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3 Der sechste Mann

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Zur Zeit der Ereignisse war Madison Parish wahrscheinlich das »schwärzeste« Parish in den gesamten Vereinigten Staaten von Amerika. So schwarz, als wäre es eine Provinz des Kongo.

Verloren im Nichts, abgeschieden aufgrund der Entfernung von allem und der Langsamkeit, mit der die Nachrichten eintrafen, erinnert es an das Dorf Macondo in García Márquez’ Roman Hundert Jahre Einsamkeit. Die amerikanische Regierung erwarb das Gebiet 1803 im großen Louisiana Purchase von Napoleon, zu einem Kaufpreis von fünfzehn Millionen Dollar. (Napoleon war nach seinem verheerenden Ägyptenfeldzug knapp bei Kasse; die Amerikaner hatten erwartet, sehr viel mehr aufbringen zu müssen).

Zu Beginn des neunzehnten Jahrhunderts, ehe Tausende chinesischer Halbsklaven eintrafen, um die Bäume abzuholzen, war der ganze Bezirk ein ausgedehntes Waldgebiet gewesen, bevölkert von Bären und dem Stamm der Choctaw-Indianer, die entlang des Mississippi siedelten. Dutzende von Bayous mit üppiger Vegetation, Heimat zahlreicher Alligatoren, zogen sich am Lauf des großen Flusses dahin. Gerodet und durch Dämme und Wälle befriedet, wurde dieses Land zu einem der ertragreichsten Territorien für den Anbau von Baumwolle und so zu einer der größten Sklavenansiedlungen in Amerika.

Der Name Tallulah existiert seit 1853. Der örtlichen Legende zufolge hatte sich der junge Eisenbahningenieur, der mit der Festlegung eines neuen Streckenverlaufs beauftragt war, bereits für das benachbarte Richmond entschieden. Er erlag jedoch der Verführung einer schönen Witwe und Besitzerin einer großen Baumwollplantage. Also änderte er den Streckenverlauf und konzipierte die Bahnstation nach den Vorstellungen der Dame. Nachdem sie bekommen hatte, was sie wollte, war sie nicht mehr an dem Ingenieur interessiert. Er muss ein romantischer Typ gewesen sein, da er die neue Station aus Rache Tallulah nannte, nach einer Geliebten, die er in Georgia gehabt hatte. Der Name ist indianischen Ursprungs und bedeutet »springendes Wasser«, sprich Wasserfall.

Die Bahnstrecke verband Tallulah mit den Städtchen Monroe und Shreveport im Nordwesten, mit Baton Rouge, der Hauptstadt von Louisiana, im Süden und schließlich mit dem großen Hafen von New Orleans. Im Osten setzte der Zug auf einer Eisenbahnfähre über den Fluss, die erste Station war Vicksburg, dann ging es weiter nach Jackson, der Hauptstadt von Mississippi. Im Gegensatz zum katholischen Süden Louisianas ist der Norden protestantisch; er grenzt an die Bundesstaaten Mississippi, Arkansas und Texas, und der geographischen Nähe entspricht auch eine hinsichtlich Traditionen und kultureller Eigenheiten. Den Einwohnern von Tallulah reichte es nicht, Richmond um die Bahnstation betrogen zu haben. In einem nächtlichen Überfall entwendeten sie den Nachbarn bald darauf sämtliche Katasterpläne und Besitzurkunden und deklarierten Tallulah als Verwaltungssitz des Parish.

Ende des neunzehnten Jahrhunderts besaß Tallulah einige große Villen und eine auf zwölftausend Schwarze und nur hundertsechzig weiße Familien geschätzte Bevölkerung. Weniger als die Hälfte dieser insgesamt etwa vierhundert Weißen verfügte über Landbesitz und war folglich wahlberechtigt.

Ein Weißer auf zwanzig Schwarze, in manchen Gegenden des Parish einer auf hundert. Die Schwarzen, seit 1865 keine Sklaven mehr, wohnten für gewöhnlich an den Waldrändern oder auf den Baumwollplantagen; ihre Lebensmittel bezogen sie in großen, von Weißen betriebenen Verkaufsstellen. Nur an den Sonntagen sah man sie in Gruppen, beispielsweise anlässlich von Tauffeiern, bei denen sie die Kinder an der Mole eines der größten Bayous des Parish ins Wasser tauchten.

Die Naturgewalten – Überschwemmungen und Krankheiten – suchten Madison Parish immer wieder aufs Schwerste heim. 1896 trat der Mississippi auf verheerende Weise über die Ufer; kleinere Überschwemmungen waren beinahe an der Tagesordnung. Im Durchschnitt alle sieben Sommer wuchs sich das heimische Gelbfieber zur Epidemie aus. Vor allem aber machte der Bürgerkrieg dieser Ecke von Louisiana schwer zu schaffen.

Die Landschaft ist flach und reichlich eintönig. Ist man jedoch zu Fuß auf den Wegen rund um Tallulah unterwegs, stößt man immer wieder auf einen halben Quadratmeter große Metallschilder, die an einem Eisenpfahl befestigt im Boden stecken, oft mitten im hohen Gras. Dutzende um Dutzende, und alle verweisen auf kleinere, man könnte auch sagen völlig belanglose Episoden aus dem Bürgerkrieg. »Hier versuchte das Unionsheer eine Pontonbrücke zu errichten«, »Hier wurde das Tennessee-Bataillon durch heftiges Gewehrfeuer zum vorübergehenden Rückzug gezwungen«, »Hier bestand ein Munitionslager, das von den Angreifern aus Vicksburg zerstört wurde«. Diese ganze Erinnerungskultur kulminiert auf der anderen Seite des Flusses im weltweit vielleicht größten Militärmuseum, dem Vicksburg National Military Park, der sich über Dutzende von Hektar erstreckt. Eingebettet in die Hügel, wurde das Gelände der sieben lange Monate währenden Belagerung der Stadt, die am 4. Juli 1863 mit einer für die Konföderierten fatalen Niederlage endete, zu einer nationalen – und parteienübergreifenden – Gedenkstätte des Krieges. Jeder amerikanische Bundesstaat erinnert an seine Mitwirkung am Bürgerkrieg in Form riesiger Bauten aus Marmor und Granit, eine Aneinanderreihung von Skulpturengruppen mit sterbenden Infanteristen, geschwenkten Fahnen, Granatwerfern und Kanonen, scheuenden oder stürzenden Pferden.

Mit dem Verlust von Vicksburg verloren die Sklavenhalterstaaten die Kontrolle über den Fluss und die Möglichkeit der Bevorratung: Die Konföderation wurde gespalten. Den Sieg erzielten die beiden großen Strategen der Unionstruppen, die Generäle Ulysses Grant und William Tecumseh Sherman, die durch den Einsatz von U-Booten, Panzerschiffen, schwimmenden Festungen – den sogenannten Pook-Schildkröten –, durch Angriffskommandos und Dynamit gewaltige Kräfte entfalteten. In den Südstaaten gelten die beiden noch heute als Psychopathen, als gewalttätige und unmenschliche Yankees, die Militärgeschichte dagegen feiert sie als geniale Väter der Kunst moderner Kriegsführung.

Wirklich ein sonderbarer Ort, an den es fünf Sizilianer verschlagen hatte, um sich umbringen zu lassen. Und doch wird sie das viele Land, Schmelztiegel von Arm und Reich, an ihre Insel und deren Geschichte erinnert haben. Und nur durch einen historischen Zufall stießen sie da drüben nicht auf den General, der das Leben ihrer Väter verändert hatte.

Giuseppe Garibaldi hätte nämlich die Stelle von Grant oder Sherman einnehmen, die Truppen von Präsident Lincoln bei ihrem Kampf in den Sümpfen anführen und Vicksburg belagern sollen. Blond und hoch zu Pferde, den Poncho um die Schultern, hätte er der Befreier der in Ketten liegenden Sklaven sein sollen. Lincoln hatte Garibaldi, der 1860, nach dem aufsehenerregenden Krieg zur Befreiung Siziliens, als populärste europäische Persönlichkeit galt, ernsthaft dafür in Betracht gezogen. Garibaldi sorgte für Schlagzeilen in den amerikanischen Zeitungen (»Garibaldi kommt!«, »Garibaldi wird die Armee befehligen«, »Garibaldis Einsatz löst sich in Luft auf«), als wäre er ein berühmter Fußballstar. Lincoln schickte bereits 1861 eigens einen Gesandten, den Diplomaten Henry Shelton Sanford, allein und inkognito auf die sardische Insel Caprera, um den General für sich zu gewinnen. Garibaldi, zu jener Zeit siebenundfünfzig Jahre alt und mit dem Nimbus des Befreiers der Unterdrückten, geriet natürlich in Versuchung, aber mit Shelton Sanford sprach er Klartext.

»Sagen Sie es mir, lieber Freund. Was genau ist das Ziel dieses Krieges? Handelt es sich um die Eroberung des Südens oder um die Befreiung der Sklaven? Offen gestanden, mich interessiert nur der zweite Fall. Überhaupt könnte man von dort aus gleich weitermachen und auch die Schwarzen in der Karibik und in Brasilien befreien …«

Shelton Sanford blieb einigermaßen vage, und Garibaldi war nicht überzeugt. Auch war ihm nicht klar, welchen Status er haben würde. Besäße er die vollen Machtbefugnisse, oder müsste er sie teilen? Und mit wem?

Nach zwei Tagen eingehender Gespräche trennten sich Shelton Sanford und Garibaldi, ohne dass Letzterer den Auftrag angenommen hatte. Wie schade!

Nur wenige Schritte von Tallulah entfernt liegen die Orte, die uns noch immer unser Blut in Wallung bringen. Wer weiß, ob Garibaldi nicht das Gleiche getan hätte wie General Grant. Um Vicksburg von Westen aus anzugreifen, musste man die Kontrolle über den Fluss gewinnen. Und eben hier macht der Fluss eine Biegung, und jeder Angreifer wird zur leichten Beute der auf den Klippen platzierten Kanonen. Grant beschloss, die Flussschleife durch das Ausheben eines Kanals zu umgehen. Zwanzigtausend Soldaten und fünftausend befreite, aus dem Stegreif angeheuerte Sklaven mussten ein Jahr lang inmitten der Sümpfe und Alligatoren eine Arbeit leisten, die schlimmer war als alles, was sie je zuvor gemacht hatten. Diese schlecht verpflegte, von Malaria und Kanonenschlägen gebeutelte Truppe opferte das Leben von mehr als zehntausend Männern, um einen Durchbruch zu schaffen. Was ihr am Ende misslang: Vicksburg wurde dann von Süden eingenommen.

Die Gegend und die Sümpfe werden heutzutage am Wochenende von organisierten Expeditionen eines »Tourismus auf den Spuren der Geschichte« heimgesucht, bewaffnet mit Metalldetektoren und auf der Suche nach alten Projektilen, Waffen, Münzen oder wer weiß welch verborgenem Schatz.

In Madison Parish hinterließ der Krieg vielfache Zerstörung, Elend und eine unbezwingbare Feindseligkeit. Zum ersten Mal wurden hier befreite Sklaven von Unionisten in eine Uniform gesteckt und mit Gewehren ausgerüstet. Glaubt man den Konföderierten, dann besudelten sie sich durch Vergewaltigungen und Plünderungen des Besitzes ihrer vormaligen Herren. Gerieten sie in Gefangenschaft, wurden sie wie treulose Hunde erschossen. Darüber hinaus brannten die Konföderierten die großen Plantagen lieber nieder, anstatt sie dem siegreichen Feind zu überlassen.

Dreißig Jahre nach jenen Ereignissen konnten sich die Großgrundbesitzer noch immer nicht mit der Zerschlagung ihres perfekten Lebenssystems, der Ordnung ihrer Ländereien abfinden, aufrechterhalten von gehorsamen afrikanischen Sklaven, von einer Religion, die die Überlegenheit der weißen Rasse – die Bibel immer griffbereit – untermauert hatte, und von einer Politik, die niemals auch nur in Erwägung gezogen hatte, die Schwarzen als Bürger zu behandeln. In Erinnerung an diese perfekte Welt erschienen in Tallulah die Memoiren von Kate Stone Holmes, Tochter der größten Familie des Ortes, gebildet, sensibel, patriotisch, fast wie eine Scarlett O’Hara aus Vom Winde verweht. In ihrem Tagebuch beschrieb sie den Krieg aus dem Blickwinkel der Plantage Brokenburn – tausendzweihundert Hektar Land, hundertfünfzig Sklaven, erworben auf dem Markt von New Orleans. Sie berichtete vom Mut ihrer Brüder, allesamt Soldaten, und von der Galanterie der Alten Welt, die sich in Tallulah bei Kostümturnieren in Anlehnung an die Romane von Sir Walter Scott vergnügte, die ihre Tapeten in der Schweiz und ihre Lüster in Murano kaufte. Sie erwähnte die Pläne für eine Grand Tour durch Europa, noch bevor der Krieg ausbrechen würde. Und beschrieb dann die Flucht nach Texas, den Verlust sämtlicher Besitztümer, schließlich die Rückkehr und die Wut angesichts der Usurpation der ureigenen Welt.

In diesen Winkel der Welt also hatte es die Defattas aus Cefalù verschlagen. Sie waren einem gesellschaftlichen System entflohen, das den Anschein machte, als wollte es sich verändern, und das sich doch in keiner Weise verändert hat. Während derselben Jahre, in denen die Truppen der Nordstaaten den größten Krieg gegen die Wirtschaft der Großgrundbesitzer und die Sklaverei lostraten, den diese Welt je gesehen hat, ging im alten Mittelmeerraum, an der sizilianischen Küste, ein sonderbarer blonder General an Land, um die von den Bourbonen und der Kirche unterdrückten Sklaven zu befreien. Er versprach ihnen, dass sie nie mehr niederknien müssten, um die Hände der Herren zu küssen, vielmehr würde deren Land an sie als seine neuen Besitzer übergehen.

Die Defattas waren bis nach Tallulah gekommen, weil es sich dabei um ein faules Versprechen handelte. Sie hatten festgestellt, dass ihre Forderung nach Land mit Flintenschüssen beantwortet wurde. Auch die befreiten Schwarzen in Amerika hatten nicht das ihnen versprochene Land bekommen. Sie hatten gar nichts bekommen.

In der Nacht des 20. Juli 1899 hingen die fünf Leichen am Galgen, doch die Arbeit der Lynchknechte war noch nicht beendet. Reiter sprengten durch Tallulah. Sie hatten die Verbindung zur Außenwelt abgeschnitten, indem sie den Telegrafisten mit vorgehaltener Waffe in Schach hielten und die beiden Zufahrtsstraßen zur Stadt kontrollierten. Sie hatten die Wohn- und Ladenräume der Defattas nach Waffen oder irgendetwas anderem durchsucht, womit sich das Vorhaben der Sizilianer, ihr Komplott, beweisen ließe. Und nun versammelten sie sich, um das Edikt, so hatten sie es genannt, in die Tat umzusetzen.

Das Edikt war ganz simpel: Im Madison Parish darf kein einziger Dago überleben. Es gab allerdings noch zwei, Vater und Sohn, nur ein paar Meilen entfernt im kleinen Ortsteil Milliken’s Bend am linken Ufer des Mississippi. Für die Lyncher war es nichts Außergewöhnliches, auch auswärts zu operieren, das hatten sie schon zuvor gemacht. Eine Posse Comitatus* – eine improvisierte Miliz – sammelte sich auf dem Hauptplatz und machte sich bereit, neun Meilen nach Norden zu galoppieren, um so schnell wie möglich in Milliken’s Bend einzufallen.

Bei den Gesuchten handelte es sich um Giuseppe Joe Defina und seinen Sohn Salvatore, der noch im Jungenalter war. Joe Defina gehörte derselben »Rasse« an wie die Gehängten; mehr noch, er war der Schwager eines der Defattas, und in Tallulah kannten ihn alle. Auch er hielt sich seit sechs Jahren in dieser Gegend auf und betrieb einen Gemischtwarenladen, in dem sich ganz Milliken’s Bend versorgte. Er gehörte ebenso wie die anderen bestraft, das war klar, denn es konnte nicht sein, dass er von der Absicht des Schwagers, Doktor Hodge umzubringen, nichts gewusst haben sollte.

Doch in jener Nacht lief es für die Lyncher schlecht, dank zweier rechtschaffener Menschen, Mr. Ward und Dr. Gaines. Ersterer befand sich auf dem Rückweg von Milliken’s Bend, als er auf die Posse stieß, die sich gerade zum Aufbruch bereit machte. Sie informierten ihn, dass sie vorhatten, Joe Defina zu lynchen. Ward wendete sein Pferd und ritt so schnell er konnte zurück, um ihn zu warnen. Dasselbe tat Dr. Gaines, ein Kollege von Doktor Hodge, der diesem einen Hausbesuch abgestattet und festgestellt hatte, dass er sich keineswegs in Lebensgefahr befand. Die Verletzungen an Händen und Bauch, verursacht durch eine Ladung Schrot aus der Jagdflinte, waren alles in allem oberflächlich. Und so sprang auch Gaines auf sein Pferd.

Vor dem Geschäft von Joe Defina setzten sich die beiden für Verhandlungen zwischen dem Lynchkommando und dem Mann ein, der gehängt werden sollte. Anfangs hatte man Joe offenbar vierundzwanzig Stunden zugestanden, um das Parish zu verlassen, diese wurden aber plötzlich auf drei reduziert. Defina begreift, dass seine einzige Chance darin besteht, über den Fluss zu kommen. Einer seiner Arbeiter, ein Schwarzer namens Buck Collins, hilft ihm dabei: Er besorgt ihm für sechs Dollar ein Kanu. Joe und sein Sohn bringen nur wenige Dinge in Sicherheit, darunter das Kassenbuch – dort sind sämtliche Kredite des Ladens verzeichnet –, und beeilen sich, nach Mississippi zu kommen. Zuerst müssen sie sich durch die von Alligatoren wimmelnden Bayous schlagen, um die Posse abzuhängen; dann sind noch zwanzig Kilometer reißende Flussströmung zu überwinden, ehe sie am Ufer vor Vicksburg an Land gehen. Bis dahin vergehen viele Stunden. Die Sonne ist sengend, beide sind verbrannt, von Fieber geschüttelt, aber sie haben es geschafft.

Es war nicht das erste Mal, dass Joe Defina auf dem Wasser in Gefahr war. Als Jugendlicher, ein sizilianischer Schiffsjunge neben vielen anderen seinesgleichen, befand er sich inmitten von Maschinisten, sizilianischen Carbonari* und Anhängern Garibaldis auf dem Panzerkreuzer Re d’Italia, dem Stolz der italienischen Marine, als dieser von den Österreichern in der berühmten Seeschlacht von Lissa gerammt wurde.

Das geschah 1866, Sizilien war eben erst Teil des Königreichs Italien geworden, und seine besten Seeleute waren zum Kriegsdienst einberufen worden, um Venetien vom österreichischen Joch zu befreien und so das Heimatland und seine östlichen Grenzen zu stärken. (Was im Geschichtsunterricht als »Dritter Italienischer Unabhängigkeitskrieg« bezeichnet wird.)

Das Ganze war nicht gut gelaufen, im Gegenteil, es war ein Desaster. Die österreichische Marine, die bis auf den letzten Mann aus erfahrenen venezianischen Seeleuten bestand, gewohnt, sich die Befehle in ihrem Dialekt zu geben (genau diejenigen, die es laut Savoyen kaum erwarten konnten, Italiener zu werden), zerschlug eine aufgeblasene, korrupte, absurde und zehnmal größere italienische Flotte. Deren Admiräle waren allesamt piemontesische Adlige, und ihre Offiziere hatten noch nie eine Schlacht gewonnen. Die einzige Kraft, die der Situation gerecht wurde, war die Horde, die man gewaltsam in den Häfen Süditaliens zusammengetrieben hatte. So also fand sich der junge Defina zusammen mit Hunderten anderen im Meer wieder, ein Schiffbrüchiger vor Ancona, an ein Wrackteil geklammert. Er wurde nach Hause geschickt. Die venezianischen Seeleute, die in Lissa unter der Flagge von Kaiser Franz Joseph I. gekämpft hatten, erhielten jeder ein Stück Land in ihrem Reich. Die geschlagenen und vor Lissa versenkten Sizilianer gingen leer aus. Und so kehrte der zwanzigjährige Giuseppe Defina als Kriegsveteran nach Cefalù, seinen Geburtsort, zurück.


Natale (Nat) Piazza. Gebürtiger Mailänder. Italienischer Konsul in Vicksburg. Als Besitzer eines stadtbekannten Hotels zählte er zu den »Prominenten« der Stadt. Verängstigt und widerwillig stellte er in Tallulah Nachforschungen zu dem Lynchmord an und zeigte sich geneigt, ihn zu rechtfertigen.

Von ihm existieren keine Fotografien. Wir wissen nur, dass er 1889 mit etwa fünfundvierzig Jahren nach Amerika ausgewandert ist. Wir wissen aber auch, dass er sich zur Zeit des großen Pogroms gegen die Italiener in New Orleans befand. Wie alle anderen musste er sich monatelang versteckt halten, dann machte er sich auf, um sein Glück im Norden zu suchen. Und etwas Glück hat er tatsächlich gehabt. Er besaß drei Pferde, ein Maultier, ein Gewehr, drei Hilfsarbeiter und ein Stückchen Land, das er bestellen konnte. Sein General Store in Milliken’s Bend war eines von zwölf Geschäften an der Hauptstraße des Dorfes.

Als Giuseppe Joe Defina am 22. Juli 1899 mit hohem Fieber und von der Sonne am ganzen Körper verbrannt vor Nat Piazza, Träger des Ordens der Krone von Italien und Honorarkonsul von Vicksburg, erschien, war er vieles zugleich: ein italienischer Staatsbürger, ein Kriegsveteran samt Tapferkeitsmedaille, der erste Mann, der dem Lynchen entgangen war, ein Händler, der alles verloren hatte.

Ein Mann auf der Flucht von Land zu Land, der jedes Mal Rettung im Wasser fand. Oder vielleicht auch nur ein Dago, ein Krimineller, ein Abschaum.

* Die Posse Comitatus (lat.: »Kraft für das Land«) ist eine alte englische Institution, die aus tauglichen Männern über fünfzehn Jahren besteht, die vom Sheriff mobilisiert werden, um die öffentliche Ordnung aufrechtzuerhalten. [Anm. d. Übers.]

* Die Carbonari, wichtigster politischer Geheimbund der italienischen Staaten im 19. Jahrhundert, kämpften für die Einheit Italiens. [Anm. d. Übers.]

Eine wahrhaft schreckliche Geschichte zwischen Sizilien und Amerika

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