Читать книгу DAS SCHLOSS DES VAMPIRS - Eric Borna - Страница 7

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Teil 1 – Eine Reise nach Südafrika

Der junge Fuchs schlief gerne bei offenem Fenster. Plötzlich klatschte ihm etwas Kaltes auf die Brust und es war, als ob ihn der Tod persönlich berührt hätte. Mit einem Schrei fuhr Tim auf und saß kerzengrade im Bett. Alle Haare, und er hatte viele da-von, standen ihm steil zu Berge. Außerdem klopfte sein Herz ganz wild in der Brust. Er sah gerade noch, wie etwas in der Art einer großen Fledermaus geräuschlos aus dem Fenster schwebte. Dann schaute er, was ihm dieser seltsame nächtliche Gast wohl gebracht hatte.

Im Bett lag ein Brief, verunziert mit einem großen, schauerli-chen Blutklecks auf der Vorderseite. Es war ein wirklich gruseli-ger Anblick. „Den hätte die Post bestimmt nicht transportiert“, dachte der Fuchs. Er fasste sich und überlegte, was nun zu tun sei. Den Brief vielleicht sofort zur Polizei bringen?

Natürlich: Zunächst musste er ja diesen Brief erst mal öffnen und lesen!

Tim schnappte sich das klebrige Ding und riss es mit zittern-den Händen auf. Gut, dass er schon längst lesen konnte und in der Schule nicht nur geschlafen hatte.

Was musste er aus dem Brief erfahren, der mit Graf Dracula un-terzeichnet war: Wie um ihn zu verhöhnen, teilte ihm dieser weltbekannte und gefürchtete üble Vampir mit, dass er die arme Lilly gefangen hätte. Lilly ist die Zwillingsschwester von Fritz, dem Dachs, Tims allerbestem Freund. Auch Fritz selbst, der mit seiner Schwester auf Reisen war und versucht hatte, sie zu be-freien, befände sich in der Gewalt des Vampirs. Am Untoten-Sonntag, dem höchsten Feiertag der Vampire, würde sich der Graf der Finsternis dann bei Kerzenschein hinsetzen und den beiden gemütlich das Blut aussaugen. Bis dahin wollte das alte Scheusal gerne noch warten, denn Vorfreude wäre ja bekann-termaßen die schönste Freude.

Dem Füchslein wurde übel – so konnte das Ganze keinesfalls laufen! Seinen allerbesten Freunden Blut aussaugen, wo gibt es denn sowas. Heute war Montag, am übernächsten Sonntag also wollte der alte Unhold zubeißen! Man musste sich somit sehr beeilen. Nicht mal ganze zwei Wochen blieben dem Fuchs, um seine Freunde zu retten. Er schaute noch mal auf den Brief, wo denn ein solcher Vampir eigentlich wohnt. Aber leider stand weder auf dem Umschlag noch auf dem Brief der Wohnort des Absenders. Da war gar nichts. Nur der Blutfleck leuchtete ge-fährlich rot.

„Dann muss es eben anders gehen“, dachte sich Tim. „Mal überlegen …, vielleicht hilft ja das Internet weiter.

Aha, da steht es ja schon, das alte Ungeheuer wohnt in Trans…irgendetwas, in den Karpaten-Bergen in seinem ver-steckten Schloss.“ Außerdem erfuhr unser Rotpelz im Internet – man muss schließlich mit der Zeit gehen, natürlich besaß er ei-nen kleinen Computer, ein hübsches iPad – allerlei Nützliches für die Vampir-Jagd: Vampire sind lichtempfindlich, im Tages-licht verbrennen sie, deshalb liegen sie tagsüber in einem Sarg in der Gruft ihres Schlosses; sie haben kein Spiegelbild; auch mö-gen sie garantiert keinen Knoblauch und vor allem keine spitzen Holzpflöcke. Silber ist auch nicht ihr liebstes Edelmetall, denn daraus gegossene Pistolenkugeln oder Armbrustpfeile, abgefeu-ert ins Herz des Vampirs, beenden sein untotes Dasein.

Wie sollte Tim nun aber in dieses Trans-Dings-Land kommen, von dem im Internet die Rede war??? Davon hatte er noch kein Sterbenswörtchen gehört. Sicher war es auch irre weit von sei-nem Zuhause in Deutschland entfernt. Dabei seufzte er, wenn er an die vor ihm liegenden Schwierigkeiten dachte.

„Gut, dass es neuerdings in unserem Städtchen sogar ein Rei-sebüro gibt!“, überlegte er sich.

So schnell ihn seine flinken Füße trugen, rannte er dorthin.

Eine ältliche Giraffendame, Madame Brimborius, saß hinter ihrem Schreibtisch, las Akten und trällerte dabei fröhlich ein Liedchen vor sich hin.

„Frau Brimborius, Frau Brimborius“, schnaufte Tim noch ganz außer Atem, „ich muss sofort und unbedingt nach Trans…, Trans…, Trans…“ Wie hieß das doch gleich? Den Zweck seiner Reise konnte der junge Fuchs hier natürlich nicht sagen. Und zur Polizei konnte er gewiss auch nicht gehen. Man würde vielleicht lachen und sagen: „Ab nach Hause zur Mama, Kleiner, es gibt keine Vampire.“

Frau Brimborius sah im Computer des Reisebüros nach: „Trans…, Trans… Du meinst sicherlich Transvaal, so hieß es jedenfalls früher. Das ist ein Gebiet im Land Südafrika, ganz weit unten im Süden des afrikanischen Kontinentes. Es ist ca. 9000 Kilometer Luftlinie von unserer schönen Heimat entfernt. Der größte Teil von Transvaal ist eben, aber es gibt dort auch Berge. Drachenberge, wie bei uns, und wohl auch einige alte Burgen.

Füchslein, was willst du eigentlich dort“, fragte die Reisebü-ro-Dame plötzlich und blickte ihren kleinen Kunden streng über den schmalen Rand ihrer runden Brille an. „Wissen deine Eltern eigentlich Bescheid, was du hier so treibst?“

„Berge und alte Burgen! Transvaal, natürlich!“ Tim glaubte, sich genau zu erinnern, was er über den Wohnort des Vampirs im Internet gelesen hatte. Das musste es sein! Unser Fuchs schwindelte nicht gern, gar nicht gern. Aber das hier war schließlich eine Notsituation!

Treuherzig guckte er die ältliche Giraffendame ganz lieb an und log, dass sich die Balken bogen: „Wissen Sie, meine Uroma wohnt dort in der Hauptstadt Pretoria. Oma Sieglinde ist schon etwas krank und möchte uns unbedingt schnellstmöglich sehen. Leider, leider ist meine Mama ebenfalls krank. Sie hat schlim-men Schnupfen und hustet viel. Papa muss sich natürlich um sie kümmern und kann auch nicht weg. So haben die beiden mich gebeten, hinzufahren.“

„Hm“, machte Frau Brimborius, die sehr gutgläubig war.

„Da hast du großes Glück, noch heute Nachmittag, 16 Uhr, hebt von unserem neuerbauten Flugplatz das Linienflugzeug nach Pretoria ab. Wenn du dich beeilst, schaffst du es noch in diesen Flieger. Aber“, sagte sie weiter, „hast du überhaupt Geld für ein Ticket?“

Nun war der Fuchs doch heilfroh, dass er mit seinem alten Opa reichlich Matheübungen und anderen Schulkram gemacht hatte. Zwei Euro erhielt er vom ihm, wenn eine Aufgabe beson-ders gut erledigt war. Eigentlich brauchte Tim normalerweise gar kein Geld. Aber um dem Alten eine Freude zu machen, sammelte er die Geldstücke in einem Beutelchen. Glücklicher-weise hatte er dieses – es war mittlerweile schon recht prall ge-füllt – jetzt sogar dabei. Er gab den Geldsack Frau Brimborius.

Die zählte lange nach und meinte schließlich: „ Reicht, es sind sogar noch ein paar Euro Reisegeld für dich übrig! Wenn du willst, kann ich dir hier sogar schon das Flugticket ausdrucken, dann geht es nachher am Flugplatz umso schneller. Möchtest du am Fenster, am Gang oder auf einem Mittelplatz sitzen?“

Weil man da das Wolkenmeer so schön von oben sehen kann, war ein Fensterplatz im Flugzeug natürlich Ehrensache für einen Fuchs wie unseren. Stolz nahm Tim also sein Ticket in Empfang: Reihe 21, Platz A. Dann stopfte er den Flugschein zusammen mit dem restlichen Geld in seinen grüngelb karierten Rucksack.

„Vielen Dank, Frau Brimborius“, sagte unser Reisender, „Danke schön und Tschüss.“

Die Tür des Reisebüros klappte zu; weg war das Füchslein, denn es hatte es plötzlich sehr eilig. 16 Uhr war seine Abflugzeit nach Pretoria. „Hm, wie spät ist es jetzt eigentlich?“, überlegte Tim. Er schaute auf die kleine bunte Umhängeuhr, ein Geschenk von seinen Eltern zum elften Geburtstag, die um seinen nicht sehr sauberen Hals baumelte. Fast 13 Uhr, also nur noch etwa drei Stunden bis zum Start, und dabei musste im Flughafenge-bäude noch die ganze Check-in-Prozedur erledigt werden!

Tim sauste zur nahegelegenen Haltestelle der Regionalbahn. Er kramte zwei Euro aus seiner Geldbörse und löste am Auto-maten ein Ticket zum Flughafen. „Das mit dem Fahrschein und dem Automaten hat ja auf Anhieb prima geklappt! Besser als gedacht“, gratulierte sich der Fuchsjunge im Stillen.

Er schaute auf einen dicklichen Hammel mit gelber Jacke und schwarzer Hornbrille, der soeben die Haltestelle erreicht hatte und nun am Fahrscheinautomaten herumwurstelte. Die einge-worfenen Münzen fielen klimpernd immer wieder heraus. Ein Ticket dagegen wollte nicht erscheinen. Der Herr wurde immer wütender und schlug schließlich laut schimpfend gegen den widerspenstigen Blechkasten. Als das auch nicht half, vergaß der Hammel seine gute Erziehung vollends und verpasste dem Au-tomaten einen derben Tritt. „Rums“, tönte es an der Haltestelle; eine Fahrkarte kam allerdings immer noch nicht zum Vorschein.

Tim wollte helfen, aber da fuhr schon ratternd der Regional-zug zum Flughafen ein. Das Füchslein setzte sich in den dritten Wagen. Die Räder quietschten laut, die Bahn fuhr an, und Tim begann die Haltestationen zu zählen. An der fünften musste er raus, das hatte er sich noch schnell an der Haltestelle am Stre-ckenplan eingeprägt. Oder war „Flughafen“ doch erst der sechs-te Stopp? „Nein, nein“, dachte der Fuchs und war sich seiner Sache plötzlich wieder sehr sicher. „Fünfte Haltestelle ausstei-gen, so und nicht anders ist es richtig.“

An der fünften Station verließ Tim den Zug. Dabei musste er sich zwischen den Leuten im Gang hindurchzwängen und kam gerade noch, bevor sich die Bahn wieder in Bewegung setzte, zur Abteiltür heraus. Der Zug ruckelte davon und Tim wehte ein recht frischer Wind um die Nase. Er schaute sich um und sah erst einmal, äh: Nichts. Jedenfalls nichts von dem, was der Junge hier erwartet hatte. Verlassen stand er auf einem staubigen Bahnsteig. Außer ihm war weit und breit niemand und keine Spur vom Flughafen zu entdecken.

Oder doch?

Weit in der Ferne sah Tim flache Gebäude hinter einem lang-gestreckten Zaun. Dazu noch den Tower und, wenn er mit halb zugekniffenen Augen ganz genau hinsah, konnte er sogar – win-zig klein – Flugzeuge erkennen.

„Mist, also doch zu früh aus dem Zug ausgestiegen“, schimpfte unser Reisender. „Das nützt nun alles nichts“, dachte er, nahm die Beine in die Hand und flitzte, so schnell er konnte, querfeldein Richtung Flugplatz.

Zwanzig Minuten später stand Tim schnaufend wie eine alte Dampflokomotive vor dem Zaun, der das gesamte Flugplatzge-lände umgab. Wie nun weiter? Das war hier jetzt die große Fra-ge.

„Wenn es ganz dick kommt, ein Fuchs gräbt sich immer durch“, erinnerte sich Tim an einen oft gehörten Ausspruch sei-nes Papas.

Gedacht, getan! Der verhinderte Flugpassagier schmiss seinen Rucksack mit Schwung über den Zaun und fing an zu buddeln. Fuchs ist Fuchs! Die weiche Erde flog im hohen Bogen davon und bereits nach wenigen Minuten öffnete sich direkt hinter dem Zaun der Boden. Geschafft! Wie ein schmutziger roter Erd-geist tauchte Tim aus dem entstandenen Loch auf.

Plötzlich heulte eine Sirene los und eine Lautsprecherstimme ertönte: „Sie sind eine Gefahr für den Flugverkehr! Sofort stehen bleiben, Sie werden verhaftet!“

Dem Fuchskind rutschte sozusagen das Herz in die Hose. Es blieb stehen und sah sich um.

Polizisten, große Hunde in dunkelblauen Uniformen, kamen angelaufen und umringten Tim.

„Was soll denn das, willst du vielleicht von einem startenden oder landenden Flugzeug überfahren werden?“, wurde er streng gefragt.

„Ich, ich bibibibin doch bloß der Timi, Passagier des Fluges nach Südafrika und muss dringend zum Check-in.“ Mit zittern-den Händen reichte er den Polizisten seinen Flugschein.

„Na, das scheint ja zu stimmen“, sagte einer der Wachleute in schon freundlicherem Ton. „Und besonders gefährlich siehst du mit deinem Rucksack ja ehrlich gesagt auch nicht aus. Aber bitte merke dir ein für allemal: Im gesamten Flughafengelände dürfen die Passagiere nicht alleine herumlaufen, sonst kann ein Un-glück geschehen!“

Tim fuhr noch nachträglich der Schreck in die Glieder und er entschuldigte sich vielmals bei den Wachleuten.

„Und nun ab mit dir, sonst verpasst du wirklich noch deinen Flieger“, knurrte der Chef der Wachmannschaft zum Abschied den Jungfuchs an. Dann wurde Tim in einem offenen Gelände-wagen der Flughafenpolizei zur Abfertigungshalle gefahren.

Am Check-in-Schalter für den Flug 100 der bekannten Flug-gesellschaft „Fugena Airdraken“ nach Südafrika hatten sich schon viele Passagiere angestellt. Da war eine große Gruppe von Urlaubern, schwitzende Geschäftsleute in Anzügen und mit Schlips sowie eine beträchtliche Anzahl aller möglichen Reisen-den, die aus den unterschiedlichsten Gründen nach Südafrika wollten.

Tim, der gerade noch rechtzeitig angekommen war, mar-schierte seitlich an der gefährlich aussehenden bunten Passagier-Schlange vorbei Richtung Abfertigungsschalter.

„Hinten anstellen!“, blaffte ihn eine dickliche Nilpferddame an.

„Tschuldigung“, erwiderte der Fuchs und wackelte ganz ans Ende der übel langen Warteschlange zurück. Dort stellte er sei-nen Rucksack auf den Fußboden und schob ihn, wenn die Reihe vorrückte, einfach mit dem Fuß weiter.

„Willst du mit diesem Prachtstück die Fliesen wischen“, wurde er schon wieder angemeckert. „Häng‘ ihn dir um, wie sich das gehört, Kleiner“, rief jemand laut.

Den Rucksack, der mit jeder Minute schwerer wurde, auf dem Rücken, kam unser Füchslein schließlich vorn am Schalter an. Dort ging aber erstaunlicherweise alles ganz problemlos ab. Tim, der ja sein Flugticket schon hatte und auch keinen Koffer aufgeben musste, konnte gleich weiterlaufen. „Dein Rucksack ist Handgepäck, den kannst du mit in die Flugkabine nehmen. Geh bitte als Nächstes zur Sicherheits- und Passkontrolle“, unterwies ihn die nette Schalterdame.

Die Sicherheitskontrolle, die durchgeführt wird, damit nie-mand etwas Übles oder gar Waffen mit an Bord des Flugzeugs nimmt, verlief dagegen für Tim zunächst gar nicht gut. Wie alle anderen Fluggäste musste der Fuchs durch einen frei im Raum aufgestellten Holzrahmen gehen. Da er keine Metallgegenstände am Körper trug, „piepste“ es dabei nicht. Sein Rucksack wurde durch einen Apparat befördert, der mit Röntgenstrahlen den Inhalt der Handgepäckstücke sichtbar macht.

Der Polizist hinter dem Bildschirm des Gerätes bekam ganz große Augen, als er sah, was sich da alles in dem karierten Ruck-sack befand. Eine rote Warnlampe leuchtete auf und plötzlich heulte eine Sirene wie 1000 Teufel: A-l-a-r-m!

Tim guckte sich noch um, was wohl der Grund für diesen schrecklichen Alarm war, da war er schon wieder von Wachleu-ten umringt. Einer zog aus dem Rucksack eine kleine Armbrust, eigentlich mehr ein Spielzeug. Die hatte Tim bereits vor längerer Zeit von seinem älteren Neffen Fridolin gegen eine Handvoll seiner besten bunten Glasmurmeln eingetauscht. Es gab dafür zwar längst keine Pfeile mehr – man sagt Bolzen dazu –, aber unser Schlaufuchs hatte sie trotzdem mit eingepackt. Armbrust ist immer gut im Kampf gegen Vampire, fand er. Aber das konn-te er hier natürlich nicht erzählen!

„Ach, das ist doch nur ungefährlicher Spielkram. Die soll ich meiner Oma Sieglinde mitbringen. Die hat sie schon als Kind immer so gern zum Spielen gehabt, und jetzt hat Papa das Ding auf dem Dachboden endlich wiedergefunden“, schwindelte Tim notgedrungen.

„Das klingt etwas merkwürdig“, erwiderte der Chef der Wachleute. „Was riecht hier eigentlich so seltsam?“, fragte er als Nächstes und fasste wieder in den karierten Rucksack. Zum Vor-schein kam ein etwa 30 Zentimeter langer Knoblauchzopf, ge-flochten aus zwölf frischen Knoblauchknollen, und zwei etwas schwarz angelaufene silberne Esslöffel. „Das stinkt ja hier wie der Teufel“, rief der Uniformierte. Dann feixte er und bemerkte fröhlich: „Knoblauch, Silber, Armbrust – da werden sich die Vampire aber fürchten.“ Dabei wusste er natürlich nicht, wie recht er damit eigentlich hatte.

„Sag‘ mal ehrlich, Junge, was soll denn nun dieser Kram in deinem Gepäck?“, fragte der Wächter.

„Ach, den Knobi, den esse ich für mein Leben gerne. Der ist sehr gesund und für mich sozusagen der ideale Snack für un-terwegs. Und die ollen Löffel sind geborgt. Die soll ich meiner Uroma in Pretoria ebenfalls zurückbringen.“

Tim durfte schließlich alles wieder zurück in seinen Rucksack packen.

„Na dann guten Appetit und gute Reise!“, wünschte man ihm und schickte ihn weiter zu Gate 7. Dort könnte er dann, wenn der Aufruf erfolgte, in seinen Flieger einsteigen.

Tim wurde es mulmig zumute, denn schließlich war er noch nie in seinem Leben geflogen. Höchstens in seiner Kindergarten-zeit einmal, und zwar vom Klettergerüst herunter. Aber das zählte hier wohl nicht. Im Bauch unseres Reisenden grummelte es herum und ganz plötzlich musste er vor Angst mal ganz dringend aufs Klo. Gut, dass es hier auch eine Toilette gab. Tim sprintete hin. Wieder zurück in der Abflughalle, sah er auf seine Uhr. Sie zeigte zehn Minuten vor halb vier, also verblieben noch 40 Minuten bis zum Abflug. Aber wo war denn nun hier das verflixte Gate 7??? Der Fuchs sah sich um und entdeckte schließ-lich die verschiedenen Ausgänge zu den Flugzeugen, die Gates. Er las „Gate 4“, „Gate 5“ und erspähte schließlich weit hinten das Schild mit der Aufschrift „Gate 7“. Rasch lief Tim hin und setzte sich auf einen freien Sessel. Viele Plätze dort waren schon mit Fluggästen besetzt, die alle nach Südafrika wollten. Die meisten davon hatte unser Füchslein schon in der Warteschlange vor dem Check-in-Schalter gesehen. Natürlich durfte dabei auch die unfreundliche dicke Nilpferddame nicht fehlen.

Nun grummelte es zu allem Überfluss schon wieder im Fuchsbauch. Tim wollte gerade erneut aufs Klo rennen, da hörte er eine schrille Lautsprecher-Durchsage, dass nun das Boarding für Flug 100 „Fugena Airdraken“ nach Pretoria in Südafrika be-ginne. Der Fuchs beugte sich zu einem etwa gleichaltrigen Mäd-chen im Sessel neben ihm hinüber. „Was bedeutet denn das nun schon wieder?“, fragte er und vergaß für einen Moment seinen Grummelbauch.

„Die Passagiere können nun das Flugzeug betreten. Es wird in Kürze starten“, erwiderte das zierliche Gazellenkind im hüb-schen, rotgepunkteten Kleid.

Durch eine etwas wackelige, tunnelartige Fluggastbrücke er-reichten die Passagiere, einer nach dem anderen, das Flugzeug. Schon stand auch Tim direkt vor der weit offenen, dicken Ein-gangstür mit dem großen Handrad an der Innenseite. Eine nette Flugbegleiterin, eine Henne in schickem blauen Jackett und Rock, nahm den Fuchs in Empfang.

„Bitte deinen Flugschein, mein Lieber, reist du etwa alleine?“, fragte sie freundlich.

Tim kramte in seinem Rucksack, dem berühmten grüngelb karierten, und schließlich kam das nun schon etwas zerknitterte Ticket zum Vorschein.

„Ja, ganz alleine. Ich muss zu meiner Uroma nach Pretoria und werde auf dem Flughafen abgeholt“, schwindelte das listige Füchslein notgedrungen schon wieder und reichte der Stewar-dess seinen Flugschein.

Die Henne warf einen kurzen Blick darauf und sagte: „Reihe 21, Platz A, das ist ziemlich weit hinten. Gehe den Gang entlang und achte auf die Sitzreihen, sie sind beschriftet. Platz A ist am Fenster.“ Aber das wusste Tim ja bereits.

Er bedankte sich höflich und zwängte sich an Fluggästen vor-bei, die Sachen und Handgepäck in seitlich entlang des Ganges über den Sitzreihen angebrachten Ablagefächern verstauten.

Reihe 15, …,19, 20, schließlich entdeckte der Fuchs die Num-mer 21. Der Innenplatz C war noch frei, jedenfalls teilweise!

Was musste Tim sehen: Auf dem Mittelplatz in der 3er-Sitzreihe thronte, eingezwängt wie eine Ölsardine in der Fisch-büchse, die ihm nun schon gut bekannte, gewaltig dicke Nil-pferddame. Im zeltartigen lilafarbenen Kleid mit großen Schweißflecken unter den Achseln saß sie da, schnaufte und verputzte zufrieden eine Tafel Schokolade.

Das nützte nun alles nichts: Irgendwie musste der Fuchs an ihr vorbei auf seinen Fensterplatz!

Eingedenk des Erlebnisses mit dieser Dame in der Warte-schlange vor dem Check-in-Schalter, flötete Tim mit seiner aller-süßesten Stimme, wie er es einmal in einem uralten Film gehört hatte: „Würden gnädige Frau mich vielleicht auf meinen Sitz lassen?“

Diesmal milde gestimmt, sagte die Dicke: „Aber gerne, mein Kleiner“. Angestrengt versuchte sie von ihrem Platz aufzuste-hen. Dabei hob sich ihr Po ca. zehn Zentimeter, dann sank Frau Nilpferd seufzend auf den Sitz zurück. „Es geht nicht! Mich werden wohl am Ende der Flugreise starke Männer aus dieser engen Falle befreien müssen“, sagte sie traurig. „Vielleicht muss man sogar die vordere Sitzreihe abschrauben, damit ich hier wieder rauskomme“, vermutete die Nilpferddame weiter. „Blö-de Zwergensitze, wir Nilpferde sind nun mal keine schlanken Balletttänzer“, schimpfte sie plötzlich los, „und hoffentlich muss ich unterwegs nicht auf die Toilette!“

Frau Huhn, die Flugbegleiterin, kam, erschreckt durch den Radau, aufgeregt den Gang entlang geflattert. „Gibt es hier ein Problemchen?“, gackerte sie aufgeregt.

Na ja, das Problem mit dem in der engen Sitzreihe verkeilten Nilpferd war irgendwie offensichtlich und für den Moment auch nicht zu lösen.

„Der Start des Flugzeuges steht gleich bevor. Sie müssen sich also zunächst ein Weilchen gedulden, bevor wir Ihnen sicherlich aus dieser Zwangslage heraushelfen können“, sagte die Flugbe-gleiterin zu dem gefangenen, immer wütender werdenden Di-ckerchen im lilafarbigen Kleid.

„Darum möchte ich auch sehr gebeten haben“, schnaufte Frau Nilpferd empört.

„Dir, mein liebes Füchslein, kann ich aber gleich helfen“, wandte sich die schicke Stewardess an den immer noch wie be-stellt und nicht abgeholt im Gang stehenden Tim. „Schau‘ mal, da hinten in der letzten Reihe sind nicht alle Plätze besetzt. Da ist nur ein Mädchen, das während der Flugreise nicht unbedingt neben seinen Eltern sitzen will. Dort kannst du mit Platz neh-men.“

Tim guckte nach hinten und sah das hübsche kleine Gazel-lenmädchen im rotgepunkteten Kleid, seine Bekanntschaft aus dem Wartebereich des Flughafens. „Das könnte heute doch noch mein Glückstag werden“, dachte das Füchslein und freute sich. Tim schnappte seinen Rucksack und stapfte den Gang entlang ganz nach hinten. „Ist hier vielleicht noch ein Plätzchen frei?“, fragte er das Mädchen sehr höflich. „Ich soll mich nämlich hier hinsetzen, da vorne geht es sozusagen momentan nicht.“

Die Gazelle blickte kurz von ihrem Computerspiel auf und hob den Kopf: „Hm.“ Das konnte nun alles Mögliche bedeuten. Für Tim war es ein klares „JA“, und so rutschte er fix auf den Platz neben der Kleinen, die am Fenster saß. Der Gangplatz in dieser Sitzreihe war ebenfalls noch frei, auf dem landete Tims Rucksack.

Schließlich mussten alle Passagiere ihre Anschnallgurte um den Bauch schließen. Eine Flugbegleiterin zeigte für den Notfall den Gebrauch der Rettungswesten und Sauerstoffmasken. Dann wies sie noch mit Worten und Handzeichen auf die Lage der Notausgänge im Flugzeug hin. Falls wirklich mal eine Gefahr im Flugzeug auftreten sollte, musste sich natürlich jeder gleich zu-rechtfinden!

Der Fuchs wusste zwar ganz genau, dass Flugzeugunglücke glücklicherweise nur sehr, sehr selten vorkamen – ein bisschen mulmig wurde ihm nun aber doch zumute. Die Stewardess kon-trollierte bei jedem Fluggast, ob er seinen Sitzgurt auch wirklich geschlossen hatte, und knallte mit Schwung noch einige offene Handgepäck-Ablagefächer zu. Tims Sitznachbarin musste ihre Spielkonsole ausschalten. Der Gebrauch von Handys und Com-putern ist während des Startes und der Landung eines Flug-zeugs streng verboten. Diese Geräte können nämlich sonst die Funktion der Flugzeugcomputer stören.

Schließlich hörte man durch den Bordlautsprecher: „Boarding completed, flight attendants…“, genau konnte Tim das leider nicht verstehen. Er merkte aber, dass es nun mit dem Start lang-sam Ernst wurde. Schneller Blick auf seine Umhängeuhr: Schon zehn Minuten nach um vier, es konnte nun wirklich losgehen, genauer gesagt: „losfliegen“. Wie auf Kommando machten die Triebwerke etwas Krach und das riesige Flugzeug setzte sich langsam in Bewegung. Gleich einem zu großen Auto rollte es über das Flughafengelände und fuhr mehrere Kurven. Der Fuchs machte einen langen Hals und guckte am Kopf der Gazel-le vorbei aus dem kleinen viereckigen Fenster mit dem dicken Glas ins Freie. So konnte er sehen, dass ihr Flugzeug gerade auf die lange Start- und Landebahn einbog.

„Jetzt geht es ab durch die Lüfte“, sagte das Mädchen neben ihm. „Übrigens, ich heiße Samanta, und wer bist du?“

Mit leicht schaukelnden Flügeln blieb das Flugzeug noch ei-nen Moment auf der Startbahn stehen. Dann heulten die Trieb-werke auf und die Boeing 737 raste immer schneller über die Betonpiste. Tim wurde etwas in den Sitz gepresst, aber eigent-lich hatte er gar keine richtige Angst. Jedenfalls noch nicht!

An diesem bewölkten Herbsttag wehte auf dem Flugplatz ein recht frischer Wind. Es war fast schon ein Sturm. Kurz vor dem Ende der Startbahn zog der Pilot am Steuerhorn. Mit hoch-gezogener Nase hob das Flugzeug vom Boden ab. Gleich wurde es von einer Windböe gepackt und machte einen Satz in die Luft. Im Bauch des Fuchses hüpfte der Magen ebenfalls in die Höhe. Schlagartig wurde es Tim übel und alle Farbe, soweit das bei einem Fuchs möglich ist, wich aus seinem Gesicht.

„Du siehst aber käsig um die Nase aus“, hörte er neben sich die Gazelle kichern. „Bist nichts Gutes gewöhnt, was? Wohl noch nie geflogen? Brauchst du vielleicht sogar eine Tüte?“

Der Wind hatte sich etwas gelegt und das Flugzeug setzte seinen Steigflug nun ruhig und ohne große Hopser fort. Gleich ging es unserem Flugreisenden deutlich besser! „Nö“, sagte er. „Übrigens, um deine Frage von vorhin zu beantworten, ich bin der Tim und fliege zu meiner Oma nach Pretoria.“

„Hö, Hö“, machte die Gazelle und zwinkerte allerliebst mit den Augen. „Der Tim also, und er fliegt ganz alleine zu Omi. Das kannst du sozusagen deiner Oma erzählen“, bemerkte Sa-manta schlau.

„Glaub‘s oder glaub’s nicht.“ Der Fuchs war ein wenig einge-schnappt, und mit der Wahrheit konnte er hier ja wohl schlecht kommen.

„Ist schon gut“, besänftigte das Mädchen, „was soll’s – ich glaub dir schon. Übrigens, irgendwie riecht es hier etwas streng. Kann es sein, dass der Geruch aus deinem Rucksack kommt? Sind da vielleicht alte Socken oder Schuhe drin?“

Es war nicht zu leugnen, Tims grüngelb karierter Reisebeglei-ter müffelte merkwürdig vor sich hin. Flink löste die Gazelle ihren Anschnallgurt, beugte sich seitlich über Tim zum Gang-platz und schnappte mit einer Bewegung den Rucksack. „Darf ich mal reingucken?“, fragte sie und hatte die Schnallen schon halb geöffnet. „Du meine Güte“, entfuhr es ihr nach einem kur-zen Blick in die Tiefe des Rucksacks. „Frischer Knoblauch, eine wunderschöne prall gefüllte Packung Knobi-Pulver ‚Knobeletto 10-fach‘ –, olle Löffel, eine uralte, schrottreife Spielzeugarmbrust und noch anderer Krimskram, ich bin erschüttert“, sagte das Mädchen. „Na ja, wenigstens sind Waschzeug und Unterwäsche nicht vergessen worden. Und die Ernährung hast du wohl auf Zuckerkram und Schokolade umgestellt?“ Fröhlich lachend hielt die Kleine zwei in rot-weiße Alufolie eingewickelte Überra-schungseier und eine Großpackung Gummibärchen in die Höhe.

„Und du bist ganz schön frech, so einfach mein Gepäck zu öffnen“, entgegnete der Fuchs, aber er war der Gazelle nicht wirklich böse. Und irgendwie hatte er keine Lust auf weitere Schwindeleien von der Oma und vom „Knobi-Snack“ für zwi-schendurch.

Mittlerweile lag das Flugzeug ganz gerade und ruhig in der Luft. Die beleuchteten Anschnallzeichen über den Sitzplätzen erloschen. Durch die Bordlautsprecher ertönte eine Durchsage aus dem Cockpit: „Hier spricht Ihr Pilot, Flugkapitän Fred Gän-serich. Wir haben unsere Reiseflughöhe von fast zwölf Kilome-tern über dem Erdboden erreicht und befinden uns auf dem Weg nach Südafrika. Die Geschwindigkeit beträgt 800 Kilometer pro Stunde. Bald werden wir die deutsche Grenze überfliegen. Dann kommen Österreich und Italien. Schließlich geht es im Direktflug weiter über das Mittelmeer und verschiedene afrika-nische Länder nach Südafrika. Die gesamte Flugstrecke beträgt etwa 9000 Kilometer, unsere Flugzeit hat der Bordcomputer mit zehn Stunden und 45 Minuten berechnet. Somit werden wir nach deutscher Zeit in der Nacht gegen drei Uhr auf dem Flug-hafen Wonderboom in Pretoria landen. Allerdings hat Südafrika zu Deutschland einen Zeitunterschied von plus einer Stunde. Das heißt, wenn es in Deutschland 3.00 Uhr ist, ist es in Südafrika schon 4.00 Uhr. Sie müssen also vor dem Aussteigen Ihre Uh-ren eine Stunde vorstellen. Übrigens ist es hier im Oktober mit tagsüber bis zu 23 °C wärmer als bei uns zu Hause und es regnet auch nicht oft. Die dicken Jacken und Regenschirme können Sie nach der Ankunft also erst mal ganz unten im Koffer verstauen. Wir werden Ihnen jetzt ein warmes Essen servieren, im An-schluss daran wird auf den Fernsehbildschirmen über Ihren Köpfen ein spannender Film gezeigt. Dann können Sie bis zur Landung etwas schlafen. Ich wünsche Ihnen im Namen der ge-samten Besatzung einen recht angenehmen Flug.“ Es knackte noch kurz im Lautsprecher, dann verstummte die Pilotenstim-me.

„Puh, Kapitän Gänserich“, sagte Tim zu seiner Reisebekannt-schaft auf dem Fensterplatz und sein Magen machte gleich noch mal einen Hopser wie beim Start des Flugzeugs. Der Fuchs hätte natürlich selbst sehr gerne am Fenster gesessen, aber so war es ihm letztlich auch ganz recht. Er lehnte sich zur Gazelle hinüber, blickte hinaus auf die geschlossene, blendend weiße Wolkende-cke weit unter ihrer Boeing und blinzelte in die Sonne.

„Die scheint hier oben immer“, hörte er die Stimme des Mäd-chens; „ich bin schon öfter geflogen. Immer mit Mama und Papa, hin und her. Wir haben nämlich Verwandte in Deutschland, bei denen machen wir Urlaub, und sie besuchen uns gelegentlich in Südafrika. Übrigens kann ich dadurch ganz gut Deutsch spre-chen. Aber das weißt du ja inzwischen schon.“

Der Fuchs erhob sich von seinem Platz. „Jetzt muss ich aber wirklich noch mal ganz dringend aufs Klo“, sagte er zu Samanta.

Das Flugzeug wackelte ein wenig in der Luft. Tim schlängelte sich an Essenwagen und Stewardess vorbei, den schmalen Gang entlang zur Toilettenkabine. So konnte er sehen, wie gerade drei Stewardessen laut gackernd die eingeklemmte Frau Nilpferd aus ihrem Sitz befreiten. Erschöpft ließ sich die Dicke auf einem et-was breiteren Platz mit mehr Beinfreiheit am Notausgang sinken. „Geschafft“, seufzte sie glücklich und wickelte sich erst mal einen saftigen Schokoriegel aus.

„Grünzeug wäre gesünder“, sagte das Füchslein etwas vor-laut im Vorbeigehen. Zurück an seinem Platz, nahm Tim etwas ganz unten aus dem Rucksack. Dann beugte er sich zu Samanta hinüber und flüsterte ihr ins Ohr: „In Wirklichkeit bin ich näm-lich auf Vampirjagd! Und ehe du jetzt fragst, bei welchem Ner-venarzt ich behandelt werde, schau dir bitte das an!“. Mit diesen Worten hielt Tim dem Gazellenmädchen den Umschlag mit dem Brief von Graf Dracula unter die Nase. Der große Fleck auf der Vorderseite leuchtete immer noch gefährlich blutrot.

Samanta zuckte zurück. „Ist das wirklich wahr oder willst du mich nur ganz gewaltig veräppeln?“, fragte sie leise.

„Leider ist das die volle Wahrheit“, entgegnete der Fuchs. „Dieser üble Geselle hat meine Freunde entführt. Heute ist Mon-tag, aber in wenigen Stunden haben wir schon Dienstag. Und bereits übernächsten Sonntag will der Vampir dem Dachs Fritz und dessen Schwester Lilly das Blut aussaugen. Hier, lies es selbst“, sagte Tim und reichte Samanta den Brief.

Das Mädchen schüttelte den Kopf und schimpfte plötzlich los: „Kaum zu glauben, da muss man wirklich rasch helfen. Und was für eine Frechheit, damit sogar noch vorher anzugeben. Woher der alte Blutsauger nur deinen Namen kennt? Sicherlich hat Fritz gesagt, dass du ihn auf jeden Fall retten würdest, aber darüber kann ein uralter Vampir wie Graf Dracula wahr-scheinlich bloß lachen.“

Die Kinder quasselten noch eine Weile weiter. Dann schoben die Stewardessen das Essenwägelchen den Gang entlang. Jeder Fluggast bekam eine in Alufolie eingeschweißte Portion. Dazu konnte man sich Getränke auswählen. Merkwürdigerweise tranken die meisten Passagiere Tomatensaft. „Den möchte ich nun wirklich nicht“, sagte Tim, dem beim Anblick der roten Flüssigkeit etwas übel wurde. Genau wie Samanta bestellte er sich ein Glas Apfelschorle.

Nach dem schmackhaften Essen klappten an der Decke der Flugzeugkabine Flachbildschirme auf und der von Flugkapitän Gänserich angekündigte Film begann. Allerdings war er ziem-lich langweilig: ein Liebesfilm für Erwachsene. Da dauerte es auch gar nicht lange und der Fuchs und die Gazelle schnarchten aneinander gekuschelt um die Wette.

Beide wurden schließlich unsanft durch die Lautsprecher-stimme aus dem Cockpit aufgeweckt. „Hier ist noch mal Ihr Flugkapitän“, tönte es. „Wir haben unser Ziel nun bald erreicht. In wenigen Minuten verlassen wir die Reiseflughöhe und begin-nen mit dem Sinkflug. Bitte schnallen Sie wieder Ihren Sitzgurt an und stellen die Rückenlehne in eine aufrechte Position. In etwa einer halben Stunde werden wir schon auf dem Flughafen Wonderboom in Pretoria landen. Danke, dass Sie mit ‚Fugena Airdraken‘ geflogen sind. Auf Wiedersehen bis zum nächsten Mal. “

„Jetzt müssen wir aber unbedingt besprechen, wie es mit der Vampirjagd nun weitergehen soll“, sagte Samanta zum Füchslein neben ihr.

„Was soll schon sein“, erwiderte Tim. „Graf Dracula wohnt in Transvaal, in seinem Spukschloss in den Drachenbergen, das weiß ich aus dem Internet. Höchstwahrscheinlich überfällt er dort nachts im Gebirge einsame Reisende, die sich verlaufen haben, und dann … Na, du weißt schon! Oder er schnappt sich müde Wanderer, die den Fehler machen, abends an die Tür sei-nes Schlosses zu klopfen und um ein Nachtlager zu bitten. Die-sem Treiben werde ich ein Ende machen und meine Freunde befreien, mir fällt schon etwas ein! Gleich am Flughafen erkun-dige ich mich nach dem Weg zu den Drachenbergen und dann suche ich mir eine Fahrgelegenheit dorthin!“

Das Gazellenmädchen entgegnete erstaunt: „Hm, Vampire, Graf Dracula; hier bei uns??? Das müsste ich eigentlich wissen, nie gehört. Aber sonst stimmt das schon. Es gibt in Südafrika die ,Drakensberge‘, zweimal sogar. Die kleineren hier in Transvaal im Norden des Landes, die größeren weiter südlich.“

Samanta überlegte ein bisschen und redete dann weiter: „Ich wohne mit meinen Eltern und meinem nervigen kleinen Bruder – er sitzt übrigens vorne bei der Mama und pennt noch – in Graskop, das ist eine kleine Stadt, gar nicht weit von unseren Drakensbergen entfernt. In die Schule muss ich erst nächste Wo-che wieder. Wenn wir heute zu Hause ankommen, werden na-türlich erst mal die Koffer ausgepackt und ein wenig ausgeruht. Morgen, also am Mittwoch, habe ich mit meiner Pfadfinder-gruppe ohnehin einen Ausflug in unsere Berge geplant. Es ist da sehr schön, mit vielen steilen Hängen und tiefen Schluchten. Wenn du möchtest, kannst du gerne mitkommen und nach et-was Gruseligem suchen. Aber viel Hoffnung mache ich dir da ehrlich gesagt nicht. Ich war schon öfter dort und habe nichts Verdächtiges bemerkt. Natürlich muss ich vorher meine Eltern fragen, ob du für zwei oder drei Tage mit zu uns nach Hause kommen kannst.“

Tim war mit diesem Vorschlag mehr als einverstanden, er war regelrecht begeistert.

Durch die Fenster des Flugzeugs konnte man sehen, dass es draußen noch dunkel war. Immer heller leuchteten aber unten die Lichter der Stadt und der Flughafen kam rasch näher. Schließlich setzten die Räder der Boeing 737 quietschend auf der Landebahn auf. Die Triebwerke heulten noch mal los, als der Pilot zum Bremsen vollen Gegenschub gab. Das Flugzeug hop-pelte ein wenig, wurde langsamer und kam schließlich zum Ste-hen – Flug 100 der Fluggesellschaft „Fugena Airdraken“ war pünktlich und sicher in Pretoria gelandet.

Vor dem Flughafengebäude, es war mittlerweile schon hell geworden, stellte Samanta den Eltern ihren neuen Freund vor. Sie erzählte Mama und Papa die Story des Füchsleins, natürlich nicht die richtige!

„Liebe Mama, lieber Papa“, sagte die Gazelle. „Ihr könnt euch gar nicht vorstellen, wie gerne dieser Junge morgen beim Aus-flug meiner Pfadfindergruppe mitkommen möchte. Er soll näm-lich von der Schule aus die Pflanzen in einem fernen Land er-kunden. Und in unseren Drachenbergen mit ihren Wiesen, Höhen und grünen Tälern kann man das ja wirklich prima tun“, redete Samanta. Dabei wurde sie beim Schwindeln nur ein ganz klein wenig rot.

Der Vater des Mädchens lud gerade Koffer und Taschen in sein dort geparktes Auto ein. Dem Geplapper seiner Tochter hatte er nur mit halbem Ohr zugehört. „Ja, ja“, sagte er schließ-lich und zwinkerte Tim zu. „Klar kannst du die zwei Tage bei uns bleiben. Aber selbstverständlich nur, wenn deine Oma Be-scheid weiß und nichts dagegen hat. Nach dem kleinen Ausflug kann ich dich dann ja mit dem Auto persönlich bei ihr ,ablie-fern‘.“

„Ich bin doch kein Postpaket“, protestierte Tim. „Aber Sie müssen keine Angst haben, natürlich ist meine Oma einverstan-den – gleich rufe ich sie mit dem Handy an“, redete unser Rot-pelz weiter auf den Gazellen-Papa ein.

„So, so“, bemerkte dieser. „Aber ich möchte dann auch noch mal mit deiner Großmutter am Telefon reden“, fuhr Herr Gazel-le zerstreut fort, kratzte sich an den Hörnern – und hatte die Sa-che eigentlich schon fast vergessen.

„Yes“, jubelte Samanta im Stillen. Das wäre also geschafft!“

DAS SCHLOSS DES VAMPIRS

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