Читать книгу Die berühmten Frauen der französischen Revolution 1789 - 1795 - Emma Adler - Страница 7

Charlotte Corday.

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7. Juli 1793. Der Generalmarsch wirbelte, und auf dem riesigen, grünen Rasenteppich von Caen versammelten sich die Freiwilligen, die sich anschickten nach Paris zu ziehen, um dort einen Feldzug gegen Marat zu unternehmen. Es kamen ihrer Dreißig. Die schönen Damen, die sich ebenda mit den Abgeordneten eingefunden hatten, waren von dieser kleinen Anzahl überrascht und wenig erbaut. Ein Fräulein unter ihnen schien tieftraurig; es war dies Marie Charlotte Corday d’Armont, eine junge schöne Person, eine Republikanerin aus adeliger armer Familie, die in Caen bei ihrer Tante lebte. Pétion deutete ihre Traurigkeit ganz falsch und scherzte darüber; er wusste nicht, dass seine und seiner Genossen öffentliche Reden auf Fräulein Corday einen so großen Eindruck gemacht hatten, dass sie in ihrem Herzen zum Schicksal wurden, das Leben oder Tod hieß. Auf dieser Wiese von Caen, die 10.000 Mann fassen kann und auf der nur Dreißig standen, hatte sie etwas gesehen, was keiner sah: das preisgegebene Vaterland! Die Männer taten so wenig; da kam ihr der Gedanke, dass es einer Frauenhand bedürfe.

Das einzige Bildnis, das von ihr existiert, ist knapp vor ihrem Tode verfertigt worden. Es zeigt eine ungemeine Sanftheit. Nichts steht weniger im Zusammenhang mit der blutigen Erinnerung, die ihr Name heraufbeschwört, als ihr Äußeres. Es ist das Gesicht eines jungen Mädchens aus der Normandie, ein jungfräuliches Gesicht in seiner Frühlingsblüte. Sie sieht viel jünger aus als sie ist, als sonst Mädchen von 25 Jahren aussehen. In diesem tragischen Porträt scheint sie ungemein vernünftig, verständig, ernst, so wie es die Frauen ihrer Heimat sind. Nimmt sie ihr Los leicht? Durchaus nicht, nur ist nichts von falschem Heroismus in ihr. Man muss bedenken, dass sie bloß eine halbe Stunde von der schrecklichen Feuerprobe trennte.

Sie hat aschblonde Haare, sie trägt ein weißes Häubchen und ein weißes Kleid. In ihren Augen liegt ein Ausdruck des Zweifels und der Traurigkeit. Dem Stärksten mögen, so entschlossen er auch immer sei, im letzten Augenblick fremdartige Zweifel aufsteigen. Wenn man genau in ihre traurigen und sanften Augen blickt, fühlt man noch etwas, das vielleicht ihr ganzes Schicksal erklärt: Sie war immer einsam gewesen! Ja, das ist das einzige wenig Zuversichtliche, das man in ihr findet. In diesem entzückenden, guten Wesen war jene unheilvolle Macht, der Dämon der Einsamkeit.

Sie hatte das Unglück ihre Mutter zu verlieren, als sie noch ein Kind war, sie wuchs ohne mütterliche Liebkosung auf. In Wahrheit hatte sie auch eigentlich keinen Vater, denn der ihre, ein armer Landedelmann, ein romantischer Kopf voller Utopien, der gegen den Gewaltmissbrauch der Adeligen schrieb, kümmerte sich viel um seine Bücher und wenig um seine Kinder. Mit dreizehn Jahren kam sie in die Abtei der Damen von Caen. Das Kloster lag sehr einsam, man hörte hier nur das Gekrächze der Raben und das Heulen des Windes, der um die Türme strich. Wie einsam sie auch dort war, kann man sich leicht vorstellen, wenn man weiß, wie die Reichen die Armen verachten, auch in jenen frommen Zufluchtsorten, die die geweihten Stätten der christlichen Gleichheit sein sollten. Die Seele der jungen Charlotte suchte ihre erste Zuflucht in der Frömmigkeit und der Freundschaft, die sie für zwei andere arme, adelige Mädchen empfand. Im Sprechzimmer der Äbtissin kam oft Gesellschaft zusammen, wohin auch junge Männer aus der Aristokratie Zutritt hatten; die Seichtheit dieser Leute trug noch überdies dazu bei, Charlotte zu veranlassen, deren Gesellschaft zu fliehen, sich mehr und mehr von der Welt zurückzuziehen und ihre Neigung zur Einsamkeit zu befestigen.

Ihre wahren Freunde waren ihre Bücher. Die Philosophie drang auch in die Klöster ein. Zufällige und wenig gewählte Lektüre kamen Charlotte in die Hände. Raynal und Rousseau, alles durcheinander, mit Ungestüm griff sie nach den entgegengesetzten Büchern. In ihrer Vorstellung lebte sie unter den Helden Plutarchs, im Elysium, unter jenen, die ihr Leben dahingegeben hatten, um ewig zu leben.

Als die Klöster aufgehoben wurden und ihr Vater sich wieder verehelichte, flüchtete sie nach Caen zu einer alten Tante, Madame de Breteville. Dort fasste sie auch ihren Entschluss. Nicht ohne Zaudern. Einen Augenblick wurde sie von dem Gedanken an die alte Dame, die sie so freundschaftlich aufgenommen hatte und die sie nun so grausam kompromittieren sollte, zurückgehalten.

Als ihre Tante sie eines Tages weinend fand und sie nach der Ursache fragte, sagte ihr Charlotte: „Ich weine über Frankreich, über meine Verwandten und über Sie. Solange Marat lebt, ist niemand auch nur einen Tag seines Lebens sicher.“

Seit der Abreise der Volontäre von Caen hatte Charlotte Corday nur einen Gedanken, der Ankunft dieser Männer in Paris zuvorzukommen, das Leben jener, das sie großmütig opfern wollten, zu retten und ihre Vaterlandsliebe überflüssig zu machen, indem sie vor ihnen Frankreich von der Tyrannei erlöste. Aber abgesehen von ihrem Opfermut für diese Männer, war es vor allem ihre Vaterlandsliebe, die sie zu diesem Schritte antrieb.

Eine Vorahnung des kommenden Schreckens durchlief schon damals Frankreich. Das Schafott war in Paris aufgerichtet; man sprach davon, es in der ganzen Republik umherzuführen. Die Macht des Berges und Marats sollte siegen, und sollte sie sich nur durch die Hand des Henkers halten können. Man sprach davon, Marat hätte schon die Listen der zu Verbannenden geschrieben und die Häupter gezählt die er für seinen Argwohn und seine Rachsucht brauchte. 2500 Opfer waren in Lyon bezeichnet, 3000 in Marseille, 2800 in Paris, 3000 in der Bretagne und im Calvados. Der Name Marat machte erschaudern als wäre er mit dem des Todes gleichbedeutend. Um all dieses Blutvergießen zu hindern, wollte sie sich opfern.

Sie wollte die Girondisten studieren und kennen lernen, sie wollte sie ergründen, ohne sich ihnen zu entdecken. Sie achtete sie genügend, um ihnen nicht einen Plan zu verraten, den sie für ein Verbrechen hätten ansehen können, dem sie gleich einer großmütigen Verwegenheit zuvorgekommen wären. Sie besaß die Standhaftigkeit, ihren Freunden den Gedanken zu verbergen, der sie selbst zugrunde richten sollte, um die andern zu retten. Sie gab Scheingründe an, um in die Intendantur zu gelangen, wohin die Bürger Zutritt hatten, falls sie den Abgeordneten ein Anliegen mitzuteilen hätten. Sie sprach mit einigen, auch mit Barbaroux zweimal, was gleich zu albernen Vermutungen, woran kein wahres Wort war, Anlass gab, da beide jung und schön waren.

Als einmal Pétion durch den allgemein zugänglichen Wartesaal ging, wo Charlotte Corday auf Barbaroux wartete, spöttelte er über ihren Eifer und sagte lachend: „Da ist wieder die schöne Aristokratin, die die Republikaner besuchen kommt.“ Das junge Mädchen verstand das zynische Lächeln und die beleidigende Anspielung, sie antwortete errötend: „Bürger Pétion, Sie beurteilen mich jetzt ohne mich zu kennen, eines Tages werden Sie erfahren, wer ich bin!“

Charlotte Corday hatte sich von Barbaroux eine Empfehlung an den Minister geben lassen, um zugunsten ihrer Jugendfreundin Fräulein v. Forbin um dessen Unterstützung zu bitten. Fräulein v. Forbin war von ihren Eltern gezwungen worden, mit ihnen in die Verbannung zu ziehen, sie litt nun in der Schweiz Not und Elend. Barbaroux gab ihr einen Brief an Lanze de Perret.

Sie kam Donnerstag, den 11. Juli gegen Mittag in Paris an, und stieg in der Rue Vieux Augustins Nr. 17, im „Hôtel de la Providence“ ab. Sie war müde von der Reise, ging um 5 Uhr nachmittags zu Bette, und schlief bis zum darauffolgenden Morgen den Schlaf der Jugend und des guten Gewissens. Ihr Opfer war gebracht, die Handlung im Geiste vollführt, sie empfand weder Unruhe noch Zweifel.

Sie war ihres Vorsatzes so sicher, dass sie nicht das Bedürfnis empfand, dessen Ausführung zu beschleunigen.

Am anderen Morgen begab sie sich zu Lanze de Perret, den sie jedoch nicht traf; seine Tochter übernahm den Empfehlungsbrief Barbaroux’, Lanze de Perret wurde erst abends zurückerwartet. Charlotte Corday kehrte in ihr Hotelzimmer zurück und verbrachte dort den Tag mit Lesen und Nachdenken. Um 6 Uhr begab sie sich abermals zu Lanze de Perret, teilte ihm ihr Anliegen mit und bat ihn, sie zum Minister Garat zu führen, um ihre Bitte dort zu unterstützen. Dies war nur ein Vorwand, sie wollte einen jener Girondisten sehen, für die sie sich opferte.

Lanze de Perret versprach ihr, sie am nächsten Tag abzuholen und ihrem Wunsche zu entsprechen. Sie ließ ihm Name und Adresse zurück. Bevor sie sich entfernte, sagte sie ihm: „Erlauben Sie mir, Bürger, Ihnen einen Rat zu geben, verlassen Sie den Convent, Sie können daselbst nichts mehr Gutes tun, begeben Sie sich nach Caen, um daselbst mit Ihren Brüdern und Kollegen zusammenzutreffen“. Doch der Abgeordnete erwiderte sehr bestimmt: „Mein Posten ist in Paris und ich werde ihn nicht verlassen!“ „Sie begehen einen Fehler,“ sagte Charlotte Corday; beinahe flehend fügte sie hinzu, „Flüchten Sie! Flüchten Sie vor morgen Abend.“ Sie ging ohne seine Antwort abzuwarten.

Am andern Tag, zeitig früh, holte Lanze de Perret Charlotte ab, um mit ihr zum Minister Garat zu gehen. Der Minister empfing sie jedoch nicht. Lanze de Perret meinte dann, Garat könne ihr eher schaden als nützen, da er verdächtigt werde, und dass gerade in der Nacht zuvor der Konvent gegen ihn Maßregeln ergriffen hätte. Charlotte Corday bestand nicht sehr darauf, wie man des Vorwandes nicht weiter bedarf, durch den man eine Handlung in günstiges Licht gestellt hat. Lanze de Perret verabschiedete sich von ihr auf der Schwelle des Hoteleingangs.

Sie tat, als ob sie hineinginge. Doch bald trat sie wieder auf die Straße und ließ sich den Weg zum Palais Royal Straße für Straße weisen. Dort kaufte sie bei einem Messerschmied ein dolchartiges Messer mit schwarzem Griff für 40 Sous und verbarg es hinter dem Brusttuch. Auf dem Rückweg trat sie in den Garten und setzte sich auf eine Bank. Ihr erster Gedanke, den sie noch in Caen gefasst hatte, war, Marat inmitten der Bergpartei, während einer Versammlung zu töten, unter den Augen seiner Anhänger und Bewunderer. Sie hoffte, dass auch ihr eigenes Schicksal dann gleich entschieden sein würde, indem sie von der Wut des Volkes in Stücke gerissen würde, ohne ein anderes Andenken als das an zwei Leichname und der im Blute erstickten Tyrannei zu hinterlassen. Sie hoffte ihren Namen in der Vergessenheit zu begraben und ihren Lohn einzig in der Tat selbst zu gewinnen; ihre Schande oder ihr Ruhm musste sich vor ihrem Gewissen allein rechtfertigen, das in dem vollbrachten Guten Beruhigung fände. Doch Marat kam nicht in die Sitzungen, er lag krank daheim. Als sie im Park auf der Bank saß, spielte ein Kind in ihrer Nähe, das sich damit vergnügte, Sand in sein Schürzchen zu tun; das Gesicht Charlottes schien ihm zu gefallen, es kam zutraulich näher und lehnte sein Köpfchen an ihr Knie. Charlotte nahm das Kind auf ihren Schoss. Inzwischen hatte das Kind das Heft des Messers erblickt und es herausgezogen. Als Charlotte es bemerkte, erbleichte sie, stand auf, warf besorgte Blicke um sich, stellte das Kind zu Boden und entfernte sich, indem sie das Messer wieder hinter ihrem Fichu verbarg. Kaum zu Hause gelangt, beschloss sie, ihr Vorhaben auszuführen.

Sie musste also zu ihm gehen, ihn in seinem Hause aufsuchen, durch die besorgte Wachsamkeit derer, die ihn umgaben, hindurch eindringen. Sie musste ihn täuschen, sich unter falschem Vorwande einschleichen, das kostete sie Überwindung, das machte ihr Skrupel und Gewissensbisse, das verletzte die natürliche Biederkeit ihrer Seele, verwandelte den Dolch in eine Falle, den Mut in List, und die Aufopferung in Meuchelmord!

Das erste Billett, das sie Marat schrieb, blieb unbeantwortet. Sie schrieb noch ein zweites, worin sich eine gewisse Ungeduld fühlbar machte und das Zunehmen der Leidenschaft deutlich zeigte. Sie ging sogar so weit, ihm zu schreiben, dass sie ihm wichtige Geheimnisse anzuvertrauen habe, dass sie verfolgt werde, dass sie unglücklich sei. Doch kam sie gar nicht dazu, das Billett abzugeben.

Am 13. Juli, um 7 Uhr abends, ging sie aus, bestieg auf der „Place des Victoires“ eine Lohnkutsche und fuhr in die Rue des Cordeliers Nr. 20, wo Marat wohnte.

Charlotte Cordays Gesicht war weit entfernt Misstrauen einzuflößen, ganz im Gegenteil nahm ihre sittsame Tracht eines Provinzfräuleins im Voraus für sie ein. Sie hatte ein weißes, einfaches Kleid an, ihr weißes Häubchen mit Spitzen umsäumt, ihre Wangen waren rosig, ihre Stimme sicher, nicht das mindeste Zeichen von Erregung.

Sie ging mit festen Schritten an der Portiersfrau vorüber, die sie vergebens zurückrief. Sie bestand die wenig freundliche Musterung Katherine Evrards, die auf das Geschrei hin die Türe halbgeöffnet hatte, und die sie einzutreten hindern wollte. Diese Verhandlung wurde auch von Marat gehört. Trotzdem er im Bade saß, befahl er gebieterisch, sie eintreten zu lassen. Das Zimmer war klein und dunkel, Marat saß in einer Badewanne, mit einem Leintuch bedeckt, vor sich ein Brett der Quere nach gelegt, worauf er schrieb, man sah nur seinen Kopf und seinen rechten Arm. Ein Tuch war um seine Haare gebunden. Mit seinem mageren, knochigen Gesicht und dem breiten Mund war er von erschreckender Hässlichkeit. Sie hatte ihm Nachrichten aus der Normandie versprochen; er fragte sie aus, besonders wollte er die Namen der nach Caen geflüchteten Abgeordneten wissen; sie nannte sie und er schrieb sie nacheinander auf. Als er fertig war, fügte er hinzu: „Es ist gut, sie müssen alle auf die Guillotine.“ Diese Worte besiegelten sein Todesurteil und verstärkten Charlottes Kraft. Sie zog das Messer aus ihrem Kleid und stieß es ihm mitten ins Herz. Er hatte nur mehr die Kraft, die Worte: „Zu Hilfe, meine liebe Freundin, zu Hilfe!“ hervorzubringen. Sie hatte ihn tödlich getroffen, das Messer hatte die Lunge und das Herz völlig durchstoßen, er schwamm in seinem Blute. Auf seinen Hilfeschrei kamen sein Gehilfe Laurent Basse und das Dienstmädchen herbeigeeilt und fingen das bewusstlos sich neigende Haupt Marats in ihren Armen auf.

Charlotte Corday hatte gar nicht versucht zu entfliehen, sie blieb in der Nähe des Fensters, sie stand aufrecht, gelassen und unbeweglich. Basse schlug mit einem Stuhl nach Charlotte Corday und warf sie um, Katherine Evrard trat sie mit Füssen.

Man nahm den Leichnam Marats aus der Badewanne und trug ihn aufs Bett ins Nebenzimmer. Umsonst bemühten sich die Ärzte, das Blut zu stillen, es war alles vergebens, Marat hatte zu leben aufgehört.

Indessen hatte sich Charlotte Corday erhoben, stellte sich ans Fenster und sah ruhig hinunter.

Auf der Straße schrie die angesammelte Menge, unter der sich die Kunde von der Tat rasch verbreitet hatte, sie wolle Charlotte Corday lynchen. „Arme Leute,“ sagte sie, „Ihr wollt meinen Tod und Ihr seid mir einen Altar schuldig, dass ich Euch von diesem Scheusal befreit habe.“ Die Menge sah die Tyrannei und die Befreiung nur in einem Menschen verkörpert. Auch Charlotte Corday teilte diese Meinung. Der Schatten Marats verdunkelte ihr die ganze Republik.

Eine Kommission, bestehend aus den Abgeordneten Maure, Chabot, Drouet und Legendre, die durch den Polizeikommissär von der Tat in Kenntnis gesetzt waren, begaben sich sogleich dahin und nahmen an Ort und Stelle ein Verhör auf. Als sie Charlotte Corday nach den Ursachen befragten, die sie zu dieser Tat veranlasst haben, antwortete sie: „Da ich einen Bürgerkrieg in ganz Frankreich entbrennen sah und überzeugt war, dass Marat der Haupturheber des Unheils sei, habe ich es vorgezogen, das Opfer meines Lebens zu bringen, um mein Vaterland zu retten.“

Chabot und Drouet fuhren mit ihr in das Militärgefängnis (l’Abbaye). Aber die in der Straße angesammelte Menge war im höchsten Grade aufgebracht, seine Beute entführt zu sehen und verdoppelte ihr Geheul. Da fiel Charlotte in Ohnmacht, sie glaubte fest, ihre letzte Stunde herankommen zu sehen. Als sie aus ihrer Betäubung erwachte war sie sehr erstaunt, dass man ihr ihr Leben gelassen hatte. Sie war sicher, von der Menge gelyncht zu werden.

Im Militärgefängnis angekommen, wurde sie von Drouet und Chabot einem Verhör unterzogen, das bis Mitternacht währte. Zum Schluss sagte sie: „Was mich betrifft, so habe ich meine Aufgabe erfüllt, andere werden das übrige tun.“

Nach dem Verhör wurde Charlotte Corday vom Militärgefängnis in die Conciergerie überführt. Doch da ihre Wohnung nicht mehr auf Erden war, so war es ihr einerlei, in welches Gefängnis man sie brachte. Sie sah mit himmlischer Ruhe den Augenblick herannahen, um ihr Werk zu krönen. Sie hatte in dem kurzen Zwischenraum, von der Tat bis zum Vollzug der Todesstrafe, keine unmenschliche Behandlung zu erdulden. Fouquier-Tinville versuchte zweimal vergebens sie zu verhören, sie verweigerte jede Aussage, sie wollte erst vor dem Gerichtshof sprechen. Sie schrieb vom Gefängnis aus zwei Abschiedsbriefe, den einen an ihren Vater, den andern an Barbaroux. Sie lauten: „Verzeihen Sie mir, mein lieber Vater, dass ich über mein Leben ohne Ihre Erlaubnis verfügt habe. Ich habe viele unschuldige Opfer gerächt, ich bin vielem Unheil zuvorgekommen. Das Volk, dem einst die Augen geöffnet sein werden, wird sich freuen, von seinem Tyrannen befreit worden zu sein. Wenn ich gesucht habe, Ihnen die Meinung beizubringen, als sei ich nach England gereist, so war es, weil ich gehofft hatte, auch nach der Tat mein Inkognito beibehalten zu können; aber ich sehe die Unmöglichkeit ein. Ich hoffe, dass man Sie nicht quälen wird. Wie dem auch sei, werden Sie in Caen Verteidiger finden.

Adieu mein lieber Vater, ich bitte Sie, mich zu vergessen, oder vielmehr, sich meines Loses zu freuen. Sie kennen Ihre Tochter. Ein tadelnswertes Motiv hätte sie niemals zu leiten vermocht. Ich umarme meine Schwester, die ich vom ganzen Herzen liebe, wie auch meine Verwandten.

Vergessen Sie nicht Corneilles Vers: „Nicht das Schafott, das Laster macht die Schande.“

Nun der Brief an Barbaroux: „Sie haben den Wunsch ausgesprochen, die Einzelheiten meiner Reise zu erfahren. Ich werde Ihnen keine Anekdote erlassen. Werden Sie es glauben, Fauchet ist als mein Mitschuldiger eingesperrt, er, der nicht einmal etwas von meiner Existenz wusste! Ich bin von Chabot und Legendre einvernommen worden. Chabot glich einem Wahnsinnigen. Legendre behauptet, mich am Morgen bei sich gesehen zu haben, ich, die niemals an diesen Menschen gedacht habe! Ich kenne keine genug großen Talente an ihm, um zu glauben, dass er der Tyrann eines Landes sein könnte, und ich hatte nicht die Absicht, alle Welt zu strafen. Übrigens ist man wenig erbaut, nur eine Frau ohne Bedeutung zu haben, die man den Manen des „großen Mannes“ als Opfer darbringen kann. Verzeihung, Männer! Dieser Name entehrt Euer Geschlecht: es war ein wildes Tier, das den Rest Frankreichs durch die Flamme des Bürgerkriegs vernichten wollte. Jetzt lebe der Friede! Dank sei dem Himmel, er war kein geborener Franzose. Ich glaube, man hat die letzten Worte Marats gedruckt. Ich zweifle, dass er welche hervorbringen konnte. Aber hier die letzten, die er mir gesagt hat, nachdem er alle Namen jener Abgeordneten, die in Evreux sind, gehört hatte. Er sagte mir, um mich zu trösten, dass er Euch in Paris werde guillotinieren lassen. Diese letzten Worte entschieden über sein Schicksal.

In Paris begreift man nicht, wie eine überflüssige Frau, deren längstes Leben auch zu nichts gut wäre, dieses Leben kaltblütig opfern kann, um das Vaterland zu retten. Möge der Friede so rasch eintreten als ich es wünsche. Nun ist der große Verbrecher beseitigt, ohne diese Tat, würden wir nie Ruhe bekommen haben. Ich zweifle nicht, dass man meinen Vater quälen wird, ihn, der ohnehin an meinem Verlust genug zu tragen hat, der so sehr betrübt ist.

Ich bitte Sie, Bürger, und Ihre Kollegen, sich der Verteidigung meiner Verwandten anzunehmen, falls man sie beunruhigt. Ich habe in meinem Leben nur ein Wesen gehasst und ich zeigte, mit welcher Heftigkeit ich dies Gefühl empfand, aber es gab Tausende, die ich noch mehr liebte als ich ihn hasste. Ich erfreue mich in köstlicher Weise des Friedens, seit zwei Tagen bildet das Glück meines Vaterlandes das meine. Ich verbringe meine Zeit mit Verfassen von Gedichten.

Diejenigen, die meinen Verlust beklagen, werden sich freuen, mich in den elysäischen Gefilden mit Brutus und einigen Alten zu wissen; denn die Modernen reizen mich nicht, sie sind so niedrige Seelen. Es gibt wenige Patrioten, die für ihr Vaterland zu sterben verstehen, sie sind alle egoistisch.

Man hat mir zwei Gendarmen beigestellt, um mich vor der Langeweile zu schützen; ich habe diese Einrichtung für den Tag sehr gut befunden, aber nicht während der Nacht! Ich habe mich über diese Unschicklichkeit beklagt. Man hat es nicht für nötig erachtet, davon Notiz zu nehmen. Ich glaube, dass diese Wache eine Erfindung Chabots ist. Nur ein Kapuziner kann solche Ideen aushecken! Falls einige Freunde in diesen Brief Einsicht nehmen wollten, so bitte ich Sie, es keinem abzuschlagen. Ich muss einen Verteidiger haben, dies ist gesetzlich vorgeschrieben. Ich habe Gustav Doucet de Pontécoulant genommen. Ich denke, er wird diese Ehre zurückweisen, und es würde ihm doch nur wenig Mühe machen. Ich habe auch daran gedacht, Robespierre zu nehmen. Ich werde auch fordern, über mein Geld verfügen zu können. Ich vermache es den Frauen und Kindern jener braven Bewohner von Caen, die fortgezogen sind, um Paris zu erlösen.

Ich staune, dass das Volk sich bei meiner Überführung aus dem Militärgefängnis in die Conciergerie so ruhig verhalten hat. Dies ist ein neuerliches Zeichen seiner Mäßigung.

Morgen um 8 Uhr werde ich gerichtet werden und mittags werde ich gelebt haben, um in der Sprache der Römer zu reden.

Man muss an die Tapferkeit der Bewohner von Calvados glauben, da die dortigen Frauen einiger Festigkeit fähig sind. Übrigens weiß ich nicht, wie die letzten Augenblicke meines Lebens vorübergehen werden, und das Ende krönt das Werk. Ich habe nicht nötig, Unempfindlichkeit meinem Lose gegenüber zu erkünsteln, denn bis nun habe ich auch nicht die mindeste Angst vor dem Tode.

Ich werde das Leben nie anders als nach seiner Nützlichkeit schätzen. Ich hoffe, dass Duperret und Fauchet morgen in Freiheit gesetzt werden. Man behauptet, dass der letztere mich in den Nationalkonvent auf eine Galerie gebracht hätte. Wie sollte er dazu kommen, Frauenzimmer dahin zu führen? Als Abgeordneter hat er nicht auf der Galerie zu sein und als Bischof sollte er sich nicht mit Weibern abgeben. So hat er jetzt eine rechte Lehre bekommen. Aber Duperret hat sich keinen Vorwurf zu machen. Marat wird nicht ins Pantheon kommen, doch hätte er es so sehr verdient! Ich beauftrage Sie alle, eine passende Leichenrede für ihn zu verfassen und die nötigen Urkunden dazu zu sammeln.

Ich sage nichts meinen anderen Freunden; ich fordere bloß ein rasches Vergessen; ihre Betrübnis würde mein Andenken entehren.

Leben Sie wohl, Bürger, ich empfehle mich dem Andenken ‚der Freunde des Friedens.‘ Die Gefangenen in der Conciergerie, weit entfernt davon mich zu beleidigen, schienen sogar mich zu bemitleiden. Das Unglück macht teilnehmend. Das ist eine letzte Betrachtung.“

Hier die Details des Verhöres:

Frage: „Ist es wahr, dass Sie sich beim Bürger Marat eingedrängt haben, der sich damals im Bade befand und dass Sie den obgenannten Marat mit dem Messer, das wir Ihnen hier vorweisen, ermordet haben?“

Antwort: „Ja, ich erkenne das Messer.“

Frage: „Welcher Beweggrund hat Sie bestimmt, diesen Mord zu begehen?“

Antwort: „Da ich in ganz Frankreich den Bürgerkrieg sich entzünden sah und überzeugt war, dass Marat der Haupturheber des Unheils sei, habe ich es vorgezogen, das Opfer meines Lebens zu bringen, um mein Vaterland zu retten.“

Frage: „Es scheint uns nicht glaubhaft, dass Sie diesen fluchwürdigen Plan allein, aus eigenem Antriebe, gefasst haben. Nennen Sie uns die Personen, die Sie dazu bestimmt haben und auch die Namen der Personen, mit denen Sie in Caen am häufigsten verkehrt haben?“

Antwort: „Ich habe meinen Plan keiner sterblichen Seele mitgeteilt. Ich besaß schon seit längerer Zeit den Reisepass, der nur zur Fahrt nach Paris nötig war. Als ich Dienstag von Caen fortfuhr, und die alte Verwandte verlies, bei der ich wohnte, sagte ich ihr, dass ich auf Besuch zu meinem Vater fahre. Sehr wenige Leute verkehren mit dieser alten Verwandten und niemand war von meinem Vorhaben unterrichtet.“

Frage: „Nach Ihrer früheren Antwort ist Ursache vorhanden anzunehmen, dass Sie die Stadt Caen nur verlassen haben, um diese Mordtat zu vollführen?“

Antwort: „Es ist wahr, dass ich diese Absicht hatte, und dass ich Caen nicht verlassen hätte, wenn ich nicht das lebhafteste Verlangen getragen hätte, die Tat auszuführen.“

Frage: „Wo haben Sie sich das Messer verschafft, um diesen Mord auszuführen? Wer sind die Personen, die Sie seit Ihrer Anwesenheit in Paris gesehen haben ? Was haben Sie hier seit Donnerstag, dem Tag ihrer Ankunft, getan?“

Antwort: „Ich habe diesen Morgen um acht Uhr das Messer im Palais Royal gekauft. Ich kenne niemanden in Paris, wohin ich vorher niemals gekommen bin. Am Donnerstag, gegen Mittag, bin ich angekommen und habe mich zu Bett begeben. Ich bin erst Freitag Früh ausgegangen, und ging auf der Place des Victoires und im Palais Royal spazieren. Nachmittags bin ich gar nicht ausgegangen. Ich habe verschiedenes geschrieben, was Sie bei mir finden werden. Ich bin heute Morgen ausgegangen. Ich war gegen sieben Uhr im Palais Royal. Ich habe dieses Messer gekauft, ich habe auf der Place des Victoires einen Wagen genommen, um mich zum Bürger Marat führen zu lassen, bei dem ich nicht vorsprechen konnte. Dann nach Hause zurückgekehrt, habe ich mich entschlossen, einen Brief mit der Stadtpost an ihn zu senden und unter einem erdichteten Vorwand eine Unterredung zu verlangen. Gegen halb acht Uhr abends habe ich abermals einen Wagen genommen, und bin wieder zu Marat gefahren, um dort eine Antwort auf meinen Brief zu verlangen. Aus Angst vor einer neuerlichen abschlägigen Antwort habe ich mich mit einem zweiten Brief versehen, den ich in meinem Portefeuille habe, es ist derselbe, den ich dem Bürger Marat zu übergeben dachte. Ich habe keinen Gebrauch von demselben gemacht, da ich von ihm empfangen wurde.“

Frage: „Wie sind Sie dieses zweite Mal zum Bürger Marat vorgedrungen, und zu welcher Zeit haben Sie das Verbrechen an seiner Person begangen?“

Antwort: „Frauen haben mir die Türe geöffnet. Man hat mir den Eintritt zu Marat verweigert, aber als er mich auf mein Ansuchen bestehen hörte, verlangte er selbst, dass man mich einlasse. Er hat mehrere Fragen über die in Caen wohnenden Abgeordneten an mich gerichtet, er fragte mich um ihre Namen, wie auch um jene der Munizipalbeamten. Ich habe sie ihm genannt, und als Marat sagte, dass es nicht mehr lange dauern würde, dass er sie würde guillotinieren lassen, zog ich mein Messer, das ich im Busen versteckt hielt, und habe damit Marat im Bade den tödlichen Stoß versetzt.“

Frage: „Haben Sie nicht versucht, nachdem Sie dieses Verbrechen vollführt haben, zu entweichen?“

Antwort: „Ich wäre durch die Türe entwichen, wenn man sich dem nicht widersetzt hätte.“

Frage: „Es ist Grund vorhanden zu glauben, dass Sie uns imponieren wollen, indem Sie behaupten, dass niemand von Ihrem Vorhaben verständigt war, wie auch in Anbetracht der Menge des Bargeldes, womit Sie versehen sind, besonders viel für ein Mädchen Ihres Alters.“

Antwort: „Ich habe mich mit diesem Gelde, das mein Eigentum ist, versehen, weil ich von niemanden etwas verlangen wollte.“

Frage: „Sind Sie ein Mädchen?“

Antwort: „Ja.“

Frage: „Sind Sie nicht heute in Saint-Pelagie oder in anderen Gefängnissen dieser Stadt gewesen?“

Antwort: „Nein. Ich weiß nicht einmal wo diese Gefängnisse sich befinden.“

Endlich war der furchtbare Tag, der 17. Juli 1794, herangekommen, an dem Charlotte Corday vor dem Revolutionstribunal erscheinen sollte.

Nachdem sie vorgeführt worden war, ließ man sie auf der Anklagebank Platz nehmen und richtete die üblichen Fragen an sie. Da der Verteidiger, den sie genannt hatte, nicht erschienen war, teilte der Präsident der Angeklagten mit, dass der Gerichtshof den zufällig im Saale anwesenden Chauveau-Lagarde zu ihrem Verteidiger ernenne. Er begab sich an ihre Seite. Sie kannte ihn nicht und musterte ihn mit besorgten Blicken, als ob sie gefürchtet hätte, dass er eine Verteidigung unternehmen könnte, die sie unfehlbar in Abrede zu stellen genötigt sein würde. Sofort begann die Verhandlung. Der erste Zeuge war Katherine Evrard. Sie erzählte recht getreulich die beiden Versuche Charlotte Cordays, bei Marat einzudringen; als sie die Details des Attentates schildern wollte, unterbrach sie Charlotte mit diesen Worten: „Wozu das, ich bin’s, die ihn getötet hat.“ Der Präsident fragt: „Wer hat Sie beredet diese Mordtat zu begehen?“ „Sein Verbrechen,“ antwortet die Angeklagte. Was verstehen Sie unter seinem „Verbrechen“, fragt er weiter … „Das Unglück, an dem er seit der Revolution schuld ist.“

Frage: „Wer sind jene, die Sie dazu bestimmt haben diese Mordtat zu begehen?“

Antwort: „Niemand, ich selbst habe diesen Gedanken ersonnen.“

Die Zeitung wurde verlesen, in der das Attentat geschildert war. Charlotte Corday bestätigte, dass die Tatsachen wahrheitsgetreu wiedergegeben seien.

Auch die Aussagen der Köchin und Portierin Marats wurden von ihr als richtig befunden. Auf die Frage, mit wem sie in Caen verkehrt habe, nennt sie einige wenige Personen. Da diese aber von gar keiner Bedeutung sind, kommt der Untersuchungsrichter immer wieder auf die Frage zurück, ob sie mit den geflüchteten Abgeordneten viel verkehrt habe. Sie verneint die Frage und erzählt von ihrer ganz oberflächlichen Bekanntschaft und dem geringen Verkehr, den sie mit ihnen gepflogen habe. Auf die Frage, bei welchen Priestern sie beichten gegangen sei, antwortete sie, dass sie überhaupt keine Beichte abgelegt habe.

„Sie haben wohl durch die Zeitungen erfahren, dass Marat ein Anarchist sei,“ fuhr der Untersuchungsrichter in seinem Verhöre fort. „Ja, ich wusste, dass er Frankreich verderbe,“ antwortete Charlotte Corday, und sagte weiter: „ich habe einen Mann ermordet, um Hunderttausende zu retten. Ich war übrigens lange vor der Revolution Republikanerin, und es hat mir nie an Willenskraft gefehlt.“

Frage: „Was verstehen Sie unter Willenskraft?“

Antwort: „Die Kraft jener, die ihren Privatvorteil beiseitelassen und es verstehen, sich für das Vaterland zu opfern.“

Frage: „Haben Sie sich eingeübt, um es zu ermöglichen, so sicher zu zielen?“

Antwort: „Oh! das Scheusal! es hält mich für eine Mörderin.“

Der Präsident: „Es ist indessen von Sachverständigen erwiesen, dass, wenn der Stich statt der Breite der Länge nach ausgeführt worden wäre, Sie ihn nicht getötet hätten.“

Charlotte Corday: „Ich habe den Stoß geführt, wie es eben kam, das ist Zufall. Die Empörung, die mein Herz aufwallen machte, hat mir wohl den Weg gewiesen“!

Frage: „Sind Sie nie vordem in Paris gewesen?“

Antwort: „Nein“.

Frage: „Haben Sie seit Ihrer Ankunft Briefe aus Caen erhalten, oder welche dahin geschickt?“

Antwort: „Nein“.

Der Abgeordnete Claude Fauchet, Exbischof, erscheint. Er kennt die Angeklagte nicht, hat sie niemals gesehen, und kann sie folglich auch nicht auf die Galerie des Konventes geleitet haben.

Charlotte Corday: „Ich kenne Fauchet nur vom Sehen, ich betrachte ihn als einen Menschen ohne Sitten und Prinzipien, den ich verachte.“

Dann wird der Abgeordnete Duperret einvernommen. Charlotte Corday entlastet ihn völlig. Der Untersuchungsrichter fragt darauf Duperret, welche Meinung er sich nach dem Gespräch mit Charlotte Corday von ihr gebildet habe. „Ich habe,“ sagt Duperret, „in ihren Reden nur die Äußerungen einer guten Bürgerin erblickt. Sie hat mir Bericht erstattet über das Gute, das die Abgeordneten in Caen leisten, und hat mir geraten, ihnen dahin zu folgen.“

Frage: „Wie konnten Sie eine Frau für eine gute Bürgerin halten, die Ihnen riet, nach Caen zu gehen?“

Antwort: „Ich betrachtete das als Ansichtssache.“

Als man der Angeklagten das mit Blut befleckte Messer vorwies, wendete sie den Blick ab, und eine Regung des Entsetzens malte sich in ihren Zügen, sie machte mit der Hand eine abwehrende Bewegung um es zurückzustoßen, und sagte mit geängstigter Stimme: „Ja es ist jenes, dessen ich mich bediente, um Marat zu ermorden.“

Man verlas die beiden Briefe, die sie im Gefängnis geschrieben hatte. Den an Barbaroux hörte sie mit Gelassenheit an, sie lächelte sogar bei gewissen Stellen, wie der, die vom Kapuziner Chabot handelte. Aber ihre Augen füllten sich mit Tränen und ein tiefes Schmerzgefühl erschütterte sie einen Augenblick lang, als man den Brief an ihren Vater vorlas. Nachher nahm ihr Gesicht den gewohnten Ausdruck der Heiterkeit an und sie teilte dem Revolutionstribunal mit, dass das Komitee des Wohlfahrtsausschusses ihr versprochen habe, den Brief bestimmt Barbaroux zukommen zu lassen, damit er seinen Freunden von dem Inhalte Mitteilung machen könne. Was den zweiten Brief betreffe, so verlasse sie sich auf die Menschlichkeit des Tribunals, damit er sicher ihrem Vater zukomme.

Der Präsident resümierte in wenigen Worten die Verhandlungen. Der öffentliche Ankläger machte seine Anklage und beantragte die Todesstrafe.

Als er über die Größe des Verlustes, den Frankreich erlitten, sprach, und sich in Lobeserhebungen über Marat erging, unterbrach ihn Charlotte Corday mit den Worten. „Ihr Marat war ein Ungeheuer!“

Nun ergriff ihr Verteidiger das Wort. Wir lassen hier die Schilderung des Eindruckes, den Chauveau-Lagarde später einmal darstellte, folgen: „Als ich mich erhob, hörte man einen dumpfen und verworrenen Lärm, wie vom Schrecken herrührend, und gleich darauf trat eine Totenstille ein, die einem bis ins innerste Herz erstarren machte. Während der öffentliche Ankläger sprach, ließen mir die Geschworenen sagen, ich sollte schweigen, und der Präsident verlangte, ich solle mich darauf beschränken zu behaupten, dass die Angeklagte wahnsinnig sei. Sie wollten alle, dass ich sie demütige. Was sie selbst betrifft, so war ihr Gesicht immer das gleiche. Nur sah sie mich in einer Weise an, die mir sagte, dass sie nicht gerechtfertigt sein wolle!

Übrigens konnte ich nach dem Verhör nicht daran zweifeln, dies war unmöglich, da unabhängig von ihrem Geständnis der gerichtliche Beweis vorlag, dass sie einen vorsätzlichen Mord begangen habe. Indessen, ganz entschlossen, meine Pflicht zu erfüllen, wollte ich nichts sagen, was mein Gewissen und die Angeklagte missbilligen könnten. Mit einemmale kam mir der Gedanke, mich auf eine einfache Beobachtung zu beschränken, die in einer Volksversammlung oder in einer gesetzgebenden Versammlung als Grundstoff zu einer ganzen Verteidigung hätte dienen können, und ich sagte: „Die Angeklagte gesteht kaltblütig die lange vorhergehende Überlegung, mit einem Wort, sie gesteht alles und sucht sich nicht einmal zu rechtfertigen. Das ist, Geschworene, Mitbürger, ihre ganze Verteidigung. Diese unveränderliche Gemütsruhe, diese Selbstverleugnung, die nicht einmal im Angesicht des Todes irgendwelche Reue empfindet, diese Ruhe und Selbstaufopferung, erhaben in einem gewissen Betracht, existieren nicht in der Natur. Sie können sich nur durch die Begeisterung des politischen Fanatismus erklären, die ihr den Dolch in die Hand gedrückt haben. An Ihnen, meine Geschworenen, ist es zu urteilen, von welchem Gewichte diese Betrachtung in der Waagschale der Gerechtigkeit sein kann.“ Charlotte Corday schien mit dieser Verteidigung sehr einverstanden zu sein.

Die Geschworenen verurteilten sie einstimmig. Der Präsident verkündete ihr Todesurteil mit folgenden Worten: „In Anbetracht des einstimmigen Verdiktes der Geschworenen, das erstens besagt, dass es zuverlässig sicher ist, dass Jean Paul Marat, Abgeordneter des Nationalkonvents, am 13. des laufenden Monats Juli, zwischen 6 und 7 Uhr abends, durch einen Messerstich in die Brust getötet wurde, während er im Bade saß, durch welchen Stich er auch augenblicklich verschied; zweitens: dass Marie Anne Charlotte Corday die Urheberin dieser Mordtat ist; drittens: dass sie die Tat vorsätzlich und in verbrecherischer kontrerevolutionärer Absicht verübt hat, wird Marie Anne Charlotte Corday zur Todesstrafe verurteilt. Es wird angeordnet, dass sie, mit einem roten Hemd angetan, zur Richtstätte geführt wird, dass ihr Vermögen der Republik zufällt und dass das gegenwärtige Urteil auf Antrag des öffentlichen Anklägers, auf der Place de la Revolution vollzogen wird.“

Aller Blicke waren auf sie gerichtet und man forschte, ob die unerschütterliche Ruhe, die sie während der Verhandlung zeigte, sich im Angesicht der sicheren und unausweichlichen Todesstrafe nicht verleugnen würde. Vergebliche Erwartung. Die stolze Republikanerin blieb unempfindlich. Ihre Züge zeigten keine Erregung; sie war weder von dem schrecklichen Urteil, das sie dem Schafott weihte, noch von der eisigen Stille, die sie umgab, noch von der heiligen Scheu, die auch diese blutigen Entscheidungen des Strafgerichtes begleiten, erschüttert. Eine tiefe Ruhe lag auf ihrer Stirne während jener Augenblicke, in denen der Mut der Unerschütterlichsten gezwungen wird, der Regung der Natur nachzugeben.

Der Präsident fragte sie hierauf, ob sie etwas über die Anwendung der Gesetze zu bemerken habe. Als einzige Antwort ließ sie sich vom Gendarmen zu ihrem Verteidiger führen und richtete mit vieler Grazie und Sanftmut folgende Worte an ihn: „Mein Herr, ich danke Ihnen für den Mut mit dem Sie mich verteidigt haben, der einzigen Art, die Ihrer und meiner würdig war. Diese Herren konfiszieren mein Eigentum, aber ich will Ihnen den größten Beweis meiner Dankbarkeit geben, indem ich Sie bitte, für mich das zu zahlen, was ich im Gefängnis schuldig bin. Ich rechne auf Ihren Edelmut“.

Ihre Schulden beliefen sich auf 36 Francs, die Chauveau-Lagarde am darauffolgenden Tag dem Kerkermeister bezahlte.

Nach der Verhandlung wurde Charlotte Corday augenblicklich in die Conciergerie zurückgeführt, von der sie nur herauskam, um aufs Schafott zu steigen. Sie blieb völlig heiter und unverändert. Es dauerte nicht lange, so kam der Scharfrichter in die Zelle, um sie zum Richtplatz zu führen. Als er Charlotte Corday die Hände festband und die Haare abschnitt, sagte sie: „Dies ist eine Toilette, die ich nur nicht gewohnt bin.“

Im Augenblick als sie den verhängnisvollen Karren bestieg, ging ein heftiges Gewitter über Paris los und übertönte das Brüllen und Heulen der Menge, die sie zur Richtstätte begleitete. Nichts konnte die unerschütterliche Seele außer Fassung bringen. Sie ließ ihre sanften ruhigen Blicke über die Menge schweifen. Sie trug den Kopf hoch, ohne Stolz, sie hatte einen freien Blick ohne Verachtung, ihre Züge waren ausdrucksvoll und belebt, ganz ungezwungen. Das rote Hemd, das an sich so scheußlich anzusehen ist, schien ihre natürlichen Reize noch zu heben. Auf dem ganzen Weg, von der Conciergerie bis auf die Place de la Revolution, verließ sie ihre heldenhafte Ruhe auch nicht einen Augenblick. Das Blut strömte ihr beim Anblick des Schafottes ins Gesicht. Sie stieg die Stufen zum Schafott so rasch hinauf, als ihr das Gehen durch die auf dem Rücken zurückgebundenen Hände möglich war. Sie fiel mutig auf das verhängnisvolle Brett. Eine tiefe Stille herrschte und das fürchterliche Beil fiel.

Der erbärmliche Scharfrichter, namens Legros, war so schändlich, dem abgehauenen Kopfe eine Ohrfeige zu versetzen, als er ihn in die Höhe hob. Die Tat dieses Nichtswürdigen erregte einen Ausbruch der Entrüstung.

Das Martyrium Charlotte Cordays machte Proselyten. Schon als sie ins Gefängnis eintrat, kam ein junger Mann herbeigeeilt, der sich erbot, sich statt ihrer als Gefangener zu stellen und für sie die Strafe über sich ergehen zu lassen. Adam Lux hatte den Mut, seine Bewunderung in einer Broschüre öffentlich auszudrücken.

Er hat sie geschildert, wie sie ihr friedliches Heim verlassen, wie sie sich niemandem anvertraut habe, ohne Stütze, ohne Rat, ohne Tröster da gestanden sei. Ihr Dasein bedeutet nichts für sie, sie geht das Dasein von Tausenden zu retten. Dieser einzige Gedanke gibt ihr eine Kraft und eine Sicherheit, die sie nicht verlassen. Ihr Brief an Barbaroux ergreift und begeistert den Verfasser der Broschüre, er könnte keinen ähnlichen ersinnen. Dieser Brief wird Schwärmer erzeugen und Helden hervorbringen. „Charlotte Corday, hehres Mädchen, unvergleichliches Wesen! was hab’ ich nicht empfunden, als ich dich zum Richtplatz führen sah! Du, so schön, so zart! Als ich deine unerschütterliche Sanftmut inmitten des barbarischen Geheules sah! Dieser so sanfte und durchdringende Blick! Diese lebhaften, feurigen Funken, die aus deinen schönen Augen sprühten, aus denen eine ebenso zarte als unerschrockene Seele sprach. Bezaubernde Augen, die Steine hätten erweichen müssen! Einziges, unsterbliches Angedenken! Blicke eines Engels, die mein Herz innig durchdrungen haben, die es mit lebhaften, bis dahin unbekannten Regungen erfüllt haben, Regungen, deren Süßigkeit die Bitternis ausgleicht, und deren Empfindung nur mit meinem letzten Atemzug erlöschen wird.“

Der Unglückliche forderte für sich die Guillotine heraus wie einen Altar, der durch das Blut der schönen Heldin geläutert war. Er sehnte sich darnach, sein Blut mit dem ihren zu vergießen: „Bedeckt mich mit Schmach wie sie, sättigt Euch zum zweiten Mal an diesem tierischen Schauspiel. Oh! Pariser, ist’s inmitten Euerer Mauern, ehemals die Stätte des feinen Betragens, dass solche Gräueltaten sich ereignen? Verzeihe, o Charlotte, wenn es mir unmöglich ist, in meinem letzten Augenblick einen Mut und eine Sanftheit gleich der deinen zu zeigen! Ich freue mich über deine Überlegenheit, denn ist es nicht gerecht, dass das angebetete Wesen den Anbetenden überragt?“ Er erschauerte vor Freude, als er festgenommen wurde und ließ nur die Worte hören: „Ich werde für sie sterben.“

Tatsächlich erlitt er bald das gleiche Schicksal wie sie. Seine letzte Seligkeit war, dass derselbe Stahl, der den schönen Hals derjenigen getroffen, die er geliebt hatte, auch den seinen treffen würde. Auf diesen einzigen Gedanken vereinigten sich alle Kraft, alle Fähigkeiten seines Daseins. Das längste Leben schien ihm mit diesem Augenblick des Todes nicht vergleichbar.

Die berühmten Frauen der französischen Revolution 1789 - 1795

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