Читать книгу Kreation Vollblut – das Rennpferd eroberte die Welt. Teil III - Erhard Heckmann - Страница 8
GRADITZ STARTETE ALS KÖNIGLICH-PREUßISCHES HAUPTGESTÜT
ОглавлениеIn die Zucht des deutschen Vollblutpferdes, die die Brüder Biel durch Ankäufe im englischen Auktionshaus Tattersalls in den ersten Jahren des 19. Jahrhunderts starteten, spielte die sechs Kilometer flussabwärts von Torgau am Ostufer der Elbe im Schutze des langgestreckten Deiches liegende kleine Ortschaft Graditz eine wichtige Rolle, und ihr Name hatte bald einen europäischen Klang. Und diesen internationalen Ruf verschafften ihm die Pferde. Hier lag das Königlich Preußische Hauptgestüt Graditz, das Aufstieg, Niedergang und Neubeginn erleben sollte. Und als es 1866 in die Vollblutzucht einstieg, geschah das drei Jahre früher als in Schlenderhan. Graditz, dass in der Planung seiner fünf Höfe (Vorwerke) und Baulichkeit auf Ideen von August des Starken gründet, und 1815 vom Preußischen Staat übernommen wurde, ist mit der deutschen Vollblutzucht auf das Engste verwachsen, wenn gleich Altefeld in den Zwanziger Jahren für eine gewisse Zeit die Graditzer beherbergte. Allerdings sollen auf dem federnden, sandigen Boden, der von einer sehr fruchtbaren Lößschicht bedeckt ist und von dem milden, ausgeglichenem Klima der Elbniederung profitiert, schon viel früher Pferde für die Marställe und Heere der sächsischen Kurfürsten gegrast haben. Barocke Prunkpferde und Gewichtsträger …
Die Gründung von Graditz ist nicht genau feststellbar, aber sie fällt in die Zeit des Kurfürsten Johann Georg III von Sachsen um das Jahr 1686 auf dem rechten Elbufer, während die Vorwerke Döhlen und Neubleesern etwa fünf Kilometer östlich von Torgau lagen. Insgesamt umfasste die Gestütsanlage 1.336 Hektar, und bis auf 536, die Ackerland waren, handelte es sich beim Rest um Weidegebiet. Auf Anordnung des Kurfürsten wurde zunächst Repitz, vier Jahre später Döhlen entwickelt, und bereits 1630 erwähnt der Kurfürst in einem Brief an Oberstallmeister von Tauben das „Stutterey-Vorwerk Graditz“. Als der Dreißigjährige Krieg (1618-1648) zu Ende ging, war Graditz ein verpachtetes Kammergut, das Pferde für den Dresdener Marstall zu liefern hatte, und 1665 berichtete der Verwalter Ketterlein, dass in Graditz noch 34 Pferde standen: 19 alte Stuten, vier Vierjährige, je zwei Zweijährige und Jährlinge, vier Fohlen, zwei Deckhengste und ein Wallach. 1681 wurde die Landwirtschaft von Graditz mit dem erwähnten Döhlen, das schon 1597 als „Vorwerk Graditz mit dem Gute Döhlen“ erwähnt wurde, verpachtet. Im Frühjahr 1686 kaufte der Kurfürst die „Mark Rewitz“ nördlich von Torgau auf dem linken Elbufer (später als Gestüts-Vorwerk Repitz bezeichnet), und richtete dort eine „Stutterly“ ein. Über dem Eingangstor zu diesem Gestütshof steht, im Gegensatz zu den Döhler-Bauten mit 1690, die Jahreszahl 1686. 1691 kamen durch Kauf auch Ländereien des Dorfes Werdau hinzu.
1718 beschloss August der Starke die Errichtung der Gestüte Graditz und Kreyschau, deren Ausbau 1722 und 1723 erfolgte, während gleichzeitig mehrere andere Gestüte aufgelöst oder nach „Graditz“ verlagert wurden, sodass damals in den Stallungen 545 Pferde, darunter 60 englische und orientalische Stuten, gestanden haben sollen. 1723 wurde das Graditzer Barockschloss, das später der Wohnsitz des Landstallmeisters war, nach den Zeichnungen des Hofbaumeisters M. D. Pöppelmann mit den zugehörigen Gebäuden für den sächsischen Kurfürsten und König von Polen, August den Starken, gebaut. Als der Meister des Dresdner Barock, dessen Handschrift auch der weltberühmten Zwinger, Schloss Pillnitz oder das Jagdschloss und Marstall Moritzburg tragen, seine Pläne verwirklicht hatte, war ein hochherrschaftlicher Bau um einen ebensolchen Innenhof mit Schloss und großzügigen Stallungen entstanden.
Am Ende des Napoleonischen Krieges und dem Wiener Kongress 1815, als Sachsen an Preußen ging, fiel auch Graditz mit einem Bestand von 186 Stuten, 179 Fohlen und acht Hengsten an die neuen Herren, und die Warmblutzucht wurde wieder aufgenommen, weil Preußen leichte, zähe, wendige und flinke Pferde für das Heer brauchte. Die dafür notwendigen Veredlertypen mussten jedoch erst eingeführt oder gezüchtet werden. „Veredlungs-Material“ kam einige Jahre später auch aus Neustadt an der Dosse, das 1787 von König Friedrich Wilhelm II. als Gestüt gegründet worden war.
Das Graditzer Schloss am Tag der offenen Tür „300 Jahre Graditz“am 11.10.1986 – inzwischen hat der Freistaat Sachsen die Gestütsanlage in altem Glanz wiederhergestellt – (Foto: Siegfried Müller, Leipzig)
Hier traf 1790 auch die erste vom Staat angekaufte Vollblutstute, die Godolphin Arabian-Urenkelin Gentle Kitty (1774; Silvio) ein, deren Familie später in der österreichisch- ungarischen Zucht eine wichtige Rolle spielte. 1787 war in Neustadt auch der erste nachweisbar importierte Vollblutbeschäler aus England ausgeladen worden, doch deckte der von dem Cade-Sohn Matchem stammende Alfred (1970), dessen Mutter Snap Mare eine Flying Childers Urenkelin war, hier nur ein Jahr. 1805 folgte ihm der 1800 geborene Saxony, der von dem Highflyer-Sohn Delphini stammte, und den Stallmeister C. J. Stubberg im gleichen Jahr auf der Insel gekauft hatte. Im Oktober 1806 musste der Hengst, zusammen mit weiteren 45 Gestütspferden und unter der Führung des „Pferdearztes“ G. Gottlieb Ammon aus Neustadt zu Fuß vor Napoleon fliehen. Zunächst ging es nach Trakehnen, wo sich der dortige Bestand dem Tross anschloss, um gemeinsam in das Gebiet von Szawlen nach Russland zu ziehen. Auf der Rückreise deckte der Vollblüter als Hauptbeschäler einige Jahre in Trakehnen, später wieder in Neustadt.
An dieser Stelle sei auch ein kurzer Blick auf das einstige Trakehnen gerichtet, das der Soldatenkönig Friedrich Wilhelm I. 1732 mit mehr als 1.100 Pferden als das „Königliche Stutamt Trakehnen“ im Osten seines Reiches gründete, um die Kavalleriepferde selbst zu züchten. Das Land um den Gründungsort „Trakischken“ – zwischen Gumbinnen und Stallupönen – wurde gerodet und trocken gelegt. Die Gestütsanlagen wurden parkähnlich gestaltet, und im Laufe der Zeit entstand ein Staat im Staate, der sich selbst versorgen konnte, und in dem 1940 etwa 1.000 Menschen Arbeit fanden. Auf den 10.000 Hektar verteilten sich 16 Zuchthöfe mit großer Landwirtschaft, eigenen Handwerksbetrieben, mehreren Schulen, Krankenhaus, Apotheke, Post, einer damals hochmodernen Mühle mit angeschlossenem Speicher, Verwaltung, Wohnungen, dem zentral gelegenem, bekannten Hotel Elch und Friedhöfen. Am Ende des zweiten Weltkrieges mussten die Trakehner aus Ostpreußen fliehen, und eine kleine Population, die den Treck in den Westen schaffte, sicherte den Fortbestand dieser traditionsreichen und ältesten Reitpferdrasse Deutschlands, die auch international als Ursprungszucht längst anerkannt ist. Logisch auch, dass sich die Trakehner Zucht genetisch lückenlos auf die Gründung des Hauptgestüts Trakehnen zurückführen lässt. 1947 wurde in Hamburg der Trakehner Verband gegründet, der heute in Neumünster seinen Sitz hat, und 2007, anlässlich des Trakehner Hengstmarktes, „275 Jahre Trakehner“ mit einer eindrucksvollen Gala feierte.
Als Hofgestüt gegründet, ging das Hauptgestüt 1786 nach dem Tod Friedrich II., mangels privater testamentarischer Verfügung, in das Eigentum des Staates über. Der Aufbau der Zucht wurde durch Kriege und Evakuierungen – 1806/7 nach Russland; 1812/13 nach Schlesien oder durch den Ersten Weltkrieg (1914/1918) – erschwert. Die Hauptaufgabe des Gestüts bestand für etwa 200 Jahre darin, Hengste für die Landespferdezucht zu liefern, während nach dem Ersten Weltkrieg Militär und Landwirtschaft ganz konkrete Anforderungen an die Trakehner stellten, wobei die Landstallmeister Graf Siegfried von Lehndorff, der mit 143 Siegen (495 Starts) im Rennsattel drei mehr notierte als sein Vater Georg, und Dr. Ehlert sich ganz besonders engagierten. Und bis heute werden die Trakehner als einzige Reitpferderasse nach den Prinzipien der Reinzucht mit hohen genetischen Anteilen des englischen und arabischen Vollblüters, des Shagya- und Anglo-Arabers unter Berücksichtigung vorgegebener Selektionskriterien gezüchtet. Und als Hauptaufgabe dazu sieht der Verband „diese Ursprungszucht in ihrer besonderen trakehnerspezifischen Ausprägung zu fördern und durch geeignete Maßnahmen einen bestmöglichen Zuchtfortschritt sicherzustellen,“ um ein „im Trakehnertyp stehendes, rittiges und vielseitig veranlagtes Reit- und Sportpferd mit gutem Exterieur und Charakter zu erhalten.“ Als berühmtester Trakehner gilt bisher Tempelhüter, dessen Vater Perfectionist ein von Lord Wolwerton 1899 gezogener Vollblüter war, der Persimmon zum Vater hatte. Und dieser St. Simon-Sohn zählte zu seinen größten Rennerfolgen das Englische Derby, das Doncaster St. Ledger und einen zweifachen Sieg im Ascot Gold Cup. Tempelhüter war zunächst Landbeschäler in Braunsberg, danach, von 1916-1931, Hauptbeschäler in Trakehnen. Dort deckte er 495 Stuten, die 333 lebende Fohlen hinterließen. 59 davon wurden Trakehner-Mutterstuten, 65 Beschäler.
Heute befindet sich das frühere Trakehnen im russischen Teil des ehemaligen Ostpreußens und heißt Jasnaja Poljana. Pferde gibt es dort nicht mehr, doch der „Mythos der Elchschaufel“ der einstigen Pferdehochburg hat noch viele Freunde. Und so gelang es auch dem „Verein der Freunde und Förderer des ehemaligen Hauptgestüts Trakehnen“, dessen Ziel es ist, „Trakehnen“ mit Spenden als Kulturgut vor dem Verfall zu retten. Der Anfang ist längst gemacht, und im Einvernehmen mit der örtlichen Bevölkerung und den russischen Behörden konnte von den verfallenden Gebäuden bereits das Landstallmeister-Haus, in dem seit 1940 eine russische Schule untergebracht ist, restauriert, mit neuem Anstrich versehen und im Ostflügel zwei Museumszimmer eingerichtet werden.
Und auch das „Trakehner Tor“ erstrahlt wieder in neuem Glanz. Die 1932 aufgestellte, lebensgroße, bronzene Tempelhüter-Statue verluden die Russen 1944 Richtung Moskau, doch kam dreißig Jahre später ein Originalabguss dieser Skulptur in die Reiterhauptstadt Verden/Aller auf einem russischen Tieflader zurück und wurde dort vor dem Deutschen Pferdemuseum aufgestellt.
Das Landstallmeister-Haus im ehemaligen Trakehnen mit der Tempelhüter-Statue (Foto: Archiv Trakehner-Verband)
1822 gelangten zu den Pferden in Graditz, außer denen in Neustadt, noch 24 edle Stuten aus der Normandie und später weitere Pferde aus Neustadt und Trakehnen. Den Grundstein für das Preußische Hauptgestüt Graditz, das diesen Namen schon seit Oktober 1815 trug und 1817 den ersten Vollbluthengst aufgestellt hatte, legten 1833 sechs Vollblutstuten, fünf davon aus England importiert. Der Beschäler war der Engländer Elector, den Lord Egremont 1813 von dem Eclipse-Urenkel Election gezogen hatte, und dessen Urgroßmutter Venus gleichfalls eine Eclipse-Tochter war. Ab 1845 kamen die in Graditz gezogenen Vollblüter in den Rennstall nach Neustadt. Zu den 12 Hengsten, die damals im Hauptgestüt standen, zählten die Vollbrüder Bayard und Swaran, die einen Hengst namens Türk-Main zum Vater hatten, und Bayards Sohn Alcides. Von sechs weiteren Beschälern werden drei als Originaltraber benannt, während drei Stallions als Vollblüter diese Rasse in Graditz seit 1826 vertraten: Der 1819 in England gekaufte Blackamoor war ein 1811 geborener Highflyer-Enkel von Stammford aus der Scorer Mare, deren Mutter Whiskey Mare von Whiskey aus einer Dorimant-Tochter gezogen war. Von 1819 bis 1828 deckte der Hengst in Trakehnen, danach bis 1832 in Graditz. Als weiteren Beschäler führt Martin Beckmann in seiner Sport-Welt-Serie von 1981 den Hengst Hogard von Rubens auf, den jedoch die Pedigree-Datenbank nicht benennt, und der einzige „Rubens“, der infrage käme, wäre der 1805 vom Prince of Wales gezogene Buzzard-Sohn, zu dem jedoch keine weiteren Angaben existieren. Als Mutter von Rubens wird die Ascot Gold Cup-Siegerin Pranks genannt, die eine Hyperiontochter war und 1809 geboren wurde. Der damals dritte Vollblüter im Hauptgestüt war der 18017 von Lord Egremont gezogene Old Dicky-Sohn Dicky aus der Pot8os-Enkelin Parapluie.
Ab 1832 kommen immer mehr Vollblüter nach Graditz, und mit zunehmender Beliebtheit des Englischen Vollblutes auf dem Kontinent wurde diese Zuchtstätte zum Zentrum der Vollblutzucht auf deutschem Boden, nachdem Baron Maltzahn als Leiter der Preußischen Gestütsverwaltung 1866 die in verschiedenen Gestüten stehenden Vollblüter in Graditz zentralisierte und Graf Georg von Lehndorf (ab 1887 gleichzeitig Oberlandstallmeister) zum Leiter von Graditz ernannt hatte. Aus Trakehnen kamen damals 24 Vollblutstuten, aus Neustadt 20 und der Hengst Ibicus (1849; Grey Momus), der ein Inländer war.
In jenen Jahren betrieb Graditz auch eine starke Halbblutzucht mit Oldenburgern, Hannoveranern, Ostpreußen, irischen und normannischen Stuten, um ein starkes Halbblutpferd zu züchten. Als jedoch Siegfried Graf Lehndorff 1906 die Gestütsleitung von seinem Vater übernahm, stellte er die Halbblutzucht, die anschließend erheblich aufstieg, ausschließlich auf ostpreußisches Blut um. Und dank dieses Erfolges blieb die Halbblutzucht auch in Graditz, als die staatlichen Vollblüter für zwanzig Jahre nach Altefeld umzogen. Vorübergehend wurde auch die Zucht der Traber und Maultiere wieder aufgenommen, wobei für letztere aus ostpreußischen Zuchten etwa dreißig Mutterstuten nach Graditz gebracht und von zwei Eselhengsten gedeckt wurden, die aus Italien und Amerika stammten.
Die Bodenbeschaffenheit um das Gestüt war fruchtbar, bester Weizenboden ließ auch Klee und Luzerne gedeihen und sorgte für die Eigenversorgung von Gestüt und Rennstall, und für das Training standen auch zwei Bahnen zur Verfügung, 2.500 Meter Sand und 2.000 Meter Gras. Für den Ruhm dieses Gestütes sorgten in- und ausländische Hengste, und drei von ihnen, die aus dem Rennstall in die Zucht wechselten – Herold und sein Sohn Alchimist, zu denen sich der Hanielsche Ferro gesellte – hatten innerhalb von 14 Jahren alle das Derby und den Großen Preis von Berlin gewonnen, bevor sie in Graditz wirkten. Aber nicht alle „Graditzer Hengste“ deckten im eigenen Gestüt, sondern waren verpachtet oder standen beispielsweise auch in der Filiale Römerhof.
Zu den Importen, die Graf Goorg Lehndorff zur Blutauffrischung der Herde und Verbesserung der Zucht durchführte, zählten mit Nuage (Großer Preis von Paris 1910) und Ard Patrick (Epsom Derby 1902) auch zwei Enkel des ungeschlagenen St. Simon (1881; Galopin). Die ersten großen Erfolge durfte Graditz aber schon einige Jahre früher feiern, als der Stockwell-Enkel Sonntag (1869; Rustic) das Union-Rennen von 1972 gewann, und Potrimpos vierzehn Jahre später für den ersten Derbysieg der „Schwarz-Weiß-Gestreiften“ sorgte.
Als 1913 auch noch Dark Ronald (1905; Bay Ronald) angekauft wurde, dessen Kinder allein 872 Rennen und 13,7 Millionen Mark gewannen, waren die Weichen endgültig gestellt, sodass bis Ende 1945 allein zwölf Derbysieger gefeiert werden konnten, von denen sieben während der Regie von Graf Georg Lehndorf abgesattelt wurden. 1949 war es dann Deutschlands ältestem Privatgestüt Schlenderhan mit der Pharis-Tochter Asterblüte vorbehalten, diesen Derbyrekord zu egalisieren. Wie weit jedoch das Blut dieser importierten Hengste reichte, zeigt das Beispiel des letzten Derbysiegers der DDR: Der Graditzer Filutek, der 1990 in Hoppegarten gewann, war ein von dem Luciano-Sohn Cil stammender Hengst aus der Angeber-Tochter Figura, deren siebte Mutter Fama (Saraband) eine Tochter der Alveole ist. Und Alveole war die Mutter der Ard Patrick-Tochter Antwort, einer großen Linienbegründerin im einstigen Graditz. Trainiert wurde der in den Farben des Rennstalles Berolina laufende Graditzer damals von Heinz Schäfke, während es für den späteren Dresdener Trainer Lutz Pyritz, mehrfacher Champion-Jockey der DDR, im Sattel der dritte Treffer in diesem Rennen war. Und noch einer vertrat den Fama-Zweig der großen Graditzer Siegerfamilie der Alveole: Der Graditzer Hengst Faktotum (1952; Harlekin). Er war der beste Rennhengst der DDR-Zucht, gewann die Dreifache Krone und schlug im „Großen Preis der Sozialistischen Länder“ in Moskau Element, der durch seinen Sohn Anilin berühmt wurde. Faktotums dritte Mutter Fahne stammte von Dark Ronald aus der Flagge, deren Mutter den Namen Fama trug.
Wie wichtig die Importe für die Zucht waren zeigt sich auch daran, dass die ersten beiden Derbysieger der „Schwarz-Weißen“ (Potrimus 1886 und Peter 1891) von dem Franzosen Chamant (1874; Mortemer) abstammten, der 1878 nach Deutschland kam. Der vierte, Habenichts, der 1898 gewann, hatte diesen Franzosen ebenfalls zum Vater, während die Derbysieger von 1893 (Geier) und 1909 (Arnfried) eine Chamant-Tochter zur Mutter hatten, und bei Orient (Bonavista), der für Graditz 1910 das sechste Derby gewann, stand eine Chamant-Enkelin als Großmutter im Pedigree. Als 1919 Gibraltar im Grundewald – nach dem Hannibal-Sohn Gulliver II 1912 – das nächste Blaue Band gewann, hieß sein Vater Nuage, und die Mutter war eine Tochter von Ard Patrick. Ein Jahr später hatte bereits der teuerste Graditzer-Import, Dark Ronald, an Herold seinen ersten Derbysieger, und dieser eine Mutter von Art Patrick. Der zehnte Graditzer, der das „Blaue Band“ für sich entschied, Dionys 1931, stammte von dem Dark Ronalds Sohn Herold aus der Nuage-Stute Dichterin, und der große Alchimist, der zwei Jahre später Derbysieger wurde, vertrat die gleiche Kombination, denn er war von Herold aus der Nuage-Tochter Aversion gezogen. Bevor Schlenderhan viermal hintereinander den Derbysieger feiern konnte, holte der Graditzer Ferro-Sohn Abendfrieden für seine Zuchtstätte 1937 den zwölften Triumph im „Blauen Band“. Und dieser Sieger verband über seine Mutter, die Herold-Tochter Antonia, das Blut von Dark Ronald mit dem von Nuage und Ard Patrick, und deckte später Mydlinghoven. Zu Nuage verband Antonias Mutter Adresse, während Ard Patricks Blutströme über Herolds Mutter Hornisse und Antonias Großmutter Antwort flossen. Gegen Ende des Zweiten Weltkrieges verlor die Dark Ronald Linie an Kraft, doch brachten Derbysieger wie Alarich (Derbysieger 1960) Baalim (1961) Stuyvesant (1976) oder Surumu (1977) die Linie wieder stark zurück, wobei auch der Derbysieger von 1948, Birkhahn, als Beschäler eine tragende Rolle spielte. Dieser startete in Graditz, gewann fünf Hengst-Championate und wurde dann von Gabrielle von Oppenheim für Schlenderhan gekauft. Fünf Jahre später war der Alchimist-Sohn bereits tot, ließ aber anschließend noch drei Championate in der damaligen Bundesrepublik Deutschland folgen.. Und Schlenderhans 16. Derbysieger Sruyvesant war als Priamos-Sohn ein Enkel von Alchimist, und auf der Mutterseite führte der Schlenderhaner zu Schwarzgold, womit zwei ganz große Pferde dieser beiden Zuchten verbunden waren. Wenn man von Dark Ronald spricht, dann darf auch Landgraf nicht vergessenen werden, denn er war sein großer, deutsch gezogener Gegenspieler. Doch dazu später.
Nach dem Zweiten Weltkrieg kam die Zucht nahezu zum Erliegen, denn die gesamte Herde wurde aufgelöst, ein Großteil des Pferdebestandes als Kriegsbeute nach Russland und Polen abtransportiert, und der 15-jährige Alchimist erschossen, weil er sich nicht einspannen ließ oder einen Reiter verweigerte. Der 28 Jahre alte Herold hatte das gleiche Schicksal schon beim Einmarsch der Russen erlitten, womit das vorläufige Ende von Graditz gekommen war. Das weltbekannte Preußische Staatsgestüt, das 56 klassische Sieger absattelte, im Schnitt 40 bis 45 Zuchtstuten unterhielt, jährlich zehn bis 15 Pferde aller Altersgruppen versteigerte, die keinesfalls Ladenhüter sondern begehrt waren, dessen Hengste dank staatlicher Subventionen zu günstigen Taxen auch den Stuten privater Züchtern zur Verfügung standen, und das auch die Kavallerie mit Vollblütern versorgte, um in die Landespferdezucht die nötige Härte und Ausdauer zu bringen, hatte aufgehört zu existieren.
Der Neubeginn war nicht nur in Graditz schwierig, doch begannen die Rennen in Mitteldeutschland 1945 schon ein Jahr früher als in Westdeutschland. 1948 gab es durch den aus Leipzig angereisten Birkhahn eine erste „Gemeinsamkeit“, als der Hoppegartener Derbysieger auch das „Blaue Band“ zu Hamburg gewann. Ein Jahr später meldete sich auch das Gestüt Schlenderhan eindrucksvoll zurück, als es mit Asterblüte und Aubergine alle klassischen Rennen gewann: Schwarzgold Rennen, Diana, Union und Derby gingen an Erstere, St. Ledger und Henckel Rennen an ihre Stallgefährdin. Dass jedoch schon 1951 ein Pferd wie Neckar zur Verfügung stand, das war nicht zu erwarten.
Wenn die deutsche Vollblutzucht heute weltweit geachtet ist, so hat auch Graditz einen Meilenstein dazu beigetragen, diente der Gemeinnützigkeit und wurde dieser gerecht. Über Generationen spielte es neben großen Privatzuchten eine wichtige Rolle und schrieb eines der bedeutendsten Kapitel der deutschen Vollblutzucht. Graditz war aber nicht nur eine Macht, sondern auch eine „Weltanschauung“, und die ganz große Bedeutung dieses Gestüts war die Tatsache, dass es auch privaten Züchtern hervorragende Hengste zur Verfügung stellte, denn der private Beschäler-Erwerb vom Format eines Galtee More (Sieger der englischen Triple Crown), Ard Patrick oder gar eines Dark Ronald, der ein Glücksfall gewesen sein mag, war kaum möglich. Mit Graditz, dessen Rennstall sich nicht am Nützlichkeitssport beteiligte, hat der Staat damals bewiesen, dass er um die Bedeutung der Vollblutzucht wusste, denn auch die Decktaxen (1937 kosteten Alchimist und Herold jeweils 300 Mark) kamen kleinen Züchtern entgegen. Aber auch große Privatzuchten wie Waldfried oder Schlenderhahn zogen von den Graditzer Aktivitäten großen Nutzen. So stammte Oleanders Mutter Orchidee von Galte Moore, und der Vater des großartigen Schlenderhaners, Prunus, war ein Sohn von Dark Ronald.
Bis Graditz seinen ersten Derbysieger, den Charmant-Sohn Potrimpos, absatteln konnte, schrieb man bereits das Jahr 1886, doch als die Schwarz-Weißen Farben fünf Jahre später die deutsche Gewinnstatistik mit rund 250.000 Mark anführten, gab es bereits „Aufregung“. Damals unterzeichneten achtzehn Besitzer eine Resolution an die Rennvereine, um die Graditzer von bestimmten Rennen auszuschließen und Pferden in Privatbesitz in anderen Prüfungen Gewichtserlaubnisse einzuräumen. Welch eine Anerkennung für eine Zucht!
In unserer heutigen Zeit rücken die damaligen Namen wie Abendfrieden, Alchimist, Arjaman, Agamemnon, Aditi, Herold oder Dark Ronald in den Pedigrees der aktiven deutschen Vaterpferde und Zuchtstuten in immer weiter zurückliegende Pferde-Generationen, sodass nur noch verantwortliche Züchter und Gestütsleiter ihre Bedeutung kennen, und der durchschnittliche Turffreund kaum noch beurteilen kann, wie die Graditzer die eine oder andere Zucht beeinflussten. Denkt man allein an Alchimist und Arjaman, dann muss man für die unmittelbaren Nachkriegsjahre nur Adlon, Akari, Alarich, Alpenkönig, Birkhahn, Blauer Reiter, Literat, Priamos, Tajo, Kaiseradler, Kronzeuge, Basalt, Norfolk oder Obermaat und Zank oder andere nennen, um die Leistung dieser Hengste richtig einzuschätzen. Und alles, was mit dem großen Ticino zu tun hat – und das sind außer dem neunfachen Beschäler-Champion beispielsweise Hengste wie Neckar und Orsini – führt den Dark Ronald-Sohn Aditi.
„Ganz früher“ war der Spruch geläufig: „Was wäre Graditz ohne Antwort (1907; Ard Patrick), die Hanielsche Zucht ohne Tay (1895: Bend Or), Schlenderhan ohne Danubia (1902: Saphir), Waldfried ohne Festa (1893: St. Simon)?“ Später gab es eine Abwandlung: Was wäre Graditz ohne Alchimist, Zoppenbruch ohne den Stutenerzeuger Arjaman (als starker Überbeißer heute wohl chancenlos?), oder Schlenderhan nach 1960/70 ohne Birkhahn? Bis 1959 wirkte dieser im Nachkriegs-Graditz, das vorher als Lieferant und Vermittler von Deckhengsten eine ganz besondere Bedeutung erlangt hatte. Andererseits war es auch ein Glücksfall, dass so international anerkannte Fachmänner wie Georg Graf Lehndorff und, als Nachfolger, sein Sohn Siegfried 56 Jahre lang die Geschicke des Gestüts leiteten.
Graditz hatte bei seinen Qualitätsankäufen auch keinerlei Kosten gescheut und, als Oberlandstallmeister Burchard von Öttingen Dark Ronald importierte, tief in die Tasche gegriffen. Für den die Eclipse-Hengstlinie vertretenden, 1905 in Irland geborenen Bay Ronald-Sohn waren das 25.000 Pfund, oder, nach damaligem Wechselkurs, 500.000 Goldmark. Auch der Epsom Derbysieger von 1902, Ard Patrick, ein St. Simon-Enkel, der an der 1907 geborenen Antwort eine der größten deutschen Stammstuten zeugte und von 1904 bis 1923 in Graditz wirkte, war, wie auch der 1894 geborene Galtee Moore, der von 1906 bis 1916 seine Dienste an der Elbe erfüllte, keine Billigware. Ein weiterer Import war der Franzose Nuage, Derby-Sieger, St. Simon-Enkel und 1907 geboren. Der bis 1930 in Graditz stehende Hengst, den Siegfried Graf Lehndorf 1910 für 240.000 Mark kaufte, erwies sich als dreifacher Beschäler-Champion und Erzeuger der großartigen Graditzer Stute Aversion (1914), die Mutter von Aditi und Alchimist, als glänzende Erwerbung. Mit deren Mutter, der Ard Patrick-Tochter Antwort, hatte Nuage bereits in den beiden Vorjahren Anschluss (u. a. Großer Preis von Berlin) und Adresse (Diana, St. Ledger; Mutter von Abendfrieden) geliefert, womit die Stute innerhalb von drei Jahren drei Spitzenprodukte gefohlt hatte. Damit wurde Antwort, die 1928 einging, eine der größten Stammstuten in der deutschen Vollblutzucht. Zwischen 1915 und 1935 gewannen ihre Kinder und Enkel serienweise klassische Rennen, wodurch Graditz oftmals eine beherrschende Rolle im deutschen Rennsport einnahm. Auf der Rennbahn war die Stute als Zweijährige in vier Rennen ungeschlagen, absolvierte aber ein Jahr später nur einen Start und ging ins Gestüt.
Zu den ersten, etwa 40 Hengsten, die bis kurz nach 1900 in Graditz wirkten, gehörten auch St. Gatien (1881; Roterhill), Hannibal (1891; Trachenberg), Manners (1896; St. Simon), und danach waren es hauptsächlich Dark Ronal (1905; Bay Ronald), seins Söhne Herold (1917) und Aditi (1922), Ferro (1923; Landgraf) und Alchimist (1930; Herold), die die Akzente setzten.
Dark Ronald, den Mr. E. Kennedy in Irland zog und auf der Doncaster-Jährlingsauktion für 1.300 Pfund an Sir Abe Bailey verkaufte, gewann als Zweijähriger und brach vor dem Derby nieder, sodass er als Dreijähriger nicht lief. Im Juni 1909 gewann der vierjährige Dark Ronald gegen 22 Kontrahenten den Royal Hunt Cup im Stil überlegener Klasse. Bei seiner nächsten Aufgabe, den Princess of Wales Stakes über 2.400 Meter zu Newmarket, traf er auch auf vier Gegner, die im Derby 1908 gelaufen waren. Primer (St. Simon), der im Derby zwei Längen hinter Signorinetta (Chaleureux) eingekommen war, wurde auch hinter Dark Ronald Zweiter, doch gab der Bay Ronald-Sohn ihm in weit überlegener Manier das Nachsehen, als es die Derbysiegerin getan hatte, obwohl Primer zwei Wochen vorher die Hardwicke Stakes beherrscht hatte und somit in Top-Form angetreten war. Den letzten seiner sieben Starts (4 Siege; 2 Plätze) erledigte Dark Ronald im Doncaster Cup, wo er als Favorit mit einer halben Länge geschlagen blieb und Dritter wurde. Er blieb in diesem Rennen zwar nicht ganz heil, doch waren ihm 3.600 Meter auch zu weit. Danach bezog er im Tickford Park Stud von Mr. Donald Fraser eine Beschälerbox, bis er an Graditz verkauft wurde.
Dark Ronalds Vater Bay Ronald (1872; Hampton) war vier Jahre im Training, gewann u. a. die Hardwicke Stakes zu Ascot, das City and Suburban Handicap, als Fünfjähriger den Epsom Cup und insgesamt fünf von 26 Starts. Ehe seine Vererbungskraft richtig bewiesen war, stand er, verkauft für 5.000 Pfund, bereits in Frankreich. Dort zeugte der Handicapper u. a. Teddys Mutter Rondeau, deren Sohn in Frankreich, Italien, Großbritannien und den erheblichen Einfluss erreichte. Bay Ronald, der eine noch immer blühende Linie begründete, zeugte aber nicht nur an Dark Ronald einen großen Hengst, sondern auch ein Jahr später, 1905, auch Bayardo (1906), der von 25 Rennen 22 gewann – darunter Ascot Gold Cup, Eclipse Stakes, St. Ledger, Champion Stakes, Dewhurst Stakes, Chester Vase – und von dem Danny Maher glaubte, dass er das beste Pferd war, das er je ritt. Wie groß der Verlust war, als der Hengst mit elf Jahren einging, zeigte sich schon ein Jahr später. Damals führte er die Liste der Beschäler an, und sein Sohn Gainsborough (1915), der auf der Auktion seinen Reservepreis nicht erreichte und für seine Züchterin Lady James Douglas in den Rennstall einzog, setzte sich in der Triple Crown durch. Und dieser Gainsborough zeugte u. a. für Lord Derby ein Pferd namens Hyperion …
Dark Ronald vertritt die Hengstlinie Hampton – Newminster – Touchstone, die über Whalebone (1807) und Eclipse (1764) zu Darley Arabian führt. Hampton (1872), der u. a. die Cups zu Goodwood und Doncaster gewann, zählte zu seinen Nachkommen auch Stuten wie Perdita II (die Mutter von Persimmon) oder Maid Marian, die nach Cyllene 1902 Polymelus fohlte. Und dieser, von Lord Crewe gezogene Hengst, auf der Rennbahn unterhalb des klassischen Niveaus, wurde in der Zucht ein uneingeschränkter Erfolg. Sein bedeutendster Sohn war Phalaris, der u. a. Fairway (1925) und Pharos (1920) zeugte, und dieser wurde 1935 Vater von Nearco. Newminster’s (1848) wichtigster Sieg war der im St. Ledger, und als Vater von Hampton (23 Starts; 20 Siege) war er Großvater von drei Derbysiegern. Touchstone (1831; Camel) gilt ebenfalls als einer der großen Zuchthengste des 19. Jahrhunderts. Auf der Rennbahn gewann er das St. Ledger (in dem der Favorit und Derbysieger Plenipotentiary „vergiftet“ gewesen sein soll) und je zwei Ascot Gold- und Doncaster Cups. In der Zucht hinterließ er u. a. die Derbysieger Cotherstone, Orlando (später dreifacher Beschälerchampion in England / Irland) und Surplice, die ihr „Blaues Band“ 1843, 1844 und 1848 gewannen. Touchstone hinterließ aber auch zahlreiche erstklassige Töchter, von denen die 1843 geborene Mowerina 1850, nach Melbourne, den Triple Crown-Sieger West Australian fohlte, dem das als erstem Vollblüter in der Geschichte gelang. „The West“, der sich als Vierjähriger auch noch den Ascot Gold Cup sicherte und die Godolphin Arabian-Matchem-Linie vertrat, wurde bei insgesamt acht Starts nur einmal, in seinem letzten Rennen als Zweijähriger, geschlagen.
Dark Ronalds Mutter Darkie (1889; Thurio) geht in direkter Linie auf die Yorkshire Oaks-Siegerin Toison d’Or (1866; Buccaneer) zurück und fohlte auch die Gimcrack-Siegerin Desiree (1902; Velasquez), die nach Schlenderhan verkauft wurde und dort u. a. als vierte Mutter im Pedigree des 1939er Derbysiegers Wehr Dich (Wallenstein) auftritt. Die gleiche Ururgroßmutter-Position besetzte der Schlenderhaner Englandimport z. B. bei dem 1929 geborenen Prunus-Sohn Widerhall, der sich auch im Henckel-Rennen und dem Großen Preis von Baden durchsetzen konnte. Die Mutter von Toison d’Or, Auld Acquaintance (1840; Birdcatcher – Forget Me Not) ist eine Vollschwester zu J. Bowes Derbysieger Daniel O’Rourke, der 1852 unter Frank Butler gewann und im St. Ledger von Stockwell mit zehn Längen abgefertigt wurde, als auch eine Halbschwester von Vergiss Mein Nicht (1858; The Flying Dutchman – Forget Me Not), die bei Tuki (Gouverneur) als vierte Mutter im Pedigree erscheint, der 1901 für Major Gossler das Derby gewann, und sich auch im St. Ledger, Großen Hansa-Preis und dem Großen Preis von Berlin durchsetzen konnte.
Kurz nach der Gründung des Preußischen Hauptgestüts hatte sich auch der Union Club als übergeordnete Behörde des deutschen Rennsports formiert, und mit der Eröffnung von Hoppegarten 1868 stand nun auch eine Rennbahn zur Verfügung, auf der die Vollblüter auf Herz und Nieren geprüft werden konnten, denn das 775 Hektar große Areal war dem französischen Vorbild Chantilly nachempfunden. In ihren Ställen standen bald 1.500 Pferde, und auf dieser Berliner Bahn schlug jetzt das Herz des deutschen Rennsports. Heute, im dritten Jahrtausend, ist auch hier wieder ein Privatmann mit seinem Team dabei, diese herrliche Anlage wieder in den Mittelpunkt zu rücken.
Auch in Graditz strebte man von Anfang an nach dem Besten, investierte konsequent und sortierte aus, was den Kriterien nicht mehr entsprach. So kamen 1866 im Herbst schon zwei Stuten aus England an die Elbe, und 1867, im Jahr der Gründung des Union-Klubs durch den namhaften Besitzer und Züchter Graf Renard am 15. Dezember, folgten 15 weitere.
Dark Ronald, fünffacher Beschälerchampion in Graditz (Foto: Menzendorf; Leihgabe Niedersächsische Sparkassenstiftung und Kreissparkasse Verden im Deutschen Pferdemuseum)
Zehn Jahre später waren von den ursprünglich 56 Müttern nur noch zwei in der Herde, von denen aber nur eine, die 1858 geborene, aus Neustadt überstellte Touchstone-Enkelin Selima (Rifleman) erfolgreich wirkte und 1869, nach dem Stockwell-Sohn Rustic Sonntag fohlte, der für Graditz die erste „Union“ gewann. Gezogen hatte sie Sir R. M. Tatton Sykes in England, der, gemeinsam mit Lady Sykes of Sledmere, auch solche Pferde zog wie Doncaster (1870), Spearmint (1903), Lady Juror (1919) oder Mumtaz Mahal (1929).
Pro Jahr kaufte Graditz damals im Schnitt jährlich drei Stuten, und von 1866 bis 1945 waren es im In- und Ausland insgesamt 228, die nach Graditz kamen: 157 aus England, 22 aus Frankreich, 23 wurden in Deutschland, 14 in Belgien und neun in Österreich erworben. Die restlichen drei wurden aus den USA (2) und Dänemark importiert. Dass alle zu Familiengründerinnen würden, das war ohnehin nicht zu erwarten, doch wegen einer damals in Graditz grassierenden Anämie starben sogar 210 total aus.
Die längste Lebensdauer für Graditz hatten die Familien der Alveole und der 1872 in Österreich geborene Goura (Buccaneer-Gorse). Diese war eine rechte Schwester von Baron Oppenheims Good Hope (1873), der als Fohlen mit seiner 14-jährigen Mutter und dem Jährling Goura importiert wurde, das Österreichische Derby und die Union gewann, und auf den mecklenburgischen Gestüten des Grafen Hahn und G. von Maltzan deckte. Gorses Tochter, Miss Gorse, wurde Stamm-Mutter von Dorn (1869; Chamant), der für Schlenderhan Henckel-Rennen, Union, den Großen Hansa-Preis, Großen Preis von Berlin und das St. Ledger gewann. Auch bei Schlenderhans 1937 geborenem Oleander-Sohn Samurai (St. Ledger, Großer Preis von Baden) stand Miss Gorse noch als fünfte Mutter im Pedigree.
Zu Buccaneer, der im ungarischen Staatsgestüt Kisber stand, das in Ungarn eine ähnliche Rolle spielte wie Graditz in Deutschland, sei hier angefügt, dass Siegfried von Lehndorff in seinem Buch „Ein Leben mit Pferden“ darauf hinweist, dass seinem Vater Georg durch Graf von der Goltz, der von 1869 bis 1870 die Geschäfte des Oberlandstallmeisters versah, die Benutzung von Buccaneer und seines Stallgefährten Blue Gown ausdrücklich untersagt wurde, obwohl Buccaneer seine Vererberqualitäten bereits bewiesen hatte, was einige Beispiele auch unterstreichen: Formosa (gewann 1868 die 1000 und 2000 Guineas, Oaks und das St. Ledger); Kisber, der selbst ein großer Vererber wurde, holte für A. Baltazzi 1876 das Epsom Derby; Amalie von Edelreich setzte sich als erste Stute im Deutsche Derby 1873 durch; Pirat siegte 1877 zu Hamburg, und Tallos, der 1877 in den Derbys von Österreich und Deutschland den Ehrenplatz belegte, ließ sich 1880 den Großen Preis von Baden nicht entgehen. Und beide, Buccaneer und Kisber, zeugten auch noch weitere große und klassische Sieger nicht nur für die Donau-Monarchie.
Die 1889 geborene Crafton-Tochter Alveole, deren in Ungarn gezogener Graßvater Kisber in England trainiert wurde, kam 1905 nach Graditz, als dieses nach dem Unfalltod von G. von Bleichröder 1902 dessen 1896 gegründetes Gestüt Römerhof übernahm. Mit diesem Kauf kamen zwei Hengste und 16 Stuten in Graditzer Besitz, und zu den Ladies zählte auch die von Bleichröder 1894 importierte Alveole. Ihre Mutter Sainte Alvere (1883) kaufte Baron Eduard von Oppenheim auf einer Auktion des Zuchtvereins für 12.500 Mark für das von ihm gegründete Schlenderhan, denn sie war die Tochter des Newminster-Sohnes Hermit, der als einer der größten Vererber aller Zeiten gilt. Ihr letztes Fohlen, Blaustrumpf (1905; Saphir), lief beim dritten Start in einem Verkaufsrennen, wurde für 6.600 Mark gefordert, gewann in neuen Farben noch 12 Rennen und kam auf Umwegen in die Waldfrieder Zucht, wo sie zur Begründerin der Waldfrieder B-Linie wurde. Über ihre Enkelin Blaue Adria wurde sie dort zunächst Urgroßmutter von dem Alchimist-Enkel Baal (1950), der später in die DDR gelangte, und 1961 gewann ihr Urenkel Baalim das Deutsche Derby unter Gerhard Streit. Und genau wie diese Stute ist auch die vom Römerhof nach Graditz gekommene Alveole eine Tochter der Saint Alvere, aus der das Staatsgestüt 1907 die große Antwort erhielt. Auch Baron Eduard von Oppenheim hielt ebenfalls an seiner hohen Meinung von Sainte Alvere eisern fest, und als er von Römerhof das dritte Fohlen der Alveole-Tochter Bayreuth, Ibidem (1903) kaufte, wurde er für seine zu frühe Trennung von Blaustrumpf doch noch voll entschädigt: Die Tochter des Buccaneer-Enkels Little Duck (u. a. Französisches Derby und Großer Preis von Paris), die zweijährig sechs Rennen gewann und bei zwei Starts als Dreijährige 1906 im Preis der Diana siegte, wurde in Schlenderhan eine einflussreiche Stute, zu deren Familie, neben vielen anderen, auch Alba (1927), Aralia (1945), Asterblüte (1946), Asterios (1947) und Agio (1955) gehören, wobei das „Familien-A“ von Ibidems Tochter Arabis stammt.
Martin Beckmann führt in seinem Sport-Welt-Beitrag an, dass zwischen 1729 und 1945 elf Gestütsleiter regierten – Herr von Leipzig eröffnete, und Graf H. Kalein war der letzte Chef, ehe der zweite Weltkrieg fast alles vernichtete – und etwa 60 Hengste für Graditz (Altefeld inklusive) gewirkt haben. Auf sie alle einzugehen, würde den hier gesetzten Rahmen nicht nur sprengen, sondern einige von ihnen standen nur kurzfristig hier, und andere dienten in der Warmblutzucht. Neben den „ganz großen Beschälern“ gab es natürlich Vertreter, deren Söhne und Töchter in der Zucht Gutes leisteten, aber auch solche, die zu wenig Unterstützung erfuhren oder als gute Renner kläglich versagten. Von diesen Stallions sollen an dieser Stelle jedoch nur einige erwähnt sein:
Der 1863 geborenen Derbyzweite und Stockwell-Sohn Savernake, den Graf Georg Lehndorff 1868 erworben hatte, stand nur vier Saisons in Graditz und wurde danach an Harzburg verkauft. Dennoch hat er sich in der deutschen Zucht gut geschlagen, denn er hinterließ Pferde wie Hochstapler (Union, Großer Preis von Baden); Paul (Deutsches Derby 1874)¸ Vergissmeinnicht (Preis der Diana 1876 und Mutter von Weltmann); Nickel (Henckel-Rennen 1890; Großer Hansa-Preis 1892; Großer Preis von Baden ein Jahr später und Wiener Jubiläums-Preis). The Palmer (1864; Beatsman) hinterließ einige gute Stuten. Darunter Glocke (Preis der Diana, Goldene Peitsche, Badener Jugendpreis); die 1880 geborene Ungarin Fantasie, die Mutter von Derbysieger Tegetthoff wurde oder Maria (1880) die Zukunfts-, Fürstenberg-Rennen, St. Ledger an ihre Farben heftete und eine bekannte Mutter in der Schlenderhaner Zucht wurde. Bei Trumpeter (1856; Orlando) aus der königlichen Zucht wahr es wohl die Verwandtschaft, die zum Import des Zwanzigjährigen einlud, denn sein Vater hatte auch in Deutschland einige Töchter gezeugt, die eine große Rolle spielten. Zu diesen gehörte auch Dirt Cheap, die Mutter des Derby-Siegers von Trachenberg, der sich seinen Derbysieg 1882 mit Taurus teilen musste und 1890 Hannibal (Großer Hansa-Preis, Großer Preis von Berlin, St. Ledger) zeugte.
Der Franzose Chamant (1884; Mortemer), der bereits erwähnt wurde, lief in England (2000 Guineas, Middle Park Stakes, Dewhurst Plate) und kam 1878 nach Graditz. Der Hengst hatte bereits gute Geschwister auf der Bahn wie Camelia (1000 Guineas, Oaks), doch waren die Zugnummern wohl eher Stockwell (2000 Guineas, St. Ledger) und Rataplan (Doncaster Cup, Gold Cup) als Halbbrüder zu Chamants Mutter Araucaria (1862; Ambrose).
Georg Graf von Lehndorff 1833-1914 (Foto: gemeinfre; http//:commons wikimedia-org-windex ph.)
Chamant, der, neben der Vollblutzucht auch auch in der Halbblutzucht Überragendes leistete, schenkte Graditz allein drei Derbysieger und weitere, die sich in den anderen Klassiks durchsetzten, als auch Töchter, die gute Mutterstuten wurden. So fohlte Geheimnis (1883) Geier (Union, Derby im toten Rennen); Minnehaha (1887) fohlte die 1896 geborene Görlsdorferin Namouna (Sierstorpff-, Ratibor-Rennen, Hamburger Criterium, St. Ledger, Großer Preis von Berlin, Derbyzweite), oder Abendglocke, die Mutter von Derbysieger Arnfried wurde, der 1909 gewann. 1898, im Alter von 24 Jahren ging Chamant ein und wurde von zahlreichen Söhnen in der Zucht vertreten.
Auch der Plutus-Sohn Flageolet (1870) war Franzose, kam als 15-jähriger nach Graditz und wurde 28 Jahre alt. Als Rennpferd vertrat er beachtliche Klasse. Er gewann die Middlepark-Stakes, Goodwood – und Jockey Club Cup, Prix Morny, musste sich aber im Derby seiner Heimat und dem Großen Preis von Paris Boiard beugen. Auf der Bahn hatte der Franzose auch bereits einige gute Pferde. So den 1876 geborenen Rayon d’Or (Champion Stakes, Doncaster St. Ledger, St. Jame’s Palace Stakes, Prix du Cadran); Beauminet (Prix Lupin, Prix du Jockey Club, Prix Royal Oak), und von einigen guten Töchtern ist besonders Courbature zu nennen, die als Vierjährige 1889 nach Argentinien exportiert wurde und dort u. a. nach dem Bend Or-Sohn Orbit 1894 Orange fohlte, die das Argentinische Derby gewann. Flageolet’s Sohn Geier gewann das Deutsche Derby 1893 im toten Rennen mit Hardenberg, und auf der Hindernisbahn waren Pferde wie Fenelon unterwegs, der der u. a. den Großen Preis von Karlshorst gewann.
Potrimpos (1883) war der erste von drei guten Chamant-Söhnen. Nach vier Siegen als Zweijähriger gewann er, wie schon erwähnt, nach dem Henckel-Rennen auch das erste Derby für Graditz. Die beiden anderen Söhne waren Pumpernickel (1884) und Derbysieger Habenichts (1895). Dessen Sohn Pathos – der u. a. den Großen Preis von Berlin gewann und auch Carnage (1890; Nordenfeld) als Vater gehabt haben könnte – stammte aus einer der besten Stuten, die je nach Deutschland kamen, der 1887 geborenen Springfiled-Tochter Ponza. Pumpernickel (Ratibor-Rennen und die St. Legers von Deutschland und Ungarn), dessen Mutter Pulcherrima (1873; Beadsman) als Vierjährige aus England importiert wurde, gebar 17 Fohlen, 16 davon in Folge. Pumpernickels Sohn Flunkermichel entschied 1897 das Derby für sich und war auch im Großen Hansa-Preis erfolgreich. Der 1881 geborene Graditzer Weltmann war ebenfalls ein Chamant-Sohn, der jedoch nach einigen Jahren im Heimatgestüt zwei Jahre als Hauptbeschäler in Beberbeck wirkte und dann als solcher nach Gudwallen wechselte. Siegfried Graf Lehndorff vermerkte dazu in seinem Buch, dass dieser Hengst in der Zucht des Herrn von Zitzewitz in Weeders Erfolge erzielte, wie sie kein anderer Vollblüter in der ostpreußischen Privatzucht zu verzeichnen hatte.
St. Gatien, 1881 von dem Stockwell-Enkel The Rover gezogen, gewann 16 von 19 Starts (u. a. Ebsom Derby im toten Rennen mit Harvester, Ascot Gold Cup, Ascot Gold Vase, Alexandra Plate, Kings Plate, Cesarewitch Handicap, Jockey Club Cup), kam 1891 nach Graditz und ging neun Jahre später wieder zurück, weil er Bockhuf vererbte. In Deutschland hatte er einige gute Sieger, viel mehr aber nicht. Auch Le Justiecer (1892), der den großen Vererber Le Sancy zum Vater hatte (u. a. zweimal Grand Prix de Deauville und 27 Siege bei 43 Starts), war ein passables Rennpferd (Eclipse Stakes), deckte nur kurz in Graditz, danach im Landgestüt Preußisch-Stargard und Trakehnen. Auch er hinterließ einige gute Pferde, von denen der 1900 geborene Leander (Leipziger Stiftungs-Preis, Großer Sachsen-Preis, Großer Preis von Hamburg), oder die gute Hürdlerin Kirschblüte genannt sein sollen.
Der Trachenberg-Sohn Hannibal, den U. von Oertzen 1891 zog und in dessen Farben er lief, zählte zu seinen acht Siegen auch die im Ratibor-Rennen, St. Ledger, Großen Preis von Nordrhein-Westfalen und dem Großen Hansa-Preis. Als Beschäler war er zweimal Champion und fand sich noch mehrfach in dieser Wertung in der Spitzengruppe. Der Ire Galtee More (1894), ein Halbbruder zu Ard Patrick, elf Siege bei dreizehn Starts und Triple Crown-Sieger in England, wurde Ende dreijährig nach Russland verkauft, wo er für diese Wahlheimat, Ungarn und Polen gute Pferde zeugte, ehe er 1904 für 14.000 Pfund nach Graditz kam und 1910 die Liste der Deckhengste anführte. Beim Verladen nach Hoppegarten ins Union-Gestüt brach er ein Bein und musste erlöst werden. Der 1899 geborene St. Florian-Sohn Ard Patrick, einer der ganz Großen in Graditzer, und führender Zweijährige seiner Heimat, lebte bis 1923. Im Epson Derby bezwang er Sceptre, gewann die Princess of Wales – und zweimal die Eclipse Stakes, wobei er in diesem Rennen Sceptre und den amtierenden Triple Crown-Sieger Rock Sand auf die Plätze verwies. Als Stallion stand er 1911 und 1913/14 an der Spitze und zeugte u. a. Derbysieger Ariel (1911), Antwort (1907) und die Mutter von Herold (Hornisse), der Alchimist, Birkhahn und Schwarzgold zeugte.
Als Siegfried Graf Lehndorf 1906 Graditz übernahm, begann in der Graditzer- und Altefelder Zucht eine neue Ära, zu der auch der 1910 aus Frankreich eingeführte Nuage (1907; Simonian) zählte, den er im Namen seines Vaters für 300.000 Franken (etwa 240.000 Mark) kaufte. Zweijährig zählte der Hengst zu seinen drei Siegen auch das Criterium de Maison-Laffitte, ein Jahr später den Großen Preis von Paris. Auf schwerer Bahn kam der St. Simon-Enkel jedoch mit einem Niederbruch aus dem Rennen und wurde danach in Graditz Boxennachbar von Hannibal, Galtee More, Ard Patrick und Caius. Während die ersten drei genannten Hengste – im Verhältnis zur Berücksichtigung – besonders großen Nutzen für die Gestüte Schlenderhan und Waldfried brachten, lieferte Nuage seine besten Pferde für Graditz. Und dazu zählten drei Vollgeschwister aus der Antwort, die diese nach Nuage innerhalb von drei Jahren fohlte: 1912 wurde Anschluss geboren (u. a. die Großen Preise von Berlin und Hamburg, Silberner Schild, Hoppegartener Jubiläums-Preis; zweifacher Deckhengst-Champion); 1913 Adresse, die Rennen wie die Diana und das St. Ledger gewann, und 1914 Aversion (St. Ledger, Danubia Rennen, Preis der Stadt Hannover usw.). Und diese Stute wurde Mutter des Siegers im Großen Hansa-Preis und Großen Preis von Baden, Aditi (1922; Dark Ronald); Aditja (1925; Fervor); Aberglaube (1919; Dark Ronald) und Derbysieger Alchimist (1930; Herold). Sie alle kamen in Graditz zur Welt, doch siedelte ihre Mutter dann noch nach Altefeld um. Graditz erhielt von Nuage auch Dichterin (1917), die Mutter des Derbysiegers Dionys (1928; Herold), als auch den ein Jahr älteren Gibraltar, der das Deutsche Derby ebenfalls gewann und wie Dionys Deckhengst wurde. Wenigstens acht weitere gute Sieger, die Nuage zum Vater hatten und die „Schwarz-Weißen-Farben trugen wären noch zu nennen, als auch Spitzengalopper, die fremde Farben trugen wie der Weinberger Derbysieger von 1921, Omen, der nach Griechenland exportiert wurde, doch würde das hier zu weit führen..
Der Beschälerchampion Nuage war auch ein guter Stutenerzeuger, was nicht nur durch Aversion und Adresse bestätigt wird, sondern auch beispielsweise durch Favilla, die 1922 den Fervorsohn Favors (Henckel-Rennen, Preis des Winterfavoriten) fohlte, oder Die Wolke und Sonnenwende. Diese wurde 1937 nach Oleander Mutter von Samurai (1943 Großer Preis von Baden in Berlin unter Gerhard Streit), jene von Wolkenflug, der sich u. a. Fürstenberg, den Großen Preis von Berlin und das St. Ledger an seine Farben heftete. Nuages Vater Simonian (1888; St. Simin) zeichnete sich vor allem in der französischen Zucht aus, und Nuages Mutter Nephte (1903, Flying Fox) fohlte für Edmond Blanc auch den Deckhengst Nimbus (1910; Elf).
Ein noch größerer Treffer als Nuage wurde in der deutschen Zucht jedoch der 1905 geborene Bay Ronald Sohn Dark Ronald, der schon als Jährling an einem Fesselkopf gebrannt worden war, und 1928 im Alter von 23 Jahren diese Welt verließ. Seine Zuchtlaufbahn begann er in England für 98 Pfund, ehe er drei Jahre später, im Juni 1913, in deutschen Staatsbesitz wechselte. Oberlandstallmeister von Oettingen führte die Kaufverhandlungen auf Anraten von Siegfried Graf Lehndorff, der den Hengst mehrfach gesehen, seinen Vater Georg aber vergebens gebeten hatte, ihn zu kaufen. In England hatte Dark Ronald bereits Son-in-Law hinterlassen, doch als dieser seine Klasse mit Siegen wie im Goodwood Cup, Cesarewich oder einem Doppel im Jockey Club Cup zeigte, war sein Vater bereits verkauft. Gute Engländer waren beispielsweise auch die Söhne Brown Prince (Jockey Club Cup, Cambridgeshire) oder Dark Legend, der in Indien die Toprennen Viceroys-, King Emperors- und Aga Khan Cups gewann, nachdem er in England die Trial Stakes für sich entschieden und im Epsom Derby den dritten Platz belegt hatte. Als Sechsjähriger kam der Hengst in seine Heimat zurück und wurde nach Frankreich exportiert, wo seine Tochter Rosy Legend nach jeweils Nearco 1942 Dante (Epsom-Derby 1945), und zwei Jahre später Sayajirao fohlte, der das Irish Derby und das englische St. Ledger gewann. Dark Ronald hinterließ in seiner Heimat auch einige gute Mutterstuten, von denen stellvertretend nur wenige genannt sein sollen. Die Guineas-Siegerin Vaucluse, die Mutter von Bongrace (Jockey Club- und Doncaster Cup); Popingaol fohlte 1919 nach Lemberg Pogrom (Oaks, Coronation Stakes) und 1924 Book Law. Diese Champion-Dreijährige von Buchan gewann zweijährig die Queen Mary Stakes und danach St. Ledger, Coronation–, Jockey Club- und Nassau Stakes. Dark Ronalds Vollbrüder Ambassador (1911), Sieger in den July Stakes, und Braun Prince (1911), die aus der St. Simon-Enkelin Excellenza stammten, wurden Beschäler in den USA, wobei Ambassador auf der Claiborne Farm ein erstklassiger Erzeuger von Zweijährigen wurde. Der Dritte aus den 2000 Guineas 1917 (zu seinem Stallgefährten Gay Crusader), Dark Ronalds Sohn Magpie (Rous Memorial Stakes), den Lord Astor aus der St. Frusquin-Tochter Popinjay zog, gewann in Australien noch so bedeutende Rennen wie die Caulfield- und Melbourne Stakes und wurde auf dem großen Kia Ora Stud zu dessen Eckpfeiler, denn sein Einfluss war dort gewaltig. 1929 war Magpie australischer Spitzenbeschäler, wurde jedoch von einem andern großen Deckhengst, Valais (1913; Cicero), überschattet, der 1919 nach Australien exportiert wurde.
Nach den Franzosen, und speziell Nuage, beherrschte Dark Ronald fünf Jahre lang die Beschäler-Statistik in einer Folge vor dem vierfachen Champion und Galtee More-Sohn Fervor (1906), und den Dark Ronald-Söhnen Prunus (1915), Wallenstein (1917) – beide zog Schlenderhan – und dem Graditzer Herold (1917) mit insgesamt acht Championats-Titeln. Und der Schlenderhaner Prunus-Sohn Oleander – ein Dark Ronald Enkel- kam selbst zu neun Hengst-Championaten. Damit ist das, was die Importe, der Triple Crown-Sieger Galtee More, Ard Patrick und Dark Ronald für die Deutsche Zucht geleistet haben, gewaltig. Dass Graditz Dark Ronald überhaupt kaufen konnte, war auch ein wenig mit Glück verbunden, denn als dessen Sohn Son-in-Law auf der Insel groß einschlug, war das Geschäft längst abgewickelt und der Neuzugang bereits an der Elbe eingetroffen. Rund 100 Jahre später fand sich von ihm auch im Dressursport eine imposante Spur, die den international bekannten Namen des Millionen-Hengstes Totilas trägt. Dieses schwarze Dressurwunder stammt in direkter Linie von dem Bürgermeister-Sohn Pasteuer ab, einem Enkel von Der Löwe. Dieser, von Erlenhof gezogene Wahnfried-Sohn, der 1948 in Röttgener Farben den Großen Preis von Baden gewann, stammt aus der Herold-Tochter Lehnsherrin, die das Blut des großen Iren weiterreichte.
Und die Dark Ronald-Söhne Prunus (1915), der ein Jahr jüngere Eckstein (Henckel-, Union-Rennen, Großer Preis von Berlin), als auch der Jahrgang 1917 mit Der Mohr (Großer Hansa-, Großer Jubiläums-Preis), Herold (Derby, St. Ledger, Großer Preis von Berlin, Gladiatoren-Rennen), Nubier (Winterfavorit, Union-, Oppenheim-Rennen, Großer Preis von Hamburg und 1921 nach Ungarn exportiert), und der neunzehnfache Sieger aus Schlenderhan, Wallenstein (Großer Preis von Berlin, Großer Hansa-Preis, Ratibor-, zweimal Gladiatoren-Rennen, Goldene Peitsche), wurden alle Deckhengste, wie der ein Jahr jüngere Hanielsche Träumer (16 Siege; Großer Preis von Berlin), der in die USA verkauft wurde.
Prunus, dessen Mutter eine St. Simon-Enkelin war, lieferte zahlreiche Klassepferde, darunter drei Derbysieger und die Institution Oleander. Gewaltigen Speed mit Stehvermögen vereinte Herold, ein bildschöner Schwarzbrauner, der aus der sehr guten Ard Patrick-Tochter Hornisse (Leipziger Stiftungs-Preis) gezogen war und trotz der Kürze seiner Rennlaufbahn eine der bedeutendsten Erscheinungen des deutschen Rennsports war. Bei neun Starts wurde er, durch eine Unachtsamkeit seines Reiters, nur im Henckel-Rennen um einen Kopf geschlagen. Und es war Pech, dass die Rennen in Baden 1920 nicht stattfanden und der Hengst dort nicht international geprüft werden konnte. Um das nachzuholen, wollte Graf Siegfried von Lehndorff, der die Gestütsleitung 1906 von seinem Vater Georg übernommen hatte und auch die Graditzer Halbblutzucht komplett auf Trakehnerblut ausrichtete, Herold auch im Folgejahr im Rennstall belassen, denn fast alle Dark Ronald-Produkte wurden als Vier- und Fünfjährige noch besser. Diesen Wunsch untersagte ihm jedoch sein Vorgesetzter, Oberlandstallmeister Groscurth, der damaligen Fachleuten zufolge von der Materie Rennsport und Zucht aber wenig verstanden haben soll. Und auf den Linienbegründer Dark Ronald gehen auch Deckhengste wie Alchimist, Birkhahn, Literat (1965), Surumu (1974), Acatenango (1982) oder Lando (1990) zurück.
Fachleute sind der Meinung, dass Dark Ronalds Stutenqualität unter der seiner Hengste lag. Dennoch war er Vater einiger guter Töchter. Die 1915 geborene Reichenau gewann das Österreichisches Derby; Tulipan (1916) heftete die Erfolge Preis des Winterfavoriten, Deutschen Oaks, Stutenpreis und Kisasszony-Rennen an ihre Farben, und die 1927 geborene Stromschnelle, die zu Altefeld das Licht der Welt erblickte, überließ den Preis der Diana keiner Gegnerin. Andere Töchter wurden gute Mütter. So Dolly (1915), Landgräfin (1916), die deutsche Stutenpreis-Siegerin Harfe (1918) oder die Schlenderhanerin Abbazia (1919), die den Preis des Winterfavoriten gewann. Dass Dark Ronald auch einige erstklassige Hindernispferde auf der Bahn hatte, sei ebenfalls am Rande vermerkt und auf den 1919 geborenen Abenteurer – er gewann je zweimal die Großen Preise von Karlshorst (6.600 m) und von Grunewald), Glatteis (Deutsches Jagdrennen, Großer Prüfungspreis und zweimal das Große Stuten-Jagdrennen zu Karlshorst) und Lauscherin beschränkt, die das Hauptjagdrennen in Karlshorst gewann. Ein sehr guter Hindernis-Beschäler war auch der 15. Graditzer Deckhengst aus eigener Zucht, der Hannibal-Sohn Gulliver, der in dieser Sparte neunfacher Champion wurde, während sein Vater, den U. von Oertzen 1891 zog, zweimal das Championat bei den Deckhengsten der Flachsparte gewann.
Aber auch andere berühmte Beschäler hatten auf der Hindernisbahn erstklassige Steepler und Hürdler, die bei derartigen Vererbern meist vergessen werden. So stellten Oleander und Alchimist 1944 die beiden Erstplatzierten im Präsidentenpreis über zwei Meilen, den Feuerdorn unter J. Unterholzner für Trainer G. Arnull vor Seleukos gewann. Ard Patrick und Nuage lieferten mit Sängerin und Feuersnot 1918 ein ähnliches Duo im Großen Stuten-Jagdrennen in Karlshorst, während der Fels-Sohn Mainberg 1927 den Großen Preis von Karlshorst unter dem Amateur-Reiter Adrian von Borcke gewann. 1933 konnten das auch Herolds Tochter Gemma, die dafür 10.000 Mark als Siegpreis kassierte, und sechs Jahre später Oper, die Pergolese zum Vater hatte. Ticinos Sohn Waldemar gewann den Großen Preis von Karlshorst 1955/56, als dieses Rennen in Frankfurt über 5.000 Meter und Düsseldorf (4.000 m) ausgetragen wurde. Und der Hengst Gouverneur wurde Vater von Flieder und Wohlfahrts, die 1901/2, bzw. 1903/4 für Kurt von Tepper-Laski den Großen Preis von Karlshorst gewannen. Dieser Offizier und Rittmeister im Deutsch-Französischen Krieg gewann von 653 Ritten 206. Bei Abenteuer und Glatteis war dieser „Herrenreiter-Champion“, der den 13. Ullanen angehörte, ebenfalls im Sattel, als diese ihre großen Siege eingaloppierten.
Auch weniger bekannte Beschäler, die in Graditz kurz oder länger wirkten, hatten auf die deutsche Zucht Einfluss. Genannt sein sollen z. B. der Franzose Biniou (1904; Le Pompon) der ein sehr guter Renner war, z. B. den Großen Preis von Deauville gewann und vor seinem Import schon für die Hanielsche Zucht die Derbysiegerin von 1915, Pontresina geliefert hatte. Talion (1896; Fripon) war ein Belgier, gewann das dortige Derby und auch mehrere gute Rennen in Deutschland; Caius (1900; Reverend) hinterließ für Graditz einige gute Stuten, war aber besonders für Schlenderhan und für Richard Haniel ein voller Zuchterfolg. Dieser erhielt den Derbysieger von 1913, Turmfalke, und 1915 an Frauenlob die Mutter von Ferro. Für Schlenderhan wurde Maja (1914) die Mutter von Mah Jong, der 1927 das Derby und den Großen Preis von Berlin gewann, nachdem sich der Prunus-Sohn auch im Ratibor-Rennen und dem Preis des Winterfavoriten durchgesetzt hatte. Auch einige gute deutsche Hindernispferde hatten diesen Franzosen zum Vater.
Von Hammurabi (1903; Gallinule) glaubte seine Umgebung – Graf Georg Lehndorf und Trainer R. Waugh – dass er der am besten gezogene Graditzer bis zur Jahrhundertwende gewesen sei. Der Zweijährige, dessen Vater einer der ganz Großen der Zucht war, blieb ungeschlagen (inkl. Dresdener Jugendpreis), gewann ein Jahr später u. a. das St. Ledger und den Großen Preis von Baden, um als Vierjähriger erneut alle seine Starts zu gewinnen. Am Ende war man der Meinung, die großen Steherqualitäten dieses Hengstes zu spät erkannt, und so auf weitere Siege verzichtet zu haben. Ein Zuchterfolg wurde Hammurabi nicht. Er befruchtete schlecht, und die guten Stuten blieben bald aus. Diese Tatsache war besonders traurig, denn Hammurabi gehörte dem gleichen Zweig der Familie 6 an wie z. B. Sansovino, Big Game, Selene, Wallenstein oder Oleander …
Der von Nuage stammende Anschluss, der 1925 schon mit 13 Jahren einging, war das erste Fohlen der hervorragenden Ard Patrick-Tochter Antwort, bekam aber in Graditz, wo er als Vaterpferd debütierte, wenig Chancen. Auf der Rennbahn gewann Anschluss, der schwierig zu reiten war, sich mit Jule Rastenberger am besten verstand, vierjährig bei sechs Starts ungeschlagen blieb, und sich im Derby (3.) unterwegs auf eine Beißerei einließ, u. a. Hoppegartener Jubiläums-Preis, Silberne Schild und die Großen Preise von Berlin und Hamburg. Seine letzte Stallion-Saison absolvierte er in Altefeld. Die Klassehengste Großinquisitor (vielfacher Sieger, u. a. Goldene Peitsche, Ulrich-von-Oertzen Rennen) und der 1922 geborene zwölffache Sieger Marduck (Hoppegartener Jubiläums-Preis, Renard-, Kincsem-, Wallenstein-Rennen) gelten als seine besten Produkte. Anschluss lieferte aber auch den schwedischen Derbysieger von 1921, German, der aus der Sahir-Tochter Germania gezogen war, als auch mehrere gute Hindernispferde. Von diesen seien nur Immelmann (Großer Preis von Karlshorst), Niederwald (Haselhorster Jagdrennen) und Carl-Ferdinand (Großer Prüfungspreis im Grundewald) genannt.
Der besten Hengst der Graditzer Scholle und Graditzer Zucht war bis dahin jedoch der bereits erwähnte Dark Ronald-Sohn Herold. Zu seinen acht Siegen – bei neun Starts – zählten Derby, St. Ledger, Großer Preis von Berlin und das Gladiatorenrennen, wobei er im Derby unter Stalljockey Rastenberger Nubier schlug wie im St. Ledger. Er ging bereits Ende dreijährig in die Zucht, wo er ein Pferd von außerordentlicher Bedeutung und gleichfalls ein guter Stutenerzeuger wurde. Als Herold seine erste Beschälersaison für 600 Mark antrat, waren beispielsweise für Aditi (Erlenhof) 2.000, Augias (Römerhof) 1.500 oder Fervor (Waldfried) 4.000, Flamboyant (Röttgen) 2.000 Mark Taxe aufgerufen. Graf Isolani (Erlenhof) kostet 600 Mark, während dieses Deckgeld auch für Oleander und Prunus (Schlenderhan) galt und für Palastpage in Röttgen. Herold litt vorerst auch unter der bereits erwähnten Graditzer Seuche, erholte sich aber schnell und stand 1923 als Hauptbeschäler auch im hessischen Altefeld, das aber schon nach zehn Jahren wieder aufgegeben wurde, sodass Herold 1930 nach Graditz zurückkehrte.
Ein anderer Klassehengst von Herold war Arjaman, der die Stuten Newa (Mutter von Nebelwerfer), Nixe (Mutter von Neckar), Adriana (Mutter von Atatürk) und die 1948 geborene Thilde zeugte, die in der Zucht von W. Eichholz 1954 nach Magnat die großartige Thila fohlte, die u. a. die Diana, das Schwarzgold Rennen, den Deutschen Stutenpreis und Aral-Pokal gewann. Arjamans Befruchtungsquote hatte bereits 1941 schon gewaltig nachgelassen, doch sorgte er im Alter von 23 Jahren noch für Agamemnon (1941), der später nach Röttgen kam und bei Prince Ippi als mütterlicher Großvater zu finden ist. Dieser 1969 geborene Imperial-Sohn, der die Großen Preise von Europa und Mailand gewann, wurde auch Vater der Champion-Stute Anna Paola (1978), die u. a. bei der 2008 geborenen, und von Willie Mullins in Irland trainierten Shirocco-Tochter und Chapion-Hürdlerin Annie Power (17 Starts, 15 Siege, 715.000 £) als mütterliche Großmutter im Stammbaum steht. Herolds bestes Produkt war jedoch sein dritter Derbysieger, der großartige Alchimist (2. März 1930). Dieser lief seinem Vater auch den Rang als „bester Graditzer“ ab und war gleichzeitig das letzte Fohlen der Antwort-Tochter Aversion (St. Ledger), die im September seines Geburtsjahres einging.
Auch der „DDR-Graditzer“ Zigeunersohn, der 12 von 23 Rennen gewann, darunter den Großen Preis der DDR, trug über den Vater seiner Mutter, Birkhahn, Herolds Blut. In der Zucht hinterließ er an Zeleznik (1978) den besten Steepler der Tschechoslowakei, der dreimal Pferd des Jahres war, und die Große Pardubicer Steeplechase 1987,1988,1989, und 1991 gewann.
Die Heroldsöhne Lupus (Union; St. Ledger) und Dionys gewannen die Derbys von 1928 und 1931 und waren aus Müttern von Hannibal bzw. Nuage gezogen. Auch die Herold-Tochter Antonia lieferte nach Ferro an Abendfrieden einen Derbysieger (1937), der neben dem Deutschen St. Ledger auch das zu Ungarn gewann und als Deckhengst in Zoppenbroich wirkte. Sein Sohn Pik As begründete in der Hannoveraner-Zucht eine erfolgreiche Linie, der auch der Dressurpferde-Erzeuger Pik König angehörte.
Zigeunersohn (1965) von Grande aus der Zigeunerkind (Foto: Siegfried Müller, Leipzig)
Herold trat aber auch mit den Söhnen Arjaman (1930), Effendi (1939) oder Panzerturm (1940) überdurchschnittlich hervor und hinterließ zahlreiche gute Mutterstuten. Stellvertretend sollen lediglich die bereits erwähnte Antonia (Diana, Deutscher Stutenpreis), Lehnsherrin (1931), Diana-Siegerin und Mutter von Leibwache, die dieses Rennen ebenfalls gewann, und Aktine (1934), die Mutter des Union- und Ledger-Siegers Angeber (1945; Elritzling) wurde, genannt sein. Und die 1942 geborene Herold-Stute Edelwild gewann das Österreichische Derby. Herold, der zwei Beschäler-Championate errang, galt lange als „Stutenerzeuger“, doch 1930 kamen seine Söhne Alchimist und Arjaman, der, an das Gestüt Zoppenbroich verpachtet, viele gute Stuten hinterließ.
Der achte Derbysieger für Graditz, der Nuage-Sohn Gibraltar (1916), wirkte nur zwei Jahre in der eigenen, später in der Hanoveraner-Zucht. Auch der Hannibal-Sohn Gulliver II, der in zwei Rennzeiten sieben von zehn Rennen gewann und im Jahrgang nur unter dem Schlenderhaner Dolomit stand, wurde 1912 Derbysieger. Er ging auf die 1877 erworbene Goura, eine der ältesten Graditzer Stammstuten, zurück und lieferte auch einige gute Pferde. Als Vererber spielte er seine Rolle jedoch im Hindernissport, wo er neunmal das Hengst-Championat gewann. Wellenbrecher, Radiola, Fritz Fromm, Tüchtig, Magnolie, Kikeriki II, Berolina und Primadonna sind einige seiner Nachkommen, die dazu beitrugen.
Auch der aus Frankreich 1926 nach Graditz eingeführte Argentiner Pretal (1917), der nur kurz in Graditz verweilte und anschließend in Trakehnen und Celle stand, war ein sehr guter Erzeuger von Hindernispferden. Er stammte von dem Schimmel Pippermint, eines der besten Rennpferde, die je in Argentinien liefen. Pretals Mutter Bud (1907; William The Third), eine Urenkelin der Shannon (Goodwood- und Doncaster Cup), wurde 1911 nach Argentinien exportiert. In Deutschland hatte sie an dem Schimmel Ohio, der fast immer von Bruno Ahr geritten wurde, ihr bestes und gewinnreichstes Produkt auf der Bahn.
Nach rund zehn Jahren wurde Altefeld wieder aufgegeben. Wahrscheinlich war es zu teuer und die Graditzer Koppeln nun wieder erholt, denn auch in Altefeld wurden hervorragende Pferde gezogen, und die bewährte Scholle später durch das Heeresgestüt, Asta und Waldfried genutzt, bis sich 1981 die Vollblüter hier verabschiedeten. Altefeld, das als Preußisches Hauptgestüt galt, sich zwischen Eschwege und Bebra auf 800 Hektar ausbreitete, schufen die Graditzer in den Jahren 1913 bis 1919 aus dem Nichts. Der Boden war hier kalkhaltiger als in Graditz, das Klima jedoch rauer und die Weidezeit kürzer. Im April 1919 zogen auf der Komplett-Anlage mit Stuten–, Hengst- und Laufställen für die Jährlinge, Deckhalle, Gestütshof, Gestütsschule, Schmiede, Schäferei, Försterei und Hotel schon die ersten Stuten ein, denen später die Hengste Dark Ronald, Herold, Ard Patrick und Nuage folgten. Der letzte Jahrgang, dem auch Alchimist angehörte, wurde hier aber schon 1930 geboren, denn die wirtschaftlichen Schwierigkeiten der Weimarer Regierung und die in Graditz aufgetretene Anämie, die etliche Stuten kostete, zwangen zum Sparen.
Bis 1935 ruhte hier der Zuchtbetrieb, ehe Altefeld 1940 mit großer Mutterstutenherde, mehreren Deckhengsten und eigenem Rennstall in Hoppegarten zum Heeres-Vollblutgestüt, wurde dessen Schicksal mit Kriegsende ebenfalls besiegelt war. Danach fungierte die, auf einer Hochebene inmitten von Laubwäldern gelegene Anlage, als Pensionsgestüt, denn Heimatvertriebene, der Verlust der Ostgebiete und die Bodenreform erforderten dringend eine neue Scholle für die betroffenen Züchter. Die evakuierten Schlenderhaner kamen vorübergehend ebenfalls nach Altefeld, wo ihr großer Oleander sein Leben beendete, und die Stuten Asterblüte und Aubergine geboren wurden. Auch Birkahn erblickte hier noch das Licht der Welt, ehe das Gestüt Waldfried das Anwesen übernahm, das 1981 aufgelöst und von Manfred Graf gekauft wurde. Heute sind auf dem renovierten Hauptgestüt Altefeld ökologischer Gestütsbetrieb und moderne Sportpferdezucht etabliert, und an die Ursprünge dieses Gestüts, das auch Führungen anbietet, erinnern ein Museum und das Alchimist-Denkmal, das der neue Eigentümer errichten ließ.
Im Laufe der Zeit war die Graditzer Stutenherde von Dark Ronald-Blut übersättigt, da neben ihm auch seine Söhne Herold und Aberglaube eingestellt wurden und sich auch viele Herold-Töchter in der Herde befanden. Andere Hengste, die Ankäufe Sisyphus (1922; Fervor) und Ferro (1923; Landgraf) sollten dieses Problem lösen. Sisyphus, 3 x 2 auf St. Simon und 4 x 4 auf Kendal ingezogen, war ein Waldfrieder und Enkel des Triple Crown-Siegers Galtee More, den Graditz importiert hatte. Ein reiner Outcross war er damit für die Graditzer Herde nicht, aber ein Hengst, dem nur der letzte Schuss Klasse auf der Bahn gefehlt hatte. In der Zucht war er auch keineswegs ein Versager, sondern hatte in den ersten fünf Jahrgängen, in denen er kaum mehr als sieben bis neun Partnerinnen erhielt, bereits gute Pferde. Eines davon war der Derbydritte Calva, der auf der Hindernisbahn Rennen wie das Haupt-Jagdrennen oder das K.-v.-Tepper-Laski-Jagdrennen für sich entscheiden konnte, obwohl der von 1933 bis 1935 in Graditz stehende Beschäler von seinem Gestüt nur zwei Jahre stärker herangezogen wurde. Andere Beispiele sind Alte Liebe und Landmädel (Hamburger Criterium, Preis der Diana), beide Jahrgang 1934.
Mit dem 1926 geborenen Landgraf-Sohn Ferro, der von seinem Züchter-Besitzer R. Haniel angekauft wurde, konnte Sisyphus nicht mithalten, denn jener Neuzugang war nach Rennleistung einer der besten Hengste, der u. a. Preis von Dahlwitz, Union-Rennen, Derby, Großer Preis von Berlin und insgesamt neun Rennen gewonnen hatte. Als er, ein reiner Inländer mit viel ausländischem Blut, 1931 seine Tätigkeit in Graditz aufnahm, ging es mit dem 14 Jahre alten Herold schon langsam bergab. Die Klasse, wie sie für den Neubeginn Alchimist und Arjaman vertraten, vermochte Herold nur noch gelegentlich mitzugeben. In seinem vorletzten Jahrgang, als ihn Graditz schon nicht mehr berücksichtigte, hat er jedoch mit Birkhahns Dreiviertelbruder Bürgermeister, der 21 Rennen gewann und Härte bewies, nochmals „ein Rennpferd“ abgeliefert. Bei 39 Starts in fünf Rennzeiten gelangen u. a. Siege im Leipziger Stiftungs-Preis, Preis der Dreijährigen, je zweimal im Großen Preis der Sowjetischen Besatzungszone und Triumph, im Preis der Stadt Dresden, Großen Preis der Buchmacher, und das Chamant-Rennen heftete er dreimal an seine Farben.
Ferros Zuchtkarriere begann im ersten Jahrgang mit dem Paukenschlag Athanasius, und im zweiten, 1932, befand sich die die Klassestute Formidolosa. Auch der Paarung mit Stuten der Helden-Familie, wie die Vertreter der Alveole-Linie früh bezeichnet wurden, und Herold-Töchtern konnte man getrost entgegen sehen, denn mit der Herold-Tochter Antonia (Herold) stellte er gleich den 1934 geborenen Graditzer Derbysieger Abendfrieden, der auch in Ungarns und Deutschlands St. Ledger nicht zu schlagen war. Obwohl Ferro für Graditz und andere Zuchten viele gute und sehr gute Stuten lieferte, macht sich der Hengst jedoch einen Namen mit dem Erlenhofer Ausnahmehengst Athanasius und dem genannten Abendfrieden. Und als Ferro in Graditz groß herauskam, stand bereits der echte Graditzer Alchimist auf dem Sprung, seinen Großvater, den fünffachen Beschäler-Champion Dark Ronald, als auch seinen Vater Herold, der zweimal an der Spitze stand, „abzulösen“. Das Blut seines Großvaters hatte, in Verbindung mit dem Alveole-Zweig der Antwort-Adresse-Linie, an Alchimist das weitaus beste Pferd geschaffen, das Herold je geliefert hat. Und bereits auf der Rennbahn hatte Alchimist seinen Vorfahren alle Ehre gemacht, und als Zweijähriger u. a. das Zukunfts-Rennen in lockerer Manier gegen zwei Franzosen gewonnen. In der Rennsaison 1933, nach zweiten Plätzen im Preis von Dahlwitz (zu Janitor) und Henckel-Rennen (zu Cassius), wurde er jedoch zum Star der Saison. Die Siege begannen mit den Erfolgen im Union-Rennen und im Derby, in dem Ernst Florian Grabsch keine große Mühe hatte. Im Großen Preis von Berlin ließ Alchimist an Palastpage den Derbysieger des Vorjahres mit 2 ½ Längen hinter sich, als auch Wiederhall (Großer Preis von Baden) oder Janus und die Französin Thaouka, Lord Nelson und Aventin, die er regelrecht verlor. Alchinist nächster und letzter Start wurde ein imponierender Abschied: Im Großen Preis von Baden siegte der Graditzer mit drei Längen über den Franzosen Negundo (Banstar), dem er zwei Kilo gab, den fünf Kilo günstiger stehenden Janitor, den sieben Kilo weniger tragenden, in italienischen Farben laufenden Sans-Souci, Arjaman, Boussacs Stute La Circe, Unkenruf und Aventin, der das einzige ältere Pferd im Feld war.
Derbysieger Alchimist unter Ernst Grabsch. Links Graf Kalnein, rechts Trainer R. Utting (Foto Menzendorf; Leihgabe Niedersächsische Sparkassenstiftung und Kreissparkasse Verden im Deutschen Pferdemuseum)
Danach lieferte Trainer R. Uttig an Alchimist einen Hengst ab, der seiner Zuchtstätte das 19. Besitzer-Championat gesichert hatte und alles besaß, was einen Beschäler mit Zukunftsaussichten ausmacht. Und dieser Hengst hat auch niemanden enttäuscht, denn Alchimist gewann drei Beschäler-Championate.
Die Oberste Behörde hatte zunächst zwei, danach sechs und dann nur noch einen Freisprung zur Verfügung, obwohl er im Heimatgestüt zunächst sehr wenig beschäftigt wurde. 1934 erhielt er in seiner ersten Saison zehn Stuten, aber nur eine aus der Graditzer Herde, und von den acht Fohlen, die zur Welt kamen, wurden Effner (Westerberg), Hannenalt (Röttgen) und Guardi (Erlenhof) bekannt. Der zweite Jahrgang bestand bei 23 Bedeckungen aus 18 Köpfen, darunter der Mydlinghovener Gewerke, der zehn Rennen gewann (u. a. Großer Hamburger Ausgleich, Großer Preis vom Westwall, Jubiläumspreis in Dresden), und Röttgens Idar. Unter den anderen vielfachen Siegern befand sich auch Rusticus, der sich allein als Dreijähriger mit sieben Erfolgen bemerkbar machte.
1937, als der dritte Jahrgang aus sechs Fohlen bestand, wurde die Wunderstute Schwarzgold geboren, die in neun Gestütsjahren nur zwei lebende Fohlen gebar, mit Schwarzblaurot aber die Familie sicherte. Dass Alchimist die Chance der Paarung mit der Oleanderstute Schwarzliesel bekam, soll nicht züchterischen Überlegungen entsprungen, sondern Zufall gewesen sein. Obwohl sie im Kisasszony-Rennen die besten Altersgefährtinnen, und im Oleander-Rennen Ehrenpreis (Prunus) schlug, der vorher Rivalen wie Airolo (Teddy), Wolkenflug (Wallenstein) und Janitor (Fervor) abgefertigt hatte, blieb Schwarzliesel auch als Vierjährige im Training. Ein weitere Saison absolvierte auch die ein Jahr ältere Wallenstein-Tochter Arabeske aus der Ard Patrick-Tochter Arabis im Rennstall. Beide hatten wohl den Hengst verweigert und kamen deswegen 1935 zu George Arnull zurück. Schwarzliesel gewann von elf Starts noch vier in Folge, und die ältere Trainingsgefährtin gewann von vier Starts die beiden ersten, das Tegel- Jagdrennen in Karlshorst und das Ulrich von Oertzen-Rennen. Verabschiedet hat sie sich als Zweite zu Cyklop, und vor Jambus, im Großen Hürdenrennen von Karlshorst.
Danach sollen die Herren Graf Sponeck und Graf Kalnein die Situation beraten, und sich letzterer auch mit Gestütsmeister Hinrichs in Verbindung gesetzt haben, mit dem Graf Sponeck in Altefeld viele Jahre zusammengearbeitet hatte. Und Hinrichs soll damals gesagt haben: „Graditz verlässt kein Mädchen als Jungfrau“. Damit gingen beide Stuten zu Alchimist. Arabeske fohlte den nützlichen Adlerhorst, und Schwarzliesel, bei ihrem Ortello-Besuch in Italien, Schwarzgold. Schwarzliesels Paarung mit Ortello, Felicitation und viermal Magnat blieben erfolglos, und von ihren fünf Fohlen stammte nur eins, der Allgäu-Sohn Schlingel, nicht von Alchimist.
Im Jahrgang 1938 gab es Alchimist-Nachkommen namens Volturno (Deckhengst), Ebbeslohs Peperl (15 Siege; Deckhengst), Aureole, den hervorragenden Meiler Osterglaube (Stall Rösler), und Erlenhof hatte an Seleukos einen erstklassigen Steepler. Inzwischen deckte der Graditzer etwa dreißig Stuten, und in den beiden folgenden Jahrgängen befanden sich Pferde wie Rattenfänger (Preis von Dresden, Union-Klub Preis, Großer Wiener Ausgleich), der später mit großem Erfolg für den Wiener Stall Floridsdorf lief, oder Stall Haniels Passion, der sich auch im Hamburger Criterium, Dresdener Jugend-Preis, Preis der Dreijährigen in Dresden durchsetzen konnte. Ein Jahr später waren mehrere gute Pferde für ihren Vater unterwegs, auch Ilsenstein (Preis von Düsseldorf, Preis der Rheinprovinz, Deckhengst) oder die fünffache Siegerin Lenchen, die Ebbesloh zog. Sie entschied für sich u. a. Dorn-, Schwarzgold- und Husaren Rennen, als auch die Preise von Westernberg und der Mark Brandenburg. Danach fohlte sie für Ebbesloh Lümmel, danach für Charlottenhof den guten, 2 x 3 auf Herold ingezogenen Lenzwind. Weil sie jedoch mehrfach güst blieb oder verfohlte, kam sie neun- und zehnjährig zur Rennbahn zurück, gewann in Krefeld und nahm danach wieder auf. Das Ergebnis war die Ansitz-Tochter Legende (1952) die über ihre Kinder und Kindeskinder einflussreich wurde. Im „Nachkriegs-Graditz“ bekam Lenchen noch vier Fohlen, darunter den Hoppegartener Derbysieger Antritt (1955; Angeber), der auch das Weinberg- und Alchimist-Rennen gewann und in der dritten und vierten Generation stark ingezogen war. Antritts ein Jahr jüngere Vollschwester Ambition wurde von Graditz in die Zucht genommen und setzte das Erbe der Atalante, Ahnherrin und Adita fort.
1940 wurde die Paarung von Schwarzliesel mit Alchimist wiederholt. Das Produkt Schwarzkünstler konnte mit seiner Schwester Schwarzgold zwar nicht konkurrieren, war aber im Jahrgang 1941 der bester Nachkomme seines Vaters und hatte es verdient, aufgestellt zu werden. Der nächste Jahrgang war einer der besten und enthielt den Waldfrieder Klassehengst Gundomar, der wegen des Krieges dreijährig ungeprüft blieb. Als Vierjähriger gewann er fünf Rennen, darunter das Arthur-von-Weinberg-Erinnerungsrennen und das als „Prüfungspreis der Vierjährigen“ in München nachgeholte Derby. Obwohl seine so großartig begonnene Beschälerlaufbahn durch einen schweren Koppelunfall in Römerhof abrupt beendet wurde, hinterließ er in seiner kurzen Karriere als Deckhengst nicht wenig. In Frankreich zog F.Dupré von ihm Prince d’Quilly (Großer Preis von Baden 1951, und Sieger in Frankreich, Italien, England und Belgien), und die vom gleichen Züchter in Waldfried gekaufte Gundomar-Tochter Rhea fohlte 1955 nach Ticino die hervorragende Bella Paola. Die 1950 geborenen Maranon (Großer Preis der Düsseldorfer Industrie und Wirtschaft) und Baal (Großer Preis von Baden) waren weitere gute Gundomar-Söhne, sein bester Vertreter jedoch der ein Jahr ältere Mangon. Er gewann u. a. Henckel-Rennen, Derby und zweimal den Großen Preis von Nordrhein- Westfalen. Obwohl ihm auch nur drei Beschäler-Jahre vergönnt waren, war er in der Zucht noch besser. An Alarich (Gerling-Preis), der 1957 aus einer Ticino-Mutter gezogen wurde, und dem ein Jahr jüngeren Baalim (Winterfavorit, Union, St. Ledger) hatte er zwei Derbysieger auf der Bahn.
Was 1943 und später in Graditz gezeugt wurde, litt unter den Auswirkungen des Krieges und verlor, wie die westlichen Alchimist-Kinder, kostbare Zeit, weil der Rennbetrieb erst am 22.4.1946 in München wieder begann. Ganz ohne waren jedoch weder der Jahrgang 1943, noch die drei Jahre, die Alchimist verblieben. Seine Tochter Waldrun (1943), aus der Aurelius-Stute Walburga gezogen, wurde zu einer der bedeutendsten Stammmütter und rief die W- Familie in Ravensberg ins Leben. Und zu den sehr guten Pferden, die noch folgten, zählte auch die Röttgener Stammesart, die hohe Rennklasse vertrat (Deutscher Stutenpreis), und über ihre Tochter Sterna Großmutter des Prix de l’Arc de Triomphe-Siegers Star Appeal wurde. Und ihre Fohlen Stani (1949; Nuvolari) und Sant Cruz (1957; Caran D’Ache) konnten ebenfalls laufen. Der Hengst gewann den Großen Preis von Baden und den zu Düsseldorf, die Stute den Herbst-Stutenpreis, Preis der Diana, Schwarzgold-, Ratibor- und Sierstorpf Rennen.
1944 wurde Alchimist durch die Zuchtperle Ottomane und Grolledoch vertreten, die zu den besten Stuten dieses Jahrgangs zählte. Letztere war eine Vertreterin der Grave-and-Gay-Familie und Mutter von Grolledochnicht. Ein Jahr später hielt Alchimist als „Abschiedsgeschenk“ noch zwei echte Volltreffer bereit, Birkhahn und Aralia! Den Hengst für Madlene von Heynitz, der die Farben von K.-H. Wieland trug, die Stute für Schlenderhan. Während Birkhahn zwei Derbys gewann, siegte die Stute bei sechs Erfolgen auch im Schwarzgold- und Gladiatoren Rennen, Frühjahrs-Stutenpreis, dem Preis der Diana und wurde eine hervorragende Zuchtstute. Ihr Tantieme-Sohn Agio, Sieger im Großen Preis von Nordrhein-Westfalen und St. Ledger, zeugte mit Promised Lady (Prince Chevalier) 1966 Lombard, und ihre Tochter Aralina, die aus der Oleander-Stute Aster stammte, wurde Mutter des Kronzeuge-Sohnes Arratos. Dieser 1969 geborene Kronzeuge-Hengst gewann elf Rennen, während Lombard auf 20 Volltreffer kam, zu denen auch drei Preise von Europa zählten. Und beide, Birkhahn und Aralia, hatten sich auch im Derby zu Hamburg getroffen, wo der Hengst die Schlenderhaner Favoriten auf den Ehrenplatz verwies. In der Zucht stand der Alchimist-Sohn, der u. a. auch den Großen Preis der DDR gewonnen hatte, viermal an der Spitze seiner Kollegen, und einmal weniger führte er die Liste der Väter erfolgreicher Mutterstuten an. Birkhahn war ein Klasse-Rennpferd und in der Zucht ein hervorragender Vater.
Sein Einfluss reichte auch noch bis weit hinein ins „neue Graditz“. So kam 1965 seine Tochter Wiener Operette in Görlsdorf zur Welt, die 1971 den Grande-Enkel Wildschütz fohlte, dessen Vater Fahnenträger 1959 das Blaue Band in Hoppegarten gewann, während er selbst die drei DDR-Derbysieger Fallada, Sonnenblick und Rienzi zeugte, die 1981, 1988 und 1989 triumphierten und von Martin Rölke, Angelika Glodde und Lutz Pyritz gesteuert wurden. Die Mütter von Fallada und Rienzi waren Enkelinnen von Niederländer, und die Mutter von Sonnenblick hatte Harlekin als väterlichen Großvater.
Alchimist-Denkmal in Altefeld (Foto: Von Dk0704-Eigenes Werk, CC-BY-SA. https://commons wikimedia. Org)
Eine Alchimist-Enkelin von Birkhan war die 1961 in Graditz geborene Amatia aus der Angeber-Stute Arte, die sich Erfolge wie Festa-, Kincsem-Rennen und den Großen Stutenpreis der DDR auf ihre Fahnen schrieb. In der Zucht wurde sie 1974 Mutter des Tuny-Sohnes Antrieb, der für Graditz auch das DDR-Derby und den Großen Preis seiner Heimat sicherte. Im Heimatgestüt aufgestellt, lieferte er u. a. den Derbysieger Zigeunerheld, der das DDR-Derby 1983 unter Lutz Pyritz gewann. Gezogen war der Hengst aus einer Asterios-Tochter, und seine zweite und dritte Mutter waren Töchter von Grande und Birkhahn. Schließlich hatte Birkhahn in jener Zeit noch zwei DDR-Derbysieger auf der Bahn: 1956 war das Feston, der aus der Lampostochter Frühlingssonne gezogen war, die bereits ein Jahr früher mit dem Harlekin-Sohn Faktotum (Triple Crown) dieses Rennen „gewonnen“ hatte, während 1962 der Riesenaußenseiter Foliant (aus der Oleander-Enkelin Flut gezogen) des Leipziger Besitzertrainers E. Sommer in Hoppegarten triumphierte und die beiden Ticino-Enkel, die Steinadler-Söhne Bambus und Makler mit kurzem Kopf und zwei Längen auf die Plätze verwies.
Alchimist, der 1933 seine letzten vier Rennen – Union, Derby und die Großen Preise von Berlin und Baden gewann, vollbrachte besonders in letzterem eine überragende Leistung. Als Dreijähriger hatte der Graditzer 59 Kilo zu schleppen und musste u. a. der gleichaltrigen Boussac’schen Ksar-Stute La Circe sieben Kilo geben. Der Herold-Sohn gewann dennoch unangefochten mit drei Längen, und die Französin war anschließend in ihrer Heimat im Prix Vermeille nicht zu bezwingen. In der Zucht muss man zusammenfassend nur die Namen Schwarzgold, Birkhahn, Gundomar oder Waldrun nennen, die für Ravensberg hocherfolgreich wurde und sicherlich nur mit Festa verglichen werden kann. Alchimist blieb bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges in Graditz, dass bis dahin elf Derbysieger abgesattelt hatte, und soll 1945 von russischen Soldaten erschossen worden sein.
Bei den vielen Graditzer Stuten muss ich mich, soweit sie noch nicht zu Wort kamen, auf wenige Ausnahmen beschränken. Aus der Gründerzeit wären besonders Alveole, Goura und die vier Jahre ältere Diana-Siegerin Das Veilchen zu nennen (1868; Cavendish), die 3 x 3 auf Touchstone ingezogen war. Diese in Graditz geborene Rappstute blieb in acht Rennen ungeschlagen und gewann „im Canter“ oder „mit Überlegenheit“ auch Rennen wie die Goldene Peitsche, die die Graditzer insgesamt 14mal beherrschten, zwei Staatspreise der IV. Klasse, die vierte Entscheidung des Frankfurter-Wäldchen-Rennens und im englischen Ipswich das über die Meile führende Suffolk-Handicap. Als die Stute mit ihrem Pfleger nachts in Harwich auf das Schiff nach Rotterdam wartete und plötzlich das Pfeifen einer Dampfmaschine ertönte, erschrak die Stute so heftig, dass sie über das Bollwerk sechs Meter tief ins Wasser sprang. Zweieinhalb Stunden später fand man sie in der Nähe einer Landungsbrücke wieder, warf ihr ein Seil über den Kopf und, nachdem sie noch eineinhalb Kilometer geschwommen war, konnte sie an einem seichten Ufer endlich gerettet werden. Ihre Zuchtlaufbahn war dennoch eine sehr gute, und zu ihren Fohlen zählten u. a. Vergissmeinnicht (Diana-Siegerin und Mutter von Weltmann), und Wehmut, die Incroyable (1897) fohlte, der in der Doppelmonarchie eine gute Rolle spielte. Nach dem sehr guten Sieger Wunderhorn (1874; Rustic) folgten weitere, als auch Walpurgis (Ratibor-Rennen 1880) oder Willkommen (1879; The Palmer), deren Chamant-Tochter 1892 nach St. Gatien Waschfrau (Diana; St. Ledger).fohlte.
Gewaltigen Einfluss auf die deutsche Zucht nahm auch die 1852 von Melbourne gezogene Blooming Heather durch ihre Töchter Mahonia (Stammmutter des Röttgener Derbysiegers Palastpage und des Waldfrieders Slaby, der Ratibor-Rennen und den Großen Preis von Berlin gewann) und Gorse. Diese sollte sich zu einer der allerbesten Stuten entwickeln, die in Deutschland wirkten. Für Schlenderhan fohlte ihre Tochter Blaue Hexe Tausendfüßler (Henckel-Rennen), und Gorse selbst Good Hope (Union, Derby zu Wien) und Miss Gorse, die Mutter des Chamant-Sohnes Dorn (Henckel-, Union-Rennen, St. Ledger, Großer Hansa-Preis, Großer Preis von Berlin) und Schottland. Deren Sohn Real Scotch gewann St. Ledger und Henckel-Rennen, während der Weg über ihre 1897 geborene Tochter Thistle zu Shamrock führt (1906; Bay Ronald), die die Nuage-Stute Sonnenwende gebar und somit zur mütterlichen Großmutter von Samurai (1937; Oleander) wurde, der das St. Ledger und den Großen Preis von Baden gewann. In Schlenderhan erlosch diese Familie durch die Requirierung von mehreren Stuten und Samurai durch die Amerikaner.
Gorse hinterließ auch die gute Rennstute Goura, und diese rechte Schwester von Good Hope (Buccaneer) schlug durch ihre Töchter Glocke und Geheimnis in der Zucht sehr gut ein. Geheimnis wurde u. a. Mutter des Derbysiegers Geier (im toten Rennen), und die 13fache Siegerin Glocke, die an Tartar auch den Deutschen und Österreichischen Derbysieger schlagen konnte, fohle z. B. Glöcknerin (Diana; St. Ledger), die ihrerseits 1896 Gnädigste gebar und damit Mutter des Derbysiegers Gulliver II wurde. Von der 1858 aus England eingeführten Selima, die 1869 als erstes Fohlen den neunfachen Sieger Sonntag lieferte, war bereits vorher die Rede. Die ein Jahr ältere, ungeprüfte Engländerin Miss Boswell war eine Urenkelin der berühmten Rebecca, deren Tochter Alice Hawthorn (1838; Muley Moloch) 52 Rennen gewann und den im Derby und Ascot Gold Cup erfolgreichen großen Beschäler Thormanby (1857; Windhound oder Melbourne) brachte. Aus dieser Familie 4 hatte Graf Lehndorf auch Vanessa erworben, die Mutter von Das Veilchen. Und beide haben an Anticipation (1802), die von dem Eclipse-Enkel Beningboroug stammt und aus einer Herod-Tochter gezogen wurde, die gleiche Stammmutter. Auf Herolds Mutter Hornisse trifft das ebenfalls zu wie auf die 1949 geborene Ticino-Tochter Königstreue (Schwarzgold-Rennen), bei der Anticipation als 13. Mutter im Pedigree steht. In Deutschland musste Miss Boswell aber erst 21 Jahre alt werden, ehe sie den in 15 Rennen erfolgreichen St. Ledger-Sieger Botschafter (1880; Chamant) fohlte, der als Fünfjähriger gut genug war, die Epsom Stakes, das Doncaster Spring Handicap und das Newton Ehesterfield Handicap auf der Insel zu gewinnen.
1893 wurde aus England die gute Rennstute und Springfield-Tochter Ponza (Yorkshire Oaks) eingeführt, und auch auf sie gehen einige gute Pferde zurück, darunter der 1941 geborene Poet (Henkel-, Union-Rennen), der später in der Warmblutzucht deckte, Pathos (Union, Großer Preis von Berlin) und Positano (1893; St. Simon), der in der australischen und neuseeländischen Zucht erfolgreich wirkte und vier Melbourne Cup-Sieger stellte. Mit großen Erwartungen war auch die 1893 geborene Helm aus England importiert worden, die in den Coronation Stakes die Oaks-Siegerin Canterbury Pilgrim schlug. Unter ihren sechs Fohlen war der 15fache Sieger Hannurabi, von dem bereits die Rede war. Von der Insel kam auch die Orme-Tochter Ordinate. Sie wurde Großmutter von Ordensjäger, der 16 Rennen gewann, aber keine klassischen Nennungen besaß.
1900 traf auch die Ayrshire-Tochter Hortensia in Graditz ein, die 1891 aus der Buccaneer-Enkelin Beauharnais in England gezogen war. Diese Stute, die in ihrer neuen Heimat acht Fohlen das Leben schenkte und 1909 einging, wurde in der deutschen Zucht zu einer der besten Stuten. Und auch sie gehörte dem gleichen Zweig der Familie 4 an wie z. B. das Veilchen, Königskrone (1891; Recorder) oder Astäre (1932; Asterus), in deren Stammbaum Alice Hawthorn als neunte Mutter erscheint. Un diese Stute ist die Urgroßmutter der von Fährhof 1964 eingeführten und dort sehr gut eingeschlagenen Crape Band (1960; Crepello), die als Zweijährige drei Rennen in England gewann. Hortensias letzte beiden Töchter waren Hornisse (Mutter von Herold und Habicht, der in Ravensberg deckte) und Haferflocke. In Graditz hatte die Linie aber keinen Bestand, zumal auch die Töchter der Haferflocke abgegeben wurden.
Ein anderer Import war beispielsweise Girton Girl (1900; Royal Hampton), die 1904 nach Deutschland kam, und deren Halbschwester Aliena (1903; Mackintosh) den irischen Derbysieger Land of Song fohlte, der nach seinem Erfolg 1914 nach Australien exportiert wurde. In Deutschland hinterließ die Royal Hampton-Tochter aus der Lady Wrangler Glockenspiel (1906; Ard Patrick) und die Ard Patrick-Stute Granada. Deren Nuage-Sohn Gibraltar gewann 1919 das Deutsche Derby, und Glockenspiels Sohn Glockenturm heftete Rennen wie den Hoppegartener Jubiläums-Preis und den Preis von Dahlwitz an seine Farben und wurde Deckhengst. Ein guter Kauf war auch die Irin Delilah II, 1918 von dem Australier The Victor gezogen, der in der Hengstlinie auf Fisherman zurückgeht. Diese Stute stammte aus der Yorkshire-Oakssiegerin Costly Lady, deren Mutter Corstorphine (Foxhall/USA) eine Halbschwester von Miss Hannah war, deren Sohn Yellow (1887; Dutch Skater) Rennen wie Großer Preis von Baden, Grand Prix de Deauville, Prix Hocquart, Prix Jean Prat gewann und in Frankreich ein guter Deckhengst war. In Deutschland hinterließ Delilah II auch den mehrfachen Sieger großer Ausgleiche, Dardanos (1916; Beniou), und die 1917 geborene Nuage-Stute Dichterin, die Mutter des Derbyssiegers Dionys (1928; Herold) wurde.
Wenn man den Namen von Alveole (1889; Crafton) erwähnt, die 1905 mit 15 weiteren Stuten von den Erben des Gestüts Römerhof nach Graditz kam, dann wird man automatisch an so großartige Vollblutladies erinnert wie Boussac’s Astronomie (1932; Asterius); die Italienerin und Mutter von Nearco, Nagora (1928; Havresac); Plucky Liege (1912; Spearmint), die vier Chef-de-Race-Beschäler fohlte; Ibidem (1903: Little Duck), die Baron Edouard von Oppenheim als letztes Fohlen ihrer Mutter von Römerhof erwarb; Festa (1893; St. Simon), die in der Waldfrieder Zucht der Weinberg-Brüder Gewaltiges leistete, als auch an die in 54 Rennen ungeschlagene Ungarin Kincsem (1874; Cambuscan). Ihre Buccaneer-Tochter Budagyongye 1885 gewann das Deutsche Derby, während deren ungelaufener Vollbruder Talpra Magyar (1885) 1891 mit der österreichischen Hermit-Enkelin Totleany Tokio zeugte, der in Österreich die 2000 Guineas und das Derby, in Ungarn das St. Ledger, und in Deutschland die Großen Preise von Baden und Berlin gewann.
Die genannten Stuten wurden hauptsächlich über ihre Söhne berühmt, während Alveole in erster Linie durch ihre Töchter großen Einfluss erreichte. Dennoch ermittelte Martin Beckmann, dass auch vierzig Jahre nach Alveoles Tod von den 1952 in der Bundesrepublik Deutschland 54 aufgestellten Deckhengsten noch neun auf Alveole zurückführten. Etwa zur gleichen Zeit, als Alveole in Graditz eingestellt wurde, traf das in etwa auch auf Stuten wie z. B. Luxury (1891; Isonomy) und Eccola ((1899; Saraband) zu. Diese gewann die Diana und wurde u. a. 1939 Urgroßmutter des Herold-Sohnes Effendi (Henckel-, Union-Rennen).
Die lebensgroße Statue der in 54 Rennen ungeschlagenen Ungarin Kincsem (1874-1887), die auch dreimal den Großen Preis von Baden gewann; hier auf der nach ihr benannten Budapester Rennbahn „Kincsem-Park“. (Foto: By W.User Gvarady, English Wikipedia CC-BY-SA 3.0)
Alveole, eine gute Rennstute, wurde 1889 von Lord Calthorpe in England gezogen und 1894 nach Deutschland exportiert. Ihr 1882 geborener Vater Crafton (Stewards Cup), der von Kisber stammte, konnte es mit diesem nicht entfernt aufnehmen. Ihre Mutter Sainte Alvere (1883; Hermit; vier Siege als Zweijährige), die Baron Eduard von Oppenheim für 12.500 Mark auf einer Auktion des Zuchtvereins erwarb, war eine Halbschwester von Peregrine (Pero Gomez), der 1881 Iroquis, dem ersten amerikanischen Derbysieger zu Epsom, den Vortritt lassen musste. Beide Stuten waren in der Zucht auch güst, hatten mehrere Fohlen, die früh eingingen oder nicht viel konnten. Aus Alveoles deutscher Zeit sind der Sirstorpff-Sieger Gajus (1901; Saraband); der 1905 geborene Ard Patrick-Hengst Anklang (Großer Preis von Hamburg); Anschluss und natürlich die große Zuchtstute Antwort bekannt.
St. Alveres Mutter Adelaide (1866; Young Melbourne) gewann fünf kleine Rennen, und fohlte nach jener noch sechs weitere Sieger, von denen der Hengst – die übrigen waren Stuten – Peregrine der beste Renner war. Bei den Stuten wurden Nydia (1875; Orest; 7 Siege) und St. Hilda (1876; Hermit; 13 Siege) Stammmütter in Südafrika und Ungarn, während die Tochter Queen Adelaide (1881; Hermit) die July Stakes und das Dewhurst Plate gewann und die 1000 Guineas-Siegerin Aida (1898; Galopin) fohlte. Damit wurde Queen Adelaide u. a. auch Stammmutter der 1930 geborenen Phalaris-Stute Chatelaine (Oaks, Champion Stakes)) und von Avenger (1944; Victrix), der den Großen Preis von Paris gewann.
Als die zehnjährige St. Alvere für Schlenderhan erworben wurde – ihr Vater Hermit mag als einer der größten Vererber aller Zeiten den Kauf beflügelt haben – hatte sie bereits vier Fohlen hinterlassen, darunter Alveole und Columbian (1898; St. Simon), deren ungarische Fohlen 22 Rennen gewannen. Ersteigert hatte diese Graf Szapari, der zwischen 1884 und 1919 etwa 120 Stuten aus England nach Ungarn importierte, für 800 Guineas. Und ihre dort, in der Zucht des Prinzen Tassilo Festetics, gefohlte Tochter Clara (1910; Robert Le Diable) spielte in der ungarischen Zucht eine große Rolle. Zu deren Nachkommen zählten beispielsweise die Stuten Claire (1930 1000 Guineas und Oaks Ungarn; Österreichischen Oaks) und Canada (1930; Pazman), die in ihrer Heimat die 1000 Guineas, Oaks und das Derby gewann.
In Schlenderhan fohlte St. Alvere 1895 und ein Jahr später zwei Charibert-Hengste, die früh eingingen, und nach einem weiteren Jahr folgten 1898 und 1899 zwei Füchse von Dorn und Saphir, mit denen nicht viel anzufangen war, und die zum Wallach wurden. Die Stute von 1900 ging ebenfalls bald ein, und nach einem Jahr Pause kam die Saphir-Tochter Vera zur Welt, die in den Farben ihrer Zuchtstätte geclaimt wurde, für ihren neuen Besitzer fünf Rennen gewann, in der Zucht aber keine Spuren hinterließ. Und dann fohlte sie in ihrem Todesjahr 1905 die Saphirtochter Blaustrumpf, die in der Waldfrieder-Zucht, in die sie auf Umwegen gelangte, zur Gründerin der B-Linie wurde.
Für Graditz absolvierte Blaustrumph nur drei Rennen, gewann das erste, und wurde im Sommer-Verkaufsrennen in Hoppegarten für 6.600 Mark gefordert. In neuen Farben gelangen noch 12 Siege, darunter das Saphir-Rennen. Die Stute war aber bereits 18 Jahre alt, als sie 1923 mit ihrer Fels-Tochter Blaue Blume das Erbe der Engländerin Sainte Alvere sicherte. Und diese Tochter fohlte nach Ladro Blaue Adria, die Mutter von Baal (1950; Gundomar), der den Großen Preis von Baden gewann und Derbysieger Baalim (1958; Mangon), Dieser gewann auch das St. Ledger, das Union-Rennen und den Preis des Winterfavoriten, während jener im Tausch Birkhahn nach Schlenderhan brachte.
Von Alveoles Töchtern wurde nur eine auf der Insel geboren, so dass das Blut ihrer Mutter auf dem Kontinent viel stärker verbreitet war, als in England. Auf die dort gefohlte Luscious (1894; Harpenden oder Royal Hampton) gehen auch der 1941 geborene brillante Sprinter und Fairway-Sohn Honeyway zurück, der 16 Rennen gewann, als auch die über 2.000 Meter führenden Champion Stakes beherrschte. Ein andererer, der dieses Blut ebenfalls trug, war der Flamboyant-Sohn Flamingo, der an Lady Peregrine eine Enkelin der Luscious zur Mutter hatte. Im Derby 1928 unterlag der Sieger der National Breeders Produce-, Great Yorkshire Stakes und der 2000 Guineas seinem eigenen Tempo und wurde vom Sieger Felstead noch sicher geschlagen. Von dem Westaustralian-Urenkel Marco zog Sir John Robinson 1914 aus Flamingos Großmutter Lisma auch den Hengst Omar Khayyam, der als Jährling für 300 Guineas in die USA verladen wurde. Dieser Fuchshengst gewann 1917 als erstes im Ausland gezogenes Pferd das Kentucky Derby und machte seine Mutterlinie international bekannt. Als Beschäler begann er, der 12 von 28 Starts gewonnen hatte (u. a. Travers Stakes, Saratoga Cup, Pimlico Autoun Handicap), 1920 auf der Claiborne Farm. Neun Jahre später siedelte er nach Virginia um, und verließ diese Welt 1938.
1908 kaufte Baron Oppenheim für 13.000 Mark die vom Zuchtverein in England für 23.230 Mark erworbene Cream Tart (1903: Floritzel), womit er eine im Blut zu Lisma stehende Dreiviertelschwester in der Zucht hatte. Von ihr erhielt er u. a. Blätterteig (1914; Biniou), die zweimal die Goldene Peitsche gewann und Blinzen (1931; Prunus) fohlte, zu dessen Siegen auch der Große Hansa Preis, Großen Preis von Berlin und das St. Ledger zählten, und der 1945 von den Russen Richtung Osten abtransportiert wurde. Alveole selbst, die G. von Bleichröder 1894 auf einer Auktion in Frankreich für 12.800 Francs ersteigerte, blieb dreimal güst, brachte mehr Stuten als Hengste, und fünf ihrer Töchter – Luscious, Bayreuth, Fama, Antwort und Abwechslung – wurden zu Stammmüttern. 1912 hörte ihr Herz auf zu schlagen.
Bayreuth (1896; The Barb) erreichte über ihr letztes und drittes Fohlen, Ibidem, Einfluss in der Schlenderhaner Zucht. Georg von Bleichröder (Römerhof) hatte 1901 auch Ibidems Vater Little Duck (Französisches Derby, Großer Preis von Paris) eingeführt, als dieser durch den 1889 geborenen Perdican (Großer Preis von Baden) oder den vier Jahre jüngeren Champaubert (Pric du Jockey Club; Prix Royal Oak) längst kein unbeschriebenes Blatt mehr war. In Römerhof zeugte Little Duck auf Anhieb Ibidem, die als Zweijährige sechs Rennen gewann, als auch ihre beiden Starts (Diana und Graditz-Rennen) ein Jahr später. Und zu den Nachfahren dieser Familie, der Bayreuth bzw. Alveole oder Sainte Alvere, zählen u. a. Schlenderhaner Pferde wie Alba, Asterblüte, Asterios oder Ataxerxes (1977; Exbury), der den Preis von Europa gewann. Zunächst begannen die Nachkommen der Ibidem mit dem Buchstaben „I“, zu denen auch die Ibidem-Enkelin Isabella zählte, die 1926 in Erlenhof den Graf Ferry-Sohn Graf Isolani fohlte, zu dessen 16 Siegen auch Erfolge gehören wie die im Derby, St. Ledger, Union- und Gladiatoren-Rennen, Großen Hansa-Preis (zweimal) und den Großen Preisen zu Köln, der Republik und dem von Österreich. An dem Anfangsbuchstaben „A“ kann man sich jedoch erst seit der Ibidem-Tochter Arabis (1915; Ard Patrick) orientieren, denn davor gingen die in Schlenderhan mit „A“ beginnenden Namen auf die erworbene Ascona (1956; Mangon) zurück, die auch Großmutter von Derbysieger Alpenkönig (1967; Tamerlane) wurde.
Außer Bayreuth hatte Alveole in Deutschland keinen besonders guten Start, doch rückte die von dem ausgezeichneten Stutenvererber Saraband 1900 gezogene Fama wieder einiges ins rechte Licht. Als gute Rennstute wurde sie auch Mutter von 13 lebenden Fohlen. Die 1909 geborene Hanibal-Tochter Flagge (u. a. Henckel-, Landgrafen-Rennen, Oppenheim Memorial, Goldene Peitsche, Großer Preis von Magdeburg), der neun Jahre jüngere 17fache Sieger Famulus (Gladiatoren-Rennen, Hoppegartener Ehrenpreis), oder die aus der Formosa gezogene Ferro-Tochter Forsythia, die bei Erlenhofs Derbysieger Fanfar (1960; Sunny Boy) als Urgroßmutter im Pedigree steht, sind Beispiele.
Im Hinblick auf Fama sei noch eine Anmerkung zu dem Doncaster-Enkel Saraband (1883; Muncaster) erlaubt: 1890 wurde die Saraband-Tochter Ilse geboren, die eine Galopin-Tochter zur Mutter hatte, als Jährling in den Besitz von Baron Hermann von Münchhausen kam und den Großen Preis von Baden, die Diana, das Fürstenberg–, und Wäldchens-Rennen (zweimal) gewann. Und Saraband war auch der Vater der 1892 geborenen Admiration, die 1901 nach Gallinule die Irin Pretty Polly fohlte, die 22 Rennen gewann, darunter Champagne-, Middle Park- und Chevely Park Stakes, 1000 Guineas, Oaks, St. Ledger, Coronation Cup, Champion Stakes und Jockey Club Cup. Und diese von Eustache Loder gezogene Lady, die auch seine Farben trug gilt als eine der größten Stuten, die je eine Rennbahn betraten. Am 17. August 1931 verstarb sie im irischen Eyrefield Lodge Stud und fand ihre letzte Ruhe neben Spearmint und dessen Sohn Spion Kop.
Alveoles letztes Fohlen für die Bleichröderschen Erben war Anklang (1905; Ard Patrik), der zur Verkaufsmasse gehörte, dreijährig seinen ersten Start für Trainer R. Day absolvierte und unter Frank Bullock, der 1908 ebenfalls als Graditzer Stalljockey angeheuert hatte, in Hamburg-Borstel den Großen Preis von Hamburg gewann. Nach einigen zweiten Plätzen wurde er verkauft, gewann das Große Kölner Frühjahrs-Handicap im toten Rennen mit 4,5 Kilo mehr im Sattel, und danach das Frühjahrs-Handicap unter 66 kg zu Horn, wo er bis zu mehr als 21 kg weggab. Danach erschien er mit versprechendem Debüt über Hürden, brach jedoch im August 1909 auf der Hindernisbahn so schwer nieder, dass er getötet werden musste.
Zwei Jahre später als Anklang wurde dessen rechte Schwester Antwort geboren, die als Gründerin der Heldenfamilie und als eine Ausnahmeerscheinung in der internationalen Zucht gilt.
Antwort, hier 1919 als Zweijährige unter Frank Bullock, die in der Graditzer Zucht zur großen Stammutter wurde.(Foto Menzendorf; Leihgabe Niedersächsische Sparkassenstiftung und Kreissparkasse Verden im Deutschen Pferdemuseum).
Als Zweijährige blieb sie ungeschlagen und begann beim Debüt im Rheinischen Zuchtrennen mit ihrem Erfolg über den bereits siegreichen Schlenderhaner Mars. Anschließend gewann sie in imponierendem Stil das Landgrafen-Rennen und schlug danach die Französin Mesange im Zukunfts-Rennen, in dem kein Hengst antrat, im Kanter. Und auch der letzte Start innerhalb eines Monats – wie stets unter Stalljockey Bullock – war ein überlegener im Renard-Rennen. Das Dreijährigen-Debüt im Henkel-Rennen, noch hinter der zweiten Graditzer Farbe Hornist einkommend, ließ Graf Lehndorff nicht zögern, die Stute sofort in die Zucht zu beordern. In dieser, von 1911 bis 1928, war ihr Partner fast immer Nuage, und ihre besten Produkte lieferte sie in den ersten Jahren. Auch 1929 erwartete sie wieder ein Fohlen von dem St. Simon-Enkel, doch ging sie schon vorher, am 17. Januar 1929, ein.
Antworts erstes Fohlen, der 1912 geborene Anschluss, Derbydritter und Sieger im Großen Preis von Berlin, wurde bereits bei den Graditzer Hengsten erwähnt. Er hatte einen eigenwilligen Charakter und wurde, gegen den Willen des Grafen Siegfried von Lehndorf, als Beschäler früh abgegeben. Nach vier Jahren kam er nochmals in sein Heimatgestüt zurück und zeugte, bei wenigen Möglichkeiten, noch die Klassehengste Marduk und Großinquisitor. Danach wechselte er nach Ostpreußen, wo er nach zwei Deckzeiten verstarb. Seine rechte Schwester Adresse (1913; Nuage), Spitzenpferd ihres Jahrgangs, blieb als Zweijährige ebenfalls ungeschlagen, siegte dabei u. a. im Rheinischen Zucht-, Sporn- und Renard-Rennen, und ein Jahr später waren es ganz besonders der Preis der Diana und das St. Ledger, die sie unter dem neuen Stalljockey Rastenberger gewann. Zweite war sie in der Goldenen Peitsche und im Henckel-Rennen, während es im Derby, dass der Festino-Sohn Amorino unter dem Lehrling Otto Schmidt gewann, nach zweimal „Hals“ ein dritter Platz wurde. Von den sieben Hengsten, die Adresse fohlte, stammte nur einer nicht von Dark Ronald, doch wurden sie alle meilenweit von der 1926 geborenen Herold-Tochter Antonia in den Schatten gestellt, die u. a. das Rheimische Zuchtrennen, die Diana und den Deutschen Stutenpreis gewann, während die 4 x 4 auf Ard Patrick ingezogene Antonia in der Zucht, neben mehreren guten Töchtern, auch den Derby- und St. Leger-Sieger von 1937, Abendfrieden lieferte.
Auch die nächste Tochter der Antwort, Aversion (1914), stammte wieder von Nuage und vertrat, auf der Rennbahn wie in der Zucht, Ausnahmeklasse. Sie war zwar nicht wie Adresse das Spitzenpferd des Jahrgangs, hatte es aber auch mit Gleichaltrigen wie Pergolese (Festino), Landgraf (Louviers) – später Dark Ronalds größter deutsch gezogener Gegenspieler – oder Prolog (Caius) zu tun. Als Zweijährige gewann sie das Landgrafen-Rennen, ein Jahr später den Preis der Stadt Hannover, Danubia-Rennen, St. Ledger etc. und war auch Dritte im Fervor-, Lehndorff-Rennen und im Preis der Diana. Und, ähnlich wie Adresse, wurde auch sie überwiegend mit Dark Ronald gepaart und ging, tragend von Teddy, im September 1931 ein. Ein Jahr vorher war ihr jedoch schon der große Wurf Alchimist gelungen, der, wie auch Aditi und Aberglaube, bereits bei den Hengsten zu Wort kam. Wiederholt sei lediglich, dass Alchimist neben dem Derby auch die Großen Preise von Berlin und Baden gewann, und Vater von Schwarzgold und Birkhahn wurde. Von ihren drei Töchtern zählte die 1925 geborene Aditja zu Fervors besten Nachkommen, die sich u. a. im Oppenheim-Rennen, Preis der Diana, Großer Preis von Köln und dem Deutschen Stutenpreis durchsetzte, und in der Zucht besonders Arjaman hinterließ. Dieser 1930 geborene Herold-Sohn heftete Rennen wie den Großen Preis von Hamburg, Budapester Jockey Club-Preis und die St. Legers von Deutschland und Ungarn an seine Farben und erwies sich in der Zucht von Zoppenbroich als sehr guter Stutenerzeuger. Abneigung (1929; Herold) war eine Vollschwester zu Alchimist und Aversions letzte Tochter. Sie gewann auch einige Rennen, machte aber eher ihrem Namen alle Ehre. Antworts fünfter Nachkomme, Abschluss (1916; Biniou) gewann das St. Ledger, gehörte zur Spitzengruppe seines Jahrgangs, hatte jedoch nicht die Klasse wie Anschluss, während die beiden Dark Ronald-Söhne Adler (2017) und Angulimala schlechte Vorderbeine besaßen, wie das auch für Dark Ronald zutraf.
Aber dann kam noch die 1919 geborene Alpenrose, und diese knüpfte an die Leistungen ihrer rechten Schwestern Adresse und Aversion an. Im Jahrgang stand Antworts Tochter eindeutig an der Spitze der Stuten, aber doch unter den Hengsten aus der gleichen Zucht. Auf der Rennbahn ließ sie in ihrem ersten Jahr den Gegnern im Zukunfts-, Oppenheim- und Renard-Rennen keine Chancen, und als Dreijährige glänzte die sechsfache Siegerin im Preis der Diana, Fürstenberg-Rennen und dem Deutschen Stutenpreis. Geschlagen wurde sie nur noch im Derby, als sie nach langem Kampf Hausfreund unter Willy Tarras die Schleife überlassen musste, als auch im Danubia-Rennen, als die drei Kilo weniger tragende Casa Bianca gewann. Die Zuchtlaufbahn von Alpenrose passte ganz und gar nicht zu ihren Rennleistungen. Die Sieger, die sie fohlte, waren von bescheidener Rennklasse, und von ihren drei Töchtern liefen zwei gar nicht, die dritte einmal. Auch ihre Enkelinnen waren Nieten oder wurden nicht eingestellt. Eine kleine Ausnahme war Alpenroses Herold-Tochter Alt-Berlin (1931), die in der Röttgener Zucht 1938 nach dem Prunus-Sohn Palastpage an Alpaka ihr einziges Fohlen gebar. Und diese gute Siegerin war immerhin Zweite im Preis der Diana, Dark Ronald Rennen oder im Stutenpreis. Antworts Tochter Arachne (1920; Nuage), die nur ein Lehrlingsrennen gewann, bewegte mit ihren Fohlen in der Zucht ebenfalls nichts, obwohl ihre Herold-Tochter Artischocke (1932) mehrere Rennen, darunter auch den Preis des Winterfavoriten, Alchimist- und Landgrafen-Rennen gewann. Andere, nicht genannte Fohlen oder Enkel der Antwort, konnten zum Ruhm ihrer Mutter auch nichts beitragen, doch traf diese Erscheinung, dass eine große Stute mit zunehmendem Alter abbaute, auch schon anderswo zu.
Zusammenfassend gehen auf das Konto der Antwort die Derbysieger Alchimist und Abendfrieden; das St. Ledger gewannen Adresse, Aversion, Arjaman und Abschluss, und die ungarische Version ließen sich Arjaman und Abendfrieden ebenfalls nicht nehmen. Adresse, Alpenrose, Antonia und Aditja holten sich mit dem Preis der Diana die Deutschen Oaks, und, außer Adresse, auch den Deutschen Stutenpreis. Im Großen Preis von Berlin setzten sich Anschluss und Alchimist durch, der auch das Union-Rennen und den Großen Preis von Baden beherrschte, den auch Aditi für sich entschied. Dieser siegte, wie auch Anschluss, im Großen Preis von Hamburg und gab auch den Hansa-Preis nicht aus der Hand. Anschluss ging auch zweimal im Hoppegartener Jubiläums-Preis als Sieger über die Linie und war im Silbernen Schild erfolgreich. Und Alpenrose trug das Fürstenberg-Rennen bei.
Der letzte Deckplan, den Graf Kalnein vor dem erzwungenen Ende aufstellte, sah unter den 42 Mutterstuten, die 1944 in Graditz standen, noch 12 Angehörige der Familie der Alveole und der Antwort, als auch die Hengste Alchimist und Arjaman, die den gleichen Ursprung hatten. Und Graf Kalnein vollzog auch längst die Inzucht auf „große Individuen“, wie das heute ganz normal ist. In diesem letzten Deckplan setzte er aber nicht nur auf die Familie der Alveole, sondern auch auf ältere wie die der Grace Girl, Goura oder Costly Lady, und auf solche, die sich noch im Aufbau befanden,
Der Graditzer Rennstall – in den Gründerjahren in Neustadt an der Dosse beheimatet, wo Georg Graf Lehndorf als Trainer arbeitete – sorgte auch durch seine damaligen Erfolge dafür, dass man auf ihn als Pferdemann allgemein aufmerksam wurde. Neben einem Futtermeister gehörte auch Sohn Siegfried zu diesem Trio, das keine „rohen“ Pferde in Training nahm und die Jahrgänge, wie damals in England üblich, ebenfalls schon über 500 bis 600 Meter ausprobierte.
Das Geld für einen eigenen Trainer genehmigte das zuständige Ministerium aber erst 1881, und der erste, der als solcher verantwortlich zeichnete, war E. Bachert, dem als Stalljockey F. Fisk zur Seite stand und Pferde ritt wie Souvenier, Das Veilchen, Berggeist, Vordermann, Vergißmeinnicht, Sonntag, Pirat oder Valerius. Anschließend wurden in Hoppegarten Stallungen gemietet, und ab 1896 gab es ein eigenes Etablissement. Trainer Richard Waugh, der den ersten Derbysieger für Graditz sattelte, galt als der eigentliche erste Trainer der Graditzer, war 27 Jahre lang (1879-1907) der Chef, und zu dessen Stalljockeys gehörten Könner wie H. Jeffery (1885 Champion-Jockey mit 37 Erfolgen), Willy Warne (vier Championate) und Ch. Ballantine, einer der besten ausländischen Jockeys, die je ins Land kamen. Sein erstes von insgesamt acht Championaten gewann er 1887 (36 Siege), doch führten die Folgen eines schweren Sturzes zu Doberan 1904 bald zu seinem Tod.
Ein sehr gutes Team waren auch Trainer Reginald Day (1908-1912) und der australische Jockey Frank Bullock (1908-1913), der zwei der drei Derbysieger ritt, die Day trainierte und fünfmal an der Spitze der Jockeys stand. Der Name Julius „Jule“ Rastenberger, von 1916-1921 in den Diensten der Schwarz-Weiß-Gestreiften, ist jedoch mit dem Rennstall dieses Gestüts besonders verbunden. Dieser Klassereiter und einer der allerbesten seiner Zeit, saß bei Herolds Derby-Sieg 1920 im Sattel, gewann mit Alchimist die zwei ersten Starts, darunter das Zukunfts-Rennen, ehe Ernst Florian Grabsch den Graditzer im Sattel übernahm, und ritt auch 20 Jahre nach Ende seines Vertrages noch für seinen ehemaligen Arbeitgeber Grünspecht im Preis des Winterfavoriten zum Erfolg. Etwa fünfzehn Jahre nach Graditz hatte Rastenberger mit dem Erlenhofer Athanasius seine große Zeit, und danach, am Röttgener Rennstall, mit Wahnfried (1933; Flamboyant), der u. a. St. Ledger und den Großen Preis von Baden gewann. Als Rastenberger am 3.7.1943 auf Ovation einen Herzschlag erlitt und tot vom Pferd stürzte, hatte er 1.145 Rennen – davon mehr als 80 über Hindernisse – gewonnen, obwohl er von 1925 bis 1927 keine Lizenz besaß.
Trainer James Watts (1913/14) war für die Graditzer wegen des Ersten Weltkrieges nur kurze Zeit tätig, wie auch Friedrich Fösten (später in Erlenhof und Röttgen unter Vertrag), W. Bie, August Stössel, der jedoch an Gibraltar und Abschluss noch die Sieger im Derby und St. Ledger absatteln konnte, W. Spademann oder Erich Bauer und Hans von Tepper-Laski, die jedoch im Winter 1924 nur für ein Jahr einsprangen, um dem Gestüt die Chance zu geben, einen geeigneten Trainer für die Zukunft zu suchen.
Auch im Jockeylager gab es nach Rastenberger viele ungewohnte Jockeyswechsel, doch für die meisten wollte es in Graditz nicht funktionieren. Zwei von den „Glücklicheren“ waren der Ungar Geza Janek, der nur 43 Jahre alt wurde und etwas früher in Deutschland erschien als sein noch bekannterer Landsmann Lajos Varga. Dieser, in England ausgebildet, war ein starker Endkampfreiter und bereits durch seine großen Wiener Siege – u. a. zwei Derbys und der Austria-Preis – bekannt. In Deutschland machte der Ungar besonders mit Hanielschen Pferden, dem Schlenderhaner Nubier oder den Graditzern Alpenrose und Aditi seinen Weg, doch blieb ihm dabei, wie so vielen anderen großartigen Reitern, ein Derbysieg verwehrt. Neunmal stieg er in Deutschland in den Derbysattel, fünf Zweite und ein Dritter waren die Bilanz.
Als Robert „Bob“ Utting, der schon 1895 aus England nach Deutschland kam, Ende 1936 nach zwölf Jahren als Graditzer Trainer zurücktrat, lag eine ehrenhafte Laufbahn als Jockey und Trainer hinter ihm, die mit einer Lehre bei R. Sherwood im englischen Newmarket begonnen hatte. In Deutschland war der Engländer, damals in Diensten des Hamburger Stalles Beit, 1900 mit 40 Erfolgen – und erneut ein Jahr später im toten Rennen mit E. Martin – deutscher Jockey-Champion. Als sein dortiger Trainer, Uttings Schwager Harry Brown, nach Schlenderhan wechselte, wurde er dessen Nachfolger, während er als „Stift“ auch L’Abesse de Jouarre ritt, deren Tochter Festa 1902 in die Waldfrieder Zucht kam.
Uttings erster Dreijährigen-Jahrgang enthielt Aditi, Marduk und Großinquisitor. Dieser entwickelte sich zum „Flieger“ und Marduk zum Steher. Das Derby ging mit Aditi knapp daneben, doch gewann er das Gladiatoren-Rennen und die Großen Preise von Hamburg und Baden. Als Jockeys für Utting hatten mehrere einen Ruf. 1928 bis 1930 war es E. Huguenin, der auf insgesamt 777 Siege kam, 45 Kilo reiten konnte und ein Leichtgewichtsjockey der besten Qualität war. Zu seinen größten Erfolgen zählten fünf Siege im Großen Hamburger Ausgleich, drei im Preis der Diana, der Sieg von Aditi im Großen Preis von Hamburg, als auch die Triumphe mit Aditja im Deutschen Stutenpreis oder dem Großen Preis von Köln. Nach diesem Reiter hießen die Jockeys Erich Böhlke (1931-32) und Ernst-Florian Grabsch (1933-1934), und danach Otto Schmidt, der 1935 aber kein wichtiges Rennen für Graditz gewinnen konnte, weil die ganz große Konkurrenz in den Ställen von Schlenderhan oder Erlenhof stand. Doch ganz am Ende notierte „Otto-Otto“ 14 Jockey-Cahmpionate und insgesamt 2.215 Siege. Darunter befanden sich sieben Derbys und acht Große Preise von Berlin. Der 1911 geborene Böhlke war Berliner, den Freiherr von Richthofen, Leiter des Stalles von Trainer J. Ott, während der Lehrlingszeit auch in England Rennluft schnuppern ließ. Für Graditz gewann er das Derby mit Dionys in seinem ersten Jahr, doch war „sein“ Pferd die Herold-Tochter Sichel (1928), die u. a. den Großen Hansapreis, die Großen Preise von Berlin und Baden und den Preis der Diana, das Henckel- und Kisasszony-Rennen gewann. Später war Böhlke noch für Haniel und Zoppenbroich im Sattel, für das er mit Organdy (1936; Arjaman) die Union, und mit Trollius (1934; Oleander) den Großen Preis von Baden sicherte. Dieser Reiter, der nie Champion-Jockey war, feierte auch die ersten 12 Siege, darunter das Hoppegartener- und das Hamburger Derby 1948, auf Stall Wielands Alchimist-Sohn Birkhan. 1951 folgte ein schwerer Sturz in Hamburg, und seine letzte Ruhe fand dieser Reiter in Berlin-Neuenhagen.
Grabsch zählte damals wie Böhlke, Rastenberger und Albert Schläfke zu der alten deutschen Spitzengarde, in die sich später noch Namen wie Max Schmidt, Hans Blume, Willi Printen, Walter Held, Gerhard Streit, Hans Zehmisch, Otto Schmidt und Hein Bollow, der die Championatsliste nur einmal weniger anführte als sein Kollege, einreihten, ehe die nächsten Generationen nachdrängten. Grabsch hatte eine große Zeit bei Erlenhof, als Pferde wie Athanasius (1931; Ferro) oder Nereide (1933; Laland) zur Verfügung standen, und in Graditz waren es Pferde wie Alchimist, Arjamann und Abendfrieden, Grabschs vierter Derbysieger 1937.
Bob Utting, der Graditz zweimal an die Spitze geführt und rund 500 Sieger abgesattelt hatte, ging Ende 1936 in den Ruhestand und übergab sein Amt in Graditz an seinen Ex-Jockey Grabsch, der von 1937 bis 1939 die Graditzer vorbereitete. Im Derby schwang er sich allerdings selbst in den Sattel von Abendfrieden, obwohl Hans Zehmisch, sein Stalljockey von 1937-1944, ebenfalls vor Ort war. Neben diesem war auch der gebürtige Leipziger Rudolf Schmidt im Team, doch stand er, der aus der Schule von George Arnull kam und drei Jockey-Championate gewann, im Schatten seines Kollegen. Harry Nash, der sich vorher mit großen Erfolgen in Zoppenbroich empfohlen, und die Graditzer 1940 übernommen hatte, war im Januar 1942, nach schwerer Krankheit, mit 51 Jahren bereits tot. Sein Nachfolger, Hans Blume, war wieder ein erstklassiger Jockey. Als solcher gewann er u. a. mit Graf Isolani den Großen Hansa-Preis und den Großen Preis von Österreich, auf Oleander war er bei dessen drittem Erfolg im Großen Preis von Baden im Sattel, und mit Lady Skip sicherte er sich das Dänische Derby. Harlekin gewann unter ihm das Charmant- und Fervor-Rennen, Lampos den Preis des Union-Gestütes, und mit Aditi das Gladiatoren-Rennen. Dieser Reiter, der erhebliche Gewichtsschwierigkeiten hatte – sein letzter Ritt in Danzig-Zoppot trug 70 ½ Kilo – gewann in der Heimat mehr als 400 Flach-Rennen und weitere über Hindernisse. Danach entschied sich der Schwiegersohn von Albert Schläfke 1938 für den Trainerberuf.
Zwischenzeitlich hatte der 3 x 4 auf Herold ingezogene Volturno (1938; Alchimist) als Vierjähriger fünf Rennen gewonnen, darunter den Preis vom Norddeutschen Jockey Club mit Rastenberger, und den Rheingold-Pokal unter Heinz Just. Zur damaligen Spitze, die in jenen Tagen aus Ticino (1939; Athanasius), Allgäu (1940; Ortello) und Nordlicht – dem 1941 geborenen Sohn des Oleander und der Nereide – bestand, drängte auch Panzerturm (1940). Diesen hatte Blume auf Umwegen zum Union-Rennen fertig, und der Heroldsohn bezwang auch den bisher ungeschlagenen Allgäu. Das Derby, das dieser gewann, ließ Panzerturm aus und wartete bis zum Braunen Band, wo er das Vertrauen seines Trainers mit einem Kopfsieg gegen Samurai (1937; Oleander) und den acht Kilo mehr tragenden Ticino bestätigte
Von den Vertretern des Jahrgangs 1941 zählte Poet (Janitor) zu den besseren Vertretern (Henckel- und Union-Rennen), hatte jedoch keine Derbynennung, was nach dem überlegenen Vier-Längen-Erfolg in der „Union“ richtig schmerzte. Der vierjährige Panzerturm blieb im nächsten Braunen Band weit unter Form, korrigierte diese jedoch mit dritten Plätzen in den Großen Preisen zu Wien, der an Nordlicht ging, und dem der Reichshauptstadt Berlin, in dem sich Ticino durchsetzte. Während Poet ein Deckhengst in Harzburg wurde, deckte Panzerturm eine Saison in Graditz, bekam fünf Stuten und ließ zwei davon güst. Anfang Mai 1945, am Tag der Räumung von Fürstenstein (Niederschlesien), war ein Beckenbruch bei Panzerturm noch nicht ausgeheilt, sodass er eingeschläfert werden musste.
In der letzten Graditzer Trainingsliste von Hans Blume standen 1944 zwei Vierjährige, die Ferro (Luftkampf) und Alchimist (Spähtrupp) zum Vater hatten; 13 Dreijährige – sieben Hengste und sechs Stuten –, von denen sechs von Ferro und vier Herold stammten, und bei den 14 Zweijährigen, darunter neun Hengste, hatten Ferro fünf, Alchimist und Pharis je zwei, und Janitor, Janus, Arjaman, Herold und Eclair au Chocolat jeweils einen Vertreter. Von der zweijährigen Pharis-Tochter Persante, die aus der Palucca stammte und eine Halbschwester zu Panzerturm war, hatte Hans Blume eine sehr hohe Meinung, brachte sie jedoch wegen ihres Vaters in diesem Alter nicht an den Start.
Ende Januar, Anfang Februar 1945 hatte Graf Kalnein die Genehmigung zur Evakuierung der Hoppegartener Pferde bereits in der Tasche, doch das Problem war die vom Kriegsministerium zu genehmigende Transportkapazität. Und das veranlasste Trainer Blume selbst zu handeln und das Landgestüt Celle mit zwei Trecks anzusteuern. Das zunächst von der englischen Besatzungsmacht beschlagnahmte Pferdematerial gaben die Engländer später wieder zurück, während Hans Blume als Trainer für Waldfried und Asta an die kurze Graditzer Zeit anknüpfte.
Als die Russen nach Hoppegarten kamen, waren die Ställe leer, nur Futtermeister Richard Kortum war geblieben. Und dieser versierte Pferdemann, der die Graditzer nach dem Zusammenbruch trainierte und an Faktotum (1952; Harlekin) einen Triple Crown-Sieger im Stall hatte, der in Moskau den „Goldpokal“, das wichtigste Rennen beim Internationalen Meeting, gegen den russischen Derbysieger, Anilins Vater Element, gewann, konnte seinen Besten vor den Russen aber auch nicht „retten“. Selbst sein Trick, den Sohn aus der Fervor-Enkelin Frühlingssonne (1943; Lampos) aus dem Stall zu nehmen und in seine Box ein ähnliches Pferd zu stellen, war vergebens. Der Hengst, der dem Fama-Zweig der Alveole-Familie entstammte, musste deutschen Boden verlassen und zeichnete sich in der russischen Zucht, obwohl ihn auch mehrere Söhne als Beschäler vertraten, besonders als Stutenerzeuger aus. Etwa 30 seiner Töchter vertraten ihn um 1970 in der Herde des russischen Hauptgestüts.
Die Graditzer in staatlichem Besitz (der Heeresrennstall hat damit nichts zu tun) gewannen 56 klassische Rennen, darunter 17 St. Ledger, 16 Preise der Diana und 12 Derbys; zwischen 1881 und 1944 gelangen zwanzig Besitzer-Championate, und sieben Pferde wurden Saison-Spitzenverdiener: Peter (1981), Gulliver II (1912), Anschluss (1916), Herold (1920), Sichel (1931), Alchimist (1933) und Abendfrieden (1937). Und zu Sichel, die keine Derbynennung hatte, sei erwähnt, dass sie mit rund 132.000 Mark fast das Doppelte gewann, wie der gleichaltrige Stall- und Zuchtgefährte Dionys, der das Derby beherrschte. Vom Züchter-Championat blieb Graditz, das ganz besonders durch den Ankauf hochklassiger Beschäler aus dem Ausland die gesamte deutsche Zucht beeinflusste, ausgeschlossen, denn es erhielt keine Züchterprämien.
Martin Beckmann, der Autor der Sport-Welt Serie „Das war Graditz“ (1981/82), und der Anfang 1945 selbst als Flüchtling einige Monate in Graditz verweilte, stellte am Ende seiner Betrachtungen auch die Frage, ob Graditz zu retten war, zumal auch Röttgen, Schlenderhan, Waldfried und Zoppenbroich sich viel länger in der Gefahrenzone befanden und entsprechend reagiert hatten. Nach den, vom Verfasser von Zeitzeugen gesammelten Aussagen und dem, was Graf Kalnein in seinem Buch „Ein Leben mit Pferden“ zu diesem Thema schrieb, muss man zu der Erkenntnis kommen, diese Frage mit einem Ja zu beantworten, soweit es die angestrebte Evakuierung betraf. Graf Kalnein stellte bereits gegen Ende 1944 seinen ersten Antrag, aber nicht nur dieser, sondern auch alle weiteren wurden immer wieder abgelehnt. Vom zuständigen Ernährungs- oder dem Kriegsministerium, das die Waggons genehmigen musste. Erst am 13. April 1945 wurde das Ausweichen nach Harzburg genehmigt, doch der Trupp, der sich zwei Tage später mit den Hengsten Alchimist, Tricameron und den wertvollsten Stuten Richtung Westen in Bewegung setzte, wurde schon am Überqueren der Mulde gehindert. Zunächst von einer deutschen Truppe, danach von den Amerikanern. Und kurz darauf kamen die Russen, womit die Pferde in deren Hände fielen. Und das war das Ende der weltbekannten Graditzer Zucht!
Im Zusammenhang mit Graditz trugen auch Verrat und „die Partei“ erhebliche Schuld am Untergang dieser Zucht, wie das die vielen gesammelten Auskünfte von Menschen bestätigten, die jene Graditzer Zeit oder den Abtransport der Pferde Richtung Krim hautnah, direkt oder indirekt, durch Freunde oder Bekannte, erlebten, sich an jene Tage erinnerten und ihr Wissen dem genannten Autor der Sport-Welt, persönlich oder über Dritte, weitergaben. Von ihnen sei nur Liesel Blume, die Frau des letzten Graditzer Trainers und, zwischen 1935 und 1939, vierfache Amateur-Championesse, deren Freunde und Bekannte, oder „Graditzer“ wie Gerhard Pannier und andere erwähnt. So wurde auch ein namentlich nicht genannter „Trakehner-Tierarzt“, dem die Evakuierung übertragen worden war, ausnahmslos als linientreuer Handlanger der Partei bezeichnet, der Graf Kalnein sogar wissen ließ, dass er, der die Verlegung des Zuchtmaterials ablehnte, ihn anzeigen werde, falls auch nur ein Pferd das Gelände verlassen sollte.
Graditz war aber auch Zufluchtsort des Grafen Heinrich Lehndorff – ein Sohn des einstigen Röttgener Gestütsleiters und Trainers Graf Manfred Lehndorff, und verheiratet mit einer Tochter des Grafen Kalnein. Nach dem gescheiterten Attentat auf Hitler am 20.7.1944, wurde er, den Zuträger erkannt und verraten hatten, gehängt.
In den letzten Tagen des alten Graditz befanden sich noch alle Stuten und 42 Vertreter des Jahrganges 1945 auf dem Gelände. Und alle, einschließlich der Trakehner und der Arbeitspferde wurden von den Russen abtransportiert. Später sollte Emil Benecke, der letzte Graditzer Gestütsmeister, die Vollblüter und Trakehner auf der Krim identifizieren, lehnte das aber ab.
Von dem von Altefeld nach Graditz gekommenen Franzosen Tricameron, der 1945 noch sechs lebende Fohlen hinterließ, war nach dem gescheiterten „Ausbruch“ nichts mehr zu erfahren, während die Hengste Alchimist und sein Vater Oleander von den Russen erschossen wurden. Dieser, weil er sich nicht einspannen ließ, jener, weil er keinen Reiter duldete.
Somit waren Panzerturm und Poet die letzten beiden „großen“ Graditzer, die ihre Zuchtstätte, trotz großer Konkurrenz von Erlenhof und Schlenderhan, würdevoll vertraten. Und wie Graf Kalnein in einem Brief vom 8.10.1945 an Hans Blume schrieb, den Martin Beckmann am Ende seiner Serie auszugsweise erwähnte, hatte der Graf auf Umwegen noch Nachstehendes erfahren: „Alle Pferde, auch von den Vorwerken, waren abtransportiert; der größte Teil des Personals war zurück und musste schwer arbeiten; Schloss, Schule, Oberinspektorhaus und Kasse sind geräumt; Schloss, Schule, Reitbahn und einige Wohnhäuser haben Bombentreffer bekommen; zwei Scheunen sind abgebrannt; alle Möbel aus dem Schloss sind zertrümmert oder abtransportiert.“
Das Graditzer Gestütszeichen, pfeilschnell und schlangengewandt (Foto: Siegfried Müller, Leipzig)
„Graditzer Urgestein“, Leichtgewichtsjockey Paul Krug, der nach dem Zweiten Weltkrieg als Möbelträger arbeitete, ehe er wieder in den Sattel stieg und das Minimumgewicht reiten konnte. (Foto: Siegfried Müller, Leipzig)