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Dr. med. Emma Gold

Praxis für Psychotherapie – Paar und Sexualtherapie

Königinstraße 27, 80539 München

Freitagnachmittag, 15 Uhr, München und Föhn, Augusthitze und in den Augen der hochbeinigen Schönen, die durch den Englischen Garten flanierten, die flimmernde Erwartung erotischer Erfüllung. Es war so heiß, dass die entblößten Schultern der Mädchen glänzten.

Mir gefiel der Anblick. Ich fand schon immer, dass Menschen, die nichts verbergen brauchten, das auch zeigen konnten. Aber jetzt musste ich mich konzentrieren. Meine Patientin erwartete meine volle Aufmerksamkeit. Das ist manchmal nicht einfach, aber dafür wurde ich bezahlt.

Ich musterte meine Patientin. Elvira Bergström war eine sehr anziehende Frau; sensibler, schöner Mund, warme, klare Augen, samtige, gepflegte Haut, weiblicher, schlanker, sportlich trainierter Körper. Die Augen schienen weinen zu können, der Mund sah aus, als sei er zu keiner Lüge fähig, und der Körper versprach die sensible Reaktion der Feinsinnigen.

Sie hatte volle Lippen, und trug ihre langen, blauschwarzen Haare streng nach hinten gebunden. Diese Mischung aus markanten Zügen, schmaler Nase, großen Augen und zarter Haut, verlieh ihrem Gesicht eine besondere Klasse.

Elvira Bergström hob ihren Kopf, und blickte mir in die Augen. Sie hatte leuchtende grüne Pupillen, deren Außergewöhnlichkeit, mich sofort faszinierte.

„Ich möchte, dass Sie sie mir vom Leib halten“, sagte Elvira Bergström in einem trotzigen, kindlichen Ton.

„Ich? Wie kann ich das tun?“, erwiderte ich fragend. „Schließlich ist es Ihre Stimme, und sie sitzt in Ihrem Kopf.“

„Mein Ehemann bezahlt Ihnen zweihundertzwanzig Euro pro Stunde! Also verdienen Sie sich das Geld. Ich will sie nicht mehr hören.“

„Hören Sie sie im Augenblick?“, wollte ich wissen, ohne auf ihren Vorwurf näher einzugehen.

Ehe sie antwortete, wartete Elvira, als horche sie in weite Fernen. „Nein.“

„Was war das für eine Stimme? Wie hat sie geklungen?“

„Winselnd, vorwurfsvoll, das alte Luder. Ich hasse sie! Töten Sie sie!“

„Wann haben Sie diese Stimme zum ersten Mal gehört?“

„Vor Jahren.“

„Und gestern Nacht in Ihrem Traum wieder?“

„Ja.“

„Was haben Sie getrieben, als Sie sie zum ersten Mal gehört haben?“

„Warum interessiert Sie das?“, hakte Elvira Bergström nach und zog die rechte Augenbraue empor.

„Ich bin ein weiblicher Voyeur.“

„Ich bin verdammt nochmal nicht zum Vergnügen hier. Ich habe Angst. Ich will, dass Sie diese Stimme wegmachen.“

„Ich sage Ihnen die Wahrheit“, erklärte ich. „Auf meine Art bin ich ebenso verrückt wie Sie es sind. Ich bin ein Voyeur. Es macht mir Spaß, in schmutziger Wäsche herumzuwühlen. Was glauben Sie, warum ich Psychiaterin geworden bin? Nur, um meinen lieben Mitmenschen zu helfen? Niemand tut irgendetwas ausschließlich aus humanitären Gründen. Da ist immer noch etwas Anderes im Spiel, ein zusätzlicher Kitzel.“

Ich war mit Elvira Bergström vollkommen offen. Ich belog meine Patienten nie, und schizoide Patienten schon gar nicht, weil ich genau wusste, wie empfindlich sie auf Lügen reagierten.

„Ein Test für die normale oder psychotische Veranlagung ist das Maß an gegebener oder nicht gegebener Verständigungsmöglichkeit zwischen zwei Personen, von denen die eine das ist, was man gemeinhin als »normal« bezeichnet. Von diesem Test ausgehend, kann ich Sie unmöglich als verrückt und mich selbst als geistig gesund bezeichnen. Ich bin ebenso verrückt wie Sie es sind. Nur dass ich persönlich gelernt habe, normal zu funktionieren. Die Schizophrenie ist ein geistiges Land, und ich bin dort gewesen und zurückgekehrt - eine Reisende, die sich auskennt. Das ist der Grund, warum mir Ihr Ehemann dieses Honorar bezahlt. Ich bin eine Reiseführerin, die große weiße Jägerin des Geistes, die alle Fluchtwege kennt.“

Ich lachte vergnügt über meine Metapher und ließ einen schwarzen Kugelschreiber durch meine Finger rollen. Während meiner Gespräche musste ich immer etwas in der Hand halten. Meist war es ein Kugelschreiber, aber die Dinge wechselten. Okay, ich gebe es zu. Auch ich würde einen Therapeuten benötigen. Aber den brauchten alle Psychiater, sonst wären sie keine Psychiater geworden.

„Sie reden wie ein unreifes, eitles Kind!“, sagte meine Patientin geradeheraus.

„Und? Ich bin eingebildet und eitel, aber ich kann funktionieren. Ich habe die Splitter meiner Schizophrenie gebündelt. Ich halte sie fest und Sie fallen auseinander. Wenn Sie dieses Auseinanderfallen verhindern wollen, müssen Sie mir sagen, was ich wissen will. Wenn nicht, dann verschwinden Sie. Ich brauche Sie nicht. Für einen Patienten der geht, finde ich im Handumdrehen ein Dutzend neue!“

„Warum haben Sie mich als Patientin überhaupt angenommen?“ Ihre Stimme war unbewegt, aber in ihren Augen zuckte es.

„Weil Sie ein Verrückte unter Verrückten sind. Ich könnte Ihren Fall in einem Bericht für eine Fachzeitschrift abhandeln. Sie sind etwas Besonderes. Nicht die Geist-Körper-Trennung. Die ist das Übliche. Das Ungewöhnliche an Ihrem Fall ist der Keil, der die Trennung zwischen Ihrem Geist und Ihrem Körper herbeigeführt hat, der physiologische Faktor, der hier mitspielt. Sie besitzen das, was wir in der Ausbildung feixend einen Expressauslöser genannt haben. Der flüchtigste klitorale Reiz führt in ihrem Traum zu einem Orgasmus. Sie kommen in weniger als zehn Sekunden zum Höhepunkt und erzielen über eine unabsehbare Zeitdauer auch danach noch eine Reihe weiterer Orgasmen. Sie können nie genug Sex bekommen.“

„Diese Schlampe, diese ekelhafte. Sie ist durch und durch schlecht.“

„Seien Sie kein Narr. Die meisten Frauen würden ihre beiden Brüste hergeben, wenn sie dadurch die Fähigkeit erwerben könnten, so schnell und so häufig wie Sie zu kommen. Es ist ein physischer Vorzug, keine Verpflichtung, aber statt ihn zu genießen, haben Sie ihn irgendwo auf halber Strecke unterbrochen, oder ausgeschaltet, oder von Ihrem Verstand abgetrennt. Aber das kommt Sie teuer zu stehen. Geist und Körper sind symbiotisch. Jeder ist für den anderen lebensnotwendig. Das ist der Grund, warum Sie eine Stimme hören. Es ist die Stimme Ihres Körpers, der sich wieder mit ihrem Geist verbinden möchte. So erscheint Ihnen diese Sehnsucht nach Verbindung ständig im Traum.“

Elvira Bergström gab keinerlei Anzeichen, ob sie verstanden hatte, was ich sagte. Das überraschte mich nicht. Einem Patienten zu erklären, was nicht in Ordnung war, war als Therapie ungefähr so wirksam wie der Versuch, Warzen mit Zaubersprüchen zu beseitigen. Der Trick – und ich betrachtete es als Trick, eine Fähigkeit, die manche Analytiker besaßen und andere nicht -, war, in den Kopf des Patienten einzusteigen und in den Landschaften seines Geistes spazieren zu gehen. Dann konnte man die Auswege finden, falls es welche gab. Aber um das zu bewerkstelligen, musste man wissen, wie sie die Realität sahen. Und um zu verstehen, wie sie die Realität sahen, musste man wissen, wie ihre Realität aussah. Ich musste erfahren, was meine Patienten getan hatten, oder immer noch tun, um diese Trennung von Körper und Geist herbeigeführt zu haben.

„Sie müssen mir etwas mehr erzählen, wenn Sie wollen, dass ich Ihnen helfe!“

„Über was?“, fragte Elvira im gleichen, ausdruckslosen Ton.

„Über diese Stimme in ihren Träumen. Ja, über die Stimme möchte ich mehr wissen.“

„Sie können Sie sich ja ansehen. Alle haben sie gesehen. Aber das ist schon lange her.“

„Sie weichen schon wieder aus. Das sind typische paranoide Fluchtversuche. Und obendrein sind sie kindisch. Wenn Sie mich nicht verstehen können oder wollen, dann müssen Sie bitte einen anderen Psychiater aufsuchen.“

Sie klimperte mit den Augen. „Was wollen Sie wissen?“, fragte sie.

„Ich möchte mit dem Ding sprechen.“

„Ich werde mich schön hüten, sie hochkommen zu lassen.“

„Dann ist es also eine »sie«?“

Für den Bruchteil einer Sekunde erschien auf Elviras Gesicht ein Ausdruck, in dem Groll und Bewunderung sich die Waage hielten. Dann wurde ihr Blick wieder öd.

Ich zog nachdenklich die Augenbrauen hoch. „Hat sie einen Namen?“

„Ja“, sagte Elvira.

„Wie heißt sie?“

„Luder. Schlampe. Dreckige Hure.“

„Nein, ich meine, wie ist ihr Name?“

„Das sage ich Ihnen nicht.“

„Was haben Sie getrieben, als Sie ihre Stimme zum ersten Mal gehört haben, zum allerersten Mal?“

„Das haben Sie schon einmal gefragt!“

„Ja, aber Sie haben nicht geantwortet.“

„Das werde ich jetzt auch nicht tun.“

„Hatten Sie das erste Mal Geschlechtsverkehr?“

„Ich kann mich nicht entsinnen.“

„Was war das für ein Gefühl, als Sie zum ersten Mal mit einem Mann geschlafen hatten?“

„Es nicht gereicht. Nie. Und sie will, dass ich dafür einen Baum suche.“

„Einen Baum?“

„Ja. So ein Luder. Was soll ich mit einem Baum?“

„Lassen wir kurz den Baum. Was spüren Sie nach dem Akt? Wenn der Mann ejakuliert hat?“

„Nichts! Ich spüre gar nichts.“

„Kommen Sie. Sie müssen etwas spüren, sonst könnten Sie keinen heißen Kaffee trinken, ohne sich die Zunge zu verbrennen. Sie könnten nicht laufen, wenn Ihre Füße nicht den Boden spüren würden. Irgendwelche sensorischen Informationen müssen immer aufgenommen und verarbeitet werden.“

„Nein.“

„Schmecken Sie Dinge? Schmecken Sie, ob etwas süß oder sauer oder salzig ist?“

„Nein. Das Ding schmeckt. Ich weise es an, zu kauen und zu schlucken. Ich sage ihm, wie es sich in einem Restaurant zu verhalten hat und wie man Suppe isst, ohne zu schlürfen.“

„Elvira Bergström fühlt überhaupt nichts?“

Es schoss aus ihr heraus: „Nein!“

Ich lachte, um die Sache zu verharmlosen. „Das ist gelogen. Elvira Bergström empfindet etwas. Das ist der Grund, warum sich ihr Körper so sehr nach der Sexualität sehnt. Warum Sie ständig Sex brauchen. Sie kennen und verstehen die sexuelle Lust und den intensiven Schmerz.“

„Schmerz ist gut für das Ding. Das lehrt es, sich zu benehmen.“

„Irrtum. Schmerz ist gut für Elvira Bergström. Schmerz zeigt ihr, dass sie immer noch existiert, in einem Körper existiert.“

„Ich empfinde nichts. Ich lebe an einem kühlen, trockenen Ort.“

„Wo ist dieser kühle, trockene Ort? Wie sieht er aus? Wie schaut er aus, die Topographie. Sind Sie innerhalb oder außerhalb, ist es Winter oder Sommer?“

„Ich lebe in einer Burg, einer Festung.“

„Ist diese Festung von einem Graben umgeben?“

„Ja! Woher wissen Sie das?“

„Festungen sind von Gräben umgeben. Ein beliebtes Traummotiv. Sagen Sie, hat diese Festung oder Burg ein Fallgatter?“

„Was ist das?“

„Eine Eisentür, die man herunterlassen kann, um Eindringlinge abzuwehren.“

„Ja.“

„Führt eine Zugbrücke über den Graben?“

„Nein.“

„Wie kommt man dann über den Graben? Irgendein Weg muss doch hinüberführen, richtig?“

„Man muss schwimmen!“

Die Stimme, die aus ihrer Kehle drang, klang tiefer, sonorer. Die neue Stimme ließ gut zehn Sekunden lang ein höhnisches Glucksen vernehmen, dann streckte sich ihr Körper, als hätten unsichtbare Hände ihn in ihrem Sessel aufgerichtet.

Als sie jetzt fortfuhr, hatte ihre Stimme wieder ihr übliches Timbre.

„Das Scheusal lebt dort, in dem Graben, wo es hingehört. Im Morast! Ich lebe drinnen, wo es sauber und trocken ist. Die Mauern sind dick und fest. Da kommt niemand rein.“

„Ja, und raus kommt auch niemand“, erklärte ich und spielte unverändert mit dem Kugelschreiber.

„Und was heißt das nun, Doktor Gold?“

„Sie werden mir aus Ihrem Leben erzählen müssen. Ich muss wissen, wie es zu Ihrer sexuellen Gier kam. Zu Beginn Ihrer Ehe waren Sie noch glücklich, oder?“

„Ja. Aber er konnte mich nie sexuell befriedigt.“

„Dann beginnen wir mit der Zeit, in der sie selbst merkten, dass Ihnen etwas fehlt.“

„Das war bereits in unserer Hochzeitsnacht!“

„Dann fangen Sie mit dieser Nacht an.“

„Aber das ist eine lange Geschichte.“

„Ich nehme mir die Zeit. Nur wenn ich Ihr Leben kenne, kann ich Ihnen helfen.“

„Es wird aber nicht mit einem Termin getan sein.“

„Wir vereinbaren so viele Termine, wie sie benötigen, um mir alles erzählen zu können, was Sie bedrückt, was Sie erlebt, und was sie erlitten haben.“

Elvira Bergström lehnte sich zurück, sah mir noch einmal direkt in die Augen.

Dann begann Sie zu erzählen:

Die Untreue der Frauen

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