Читать книгу Zum Glück! Ein Kindermädchen - Emily Alder - Страница 4
Das Vorstellungsgespräch
ОглавлениеEtwa eine halbe Stunde nachdem Luttner das Zimmer von Emily verlassen hatte, klopfte es kurz aber energisch an ihrer Tür. Es war abermals der Hausdiener, der ihr nun mitteilte, dass sie sich zu ihrem Vorstellungsgespräch begeben sollte.
Als die junge Frau kurz zweifelnd vor ihm stand, weil sie sich nicht sicher darüber war, ob sie nun angemessen gekleidet war, nickte er ihr aufmunternd zu und bedeutete ihr dann, dass sie sich beeilen sollte.
„Ihre Frisur sollten Sie vielleicht noch einmal überdenken“, sagte er wie beiläufig, gerade als Emily sich sicher genug fühlte, um ihm zu dem Vorstellungsgespräch zu folgen.
Jetzt fühlte sie einen kleinen Anflug von Panik. In all der Hektik, die passende und angemessene Kleidung aus der Auswahl, die ihr Luttner präsentiert hatte, zu finden, hatte sie ganz vergessen, sich zu frisieren.
Kurzentschlossen tat sie das einzige, was ihr noch einfiel und band ihre Haare zu einem strengen Pferdeschwanz zusammen, der bei jedem ihrer Schritte von links nach rechts wippte.
Der alte Hausdiener ging wieder vor, was auch gut war, denn Emily kannte sich in diesem Haus überhaupt noch nicht aus. Als sie es betreten hatte, glaubte sie, dass es eine übersichtliche Struktur haben würde. Doch jetzt, da sie durch eine der Türen gegangen war, wusste sie es besser. Es war fast so, wie bei Alice im Wunderland, nur dass sie keinem weißen Kaninchen, sondern einem grauhaarigen alten Mann folgte.
Nach einer Treppe und mehreren Gängen erreichten sie eine große Holztür. Anders als die Türen des Hauses, die Emily bisher gesehen hatte, war diese Tür nicht aus Mahagoni, sondern schien aus Eiche zu sein. Der Hausdiener klopfte vorsichtig an, als sei er besorgt, sein Klopfen könnte den Zorn desjenigen hervorrufen, der in diesem Raum saß. Aus dem Rauminneren klang ein kräftiges „Herein.“
Luttner öffnete die Tür und nickte der jungen Dame aufmunternd zu. Emily spürte, wie ihr Herz vor Aufregung schneller zu schlagen begann. Es war fast so, als würde sich ihr Körper versteifen wollen. Na ganz toll, dachte sie, jetzt auch noch auf die Nase fallen, das wäre dann das I-Tüpfelchen des heutigen Tages.
Genauestens auf ihre Schritte bedacht ging die junge Frau in den Raum hinein, die Augen auf ihre Beine gerichtet, etwas ungläubig darüber, dass sie tatsächlich gehorchten. In ihren Augenwinkel sah sie plötzlich eine Kante, die wohl zu einem Schreibtisch gehören musste. Emily blickte auf und sah, dass sie mit ihrer Vermutung Recht hatte. Es war tatsächlich ein Schreibtisch. Genau wie die Tür war auch dieser aus Eichenholz gefertigt. Hinter dem Schreibtisch saß ein Mann in einem dunklen Anzug, einem weißen Hemd und einer dunkelblauen Krawatte ohne Muster. Er trug eine randlose Brille, wobei er sie kurz über die Gläser hinweg durch seine großen dunklen Augen zu mustern schien. Das schwarze Haar, das sich grau absetzte, war streng nach hinten gekämmt. Auf dem kantigen Gesicht zeigte keine Gefühlsregung, geschweige denn ein Lächeln.
Emily konnte sich irren, doch irgendwie kam der Mann ihr bekannt vor. Dann überlief sie ein kalter Schauer. Schlagartig wurde ihr schlecht und sie hatte das Gefühl, dass die Knie ihr Gewicht nicht mehr tragen wollte.
Der Mann, der dort in dem hohen Bürostuhl saß war niemand anderes, als der Gärtner, den sie vorhin den Fuß in der Tür eingeklemmt hatte. Es war also nicht der Gärtner, sondern der Hausherr.
Doch vorhin hatte er wesentlich freundlicher ausgesehen, dachte sich die junge Frau. Sie war sich nicht sicher, ob sie ihn ansprechen durfte oder darauf warten sollte, bis er die Unterhaltung begann. Glücklicherweise tat der Mann, der sich vor etwa einer Stunde als Roger vorgestellt hatte, ihr den Gefallen und begann zu sprechen.
„Ich freue mich, Sie bei uns begrüßen zu dürfen. Luttner hat Ihnen Ihr Zimmer schon gezeigt. Mein Sohn wird heute Abend gegen neunzehn Uhr zu uns stoßen. Ich bitte Sie dann zur Verfügung zu stehen. Eine Abschrift Ihres Arbeitsvertrages finden Sie auf Ihrem Zimmer. Alles Weitere wird Luttner Ihnen erklären.“
Damit war die Begrüßung durch den Hausherrn beendet.
Abgesehen von dem kurzen Augenblick, in dem er sie musterte, hatte der Mann nicht einmal vom Tisch aufgesehen, was doch eigentlich ziemlich unhöflich war, dachte Emily.
„Vielen Dank“, sagte Emily mit sanfter leiser Stimme.
Es war ihr immer noch merklich peinlich, dass sie ihren Arbeitgeber, den Hausherren, mit dem Gärtner verwechselt hatte. Umso mehr freute sie sich aber, dass er ihr trotz alldem eine Chance gab, sich als das Kindermädchen seines Sohnes zu beweisen.
Als Emily nichts mehr sagte, den Raum aber auch nicht verließ, schaute Roger kurz von seinem Schreibtisch auf.
Da stand sie, mit leicht gesenktem Kopf, sodass ihr das schulterlange Haar etwas in ihr weiches Gesicht fiel. Eine lange Strähne, die aus dem Zopf gerutscht sein musste, verdeckte ihre großen blauen Augen. Offenbar hatte Luttner ihr bereits neue Kleidung zugeteilt. Doch irgendwie wollten weder das Jackett noch der knöchellange Rock so recht zu ihr passen.
Für einen Augenblick wollte er die junge Frau genervt anfahren. Doch dann sah er sie an und erkannte ihre Verlegenheit. Bestimmt wusste sie nicht so recht, wie sie sich nun verhalten sollte. Auch wenn er wusste, dass es nicht richtig war, genoss er die Situation für einen Augenblick, dann nickte er Emily zu.
„Sie können jetzt gehen. Gewiss wollen sie sich mit dem Gebäude und dem gesamten Grundstück vertraut machen. Also dann, bis um sieben.“
Roger senkte seinen Blick zurück zu den Unterlagen auf seinem Schreibtisch. Währenddessen drehte sich Emily um und verließ zweifelnd den Raum. Sollte das jetzt das Vorstellungsgespräch gewesen sein? Er hatte nicht eine einzige Frage gestellt. Nicht einmal die, ob sie die Stellung überhaupt haben wollte. Wahrscheinlich ging er davon aus, dass sie glücklich war, überhaupt eine Anstellung zu finden.
Nachdem sie die Tür hinter sich geschlossen hatte wandte sie sich in die Richtung, aus der sie gekommen war und erschrak kurz. Dort stand immer noch der alte Hausdiener Luttner, als habe man ihn dort abgestellt.
„Gehe ich Recht in der Annahme, dass Sie die Anstellung erhalten haben?“, fragte er in einem Tonfall, den er wohl für höflich, vielleicht sogar freundlich, hielt.
Emily nickte.
„Dann willkommen. Der junge Herr wird gegen neunzehn Uhr eintreffen, also sein Sie bitte achtzehnuhrfünfzig in der Eingangshalle.“
Mit diesen Worten drehte sich der alte Mann um und verschwand kurz darauf hinter einer der Türen.
Nun stand Emily vollkommen allein in dem langen Gang. Rechts und links gingen Türen ab, doch sie wusste nicht, wohin diese führten. Vielleicht war irgendwo eine Tür, die nach draußen führte, doch bis sie diese gefunden hatte, wäre der Tag vielleicht vorbei. So entschloss sich die junge Frau, den Weg, den sie gekommen war auch wieder zurückzulaufen, wenn sie ihn denn finden würde. Es war noch Zeit, bis sie den Sohn ihres neuen Arbeitgebers, um den sie sich von heute an sorgen musste, kennen lernen würde. Bis dahin wäre es vielleicht ganz sinnvoll, wenn sie sich den Rat ihres neuen Arbeitgebers zu Herzen nehmen würde, und sich ein wenig auf dem riesigen Grundstück umsah. Wenn sie schon ein kleines Kind hüten sollte, dann musste sie auch die Gefahren kennen, vor dem sie das Kind vielleicht beschützen musste. Teiche, Klärgruben oder ähnliches.
Also ging sie, so wie sie gekommen war in den Eingangsbereich und aus dem Haupteingang hinaus auf den Kiesweg. In den nächsten Tagen musste sie sich unbedingt mit den Wegen im und um das Haus vertraut machen, das nahm sie sich fest vor.
Der Garten unglaublich schön. Der Rasen war vor ein paar Tagen gemäht worden und hatte somit seine natürliche Schönheit wiedergewonnen. Emily mochte es nicht so besonders, wenn der Rasen so kurz geschoren wurde. Es war schöner, wenn man tatsächlich kleine Blumen auf der Wiese sehen konnte, die hier und da einen freundlichen Farbtupfer auf das unendliche Grün zauberten.
Von dem Hauptweg, der sie von der Straße bis zum Haus geführt hatte, gingen verschiedene kleine Wege ab, die über die Rasenflächen führten. Auch um das ganze Haus herum führte ein Weg aus hellem Kies. Emily beschloss das Haus einmal im Uhrzeigersinn zu umkreisen. Sie war gespannt, was sie alles entdecken würde.
Und ihre Erwartungen wurden keinesfalls enttäuscht. Direkt hinter dem linken Flügel des Hauses verbarg sich ein flaches breites Gebäude, von dem Emily ausging, dass es sich um eine Garage handeln müsse. Doch wer bräuchte schon so viel Platz für ein Auto. Gerade als sie dies dachte, fiel ihr ein, wo sie sich befand. Das war alles andere als eine normale Familie und wahrscheinlich hatte ihr neuer Arbeitgeber mehr als nur ein einziges Auto. Aber ehrlich, diese Garage hatte Platz für mindestens zehn Autos, welch eine Verschwendung.
An die Garage schloss sich ein weiteres Nebengebäude an. Emily hätte niemals gedacht, dass das Grundstück derart bebaut sein würde, denn, wenn man vor dem Haus stand, sah man all die anderen kleineren Häuser dahinter nicht.
Bei diesem zweiten Haus handelte es sich um eine Art Schuppen, in dem all die Geräte aufbewahrt wurden, die man für die Pflege des Grundstückes benötigte. Dies sah die junge Frau, da eine der großen grün gestrichenen Tore offenstand.
Als sie das gesamte Wohnhaus einmal umrundet hatte, war es auch höchste Zeit, sich wieder im Inneren des Hauses einzufinden. Immerhin musste sie ihren „Schützling“ in Empfang nehmen.