Читать книгу 100.000 km zwischen Anchorage, Neufundland, dem Pazifik und New Mexico - Teil 1 - Erhard Heckmann - Страница 10

Vancouver

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Im 19. Jahrhundert schrieb ein englischer Journalist über das heutige British Columbia, dass es nichts weiter sei, als ein kaltes, unfruchtbares Bergland, das selbst fünfzig Eisenbahnenlinien nicht zum erblühen bringen könnten. Diese „kalten Berge“ waren jedoch voller Bodenschätze und um sie in die Welt exportieren zu können entwickelte sich am Burrard Inlet, dem Zugang zum Pazifischen Ozean, eine Stadt. Zuerst hieß sie Granville, dann Gastown. Erst 1886 erhielt sie ihren heutigen Namen. Neun Jahre früher landete dort auch ein ehemaliger Raddampfer-Kapitän aus der Goldgräberzeit, mit seiner indianischen Frau, einem gelbfarbenen Hund, einigen Hühnern und einem Fass Whisky. Es war der Grundstock zur Eröffnung von Jack Deighton’s Kneipe und der Grundstein für „Vancouver“.

Damals waren aber schon fast einhundert Jahre vergangen seit Käpt’n James Cook am 29.3.1778 in den Nootka Sound gesegelt und mit den Nuu-chah-nulth Indianern und ihrem Häuptling Maquinna Seeotterfelle eingetauscht hatte. In China machte seine Besatzung damit riesige Profite, sodass der Pelzhandel sehr schnell mit London, Canton, Macao und Bosten verknüpft war. Auch Mackenzie war früh dran. Als erster Europäer hatte er 1793 die Rockies überquert und den Pazifik zu Fuß erreicht. Indianer hatten sich aber schon zehntausend Jahre früher hier niedergelassen, an der heutigen Küste von British Columbia, auf deren vorgelagerten Inseln und entlang der Flüsse im Inneren des Landes. Im Laufe der Zeit entwickelten sich über dreißig Gruppen, jede mit sprachlicher und kultureller Eigenart, eigenem Namen und territorialem Anspruch. Im nördlichen Interior lebten diese Ureinwohner in nomadenartigen kleinen Gruppen und verbrachten den Winter in rasenbedeckten Erdhäusern entlang des Thompson- und Fraser Rivers. Fisch und Wild galten als Hauptnahrung. Die Küstenbewohner praktizierten strukturierte Hausgemeinschaften in denen Dutzende Großfamilien unter einem Dach wohnten. Jede Gemeinschaft mit eigenen Jagd- und Fischgründen, Tänzen und Liedern. Aus den Roten Zedern machten sie Kleidung, Körbe, Matten, Totem Pools und bauten daraus auch Behausungen und Kanus. Letztere wurden für Jagd, Handel und Kommunikation genutzt.

In dieser Stadt am Pazifik waren wir nun angekommen und mit dem „Porter Bus“ auch schnell in unserem Hotel am Stanley Park. „The Coast Plaza Suite“ war gut, die Aussicht aus unserem Zimmer im 19. Stock ebenfalls. Vom Restaurant machen wir keinen Gebrauch, sondern konsumieren bei einem kleinen Rundgang ein paar Spaghetti „um die Ecke“ und fallen bald müde in unsere Betten. Drei Tage wollen wir bleiben und alles abmarschieren was sehenswert ist. Und dafür muss man ausgeschlafen sein.

Die Millionenstadt ist eine der schönsten Metropolen der Welt und ganz gewiss ein echter Konkurrent zu Sydney oder Kapstadt. Sie erinnert mich auch an Neuseelands Auckland, denn hier wie dort mischen Gemütlichkeit, Moderne, Flair, Freude am Dasein und die Küstenlinie einen wunderschönen Cocktail. Allein die grandiose Lage begeistert. Umgeben von eindrucksvoller Naturkulisse mit glitzernden Fjorden, langen Stränden entlang der Buchten, grünen Wälder voller Leben und weißgepuderten Bergspitzen heißt die Schönet am Pacific ihre Gäste willkommen. Dazu ist die Stadt mit mildem Klima gesegnet, das ihr das Meer garantiert. Die Strait of Georgia begrenzt die Halbinsel der Downtown im Westen; Burrard Inlet und False Creek umschlingen sie im Norden und Süden. Trotz aller Dynamik einer quirligen Innenstadt mit Szenenkneipen, restaurierten historischen Bezirken, zahlreichen Parks, schicken und modernen Läden, bunten Märkten, Yachthafen, noblen Vororten, Galerien und Strandcafés scheint diese Perle am Pazifik dennoch keinerlei Hektik zu kennen. Neben Oper, Casinos, Theater, Synphonieorchester, einer umfangreichen Clubszene, zahlreichen Festen oder Sportveranstaltungen sind die Möglichkeiten der Freizeitgestaltung schier unendlich. Wassersport in jeder Version, Campen, Reiten, Wandern, Biken oder Klettern, alles ist hochaktuell. Man kann also getrost unterschreiben, was einst „Queen Mum“ über Kanadas drittgrößte Stadt sagte. „Das scheint mir ein Ort zu sein, an dem ich leben könnte.“ Und dazu gehören auch die Blicke hinüber nach Vancouver Island und auf die nördlichen Küstengebiete, die bei klarem Wetter ebenso unvergesslich sind wie der Charme der Gastown oder die Exotik des Chinesenviertels. In den hochmodernen Glastürmen der Skyline spiegeln sich grüne Kupferdächer alter Bauten. Die „Shopping-Meile“ Robson Street ist ebenso turbulent und interessant wie die Geschäfte in Chinatown mit ihren exotischen Gewürzen oder die Superyachten mit eigenem Hubschrauber an Bord, die im Hafen schaukeln. Nord- und West Vancouver, die sich auf der Nordseite des Burrard Inlet an die Hänge anschmiegen, sind begehrte Wohnorte und Westminster und Richmond gehören zu den großen Vorstädten.

Vancouver lebt jedoch vor allem vom Handel. Seine Hafenanlagen sind die größten an der nordamerikanischen Pazifikküste. Autos und Kleidung sind die Hauptposten bei der Löschung der Frachten; Erze, Holz, Zellulose oder Weizen, wenn die Ozeanriesen wieder auslaufen.

Als die ersten Europäer hier ankamen – 1791 Kapitän Jose Maria Narvaez, Captain George Vancouver ein Jahr später – lebten an diesem Küstenstreifen die Cowichan Indianer von reichen Fischgründen. Die großen Wälder lockten aber auch Sägewerke an, die sich am Burrard Inlet und Fraser River niederließen. Aus ihrem Holz entstand Vancouver, und auch die Masten für die Segelschiffe brachten gutes Geld. Und als „Gassy Jack“ hier seine Whisky-Taverne eröffnete, hatten die Holzarbeiter auch endlich ihren ersten „Saloon“. Der wirkliche Aufstieg begann, als 1885 die Gleise der transkontinentalen „Canadian Pacific Railroad“ auch diesen 2.500-Seelen-Ort erreichten. Zwei wichtige Einwanderungswellen formten die Hafenstadt auf ihre Art. Die zahlreichen Neuankömmlinge, die nach dem Zweiten Weltkrieg eintrafen, machten Vancouver zu einer kosmopolitischen Metropole. Schließlich brachten Hongkong-Chinesen, die 1997 bei der Rückgabe der Kronkolonie nicht mehr dabei sein wollten, erhebliches neues Kapital in die Stadt.

Das Stadtzentrum ist ziemlich kompakt und zu Fuß erkundbar, und für die etwas weiteren Ziele braucht man nicht unbedingt eine organisierte Tour. Der Verkehr ist gut organisiert, und die „Waterfront Station“ verbindet den Sea-Bus mit der Sky Train, die ihrerseits viele Busrouten verknüpft. 2000 war die Sky Train nur auf 28 Kilometern unterwegs und die „Millennium Line“ noch im Bau. Inzwischen sind beide Linien längst als eines der längsten automatischen, fahrerlosen Systeme der Welt zusammengewachsen. Als Expo- und Millenium-Lines verbinden sie Vancouvers Zentrum mit den Orten Burnaby, New Westminster und Surrey, während die Canada-Linie den International Airport und die Stadt Richmond mit der Downtown verbindet.

Das Burrard Inlet trennt die auf einer Halbinsel liegende Stadt von West- und Nord Vancouver. Zwei Brücken stellen jedoch die Verbindung her. Im Westen schwingt sich die Lions Gate Bridge, im Osten, bei Hastings, der Trans Canada hinüber. Wer zu Fuß unterwegs ist benutzt den „Sea Bus“, der in der Nähe des Canada Place’s im festen Zeitrhythmus hinüber nach Nord Vancouver ablegt. Im Westen zwängt sich die Downtown-Halbinsel mit dem Stanley Park an ihrer Nordspitze in die Bucht, und im Süden bilden English Bay und Falsh Creek „Granville Island“ heraus, das daher mitten in der Stadt liegt und über die Granville Bridge erreicht wird. Ein Stückchen weiter kreuzt die „Granville“ den „Broadway“, der in westlicher Richtung zur Universität von British Columbia führt und entgegengesetzt nach Burnaby, New Westminster und, ganz im Südosten, Surrey verbindet. Auf diesem letzten Zipfel der großen Halbinsel liegen unterhalb des Fraser-Südarmes Delta und, ganz im Westen, der Fährhafen und Grenzort Tawassen. Der Nordarm des Flusses zieht mit seinem Südufer am Ortsteil Richmond entlang und umspült vor der Mündung in den Pazifik mit seiner Gabel auch noch die kleine Insel „See-Island“, dem Standort des Internationalen Flughafens.

Auch die „99“, die über Delta den George Massey Tunnel ansteuert, Granville- und Georgia Street hinter sich lässt und die Lions Gate Bridge benutzt, um in West-Vancouver an den „Trans Canada“ anzubinden, ist als Fortsetzung der amerikanischen „Interstate 5“ international wie der Flughafen, dem sie unterwegs einen Abzweig spendiert. Zu Horseshoe Bay, wo sich auch eine Fährverbindung nach Nanaimo auf Vancouver Island anbietet, endet der TCH, während sich die „99“ durch die Küstengebirge über Whistler nach Norden schlängelt. Entgegengesetzt, von Vancouvers Fährhafen Tawassen aus, überbrückt der Tourist die Strait of Georgia nach Swartz Bay, wenn er der Hauptstadt von British Columbia – Victoria auf Vancouver Island – einen Besuch abstatten möchte. Für uns hat aber beides noch Zeit. Die „99“ nach Norden werden wir auf dieser Reise nicht bemühen, und die Fähre erst in einigen Tagen, am Ende unserer Tour durch diese gemütliche Stadt.

Sehr weit sind wir heute Morgen mit unserem ersten Stadtbummel allerdings noch nicht gekommen, aber wir hatten es auch nicht wirklich eilig. Nach einigen Schaufenstern und netten Geschäften lockte in einer Seitenstraße eine Bäckerei, die Gewünschtes auf ihrer Terrasse serviert. Hier werden wir auch in den kommenden Tagen gemütlich frühstücken, bevor der Marsch flotten Schrittes durch die Stadt oder in die Umgebung beginnt. Heute macht der Stanley Park den Anfang. Also die Georgia Street hinunter und hinüber zu dem bewaldeten 400 Hektar-Gelände, das an der Spitze der Halbinsel liegt, die auch die Downtown beherbergt. 1889 von Lord Stanley, dem damaligen Generalgouverneur eingeweiht, finden sich dort mehr als 80 Kilometer Wege und eine Uferstraße, die den Park auf zehn Kilometern umrundet und auf der Radfahrer nur entgegen des Uhrzeigers unterwegs sein dürfen, was für Scater, Jogger und Fußgänger nicht zutrifft. Echten Parkcharakter mit Kricket- und andere Spielplätze bietet aber nur der Ostteil, während im Westen mächtige Zedern und Douglasien an felsiger Küste noch immer an die ursprüngliche Vegetation erinnern.

Gleich vorn am Eingang, und unweit des wartenden Pferdegespannes, das Gäste durch den Park kutschiert, spielen ein paar schwarze Eichhörnchen, die sich von uns aber nicht stören lassen. „Lustige Kerle“, und mit einem Lächeln auf den Lippen marschieren wir weiter. Vorbei am exklusiven Yachthafen zu den Totem Pools, wo ein Indianer „in voller Montur“ von seinen Vorfahren und der Bedeutung dieser bunten Holzpfähle erzählt. Am Brockton Point an der Ostspitze, wo ein kleiner Leuchtturm um Aufmerksamkeit bittet, ist der Blick auf die Stadt eindrucksvoll und somit auch der Foto an der Reihe, der kurz danach erneut klickt, um auch die Nachbildung der Galionsfigur der „Empress of Japan“ nicht zu übergehen. Sie gehörte zur kanadischen Pazifikflotte und war einst mit Frachten nach Asien unterwegs.

Viel beeindruckender ist jedoch die 1938 eröffnete Lions Gate Bridge, die 70 Meter über dem Meeresspiegel das Burrard Inlet überbrückt und sich, wie die beiden Pylonen, die sie stabilisieren und die Fahrbahn um weitere 40 Meter überragen, hier in voller Schönheit präsentiert. Der Marsch um die Halbinsel ließe sich bis zur English Bay fortsetzen, um dort wieder zum Ausgangspunkt abzubiegen. Wir gehen im Wald nach oben zum „Prospect Point“, der uns bei strahlendem Sonnenschein mit herrlichen Blicken auf die Berge der Nordküste und die silbrig glitzernde Strait of Georgia dafür entschädigt, dass die Brücke keinen Fußgängersteg hat. Dafür haben wir jetzt aber das Gefühl, in Kanada so richtig angekommen zu sein und beginnen zu begreifen, dass wunderschöne Urlaubstage vor uns liegen müssen.

Richtig frohgelaunt stiefeln wir durch den Wald zurück zum Aquarium, das mehr als 6.000 Bewohner der Arktis, Amazoniens, der Tropen und der wilden Westküste Kanadas besiedeln. Als Attraktion gelten die weißen Belugawale und die schwarz-weiß gefärbten Orcas. Das Wort „Killerwal“ gefällt mir für diese eleganten Schwimmer aber ganz und gar nicht. Mit diesen Gedanken geht es zurück zur Straße und quer durch die Stadt, „die Granville“ entlang und vor der Brücke über den False Creek in die Hornsby Street, an deren Ende ein Wassertaxi nach Granville Island mit seinem bunter Markt übersetzt. Je zwei Dollar sind für den Katzensprung nicht billig, aber er spart viel Zeit zu Fuß, und diese besucherfreundliche Oase mitten in der Stadt im False Creek sollte man auch nicht auslassen. In renovierten Lagerhallen untergebrachte kleine Theater, Galerien, Restaurants, Künstlerstudios, Läden mit Souvenirs und Kunsthandwerk, Tauch- und Segelausrüstungen, Bootsverleih und vielen anderen Dingen lassen hier ein quirliges Durcheinander des „Public Marktes“ entstehen. In der Markthalle ist alles zu kaufen, was das Herz begehrt: So Obst, Gemüse, Fleisch, Wurst, Fisch und anderes Meeresgetier. Wer eine Pause braucht, kann auch bei Kaffee und Kuchen, Eis oder kleinen Snacks den Musikern lauschen oder einer Schar Möwen zuschauen, die sofort jedes freie Plätzchen besetzt, um das eine oder andere Krümel zu finden oder zu erbetteln. Einen Besuch wert ist dieser Markt allemal, aber nicht vergleichbar mit dem „Farmers Markt“ im australischen Melbourne. Das ist ein ganz anderes Kaliber. Die Insel als solche versprüht aber nicht nur Charm, offeriert ein buntes Publikum und freie Sicht auf den False Creek und die English Bay, sondern hat sich nach erfolgreicher Stadtsanierung auch zu einer der besten Einkaufs- und Unterhaltungsorte entwickelt.

Auf dem Rückweg steuern wir Chinatown an, um in einem gemütlichen Restaurant den Tag zu beschließen. Das Zentrum des traditionsreichen Viertels, in dem vor allem Geschäfte gemacht werden, und das mit einem rot gestrichenem Tor beginnt, prägt die Pender Street, die unweit der Gastown ihres Weges zieht. Exotische Lebensmittelgeschäfte, Imbisse, Kuriositätenstände, kleine farbenprächtige und fremdartig dekorierte Lokale, Teestuben und Straßenverkäufer tragen zum Ambiente bei. Die Schriftzeichen auf den Preisschildern exotischer Gewürze, von Fisch und Gemüse, Jadeschmuck, Porzellan oder Rattanmöbeln sind nicht lesbar, und das Englisch vieler Chinesen ist gewöhnungsbedürftig. Fazit zur drittgrößten Chinatown der USA? Wer sie aus Zeitgründen nicht besuchen kann, verpasst nicht viel, und wer San Francisco oder gar Singapur oder Hongkong kennt, kann sie sich getrost schenken. Unsere Meeresfrüchte im Restaurant waren allerdings ganz ausgezeichnet.

Der Heimweg führt uns zum Robson Square, wo es zwischen begrünten Terrassen und unterirdischen Einkaufspassagen über drei Straßenzüge trotz des späten Abends – oder gerade deswegen – noch äußerst lebendig zugeht, und die Straßenkneipen, Cafés, Restaurants und Bänke gut besetzt sind. Hier schlägt einmal mehr das Herz dieser Stadt. Die Flaniermeile Robson Street mit Designer-Boutiquen, dem berühmten Kaufhaus „The Bay“ und internationalen Geschäftsadressen oder dem Einkaufszentrum Pacific Centre in der benachbarten Granville Street Mall sorgen jedenfalls mit dafür. So viel Urlaubsflair ist ansteckend, und als wir uns hier entschließen, nun endlich das Hotel anzusteuern ist es zwar schon ziemlich spät, aber es war auch ein genialer langer, langer Abend.

Der neue Tag hat ein volles Programm. Es geht zeitig zum Sea Bus, der vom Ende der Granville Street ablegt und seine Fahrgäste für je einen Dollar hinüber nach Nordvancouver zum Lonsdale Quay bringt. Mit dem gleichen Ticket steigen wir dort in den „236er“, fahren weiter zum Capilano Regional Park und dort mit der Gondelbahn für insgesamt 45 Dollar hinauf zum Grouse Mountain, wo die Aussicht 1.211 Meter über dem Meer beim Frühstück im Restaurant der Bergstation eine großartige ist: Auf Hafen, Innenstadt und Fraser Delta; links dahinter grüßen die amerikanischen Cascade Mountains mit dem Vulkan Mount Baker, rechts die Bergzüge von Vancouver Island. Und wieder hüpft unser Herz und lässt den Puls bei schönstem Wetter schneller werden, denn das hier, das ist doch erst der Anfang unseres Weges durch Kanada und Alaska!

Nach der Stärkung bummeln wir entlang der drei Dutzend, bis zu vier Meter hohen Holzfiguren die zeigen, was eine Kettensäge in der richtigen Hand so alles kann, wandern ein Stückchen auf einem der vielen Wege und schauen vor der Talfahrt von Vancouvers Hausberg und Skigebiet auch noch bei „Grinder und Coola“ vorbei. Die beiden verwaisten jungen Grizzlys werden hier aufgezogen und später wieder in die Freiheit entlassen, wofür wir ihnen alles Glück dieser Welt wünschen.

Unten im Tal nimmt uns der „236“ weiter mit zur Suspension Capilano Bridge und dem Capilano River Regional Park. Die 137 Meter lange Konstruktion – Vancouvers älteste Attraktion –, die sich seit mehr als 100 Jahren am Fuße des Grouse Mountains in 70 Meter Höhe über den tief eingekerbten, waldigen Capilano Canyon schwingt, schaukelt und wippt über dem Fluss zwar ein wenig hin und her, doch hat man den Takt schnell heraus. Auf der anderen Seite warten gewaltigen Bäume, von Gebirgsbächen gefüllte Forellenteichen, Totem Pools oder die Lachszuchtanlage, die den Nachwuchs für die Wildnis aufzieht und auch den Lebenszyklus dieser Fische darstellt. Wer zur richtigen Jahreszeit kommt (August bis November) kann auch den zurückkehrenden, laichbereiten Lachsen zuschauen, wie sie die Fischleitern und Stromschnellen im wilden Capilano River bewältigen, um sich zu ihren Laichgründen durchzukämpfen. Der Sisters Pond, Wanderwege, indianische Schnitzer im Big House, Geschichten im Story House oder die Trading Post sind weitere Stationen, die auf diesem Rundgang gefallen.

Der Nachmittag gehört der Stadt, und die ersten Minuten davon einem Stand mit „Fisch und Chips, die nächsten dem Canada Place. Sein Gebäudekomplex ist einem Ozeanriesen mit fünf weißen, voll im Winde stehenden Segeln nachempfunden, der heute dem Convention und Exhibition Center, Pan Pacific Hotel, World Trade Center und IMAX Kino eine Heimat bietet. Zur Expo 1986 schützte das riesige Zeltdach den Kanadischen Pavillon. An der östlichen der beiden seitlichen Anlegestellen hat das Kreuzfahrtschiff Veendam festgemacht, das Sabine veranlasst, wie angewurzelt stehen zu bleiben und nachdenklich zu verweilen. Auf ihm fuhr einst ihr Vater als Koch um die Welt. Aber das ist nur die eine Seite der Vergangenheit. Auf der anderen steht, dass ihn im Zweiten Weltkrieg eine feindliche Kugel tödlich traf, als seine Tochter ganze zwei Tage alt war. Und dort steht auch, dass sich die beiden niemals gesehen haben, ihn die Botschaft von dem neuen Erdenbürger aber noch rechtzeitig erreichte.

Ein paar Hundert Meter weiter bringt uns der verglaste Fahrstuhl in 50 Sekunden auf die Aussichtsetage des Harbour Centre Towers, die aus 177 Meter Höhe einen grandiosen 360 Grad Rundblick gewährt. Über uns lädt noch ein Drehrestaurant zu mehr Gemütlichkeit ein, doch uns interessiert hier nur die Aussicht. Auf das etwas winzig erscheinende Leben unter uns, die meerumschlungene Stadt, den Hafen, das Burrard Inlet mit seinen Yachten, Fähren, bienenfleißigen Wasserflugzeugen, Kreuzfahrtschiffen, Containerriesen und auf die rahmenden Berge. All das lässt die zehn Dollar Fahrpreis schnell vergessen, zumal die Tickets auch noch eine zweite Fahrt erlauben. Wenn es dunkel wird und Millionen Lichter Vancouver erleuchten, dann wollen auch wir nochmals nach oben.

Jetzt aber heißt die Richtung Gastown. Dieses, nach dem Zweiten Weltkrieg sehr verkommene Hafenviertel östlich des Shopping Centers und entlang der Water Street lädt heute als liebevoll restaurierter alter Stadtteil ein und bietet viel Charme. Mit denkmalgeschützten viktorianischen Backsteingebäuden, hübschen Innenhöfen, nett dekorierten Boutiquen, Andenkenläden, Kunstgalerien, Restaurants, Cafés und viel Blumenschmuck an Fenstern und Gaslaternen. Auch Indianische Schnitzkunst wird hier angeboten, deren Preis-Qualitätsverhältnis wir anderswo im Lande kaum wiederfanden. Die weltberühmte Steamclock, die erste Dampfuhr ihrer Art auf unserem Globus, pfeift an der Ecke von Water und Cambie Street aller viereinhalb Minuten, jede volle Stunde ab oder an und lässt halbstündlich auch ihr Glockenspiel ertönen. Am Marple Tree Square steht das Denkmal des Stadtgründers „Gassy Jack“, der 1867 hier seinen Saloon eröffnete, in dem Holzfäller, Sägewerksarbeiter, Seeleute und Goldsucher ihren Whiskey tranken. Der Oldie, der eigentlich John Deighton hieß, steht somit auch auf einem Whiskeyfass und das Ganze auf einem Sockel, damit der kleine Mann auch ins rechte Licht gesetzt erscheint. Der Laden mit den Cowboystiefeln direkt links hinter ihm erinnert ebenso an die alten Zeiten wie die sich rechterhand anschließende Straßenkneipe in der nostalgischen Straße. Lediglich gegenüber mischt sich die Moderne ein und erinnert mit einem dreieckigen Haus an das „Bügeleisen“ in New York City.

Und wir? Wir tun hier das, was all die anderen Touristen auch tun. In einem der Straßecafés niederlassen, Kaffee oder Eis bestellen, dem bunten Treiben zuschauen und anschließend ein paar Läden durchstöbern. Richtig begeistert sind wir vom „Heritage Canada“ in der Waterstreet. Was dort hängt, steht und liegt ist excellent, doch haben diese „Native Crafts“ bekannter Künstler auch ihren Preis. Mir hatte es ein „Talking Stick“ von Joseph Tyron angetan (nur wer bei einer Indianerversammlung einen solchen gereicht bekam durfte reden), doch als es nichts mehr zu verhandeln gab, standen immerhin noch 400 Dollar zur Diskussion. Und das war mir zu teuer. Außerdem war ich der Meinung, dass es „in der Provinz“ erheblich preiswerter sein müsste als im touristischen Vancouver. Doch das war, bei gleicher Qualität, eine falsche Annahme.

Auf dem Weg zum Hotel geht es zunächst nochmals hinauf auf den Tower um auf das nächtliche Vancouver zu schauen, dann zum Robson Square, wo sich die Kuppel des einstigen Gerichtsgebäudes (heute eine Kunstgalerie) erhebt und vorbei am alten Hotel Vancouver mit seinem unverkennbaren grünen Kupferdach. An der Waterfront, wo der alte Kohlehafen komplett umgebaut wird, sind Bagger und Baumaschinen auch zu dieser späten Stunde noch aktiv, während etwas weiter die supermodernen Bauten schon Realität geworden sind, deren Preise für die Eigentumswohnungen den Stockwerken in der Höhe nichts nachstehen.

Vancouver hält auch am nächsten Tag für uns noch einiges bereit, aber alles lässt sich nicht mehr abmarschieren. Ein Blick in den Elizabeth Park, das Marine Museum und ein Bummel durch das östlichen Ende von Downtown, das die Einheimischen „Yaletown“ nennen: Mit Glas- und Betontürmen entlang der Uferpromenade, des Yachthafens und des futuristischen Pacific Places; mit Galerien, Boutiquen, Clubs und Restaurants die einen Abschnitt prägen, den die City Hall eigentlich zu Vancouver-Süd stempelt. Die alten Backsteinhallen wurden einer Renaissance unterzogen und zu eleganten Geschäftsfronten, Künstler- und Filmstudios umfunktioniert. Das Gelände dieses 83 Hektar großen Stadtteils hatte vor Jahren der Hongkong-Milliardär Lika-Shing erworben, entwickelte und passte es der „Perle am Pacific“ an. Diese Bebauung, so ist zu lesen, „folgte der größten Generalstabsplanung für eine Downtown-Community in Nordamerika“. Dabei verschwand das stillgelegte Eisenbahn- und Industriegebiet ebenso, wie sich der False Creek veränderte. Sein „Dom“, ein Pavillon bei der Weltausstellung, beherbergt inzwischen unter der silbernen Kugel die „Science World”, und dort, wo die Davie Street auf den False Creek trifft, sind auch die gigantischen Lastkräne verschwunden, die die schwere Maschinerie für die Holzcamps im Norden zu verladen hatten.

In dieser Stadt könnte man schon noch ein paar Tage verweilen, doch unsere Reise geht morgen weiter und das Shanghai Chinese Bistro in der Alberni Street, wo der Koch die handgemachten Nudelstränge persönlich durch die Luft wirbelt, und aus seiner Kunst eine regelrechte Show macht, ist unsere letzte Einkehr.


Vancouver, die Schöne am Pazifik.


Der Inner Harbour Victoria mit seinem prominenten Hotel

100.000 km zwischen Anchorage, Neufundland, dem Pazifik und New Mexico - Teil 1

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