Читать книгу Wo sind eigentlich die Hinterzimmer in Brüssel? - Eric Bonse - Страница 3
Was hat das Europaparlament eigentlich für mich getan?
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Jetzt werden sie wieder aus der Klamottenkiste geholt, die Klischees vom Europaparlament. Wanderzirkus, Quasselbude, Lobbyistenclub: Drei Wochen vor der Europawahl feiern die alten Vorurteile fröhlich Urständ. Selbst dem „Spiegel“ fällt nichts Besseres ein.
Diesmal kommt noch das fatale Urteil des Bundesverfassungsgerichts hinzu, das die Straßburger Kammer zu einem Parlament zweiter Klasse abgestempelt hat. Das EP sei nicht so wichtig, deshalb brauche man auch keine Drei-Prozent-Hürde, urteilten die Roten Roben im Februar.
All das motiviert nicht gerade, am 25. Mai seine Stimme abzugeben. Was haben die Europaabgeordneten überhaupt für mich getan, werden viele fragen. Klar, für Daimler und BMW haben sie - auf Druck aus Berlin - die CO2-Grenzwerte nach oben korrigiert. Das ging durch alle Medien.
Auch der Streit über die teure Pendelei zwischen Brüssel und Straßburg ist immer wieder ein Thema, genau wie die Macht der Lobbyisten. Mehr als 15.000 Interessenvertreter sorgen dafür, dass die EU wirtschaftsnah bleibt - derzeit sind sie vor allem beim Freihandelsabkommen TTIP aktiv.
Was das Parlament für seine Bürger tut, bleibt dagegen meist auf der Strecke. Wer nicht auf Tuchfühlung mit seinem Europaabgeordneten geht - und wer tut das schon? - wird kaum etwas von den Erfolgen hören. Denn die heftet sich sofort die Bundesregierung an ihre Brust. Dass auch viel Gutes aus Straßburg kommt, geht meist unter.
Dabei kann sich die Bilanz der siebten Legislaturperiode durchaus sehen lassen. Die 766 Abgeordneten (darunter 99 Deutsche) konnten zwar nicht die Finanz- und Eurokrise verhindern; bei den meisten umstrittenen Maßnahmen der Euroretter blieben sie sogar völlig außen vor. Kanzlerin Angela Merkel und die übrigen Euroretter wollten es so.
Doch in vielen anderen wichtigen Fragen haben die MEPs erfolgreich Politik zugunsten der Bürger gemacht. Selbst in Großbritannien, das der EU nicht gerade wohlgesonnen ist, räumt man dies mittlerweile öffentlich ein. In einer Erfolgsbilanz lobt die BBC unter anderem die Anti-Tabak-Gesetze und die Abschaffung der Roaming-Gebühren.
Auch die Regulierung des Finanzmarkts lobt die BBC - ausgerechnet. Schließlich hatte die britische Regierung immer wieder versucht, schärfere Regeln für Hedge Fonds oder für Banker-Boni zu torpedieren. Viele EU-Gesetze wurden auf Druck der City of London aufgeweicht. Doch die EU-Abgeordneten lassen sich davon nicht entmutigen.
Für den erfolgreichen Kampf gegen die „Monster“ an den Märkten stehen vor allem drei deutsche Parlamentarier: Udo Bullmann (SPD), Sven Giegold (Grüne) und Jürgen Klute (Linke). Der frühere Attac-Aktivist Giegold räumt aber auch eine Niederlage ein: Die geplante neue Finanztransaktionssteuer sei gar keine. London und Paris hätten die erhoffte „Tobin Tax“ verhindert; auch Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) betreibe „Etikettenschwindel“.
Es gibt aber auch Themen, bei denen das Parlament parteiübergreifend Erfolge feiern darf. So heften sich sowohl die Linke als auch die CSU den erfolgreichen Kampf gegen die Privatisierung des Wassers auf ihre Fahnen. Dieser Kampf wurde zwar zunächst außerparlamentarisch geführt - von der Bürgerinitiative „Right2Water“. Doch vor allem deutsche Abgeordnete griffen das Thema auf und setzten die EU-Kommission unter Druck - mit Erfolg.
Ein weiteres Beispiel guter Parlamentsarbeit ist die so genannte Jugendgarantie. Schon 2010 verabschiedeten die Abgeordneten auf Drängen der Grünen einen Bericht, der Initiativen gegen die Jugendarbeitslosigkeit forderte. Brüssel und Berlin stellten sich taub. Das änderte sich erst, als in Paris eine Linksregierung an die Macht kam und die Sozialdemokraten Druck machten. Ende 2012 legte EU-Sozialkommissar Laszlo Andor schließlich einen Vorschlag vor. Plötzlich war auch Merkel dafür - schließlich stand die Bundestagswahl ins Haus.
Allerdings gaben die EU-Chefs nur bescheidene 6 Mrd. Euro für den Kampf gegen die Jugendarbeitslosigkeit frei. Außerdem lässt die Umsetzung auf sich warten; die „Lost Generation“ im Süden Europas könnte sich daher von der EU abwenden. Das neu gewählte Parlament muss Druck machen, um Merkel & Co. an ihre Versprechen zu erinnern. Ein guter Grund, wählen zu gehen!
Gefordert bleibt das Europaparlament auch in anderen Fragen, die es auf die Tagesordnung gesetzt hat. So haben die Abgeordneten den Machtmissbrauch des ungarischen Regierungschefs Viktor Urban angeprangert - gegen hinhaltenden Widerstand von CDU/CSU, die ihn wegen seiner „christlichen Werte“ lobten. Doch Orban wurde wiedergewählt; die Abgeordneten müssen wachsam bleiben.
Ein anderes wichtiges Thema ist und bleibt die Eurokrise. Die EU-Abgeordneten fordern die Abschaffung der umstrittenen Troika der Geberländer und eine andere, sozialere Anti-Krisenpolitik. Doch ausgerechnet Schäuble lehnt beides ab. Auch der Bundestag hält unbeirrt an der Troika fest. Hier zeichnet sich also ein Kampf zwischen zwei Parlamenten ab. Die Straßburger „Quasselbude“ fordert Berlin heraus, wer hätte das gedacht?