Читать книгу Dream of a Stretcher - Enrico Schmidt - Страница 9
6
Оглавление»Hallo, was kann ich für Sie tun?«
»Hallo, ich ähm … ich habe versucht, mich umzubringen …«, diese Worte fielen ihm schwer. Nachdem er Javier darüber informiert hatte, dass das Geschäftsessen heute Abend nicht stattfinden würde, hatte Eddie diesen Ort aufgesucht: Das St. Fellaus Hospital. Das kostete ihn einiges an Überwindung. Er hoffte, dass die kräftig gebaute, afroamerikanische Kranken-schwester hinter dem Tresen ihn nicht sofort erkennen würde. Anscheinend hatte er Glück. In seiner Branche war man nicht automatisch prominent, nur weil man ganz oben mitspielte. In Wahrheit hatte sein Anliegen hier überhaupt nichts Außergewöhnliches an sich. Weshalb sich auch die zweite Schwester, die im Hintergrund Wasser für einen Tee aufbrühte, nicht umdrehte. Weil Eddie hier einer von vielen war, ging die junge Dame ihm gegenüber einfach weiter im Text. Sie bückte sich nur kurz, um im nächsten Moment ein paar an ein Klemmbrett geheftete Zettel und einen Kugelschreiber hervor zu holen.
»Hier, bitte sehr. Nehmen Sie das, setzten Sie sich hinten links um die Ecke und lesen Sie es in Ruhe durch. Beantworten Sie die Fragen so gut Sie können.«
»Vielen Dank.« Eddie nahm Stift und Klemmbrett an sich und ging die paar Schritte in den Wartebereich hinein. Bis auf die Stühle und Tische war nahezu alles um ihn herum weiß und steril – kein Wunder, schließlich saß er in der Notaufnahme eines Krankenhauses. Er kannte diese Umgebung aus Kindertagen, sonst nur aus Filmen. Eddie war nur ein paar Mal hier, wenn es darum ging, ein krankes Familienmitglied zu besuchen. Selbst hatte er in seinem ganzen Leben keine einzige Nacht auf der harten Matratze eines Krankenhausbettes verbracht – von den paar Tagen direkt nach seiner Geburt mal abgesehen. Das würde sich nun schon sehr bald ändern.
Eddie pflügte durch das Formular. Fast alles, was seine eigene Krankengeschichte betraf, konnte er mit einem Strich quer über die gesamte Zeile beantworten. Er hatte weder ihm bekannte Allergien, Unverträglichkeiten, noch sonst etwas. Nur als es um die Erkrankungen in seiner Familie ging, musste er konkreter werden.
In nicht einmal zehn Minuten arbeitete er das dreieinhalb Seiten starke Dokument durch. Dieselbe Frau, die ihm das Formular aushändigte, schaute deshalb ein wenig ungläubig drein, als sie Papier und Stift wieder entgegen nahm.
»Haben Sie wirklich alle Seiten bearbeitet?«
»Natürlich.«
»Auch die Rückseiten?«
»Selbstverständlich. Halten Sie mich für inkompetent?«, fragte Eddie merklich pikiert –der Firmenboss in spe kam zum Vorschein. Seine Reaktion veranlasste die junge Frau dazu, kein zweites Mal nachzuhaken. Stattdessen fuhr sie fort:
»Also schön, Sie werden in die psychiatrische Abteilung überführt. Heute wird Sie ganz sicher kein Arzt mehr ansehen, aber wir behalten Sie über Nacht hier. Morgen Früh wird sich Dr. Marcus – die Leiterin der Psychiatrie – sicher mit Ihnen unterhalten.« Eddie war nicht überrascht, dass sich heute niemand mehr seiner annehmen würde. Es war schon spät. Man würde ihm nur noch sein Zimmer zuweisen, alles Weitere morgen.
»Das verstehe ich«, quittierte er.
»Aus Sicherheitsgründen müssen Sie all Ihre persönlichen Gegenstände abgeben.«
»Verstehe«, antwortete er erneut.
»Wir brauchen von Ihnen Ihr Handy, die Schlüssel, Schnürsenkel …«
»Die Schnürsenkel?«
»Ja, die Schnürsenkel geben Sie bitte auch ab. Es ist ein gutes Zeichen, dass Sie sich selbst eingewiesen haben. Aber wir müssen auf Nummer sicher gehen. Sie würden nicht glauben, auf was für Ideen manche Menschen kommen.« Eddie kommentierte das nicht. Stillschweigend senkte er den Kopf und ließ seinen Blick an sich hinunter gleiten. Eine müde aussehende Krankenschwester verlangte also von ihm, dass er ihr die Schnürbänder seines ledernen Schuhwerks überließ, damit er sich unter keinen Umständen damit erdrosseln könnte.
Für einen Moment fragte er sich, ob dies sein persönlicher Tiefpunkt war. Wie konnte es nur so weit kommen? Äußerlich war er noch immer der Alte, adrett gekleidet, gut frisiert, sauber und gepflegt. Doch so langsam offenbarte sich, was Eddie wirklich war: Ein junger Mann, den das Leben nach einer langen Fahrt auf der Überholspur schlussendlich doch einholte. Der nicht wusste wer er war und wer er sein wollte. Die Dame vor ihm kannte ihn nicht, darum behandelte sie ihn wie einen einfachen Patienten, wie jedermann.
Ohne dass auch nur ein Wort seine Lippen verließ, übergab er der Frau seine persönlichen Gegenstände. Mit den Händen in den leeren Taschen seines Sakkos folgte er daraufhin einem Pfleger in die vierte Etage des Gebäudes. An der verglasten Tür war für jeden zu lesen, um welchen Bereich des Krankenhauses es sich bei jener Etage handelte. Dort stand in großen Druckbuchstaben: »Psychiatrie«
Eddie hatte seine Mühen, mit dem hochgewachsenen, drahtigen Pfleger Schritt zu halten. Die beiden gingen schnurstracks über den wie leer gefegten Stationsflur, bis der junge Mann vor einer grau lackierten Holztür stehen blieb. Endlich hatte Eddie einen Moment für ein paar erste Eindrücke, die jedoch ernüchternd ausfielen. Der Flur war nur spärlich beleuchtet. Links und rechts waren alle paar Meter diese grauen Türen in die Wände eingelassen. Hier und da stand ein kleines Regal an der Wand, auf dem Getränke platziert waren. Neben jeder Tür stand offenbar die Zimmernummer. Die Tür, vor der Eddie und der Pfleger sich befanden, war mit der Nummer 04-027 markiert. Eddie hatte keine Gelegenheit, die anderen Räume zu betrachten, doch vermutlich sahen sie von innen ohnehin alle gleich aus. Dieser Gedanke kam ihm, als er das erste Mal sein neues Reich betrat. Darin waren gerade mal ein Bett und ein winziger Tisch untergebracht. Dazu eine kleine, unansehnliche Nachttischlampe. Wenn er länger hier zubringen müsste, würde er nie mehr als die Nächte in diesen vier Wänden verbringen. So viel war schon mal klar. Die Ausstattung überraschte ihn jedoch keineswegs, schließlich hatte man ihm die Schnürsenkel abgenommen, damit er damit keinen Unfug trieb. Es wäre doch paradox, wenn man ihm mit diesem Zimmer eine Fülle solcher Gelegenheiten bieten würde.
»Ich lasse Sie dann erst mal alleine. Die Toiletten sowie die Dusche sind ein paar Meter weiter den Gang runter. Beide lassen sich nicht verschließen, doch es hängen Schilder an den Türen. Drehen Sie sie unbedingt auf besetzt!«
»Danke für die Info. Gute Nacht.« Eddie war sichtlich bedient. Immer wieder sah er sich im Raum um, doch wenn er eine Stelle erneut erblicke, fand er dasselbe vor: Nichts, gähnende Leere.
»Nichts zu danken. Ich wünsche eine angenehme Nacht.« Du musst ja nicht hier schlafen, dachte Eddie. Zumindest schaffte er es, diesen Gedanken nicht laut zu denken. Als der Pfleger verschwunden war, schaltete er direkt das Licht aus. Das einzige, was es nun zu tun gab, war das Bett auszuprobieren. Erfreulicherweise erwies sich die Matratze als angenehm – zumindest deutlich besser als erwartet. Natürlich war man mehr Komfort gewohnt, doch an Orten wie diesem hier gab es keine Ansprüche zu stellen.
Während er einfach nur dalag und die Zimmerdecke anstarrte, überkam ihn plötzlich ein aberwitziger Einfall. Er musste an den Traum denken, der ihn in seinem komatösen Schlaf überkam. Die Person lag auch einfach nur so da, oder?