Читать книгу Die berühmten Frauen der französischen Revolution 1789 - 1795 - Emma Adler - Страница 6
Théroigne de Méricourt.
ОглавлениеThéroigne de Méricourt, diese mit Unrecht verlästerte und unverstandene Amazone der französischen Revolution, wurde am 13. August 1762 in Marcour in der Provinz von Luxembourg geboren.
Sie hieß eigentlich Anne Josephe Terwagne, ein in Lüttich und im Luxembourg sehr häufiger Name, dessen Aussprache die französische Schreibweise wiedergibt.
Théroigne verlebte eine traurige Kindheit, ihr Vater hatte durch unglückliche Prozesse und Unternehmungen sein Vermögen eingebüßt. Er war vorher ein wohlhabender Pächter gewesen und betrieb überdies einen kleinen Handel, wovon er und seine Familie behaglich leben konnten. Théroigne und ihre Brüder waren noch im zarten Alter, als ihre Mutter starb. Eine Tante, die sie in Lüttich hatte, nahm sich ihrer an. Anfänglich behielt sie das Mädchen bei sich, dann gab sie es in ein Kloster, wo Théroigne ein wenig nähen lernte. Als die Tante ein Jahr später heiratete, wollte sie nicht weiter im Kloster für ihre Nichte zahlen und nahm sie zu sich ins Haus. Doch sie behandelte das arme Kind so schlecht, dass dieses wieder zu seinem Vater zurückkehrte, der sich inzwischen ebenfalls wieder verheiratet hatte. Aber auch dort konnte Théroigne nicht lange bleiben, die Stiefmutter benahm sich gegen sie und ihre Brüder sehr herzlos, so dass die Kinder das elterliche Haus verließen. Das Mädchen und ein jüngerer Bruder begaben sich zu Verwandten nach Xhoris. Théroigne war damals 13 Jahre alt und ihr Bruder in der zartesten Kindheit. Doch Arbeiten wurden von ihr gefordert, die zu ihrer Kraft und ihrem Alter in keinem Verhältnis standen, aber das hätte sie noch eher ertragen, als die Demütigungen, denen sie ausgesetzt war. Als diese unerträglich wurden, kehrte sie wieder zu der bösen Tante nach Lüttich zurück, aber diese behandelte sie nach wie vor so schlecht, dass Théroigne in die Provinz von Limbourg ging, wo sie ein Jahr hindurch die Kühe hütete. Nach Ablauf dieser Zeit kam sie wieder nach Lüttich, wo sie nähen lernte. Als sie 16 Jahre alt war, machte sie die Bekanntschaft einer englischen Dame, die sie zu sich nahm und sie in jeder Beziehung sehr gut behandelte. Ihr verdankte es auch Théroigne, dass sie in der Musik Unterricht bekam. Als sie 20 Jahre alt war, ging sie mit jener Dame nach England. Dort lernte sie in deren Hause einen jungen, reichen Engländer kennen. Er machte ihr in der ehrbarsten Weise den Hof[,] zeigte ihr bei jeder Gelegenheit, wie lieb und teuer sie ihm sei, auch ihr wurde der junge Mann immer sympathischer, und nach und nach erwachte heftige Liebe in beider Herzen. Die Dame nahm sich Théroignes mütterlich an, sie riet ihr, den Verkehr mit dem reichen Manne aufzugeben, da sie an den Ernst seiner Absichten nicht glaubte, sie ging sogar so weit, dem jungen Mann ihr Haus zu verbieten. Doch er ließ von seinen Bewerbungen nicht ab. Eines Abends, als die Dame nicht daheim war, kam der junge Engländer zu Théroigne hinauf und sagte ihr tausend schöne Dinge, er sprach von seiner Liebe und schlug ihr vor, mit ihm davonzugehen und zu heiraten. Théroigne zitterte, sie wollte ihm entfliehen, er aber verfolgte sie und trug sie in seinen Wagen. Zuerst war sie entrüstet und machte ihm viele Vorwürfe, aber der junge Mann erneuerte seine Schwüre, und die Liebe erstickte schließlich ihre Entrüstung wie auch ihr Bedauern, die Dame verlassen zu haben, der sie zu so großem Danke verpflichtet war.
Der junge Liebhaber führte Théroigne auf seine Besitzungen in der Nähe von London, wo sie heiraten sollten. Théroigne verließ sich auf seine Ehrenhaftigkeit und seinen Zartsinn. Da er von Adel war und bei seiner Großjährigkeit 10.000 Louisdor Rente zu erwarten hatte, war er genötigt, sich seiner Familie gegenüber Rücksichten aufzuerlegen, da diese sicherlich nicht gleichgültig zugesehen hätte, dass er ein mittelloses Mädchen zur Frau nehmen wollte. Aber der junge Mann liebte Théroigne so innig, dass er allen Hindernissen zum Trotz sie auf der Stelle geheiratet hätte, wenn sie es gefordert hätte, aber wie alle Liebenden dachte sie nicht an die Zukunft und lebte nur dem Augenblick.
Die Zeit verging und mit dem Eintritt seiner Großjährigkeit, da er über ein großes Vermögen verfügen konnte, war gleichzeitig auch Théroignes Glück verschwunden. Er war von da an nicht mehr derselbe für sie.
Er schenkte Théroigne 200.000 Livres und führte sie nach Paris, wo er eine Zeitlang mit ihr blieb. Nun stürzte er sich dort in Ausschweifungen aller Art, Théroigne grämte sich derart darüber, dass sie krank wurde. Er schien davon empfindsam berührt. Vielleicht wäre es ihr gelungen, ihn auf den rechten Weg zurückzubringen, doch verfügte er zu seinem Unglück über ein allzu großes Vermögen und hatte eine Gesellschaft von entarteten Geschöpfen um sich, die alles taten, um ihn zu sich hinunterzuziehen. Nach und nach verlor er immer mehr seine gute Eigenschaften und sank von Stufe zu Stufe; trotzdem liebte ihn Théroigne immer noch und bot Alles auf ihn von Paris loszureißen. Sie hoffte, ihn, einmal aus den Händen seiner niedrigen und ehrlosen Freunde und Maitressen befreit, dazu zu bringen, seine früheren guten Sitten wieder anzunehmen. Es gelang Théroigne ihn zu bewegen, mit ihr nach England zurückzukehren, sie drang in so selbstloser Weise darauf, diesen für ihn so gefährlichen Ort rasch zu verlassen, dass sie alles stehen und liegen ließ, ihre Möbeln nicht verkaufte und ihr Vermögen in fremden Händen zurücklassen musste.
Mit Befriedigung und voll Hoffnungsfreudigkeit machte sie sich auf die Reise, aber sie fand sich in all ihren Berechnungen getäuscht. Das Gift des Lasters hatte sein Herz angegriffen. Er ließ sie allein auf dem Lande, er selbst ging nach London und überließ sich abermals derart der größten Zügellosigkeit, dass er seine Gesundheit zerrüttete. Sie sah voraus, dass alles vergebens sein würde, dass er sich nie mehr würde ändern können, und sie selbst gab den Gedanken auf, sich mit einem Manne zu verbinden, der sich von Tag zu Tag ihrer unwürdiger machte. Sie dachte, es sei klüger, ihn seine Wege gehen zu lassen, da er nicht mehr die Kraft hatte seine Laster zu überwinden, als sich selbst dazu zu verurteilen, ihr ganzes Leben hindurch unglücklich zu sein. Théroigne verließ ihren Bräutigam im Jahre 1787 leiderfüllten Herzens, denn sie liebte ihn immer noch!
Théroigne wandte sich zunächst nach London. Da sie hier keine Bekannte hatte, kam ihr der Gedanke, zu ihrer Familie zurückzukehren, um ihr Geld mit ihr zu teilen. Sie wollte ihren Vater nicht kränken und beschloss, sich als Witwe vorzustellen, das Geld sei das Erbe nach ihrem verstorbenen Manne. Sie legte sich deshalb einen englischen Namen bei.
Während der Reise zu ihrem Vater erfuhr sie im Dorfe Jupille in den Ardennen, dass er gestorben sei. Nun änderte sie ihre Absichten, machte einen kurzen Besuch bei ihrer Stiefmutter und ihren Geschwistern; sie gab der ersteren etwas Geld und nahm ihre drei Brüder mit sich nach Paris, um sie dort ausbilden zu lassen, namentlich einen in Musik, einen anderen in der Malerei. So geriet sie in die Hände eines betrügerischen Musiklehrers. Er ließ einen Kontrakt aufsetzen, den sie ohne zu lesen oder sich auch nur den Inhalt in seinen Hauptzügen übersetzen zu lassen (er war in italienischer Sprache abgefasst), unterschrieb. Der Lehrer bewog sie, mit ihm und den Brüdern nach Italien zu reisen, er wies auf die Vorteile hin, die sich für ihre eigene musikalische Ausbildung und die ihrer Brüder dort bot. Théroigne hatte keine Ahnung, dass der alte Mann böse Absichten habe und entschloss sich zu der Reise nach Italien. Dort erst erfuhr sie den Inhalt des Kontraktes, worin sie sich auch verpflichtet hatte auf dem Theater zu singen, etwas, wozu sie durchaus keine Neigung hatte, da die Theatersängerinnen damals sehr wenig Achtung genossen. Auch die Summe, die sie für den Unterricht hätte zahlen sollen, war viel höher veranschlagt. Aber der schlaue Betrüger hatte die Rechnung ohne den Wirt gemacht. Théroigne wandte sich an einen Rechtsfreund und entledigte sich bald des unehrlichen, zudringlichen Menschen.
Nun stand sie wieder unschlüssig da, sie wusste nicht, sollte sie nach Rom, nach London oder in die Heimat. Zur Ordnung ihrer Privatangelegenheiten hätte sie nach Paris gehen sollen. Mittlerweile war die Kunde zu ihr gedrungen, dass die Nationalversammlung zu tagen begonnen hatte. Sie beschloss sogleich, durch Frankreich zu reisen, um Zeuge eines so großen Schauspieles zu sein.
Anfangs lebte sie in Paris völlig zurückgezogen. Sie beschäftigte sich mit Musik, und den Rest ihrer Zeit wandte sie an die Lektüre der Tagesblätter, deren politischen Inhalt, wie sie selbst bescheiden zugibt, nicht recht verstand. Trotzdem sie keinen Begriff von den Rechten des Volkes hatte, liebte sie die Freiheit ganz natürlich. Ein Instinkt, ein lebhaftes Gefühl, das sie sich selbst nicht recht deuten konnte, ließ sie die Revolution gutheißen; denn die Kenntnisse mangelten ihr völlig und nur nach und nach konnte sie sich ein eigenes Urteil bilden, indem sie die Nationalversammlung regelmäßig besuchte.
Über die Belagerung der Bastille erzählt sie selbst folgendes: „Ich war im Palais Royal, als man die Nachricht brachte, die Bastille sei erstürmt. Bei allen Anwesenden zeigte sich unmittelbare lebhafte Befriedigung, viele weinten aus Freude, indem sie riefen, es gebe keine Bastille, keine geheimen Haftbefehle. Als der König nach Paris kam, ich entsinne mich nicht mehr genau des Tages, ging ich mit den Soldaten in Reih und Glied ihm entgegen, ich war froh, die Rolle eines Mannes zu spielen, denn ich fühlte mich immer äußerst gedemütigt von der Sklaverei und den Vorurteilen, unter denen die Männer unser unterdrücktes Geschlecht halten. Trotzdem ich täglich ins Palais Royal ging, sprach ich nie öffentlich, weil ich nichts zu sagen wusste. Ich sah alle Augenblicke Kanonen, Säcke mit Mehl hinschleppen. Dann sah ich die französischen Garden, die das Volk aus dem Gefängnis befreit hatte. Den stärksten Eindruck auf mich machte der Anschein einer allgemeinen wohlwollenden Gesinnung. Der Geist der Selbstsucht schien verschwunden, alle Welt trug sich ohne Unterschied des Standes. In diesem Augenblick der Bewegung mischten sich die Reichen unter die Armen und verschmähten es nicht, weiter mit ihnen wie mit ihresgleichen zu reden. Alle Physiognomien schienen mir geändert, jeder wagte seine Eigenschaften und seine natürlichen Anlagen zu entfalten. Ich habe viele gesehen, die, trotzdem sie in Lumpen gehüllt waren, ein heroisches Ansehen hatten. Sofern man nur irgendwelches Gefühl hat, würde es nicht möglich gewesen sein, ein derartiges Schauspiel gleichgültig mitanzusehen.“
Théroignes Begeisterung war groß, sie entschloss sich, nach Versailles zu gehen, um Zeuge der Beratungen der Nationalversammlung zu sein; sie bedauerte sehr, nicht von allem Anbeginne an dabei gewesen zu sein, da sie dadurch den schönsten Augenblick nicht miterlebt hatte. Sie kam, als die Beratung über die Erklärung der Menschenrechte begann. Sie war von früh bis abends in den Sitzungen der Nationalversammlung. Diese nahm sie ganz in Anspruch, so sehr, dass sie sich nach eigenem Geständnisse nicht einmal an jenem berühmten Zuge der Frauen vom 5. Oktober beteiligte, die nach Versailles kamen, um vom Könige Brot zu fordern. Sie sagt selbst, dass das Schauspiel der täglichen Beratungen eine mächtige Wirkung auf sie ausübte, dass es erhabene Gefühle in ihr wachrief, dass es ihrer Seele einen neuen Schwung gab. Sie gibt, wie immer, bescheiden zu, dass sie im Anfang nichts verstand, dass sie sich nach und nach belehrte und schließlich dazu gelangte, die Sache des Volkes und die der Bevorrechteten zu kennen. Je mehr sie zur Überzeugung kam, dass die Gerechtigkeit und die Vernunft auf Seite des Volkes war, desto mehr wuchs ihr Patriotismus.
Théroigne, die den Verhandlungen der Nationalversammlung auf der Galerie anwohnte, wurde dort mit verschiedenen ebenso eifrigen Besuchern bekannt. Sie machte einigen von diesen den Vorschlag, eine politische Gesellschaft mit ihr zu gründen, die der „Klub der Menschenrechte“ heißen sollte. Etwa ein Dutzend Leute versammelte sich eine kurze Zeit hindurch in ihrer Wohnung. Diese Gesellschaft hatte weitschauende Pläne, die sie zur Ausführung bringen wollte, falls die Zahl ihrer Mitglieder groß genug würde. Doch diese Pläne kamen niemals zur Ausführung, da die Gesellschaft nie die Zahl von 50 Mitgliedern überschritt, von denen höchstens neun bis zehn zu den Beratungen erschienen.
Camille Desmoulins berichtet in seinem „Journal de Révolutions de France et de Brabant“, was sich bei einer Sitzung im Klub der Jakobiner zutrug, als Théroigne de Méricourt dort erschien. Bei ihrem Anblick rief ein ehrwürdiges Mitglied begeistert aus: „Das ist die Königin von Saba, die ihren Salomo des Distriktes besuchen kommt!“ Théroigne bezog sich in der Einleitung ihrer Rede auf diesen Vergleich und sagte: „Ja, der Ruf Ihrer Weisheit führt mich in Ihre Mitte. Beweisen Sie, dass Sie Salomo sind, dass es Ihnen vorbehalten war, den Tempel zu bauen, und beeilen Sie sich, einen für die Nationalversammlung zu errichten, das ist der Gegenstand meines Antrages. Können die guten Patrioten es weiter dulden, dass die Exekutivgewalt in einem Palaste wohnt, während die gesetzgebende Gewalt, bald unter Zelten, bald in der Direktion der Hofbelustigungen im Ballhaus, bald in der Reitbahn tagt, ganz wie Noahs Taube, die keinen Ort hatte, wohin sie den Fuß setzen konnte? Der letzte Stein des letzten Kerkers der Bastille wurde dem Senat zu Füssen gelegt und täglich wird er im Archiv mit Entzücken betrachtet. Der Platz der Bastille ist freigelegt, 100.000 Arbeiter ermangeln der Beschäftigung. Was zögern wir, vortreffliche Cordeliers, Muster des Distriktes, Patrioten, Republikaner, Brüder, die Ihr mich anhört? Beeilen Sie sich, eine Subskription zu eröffnen, um an der Stelle der ehemaligen Bastille den Nationalpalast sich erheben zu lassen. Ganz Frankreich wird sich beeilen, Sie zu fördern. Das Land erwartet bloß das Signal, geben Sie es ihm, laden Sie die besten Arbeiter, die berühmtesten Künstler ein, eröffnen Sie eine Ausschreibung für die Architekten, fällen Sie die Zedern des Libanon, die Tannen des Berges Ida! Wenn je Steine sich hätten von selbst bewegen sollen, so gilt es nicht, die Mauern von Theben zu errichten, sondern den Tempel der Freiheit zu erbauen. Um dieses Bauwerk zu verschönern und zu verzieren, wollen wir uns alles überflüssigen Goldes und der wertvollen Steine entledigen. Ich werde als erste das Beispiel geben. Man hat es Ihnen schon wiederholt gesagt, die Franzosen gleichen darin den Juden, einem Volke das zum Götzendienst hinneigt. Das niedere Volk wird durch die Sinne gefangen genommen, es bedarf äußerliche Zeichen, an die es seinen Kultus knüpft. Wenden Sie den Blick von den Tuilerien, vom Louvre ab, um sie einer Basilika zuzuwenden, schöner als die von St. Peter in Rom, und die von St. Paul in London. Der wahre Tempel des Ewigen, der einzige der seiner würdig ist, ist der Tempel, in dem die Menschenrechte proklamiert wurden. Die Franzosen haben in der Nationalversammlung die Menschen und Bürgerrechte zurückgefordert. Dies ist ein Schauspiel, auf das das höchste Wesen zweifellos seinen Blick mit Wohlgefallen ruhen lässt, dies ist die Huldigung, die es gewiss mit mehr Vergnügen anhört, als das schönste gesungene ‚Kyrie eleïson‘ oder das ‚Salvum fac regem.‘“ Man kann sich vorstellen, welchen Eindruck eine so lebhafte Rede und diese Mischung der aus Pindar und der Heiligen Schrift entlehnten Bilder auf die Zuhörer machte, besonders da sie aus so schönem Munde kam. Ein stürmischer Applaus rauschte durch den Saal, als sie geendet hatte. Man beschloss, einen Aufruf zu verfassen und an die 59 Distrikte und die 83 Departements zu verschicken. Entsprechend dem Kirchenbeschluss von Nicäa, der besagt, dass auch Frauen Seele und Verstand wie die Männer haben, musste man sie ermutigen, einen eben solch guten Gebrauch davon zu machen wie die Vorrednerin!
Aber ihre Teilnahme an den öffentlichen Vorgängen hatte Théroigne nicht bloß Freunde, sondern noch mehr Feinde geschaffen. Schon auf der Galerie der Nationalversammlung war sie vielen Unannehmlichkeiten ausgesetzt, da den dort anwesenden Aristokraten ihr Eifer und ihre Aufrichtigkeit missfielen, sie stichelten und wussten ihr jeden Tag mit neuen Ungezogenheiten lästig zu fallen. Aber auch die eigenen Gesinnungsgenossen, die anstatt ihr Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, sie noch obendrein lächerlich machten, boten Grund zur Klage. Dazu kamen noch die ungerechten Verdächtigungen, sie sei an den Vorgängen des 5. und 6. Oktober schuld, man suchte sie mit der Drohung zu schrecken, man werde die Klage gegen sie erheben. Trotzdem sie sich völlig unschuldig wusste, dachte sie doch nicht ohne Angst an diese Möglichkeit, und erinnerte sich an all die schuldlos Verurteilten des Châtelet-Gefängnisses. Des einen war sie sich bewusst, sich durch ihr freimütiges Benehmen viele Feinde zugezogen zu haben. Dazu kam noch eines.
Théroigne hatte sich gewöhnt im Überfluss, ohne Berechnung, zu leben, so dass der Reichtum, der ihr von ihrem ehemaligen Bräutigam zugekommen war, mit der Zeit sehr zusammenschmolz. Sie sah ein, dass sie völlig verarmen würde, deshalb entschloss sie sich, Paris zu verlassen und mit ihrem Bruder nach Lüttich zu übersiedeln, wo sie eine bescheidene Lebensweise zu führen beabsichtigte.
Nach manchen Reiseabenteuern langte sie in ihrem Heimatsdorfe Marcour an. Sie konnte sich vor Freude gar nicht fassen, ihre Heimat, das Haus, in dem sie geboren wurde, all ihre Verwandten und einstigen Gespielen wieder zu sehen. Fast vergaß sie im Ansturm ihrer Jugenderinnerungen die Revolution, sie träumte sich ganz in die Vergangenheit zurück und spielte mit ihren Freundinnen alle Jugendspiele mit einer harmlosen Freude wieder, als läge nicht eine Welt von Erfahrungen und Erlebnissen zwischen dem Jetzt und der Vergangenheit. Sie war so sehr für den ländlichen Frieden und die harmlosen Freuden eingenommen, dass sie sich entschloss, dauernd dort zu bleiben; sie wollte nicht wieder nach Frankreich zurückkehren und schickte ihren älteren Bruder nach Paris, um ihre Effekten zu holen. Sie hatte sogar ein kleines Grundstück und ein Häuschen von ihrem Onkel käuflich an sich gebracht, die Zahlungsbedingungen wurden ihr sehr leicht gemacht, sie konnte zahlen, bis sie Geld haben würde!
Inzwischen begab sie sich an ein noch ländlicher, noch stiller gelegenes Plätzchen mitten im Walde, nach La Boverie, um dort mit Muße die Ordnung ihrer Angelegenheiten abzuwarten. Da geschah nun etwas ganz unvorhergesehenes, etwas außer aller menschlichen Berechnung liegendes, von dem sie auch nicht die leiseste Ahnung hatte, wovor sie sich nicht schützen konnte!
Mitten in der Nacht vom 15. zum 16. Jänner 1791, als die wenigen Bewohner dieses Weilers im tiefen Schlafe lagen, wurde an Théroignes Tür heftig gepocht, nach wiederholtem Rütteln an ihrer Türe erwachte sie halb und halb und öffnete. Nun traten zwei ihr völlig Unbekannte ins Zimmer. Der eine war ein gewisser Chevalier de la Valette, der zweite ein Graf von Saint-Malon. Überdies hatten sie noch einen Unteroffizier namens Lechoux in ihrer Begleitung.
Diese Herren hatten sich gute Empfehlungsbriefe zu verschaffen gewusst und hofften auf fürstliche Belohnungen und Ehrenbezeugungen, wenn sie diese gefährliche Person in ein sicheres Gewahrsam bringen würden. Sie erfanden einen ganzen Roman, darin sie besonders angeklagt wurde, Maria Antoinette nach dem Leben getrachtet und sich überdies des Hochverrates gegen Leopold II. schuldig gemacht zu haben.
Als Théroigne sie schlaftrunken nach ihrem Begehren fragte, versicherten sie sie, gute Patrioten zu sein, die um sie in größter Sorge seien und aus purer Freundschaft gekommen wären, um sie vor Verfolgungen der Aristokratie zu schützen. Während sie sich in Anwesenheit der Männer ankleiden musste, von dem einen fortwährend zur Eile angetrieben, schaute sich der andere überall um, und als er eine Menge von Papieren und Schriften erblickte, wickelte er alles zusammen und nahm sie an sich. Der Bruder Théroignes sah hilflos allem zu, und trotz seiner Verzweiflung musste er alles geschehen lassen. Théroigne war noch nicht recht zum Bewusstsein gekommen, als sie mit den drei Freunden im Wagen saß, der Kutscher hieb auf die Pferde ein, und über Stock und Stein ging es ins dunkle Ungewisse hinein.
Zuerst wurde Théroigne nach Freiburg im Breisgau geschleppt, wo sie am 25. Februar ankamen; sie blieb dort unter Aufsicht ihrer Entführer bis zum 9. März. An jenem Tage kam der Befehl des Hofkriegsrates, sie unter militärischer Bedeckung in die Gefängnisfestung nach Kufstein in Tirol zu bringen. Ihre Eskorte bestand aus dem Hauptmann Baron von Landresc, dem Leutnant Krause und zwei Unteroffizieren. Am 9. März gegen Abend verließ Théroigne mit diesen neuen Begleitern Freiburg. Während der ganzen langen Reise, die man damals noch mit dem Wagen in sehr beschwerlicher Weise zurücklegen musste, war Théroigne der Meinung, dass sie nach Wien gebracht würde, wo sie alle Hoffnung auf den Kaiser Leopold II. setzte, von dem sie ihre Freiheit wieder zu erlangen hoffte. Der Baron von Landresc benahm sich sehr gütig gegen sie, er sah ihre große Seelenerschütterung, ließ sie bei dem sie beruhigenden Gedanken und verriet ihr nicht das wirkliche Ziel ihrer Reise. Am 17. März kamen sie endlich in Kufstein an. Man kann sich das Entsetzen und die Angst Théroignes vorstellen, als sie sich vor der Festung mit den schweren Eisentoren, den Türmen und den vergitterten Fenstern befand, als sie erfuhr, dass sie nun Gefangene sei. Gleich traten allerlei Schreckbilder vor ihr geistiges Auge, vielleicht würde sie nie mehr die Freiheit erlangen, vielleicht würde sie nun hinter diesen düstern Kerkermauern, allen Qualen ausgesetzt, ihr Leben hoffnungslos hindämmern müssen.
Sie weinte krampfhaft, sie bekam einen Nervenanfall und rief ein über das andere Mal: „Lieber sterben, als hinter diesen elenden Mauern ein verwünschtes Leben hinschleppen!“ Inzwischen war der Festungskommandant, Hauptmann Schöniger, herbeigekommen, er war an die Verzweiflungsausbrüche der Häftlinge so gewöhnt, dass ihn die von Théroigne kalt ließen.
Nun ging es durch düstere Höfe, über allerlei Treppen, an Wachposten vorbei, es rasselten Schlüsseln an den schweren Türschlössern, und alles war dazu angetan die Verzweiflung zu steigern und die Hoffnung auf jegliches Entkommen auszuschließen …
Endlich war die Zelle erreicht, nach einer gründlichen Durchsuchung und Notierung der Effekten wurde Théroigne mit sich und ihrer Verzweiflung allein gelassen. Ihre Haft dauerte schon viele Wochen; es war gegen Ende Mai, als endlich der von ihr so sehnlichst herbeigewünschte Untersuchungsrichter Hofrat Franz von Blanc in Kufstein anlangte. Seiner Menschenfreundlichkeit und seinem guten Willen ist es zu danken, dass die Untersuchung mit Eifer in kürzerer Zeit als dies meist üblich ist, geführt wurde und dass nach einigen Monaten der Prozess so weit gediehen war, dass Théroigne von der Anklage des Hochverrates freigesprochen wurde. Die Untersuchung ergab, dass es eine pure Erfindung der zwei französischen Schwindler war, als hätte Théroigne Maria Antoinette nach dem Leben getrachtet. Als der Prozess zu Ende war, fuhr sie unter starker Bedeckung nach Wien; um jedes Aufsehen zu vermeiden, reiste sie unter dem Namen Lahaye. Nach einigen Wochen erhielt sie vom Kaiser Leopold II. ein Gnadengeld von 600 fl. und den Befehl, Wien zu verlassen und die Stadt nie wieder zu betreten. Die zwei Franzosen hatten gar nichts erreicht und mussten schließlich froh sein, eine kleine Summe von Hofrat von Blanc zu ihrer Rückreise geschenkt zu bekommen. Ende November 1791 verließ Théroigne Wien und begab sich zuerst nach Lüttich.
Zu Beginn des folgenden Jahres kam sie wieder nach Paris, aber sie fand nicht mehr die Beachtung und Bewunderung wie ehedem. Ihre Petitionen und Ansprachen waren unklar, verworren.
Am 26. Jänner 1792 kam sie in den Jakobiner-Klub und wurde in einer Ansprache gefeiert und zu den überstandenen Leiden und Verfolgungen beglückwünscht.
Armes Mädchen! Furchtbare Zeiten standen ihr noch bevor, der Tod wäre minder schrecklich gewesen als ihre letzten Lebensjahre.
Am 15. Mai 1793 erlitt Théroigne eine so schmähliche Behandlung, dass sich ihr Geist darob völlig verwirrte und umnachtete. Eine größere Anzahl Weiber, die sich Mitglieder der „Sociètè fraternelle“ nannten, machten sich selbst zu Aufsichtsorganen und hielten Leute, die ihnen verdächtig schienen, an. Sie stürzten sich auf Théroigne, die sich auf der Terrasse der Feuillants befand, schrien ein über das andere Mal, sie sei eine Anhängerin Brissots und schlugen unbarmherzig darein; sie rissen ihr die Kleider vom Leibe, bis sie völlig entblößt dastand, dann peitschten sie sie gehörig, während die heulende Menge um sie herum tanzte und: Nieder mit Brissot und der Brissotine!“ schrien. Es gelang einigen Männern nur mit Mühe, zu verhindern, dass man Théroigne in dem Teich des Parkes ertränkte, und sie retteten ihr das Leben. Aber hieß das sie retten? Die grausame Behandlung hatte ihre Nerven angegriffen, die Verletzung ihrer Schamhaftigkeit hatte ihren Geist getrübt. Théroigne de Méricourt war wahnsinnig geworden und erlangte nie wieder ihr klares Bewusstsein. In einer Zwangsjacke eng eingeschnürt, war sie im Irrenhaus Saint-Marceau, später in der Salpétrière interniert, sie sprach nur mehr völlig unverständliche Worte, sie bewegte unaufhörlich ihre Arme, als würde sie zum Kampfe anfeuern, und lebte so, in ihren wirren Phantasien befangen, noch ein Vierteljahrhundert lang im Irrenhaus. Die arme Théroigne glich den abgeschiedenen Schatten, von denen Vergil spricht, sie schien sich anzustrengen, ihr vergangenes Leben in die Erinnerung zurückzurufen, aber vergebens. Wie sehr ist sie nun verschieden, diese arme lallende, gebrochene um den Verstand gekommene Théroigne von jener stolzen, die in den Klubs begeisternde Reden hielt, die von allen bewundert wurde.
Die schöne Théroigne war dem Schafott entgangen, auf dem so viele berühmte Menschen ihrer Zeit das Leben geendet hatten. Eine grausamere Strafe war ihr vorbehalten, sie erlitt in ihren Wahnvorstellungen hunderterlei schreckliche Tode!
Beim Klange von tausenden von Trompeten, die die Erlösung feierten, als man 3000 Vögel in Freiheit auffliegen ließ, die Zettel um den Hals befestigt hatten, worauf geschrieben stand: „Wir sind frei, ahmt uns nach“, die der Welt verkünden sollten, dass Frankreich frei ist, kämpfte die „Amazone der Revolution“ in ihrer einsamen Zelle den aussichtslosen Kampf mit ihren Phantomen, gehasst, verkannt, verachtet, den Geist für immer getrübt.
Arme Anna Terwagne! Warum musstest du dein friedliches Dorf, deine Wälder und Fluren verlassen! Dort hättest du weder die Wonnen des Triumphes, noch die Schmerzen der Niederlage kennen gelernt. Dein Leben wäre bloß eine liebliche Idylle gewesen. Welch innerer Trieb hat dich in die wilden Wogen der Revolution gestoßen?