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DIE GOLDENE MÜNZE

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Auszüge aus den Vernehmungsprotokollen der Polizei

Protokoll vom 28. Dezember

Man wirft mir vor, ein zweifacher Mörder zu sein. Aber ich bin unschuldig. Mit dieser Sache habe ich nichts zu tun.

Heiligabend befand ich mich zu Fuß auf dem Heimweg in den Straßen Pyrmonts. Für eine Uhr, die ich Marie gerne geschenkt hätte, fehlte mir das Geld. Mit leeren Händen wollte ich nicht nach Hause zurückkehren. Ich wusste mir keinen Rat - - - bis ich plötzlich in einem hell beleuchteten Schaufenster, zwischen tickenden Uhren und erlesenem Schmuck, das Schild

Ankauf von Münzen

entdeckte, und ich erinnerte mich daran, dass in meiner Manteltasche noch die winzige Münze steckte, die ich einige Tage zuvor auf dem Gehweg in der Geschäftsstraße gefunden und seither stillschweigend als mein Eigentum betrachtet hatte.

Die Münze war ein goldenes Zehnmarkstück, leicht in der Hand, beinahe unscheinbar, doch die eingravierte Jahreszahl, 1870, ließ ein Gefühl der Hoffnung bei mir erwachen, und ich dachte immer wieder: Vielleicht ist sie noch was wert ...

Mit klopfendem Herzen, im vollen Bewusstsein der Erkenntnis, einen halben Fußbreit außerhalb der Legalität zu stehen, überschritt ich die Schwelle des Ladens. Ein weihnachtliches Glockenspiel über der gläsernen Tür erklang, und ein sehr seriöser älterer Herr begrüßte mich mit gewinnender Höflichkeit.

„Womit darf ich Ihnen dienen?“

Ich war noch etwas aufgeregt und beschloss, sogleich zum Kern der Sache vorzudringen, legte die Münze auf die Verkaufstheke und fragte eilig: „Wie viel?“

Der Juwelier - womöglich war es der Besitzer selber -, nahm das Zehnmarkstück zwischen Daumen und Zeigefinger, wog es, betrachtete es skeptisch mit einer Lupe, die er einer verborgenen Schublade entnahm, und erklärte wie beiläufig: „Wir Münzsammler kennen bei der Bewertung von Münzen grundsätzlich vier Unterscheidungen -“ Nicht ohne Wohlwollen blickte er mich über den Rand seiner runden Brille hinweg an. Er fuhr fort: „Nämlich erstens schön, zweitens sehr schön, drittens vorzüglich und viertens vortrefflich.“

„Und wie würden Sie diese Münze bewerten?“, fragte ich leise.

Er ließ sich Zeit mit seiner Antwort. „Nun“, meinte er desinteressiert, „ich würde sagen, diese Münze ist schön.“

„Warum nur schön?“, wollte ich wissen.

Er zeigte auf die rechte Schwinge des Adlers auf der Vorderseite und hielt die Lupe darüber. „Sehen Sie diesen winzigen Kratzer oberhalb der Schwinge?“

Ich sah nichts. „Ja“, sagte ich unsicher und hoffte inständig, das letzte Wort sei noch nicht gesprochen. Ich dachte auch an Marie und die Uhr und an das Geld, das mir noch fehlte ... Jeder Preis, den er mir zahlen würde, sollte mir recht sein.

Er sagte: „Dieser Mangel, wenngleich er optisch eigentlich fast unerheblich ist, verringert den Wert des Objektes um mindestens einhundertzwanzig Euro.“

Die Art und Weise, in der er es sagte, klang einleuchtend und durchaus vernünftig. Ich nickte.

„Den Wert - den jetzigen Wert der Münze würde ich auf etwa dreihundert Euro schätzen -“

„Dreihundert?“ Ich war beeindruckt.

„Wenn Sie einverstanden sind, werde ich Ihnen für das seltene Stück dreißig Euro zahlen“, sagte er. „Sie müssen zugeben, dass das ein mehr als großzügiger Lohn ist.“

„Lohn?“

Finderlohn“, sagte er milde lächelnd.


Protokoll vom 10. Januar



Man wirft mir vor, ein dreifacher Mörder zu sein. Keine Einwände. Aber ich bin kein Monster, wie die Presse mich vorverurteilend tituliert, wenn sie geifernd über den Würger von Pyrmont berichtet. Bald schon muss ich mich vor Gericht verantworten. Der Staatsanwalt wird mir Hitzköpfigkeit und fehlende Selbstkontrolle anlasten. Aber ich bin, wie mein Verteidiger mir bestätigt, im Grunde unschuldig. Das kann ich schlüssig beweisen. Ich - ich werde vom Pech verfolgt. Unentwegt gerate ich in Lebenssituationen, in denen widrige Umstände und die Verkettung von Zufällen mein Handeln negativ beeinflussen, wodurch ich ins Straucheln gerate. Tatsache. Darf ich von meinen Richtern, die über mich urteilen sollen, Verständnis erwarten? Ich hoffe es.

Ich will nun ehrlich erklären, wie ich in die missliche Lage geriet, in der ich stecke. Möge jeder Leser dieser Zeilen sich ein gerechtes Urteil über mich bilden.

Heiligabend befand ich mich zu Fuß auf dem Heimweg und machte mir heftige Vorwürfe, weil ich das Weihnachtsfest mit meiner Frau nun vor dem Hintergrund unserer finanziellen Misere feiern müsste. Es war ein Fehler gewesen, im Pyrmonter Spielcasino unser gesamtes Vermögen in gewinnträchtiger Absicht einzusetzen. Alles, alles, was wir besessen hatten, war verloren. Ich hasste das Roulettespiel. Ich hasste die Farbe Rot. Ich hasste mich selbst. Ich hasste diese verfluchte Welt, die mich arglistig um unseren Besitz gebracht hatte.

Hätte ich nur auf meine Frau gehört, ging es mir durch den Kopf, während die ersten Schneeflocken vom Himmel schwebten. Hätte! Hätte! Hätte! - Hinterher ist man immer klüger als zuvor. Gut, ich hatte einen schweren Fehler begangen, als ich mich auf das teuflische Spiel einließ. Aber es war im Grunde nicht meine Schuld gewesen. Schuld waren andere Leute, gerissene Spitzbuben, die mich heimtückisch in diesen Sumpf gelockt hatten. Daran bestand für mich kein Zweifel. Meine Geduld mit den Speichelleckern, die sich durch mein Unglück bereicherten, war am Ende.

Mürrisch, reizbar, mit beiden Händen in den Manteltaschen, schlich ich durch das abendliche Pyrmont und suchte verzweifelt nach einer Möglichkeit, den Lauf der Dinge zu verändern.

Nicht einmal für eine Uhr, die Marie sich zu Weihnachten sehnlichst wünschte, besaß ich noch Geld. Wie würde sie über mich denken, wenn ich mit leeren Händen heimkehrte? Ich verdrängte den Gedanken.

Ich zitterte vor Kälte. Ich wusste mir keinen Rat, bis ich plötzlich in der sternengeschmückten Einkaufsstraße das hell beleuchtete Schaufenster eines Juwelierladens entdeckte. Zwischen tickenden Uhren und erlesenem Schmuck stand ein weißes Schild mit der Aufschrift

Ankauf von Münzen.

Inmitten der Menschenmenge, die mich umgab, erinnerte ich mich augenblicklich: In meiner rechten Manteltasche steckte noch die winzige Münze, die ich einige Tage zuvor auf dem Gehweg in der Geschäftsstraße gefunden und seither stillschweigend als mein Eigentum betrachtet hatte.

Die Münze war ein goldenes Zehnmarkstück, leicht in der Hand, beinahe unscheinbar, doch die eingravierte Jahreszahl, 1870, ließ ein Gefühl der Hoffnung bei mir erwachen, und ich dachte immer wieder: Vielleicht ist sie noch was wert ...

Mit klopfendem Herzen, im vollen Bewusstsein der Erkenntnis, einen halben Fußbreit außerhalb der Legalität zu stehen, überschritt ich die Schwelle des Ladens. Ein weihnachtliches Glockenspiel über der gläsernen Tür erklang. Aus alter Gewohnheit bog ich - zu meiner eigenen Sicherheit - die Überwachungskamera in die Richtung der eichengetäfelten Decke. Ich war allein in dem Verkaufsraum. Nach einer kleinen Weile wurde der Vorhang eines Nebenzimmers beiseite geschoben und es erschien ein sehr seriöser älterer Herr, der mich mit gewinnender Höflichkeit begrüßte.

„Womit darf ich Ihnen dienen?“

Ich war noch etwas aufgeregt und beschloss, sogleich zum Kern der Sache vorzudringen, legte die Münze auf die Verkaufstheke und fragte eilig: „Wie viel?“

Der Juwelier - womöglich war es der Besitzer selber - nahm das Zehnmarkstück zwischen Daumen und Zeigefinger, wog es, betrachtete es skeptisch mit einer Lupe, die er einer verborgenen Schublade entnahm, und erklärte wie beiläufig: „Wir Münzsammler kennen bei der Bewertung von Münzen grundsätzlich vier Unterscheidungen -“ Nicht ohne Wohlwollen blickte er mich über den Rand seiner runden Brille hinweg an. Er fuhr fort: „Nämlich erstens schön, zweitens sehr schön, drittens vorzüglich und viertens vortrefflich.“

„Und wie würden Sie diese Münze bewerten?“, fragte ich bescheiden, wobei mir seine rote Fliege auffiel.

Er ließ sich Zeit mit seiner Antwort. „Nun“, meinte er desinteressiert, „ich würde sagen, diese Münze ist schön.“

„Warum nur schön?“, wollte ich wissen und spürte, wie mein Blutdruck sich erhöhte.

Er zeigte auf die rechte Schwinge des Adlers auf der Vorderseite und hielt die Lupe darüber. „Sehen Sie diesen winzigen Kratzer oberhalb der Schwinge?“

Ich sah nichts. „Ja“, sagte ich unsicher und hoffte inständig, das letzte Wort sei noch nicht gesprochen. Ich dachte auch an Marie und die Uhr, für die mir das Geld noch fehlte ... Jeder Preis, den er mir zahlen würde, sollte mir recht sein.

Er sagte: „Dieser Mangel, wenngleich er optisch eigentlich fast unerheblich ist, verringert den Wert des Objektes um mindestens einhundertzwanzig Euro.“

Die Art und Weise, in der er es sagte, klang einleuchtend und durchaus vernünftig. Ich nickte nur und dachte zähneknirschend: Schönschwätzergesülze.

„Den Wert - den jetzigen Wert der Münze würde ich auf etwa dreihundert Euro schätzen -“

„Dreihundert?“ Meine Augenbrauen hoben sich erwartungsvoll.

„Wenn - wenn Sie einverstanden sind, werde ich Ihnen für das seltene Stück dreißig Euro zahlen“, sagte er. „Sie müssen zugeben, dass das ein mehr als großzügiger Lohn ist.“

Wollte er mich für dumm verkaufen? „Lohn?“

Finderlohn“, sagte er milde lächelnd.

Diese höchst unpassende, ja sogar hämische Bemerkung ließ alle meine körperlichen, geistigen, emotionalen, sittlichen, kulturellen und humorgestählten Geduldsfäden gleichzeitig reißen. Ich war wie von Sinnen. Völlig unreflektiert und wild aufbrausend stürzte ich mich auf den verdutzten Mann und - und - und - ja, zum Teufel, ich erdrosselte ihn. Ich konnte es nicht verhindern. Es war nicht meine Schuld. Er hatte mich mit seinem altklugen Überlegenheitslächeln zu dieser Tat getrieben. Er trug die alleinige Verantwortung. Das hatte er nun davon!

Was als nächstes passierte?

Nun, ich öffnete die Ladenkasse und nahm mir aus den Geldfächern das heraus, was mir rechtlich zustand: Dreihundert Euro. Nicht mehr. Nicht weniger.

Gut, es kann sein, dass ich mich in der Aufregung ein wenig verzählte, da ich die Scheine in die Taschen meiner Hose und meines Mantels stopfte, während der Juwelier aufrecht, mit uneinsichtigem Verliererblick, an seinem Verkaufstisch lehnte. Seine besitzergreifenden Hände klammerten sich starr an den Rand der Glasplatte, unter der Uhren, Ringe und Ketten im Licht funkelten. Jeder, der einmal in eine ähnliche Situation geraten ist, kann bestätigen, wie leicht sich ein Zählirrtum einschleichen kann. Wer aber anderer Ansicht ist, sollte besser schweigen, denn im Zweifel wird immer noch zugunsten des Angeklagten entschieden. Das ist sogar gesetzlich verbrieft. Mehr sage ich dazu nicht.

Unterwegs in den Straßen Pyrmonts, unter all den Leuten, die ihre Weihnachtspakete nach Hause trugen, überlegte ich fieberhaft, ob es nicht besser gewesen wäre, die goldene Münze wieder an mich zu nehmen, denn meine Fingerabdrücke auf der Oberfläche könnten zu meiner Überführung beitragen. An das Gehäuse der Überwachungskamera dachte ich überhaupt nicht. Hätte ich doch nur die Münze in die Tasche gesteckt, ging es mir immer wieder durch den Sinn. Hätte! Hätte! Hätte! Hinterher ist man immer klüger als zuvor.

Ach, alles Klagen half nichts. Man würde mir früher oder später auf die Schliche kommen. Augenblicklich stand mein Entschluss fest: Ich wollte mich der Polizei stellen. Ein frühes Geständnis für eine Verzweifelungstat im Affekt, so überlegte ich, hat Aussicht auf Milde vor dem Gesetz.

Wenig später stapfte ich die Stufen zum Pyrmonter Polizeistation hinauf, öffnete die Eingangstür und begab mich an den Schreibtisch des diensthabenden Beamten in Uniform.

„Sie wünschen?“

„Ich möchte ein Geständnis ablegen“, brachte ich widerstrebend reumütig hervor. Kein Mensch auf der weiten Welt gibt gerne einen Fehler zu. Ich auch nicht.

Gleichgültig gähnend, mit einem Blick auf die Wanduhr, fragte der Beamte: „Haben Sie Ihren Ausweis dabei?“

Ich griff in die Innentasche meines Mantels und fand zu meiner Überraschung die goldene Münze aus dem Jahre 1870. Also hatte ich sie doch wieder eingesteckt. Ich begriff sofort: Es gab noch Hoffnung auf Straffreiheit für mich. Diesmal war das Glück gnädig mit mir.

„Meinen Ausweis habe ich leider nicht dabei“, log ich spontan und zuckte entschuldigend die Achseln.

„Macht nix“, meinte der Beamte, legte seinen roten Kugelschreiber in eine Plastikschale und knipste das Lampenlicht auf seinem Schreibtisch aus. „Kommen sie am besten nach Weihnachten vorbei, um Ihre Aussage zu machen.“

Wollte er mich hinters Licht führen? Verblüfft über diese Worte, hätte ich mich beinahe verraten. „Ja, aber, äh … es ist sehr wichtig, was ich zu sagen habe“, stammelte ich.

„Um was auch immer es sich handeln mag“, belehrte mich der Beamte kühl, „es gibt Wichtigeres.“

Fast hätte ich ihm widersprochen. „Ich … äh … der … der … die ...“

„Sehen Sie die Uhr an der Wand?“, unterbrach er mich.

Ich nickte mit halboffenem Mund.

„Der kleine Zeiger steht auf der 5. Der große Zeiger weist auf die 12. Wissen Sie, was das bedeutet?“

„Nein“, gab ich zu.

„Feierabend“, brachte er den Sachverhalt auf den Punkt.

Ich wünschte ihm frohe Weihnachten und verließ erleichtert die Polizeistation, um nach Hause zu eilen.

Für Marie besaß ich eine silberne Armbanduhr aus dem Juweliergeschäft. Ich weiß bis heute nicht, wie die Uhr mitsamt Etui in meine Tasche gelangte. Auch eine Herrenuhr im gleichen Design befand sich rätselhafterweise in meinem Besitz. Partnerlook, dachte ich verwundert.

Während des aufkommenden Schneetreibens sagte ich mir: Ich war bei der Polizei, um mich zu stellen. Dass der pünktliche Beginn des Feierabends für den Beamten wichtiger ist, als mein Geständnis, ist nicht meine Schuld. Dafür trägt er die Verantwortung. - Für mich stand fest: Ein zweites Mal wollte ich mich nicht stellen. Sollten die verbeamteten Schlafmützen ihren Weihnachtsmord doch ohne meine Hilfe aufklären!

Daheim erwartete mich ein schlimmes Frustrationserlebnis. Zum Abendessen hatte meine Frau keinen Gänsebraten vorbereitet. Damit hatte ich nicht gerechnet. Ich schluckte meinen Verdruss herunter, als sie mir anvertraute, ab sofort sei sie Vegetarierin.

Wollte sie mich provozieren?

Das gemeinsame Essen verlief in einer bedrohlichen Stimmung. Ich merkte, wie ich allmählich die Kontrolle verlor, als ich das fade Tofugericht auf der Zunge spürte.

„Schmeckt es dir nicht?“, erkundigte Marie sich bei mir.

Ich erinnerte mich an den Juwelier und antwortete düster: „Wir nichtvegetarischen Feinschmecker kennen bei der Bewertung des Weihnachtsessens grundsätzlich vier Unterscheidungen.“ Interessiert blickte sie von ihrem dampfenden Teller auf. Ich fuhr fort: „Nämlich erstens schön, zweitens sehr schön, drittens vorzüglich und viertens vortrefflich.“

Mit einem hintersinnigen Kursivlächeln und in einem souveränen Tonfall, als sei ich ein unvernünftiges Kind, fragte sie mich: „Und wie würdest du dieses Mahl bewerten?"

„Nun“, antwortete ich eisig, „ich würde sagen, dieses Mahl ist schön.“

Nach einer Weile wollte sie patzig wissen: „Warum nur schön?“

„Weil die Würze fehlt“, brauste ich auf und fuhr ein wenig gemäßigter fort: „Dieser entscheidende Mangel, dem du gewiss wenig Bedeutung beimisst, rechtfertigt mein vernichtendes Urteil.“

Das saß! Sie sagte keinen Ton mehr und senkte beleidigt die Augen.

Unter dem Tannenbaum, im Glanz der Lichter, übergab ich wenig später Marie das Geschenk. Als sie das schmale Etui mit der silbernen Uhr öffnete, liefen Tränen über ihre Wangen auf den roten Wollpullover. War sie gerührt? Nein. Sie zeigte sich enttäuscht. Schluchzend verriet sie mit, sie habe sich nichts sehnlicher gewünscht als eine goldene Uhr. Nun müsse sie sich mit einer gewöhnlichen silbernen Uhr begnügen. Abermals erlebte ich einen völligen Zusammenbruch. Ich stürzte mich auf sie und - und - und - ja, zum Henker, ich erdrosselte sie … Da hast du deine goldene Uhr, du - du - du Goldmarie, murmelte ich.

So musste es enden. Es war ihre eigene Schuld. So weit hatte das Luder mich getrieben.

Was nun? Ich beschloss, auch den unfähigen Beamten zu erdrosseln, denn ihn traf gewiss eine Mitschuld: Hätte er mich ordnungsgemäß verhaftet, wie es sich gehörte, wäre es nie zu einer weiteren Verzweifelungstat gekommen.

Drei Tage später erwürgte ich tatsächlich, wenn auch nicht im Sinne eines klassischen Affektes, den Beamten in Ausübung seines Dienstes. Leider erwischte ich den falschen Mann. In ihrer Uniform sahen die Polizisten auf der Station alle gleich aus. Es war nicht meine Schuld, als es zu einer Verwechselung kam. Jeder Leser, der schon einmal in eine ähnliche Situation gekommen ist, wird bestätigen können, wie leicht sich in einem Zustand höchster Aufregung ein Missverständnis einschleichen kann. Später bereute ich mein unreflektiertes Handeln. Ich hätte den Beamten nicht töten dürfen, sagte ich mir schuldbewusst. Hätte! Hätte! Hätte. Ja, hinterher ist man immer klüger als zuvor.

Schon jetzt steht für mich fest: Noch einmal werde ich die Selbstkontrolle nicht verlieren. Mein Verteidiger und der zuständige Psychologe rechnen mit richterlicher Milde für mich, denn sie vertreten die Meinung, ich sei ein affektlabiler Mensch mit genetisch bedingtem Dauerstresssyndrom, für das man mich nicht verantwortlich machen könne. Dieser Ansicht schließe ich mich gerne an.

Aufgrund der hier geschilderten Verkettung von Zufällen in Verbindung mit widrigen Umständen, in die ich kürzlich geriet, hoffe ich nun auf ein gerechtes Urteil. Vielleicht werde ich bald wieder auf freiem Fuß sein, vertraute mir mein Verteidiger augenzwinkernd an. Nicht nur im Hinblick auf den Ernst meiner Lage, auch aus tiefster Überzeugung möchte ich bereits jetzt versprechen: Ich werde mich bessern. Ehrlich.


Protokoll vom 13. Januar


Ich verlange einen neuen Anwalt. Dass mein erster Pflichtverteidiger jetzt tot ist, hat er sich selbst zuzuschreiben. Er brachte mich mit seinen Schönschwätzerargumenten dazu, ein höchst fragwürdiges Geständnis abzulegen, welches ich hiermit in aller Form widerrufe.

Aber jetzt sitze ich in der Tinte. Ich habe das Recht auf einen neuen Anwalt. Ich habe auch das Recht, jederzeit meinen Psychologen um Beistand zu bitten. Ich will sofort meinen Psychologen sprechen, sonst werde ich jede weitere Aussage zur endgültigen Klärung dieses Falles verweigern. Ich kenne meine Rechte ...

DIE ERMORDUNG MEINER FRAU

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