater, dachte Emily.

Der zehn oder elfjährige Junge mit seinen langen Armen und Beinen, die ihn zu überfordern schienen, wirkte ungelenk, geradezu schlaksig. Die kinnlangen Haare hingen wild in sein Gesicht und verdeckten das rechte Auge des Kindes.

Bei der Kleidung handelte es sich augenscheinlich um eine Schuluniform. Wenigstens konnte er dabei nicht seinen pubertierenden Protest ausleben. Von der Würde und der Weltgewandtheit seines Vaters hatte der Junge nichts abbekommen, aber vielleicht würde sich das noch entwickeln.

Emily schaute sich um. Nur sie und der alte Diener waren anwesend um den Jungen zu begrüßen. Der Hausherr selbst hatte bestimmt etwas Besseres zu tun, als seinem Sohn die neue Angestellte vorzustellen. Das verstand Emily. Sie hatte auch bei weitem keine so wichtige Stellung in diesem Haus, die es verlangte, dass ihr Chef hier war.

Aber zumindest hätte der Mann seinen Sohn begrüßen können. Egal, wie beschäftigt er war, so viel Zeit sollte er sich wohl nehmen, wenn er sich doch ohnehin im Haus aufhielt.

Als der Luttner den Jungen begrüßte und ihn dann mit einer kunstvollen Handbewegung bedeutete, einen kurzen Augenblick zu warten, war sich Emily endgültig sicher, dass der Hausherr nicht mehr auftauchen würde.

„Die junge Dame wird sich um Sie kümmern, junger Herr und zudem für Ihre Nachhilfe in Englisch und Französisch verantwortlich sein“, erklärte der Hausdiener in einem fast schon beschwörenden Ton.

Wortlos schaute der Junge zu Emily hinauf. Es war ihm anscheinend egal, dass sie hier war. Vielleicht dachte er sich sogar, dass sie sowieso nicht allzu lange hier bleiben würde.

Der Junge nickte, dann ging er ohne weitere Anzeichen dafür, dass er die beiden Erwachsenen in der Eingangshalle überhaupt beachtete, die Haupttreppe ins Obergeschoss und verschwand hinter einer der vielen Türen.

„Scheint ja ein netter kleiner Kerl zu sein“, scherzte Emily.

„Man könnte behaupten, dass sich Master Patrice in einer schwierigen Phase seines Lebens befände. Und offenbar ist sein Vater in Sorge, dass er diese nicht allein verlassen könne, sonst hätte er Sie wohl kaum eingestellt.“

Emily wusste nicht, wie sie die Worte des alten Mannes werten sollte. Sie hatte auch keine Gelegenheit, länger darüber nachzudenken, denn Luttner erklärte, dass es jetzt wohl Zeit wäre, sich zurückzuziehen.

„Ich wünsche Ihnen eine angenehme Nacht“, sagte die junge Frau zu dem ergrauten Hausdiener.

„Bevor Sie zu Bett gehen, hier ist Ihr Dienstplan für die kommende Woche“, mit diesen Worten reichte der Alte ein laminiertes Blatt Papier an Emily weiter.

Sie beobachtete seine Hand und sah, wie sie zitterte. Als Luttner erkannte, dass ihn die junge Frau musterte, bemühte er sich das Zittern seiner Hand zu verbergen, indem er sie so schnell, wie es ihm noch möglich war, hinter seinem Rücken versteckte.

Emily schaute ihm nun direkt in die Augen und glaubte so etwas wie Sorge, vielleicht sogar Angst zu erkennen. Sorgte er sich möglicherweise darum, dass sein Arbeitgeber ihn entlassen würde, wenn er dachte, dass der Hausdiener zu alt für seine Arbeit war? Zuzutrauen war es diesen Menschen. Ihr Reichtum und ihr Lebensstil bauten oftmals darauf auf, dass sie keine Schwächen ihrer Mitarbeiter duldeten.

Mit einem sanften Blick gab sie dem Alten wortlos zu verstehen, dass sie das, was sie gerade bei ihm beobachtet hatte, niemandem gegenüber erwähnen würde.

Luttner schaute sie für einen kurzen Moment dankbar an, nickte ihr zu und drehte sich zum Gehen um. Noch bevor er verschwand, sagte er zu der jungen Frau:

„Bitte vergessen Sie nicht, morgen früh um sieben Uhr müssen Sie den jungen Herren wecken, ihm ein Frühstück zubereiten, den Chauffeur rufen und ihn dann in die Schule schicken. Punkt acht Uhr muss er das Haus verlassen.“

Vielleicht bildete Emily sich es nur ein, aber sie hatte das Gefühl, das der Tonfall des Alten nun viel freundlicher, fast schon väterlich wirkte.

Emily stand nun vollkommen allein in der großen Eingangshalle des Hauses. Sie schaute nach oben und fühlte sich plötzlich vollkommen einsam. Wie sollte es ein Kind, wie das, für das sie nun verantwortlich war, nur aushalten, in einem solchen Haus. Ob man sich je an diese riesigen Räume und die fast schon erdrückende Leere in ihnen gewöhnen konnte? Gedanken verloren ging Emily zurück zu ihrem Zimmer.

Es war zwar erst viertel nach sieben, doch der morgige Tag würde wahrscheinlich anstrengend werden, zumal sie immer noch nicht so recht wusste, was sie eigentlich in diesem Hause zu tun hatte. Auf Abendbrot würde sie wohl verzichten, schon allein deshalb, weil sie nicht wusste, wo sich die Küche des Hauses befand.

Zum Glück! Ein Kindermädchen

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