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Teil 2 – In den Drachenbergen von Transvaal

An diesem schönen und glücklicherweise auch warmen Mittwoch im zeitigen Oktober hatte sich bereits morgens eine muntere Schar von größeren Kindern und Jugendlichen an ei-nem der vielen Wasserfälle im Hochland von Transvaal einge-funden. Die Jungen und Mädchen trugen Pfadfinderuniformen und Halstücher.

Auch Tim, der als Gast sehr herzlich aufgenommen worden war, hatte man ein blaugelbes Halstuch umgebunden. Das sah zwar zusammen mit seinem grüngelben Rucksack ein bisschen merkwürdig aus – etwa in der Art eines großen, rot-gelb-grün-blauen Papageis. Aber aus derlei Dingen machte sich der Fuchs überhaupt nichts. Er war mächtig stolz auf sein Outfit und seine neuen Freunde.

Man sah nicht nur Gazellen wie Samanta. Es gab hier auch viele Gnus, Antilopen und Zebras. Sogar ein Giraffen-Mädchen guckte oben mit dem Kopf aus einem der aufgestellten Zelte heraus und schimpfte irgendetwas auf Englisch, das sich für Tim anhörte wie „… much too small“. Der Fuchs, der das gerade so verstanden hatte, grinste. Der Anblick der lamentierenden Giraf-fe war wirklich zu komisch.

Die Pfadfindergruppe war mit dem Bus zu ihrem Wander-ausflug in den Bergen angereist. Dieser Trip wird jedes Jahr im Frühling und im Herbst durchgeführt. Auf immer neuen Touren streifen die jungen Pfadfinder durch das Gebiet der Drachenber-ge, veranstalten Geländespiele und erleben die spannendsten Abenteuer.

Der Führer der Gruppe war Pieter, ein freundlicher und im-mer fröhlicher Jugendlicher von etwa 14 Jahren. Dieser kräftige Büffeljunge hatte es Samanta wohl besonders angetan. Sie hielt sich öfter in seiner Nähe auf, traute sich aber nicht, ihn anzu-sprechen oder offen anzusehen.

Solche Probleme waren unserem Fuchs, dem man auf seine Schwindelgeschichte hin eine hübsch alberne Botanisiertrommel zum Pflanzensammeln um den Hals gehängt hatte, momentan eher fremd. Er wartete bloß auf den Abmarsch der Pfadfinder ins Gelände.

Gegen 9 Uhr war es schließlich so weit.

Pieter teilte seinen Freund Biko, ebenfalls ein älteres Büffel-kind, als Führer der größeren Pfadfindergruppe ein. „Ihr geht den Waldweg entlang bis zur dritten Abzweigung nach rechts. Diesem Pfad folgt ihr dann zirka zwei Kilometer durch die Wie-sen bis zu einer Weggabelung. Dort steht ein Wegweiser mit gelben Schildern. Der ist garantiert nicht zu übersehen, er zeigt euch die Richtung zum Plateau des Falkenbergs. Dort trefft ihr zirka 13 Uhr ein. Eine Stunde später gibt’s Mittagessen: Spaghet-ti mit Tomatensoße und hoffentlich genauso leckeren Grießbrei. Es existiert dort nur eine offene Herdstelle. Wenn ihr ankommt, holen die Jungs gleich Holz für das Feuer, dann können die älte-ren Mädchen auch schon mit dem Kochen beginnen. Sauberes Wasser zum Spaghettikochen gibt’s dort genug im Bergbach. Das braucht ihr also nicht extra mitzuschleppen. Abgekocht wird es dann ja ohnehin. Vergesst aber die Milch für den Grieß-brei nicht. Vergesst auch sonst nichts! Bevor ihr loswandert, guckt jeder noch mal in seinen Rucksack, ob auch wirklich alles drin ist, was reingehört. Wir haben das bei der Vorbereitung unserer Tour ja alles gründlich besprochen und das Nötige ein-gekauft. Biko, hast du auch die Wanderkarte und zur Sicherheit einen Kompass dabei?“, beendete Pieter vorerst seine Ansprache an die jungen Pfadfinder.

„Klar, Chef, alles in Butter.“ Biko grinste seinen Freund an. „Das ist alles sozusagen idiotensicher – da kann nun wirklich nix schiefgehen. Unsere Tour ist ja diesmal auch irgendwie baby-leicht. Du weißt doch, sonst waren immer Erwachsene als Aufsichtspersonen mit dabei. In diesem Herbst: Pustekuchen. Nie-mand hat sich angesagt, wir sollen mal hübsch selbst zurecht-kommen.“

„Richtig“, entgegnete Pieter. „Umso wichtiger ist, dass es wie am Schnürchen funktioniert. Und nun weiter im Text: Ihr alle wisst ja inzwischen, dass wir auf unserem Ausflug einen weitge-reisten Gast dabei haben. Tim ist hier zu Besuch aus dem fernen Deutschland und möchte heute die Pflanzenwelt im Hochland unserer schönen Drachenberge erkunden und – wenn möglich – ein paar besonders schöne Exemplare in der Botanisiertrommel einsammeln. Natürlich kann er dazu hier nicht alleine herumlau-fen, er würde sich gewiss verirren. Also, so habe ich mir über-legt, bilden wir zu seiner Begleitung aus ein paar Pfadfindern eine zweite, kleinere Wandergruppe. Dieser werden Samanta, Malusi sowie die Zwillingsschwestern Anele und Mandisa an-gehören. Und ich selbst natürlich auch.

Unser Team folgt zunächst dem Lauf des kleinen Flusses, der hier den Wasserfall bildet. An seinem Ufer gibt es einige feuchte und sumpfige Auen, was selten bei uns in Südafrika ist. Auf diesen Wiesen wachsen viele schöne Blumen und andere bemer-kenswerte Pflanzen.

Tim, schau‘ dir alles an. Wenn du Fragen hast, vielleicht kann ich dir sogar weiterhelfen. Aber, ich sag’s dir gleich, ein Experte bin ich auf diesem Gebiet natürlich nicht. Wenn wir was nicht wissen, reißen wir die Pflanze natürlich nicht aus, sondern ma-chen lieber mit meinem Handy ein paar Fotos und fragen dann später meinen Biolehrer. Der kennt sich natürlich prima mit un-seren einheimischen Pflanzen aus, mit dem kannst du dann so-zusagen fachsimpeln.

Später geht’s dann auch für unsere kleine Gruppe weiter zum Falkenberg, damit wir ebenfalls pünktlich um eins dort sind. Das dürfte kein Problem sein, denn ich kenn‘ mich hier ganz prima aus. Mit meinem Papa war ich in den letzten Jahren öfter in die-ser Gegend, meistens am Fluss zum Angeln.

So, das wär’s erst mal“, schloss Pieter. „Jeder hängt sich den Rucksack um, geht zu seiner Gruppe und dann ab durch die Mitte.“

Froh, dass es endlich begann, machten sich die Pfadfinder auf die Strümpfe.

Die Hauptgruppe, Biko mit dem lustig im Wind an einer lan-gen Stange flatternden Pfadfinderwimpel vornweg, bog in den schattigen Waldweg, der hier seinen Anfang nahm, ein. Bald verschwanden sie hinter einer Wegbiegung. Aber das fröhliche Lachen und Singen der Kinder war noch eine ganze Weile zu hören.

Wird schon schiefgehen, dachte Pieter. Er selbst wanderte mit seinen fünf Getreuen einen schmalen Weg durchs hohe Gras am Flusslauf entlang. Es war ein sehr schöner Oktobertag. Aus ei-nem hohen und wolkenlosen Himmel sangen die Vögel. Kaum ein Lüftchen ging.

Weniger schön fühlten sich da schon Tims nasse Fuchsfüße an, die er nach einer Weile in seinen Halbschuhen bekam. Die Pfadfinder mit ihren hohen, festen Wanderstiefeln waren da beim Marsch auf dem matschigen Pfad deutlich besser dran.

Ohne zu reden folgte die Gruppe, einer hinter dem anderen, dem Büffeljungen. „Wollt ihr alle eigentlich Schweigemönche werden?“, fragte Pieter plötzlich in die aufkommende Stille hin-ein. „Und richtig miteinander bekannt gemacht habt ihr euch wohl auch noch nicht?“, ergänzte er.

„Tim quietscht.“ Anele, das 12-jährige Antilopenmädchen, zwinkerte ihrer Zwillingsschwester zu.

„Ein quietschender Fuchs“, Mandisa kicherte, „das hat die Welt noch nicht gesehen. Vielleicht rostet er hier am feuchten Flussufer?“

Die Mädchen konnten sich recht gut mit Tim verständigen. „No problem!“, sozusagen.

„Jungs rosten nicht“, sagte eingeschnappt der Fuchs. „Das sind bloß meine nassen Schuhe, die quietschen. Genau besehen, nur der linke, der hat ein kleines Loch in der Sohle. Da läuft bei jedem Schritt Wasser rein und quietscht beim Auftreten wieder raus.“

„Unser Kleiner ist ja behängt wie ein Tannenbaum in Deutschland zum Weihnachtsfest“, bemerkte Mandisa etwas schnippisch. „Auf dem Rücken der Rucksack, vorne die Botani-siertrommel und das merkwürdige Medaillon, wahrscheinlich mit einem Bildchen von der Mama oder der Omi drin.“

„Was wisst ihr hier schon von Weihnachten?“, maulte Tim. „Und das um den Hals ist auch kein Medaillon, sondern bloß meine Uhr. Die hab‘ ich erst im April von meinen Eltern zum Geburtstag bekommen, und die hat mir bis jetzt schon viele gute Dienste erwiesen. Aber ‚behängt‘ stimmt schon, ich kann mich ja hier zu Tode schleppen“, jammerte das Füchslein und gefiel sich als Drama-Queen, oder richtiger gesagt als Drama-King.

„Jetzt halt aber mal die Luft an“, meldete sich Malusi. Das Zebra in der Gruppe hatte bisher noch kein Wort gesagt. „Weih-nachten wird hier in Südafrika natürlich auch gefeiert. Es ist für viele ein Familienfest, bei dem sie Verwandte besuchen oder einladen. Andere stellen wie in Deutschland in den Wochen vor Weihnachten einen Tannenbaum auf und feiern am 25. Dezem-ber ‚Christmas‘. Es gibt als Weihnachtsessen Fisch vom Grill, Salate und Gemüse und zum Nachtisch unser berühmtes Dessert ‚Fruit Mince Pie‘. Das sind kleine Gebäckstücke, gefüllt mit sü-ßen getrockneten Früchten. Die schmecken wirklich prima.

Wenn du unser Land mal zur Weihnachtszeit besuchen solltest, musst du die unbedingt probieren. Womit wir dann allerdings nicht dienen können, sind Eis und Schnee. Im Dezember ist hier nämlich afrikanischer Hochsommer. Die Leute feiern im Garten und man kann zum Baden an den Strand oder ins Schwimmbad gehen.

Komm her, deinen Rucksack kann ich mit tragen“, setzte der stämmige Zebra-Boy seine Rede fort. „Aber bitte keine blöden Witze über karierte Rucksäcke und Zebrastreifen, sonst kracht es!“

„Nein, nein, wie werd‘ ich denn“, erwiderte das Füchslein, froh, den schweren Ballast loszuwerden.

„Dann ist es ja gut“, sagte Malusi und hängte sich mit Schwung Tims Rucksack neben seinem eigenen auf den Rücken. Damit sah er nun irgendwie ein bisschen wie ein zu klein gera-tenes Kamel mit zwei merkwürdig gemusterten Höckern aus.

Der Rotfuchs blies die Backen auf und guckte ganz schnell anderswo hin. Jetzt vor Lachen laut loszuprusten wäre ohne Zweifel völlig das Falsche gewesen!

Weiter führte der Weg die kleine Wandergruppe am Fluss entlang.

Pieter und Samanta marschierten vorneweg. Auch ohne ihr Lieblingskleid, ihr wisst schon, das rotgepunktete vom Flug, schaute das Gazellenmädchen ganz entzückend aus. Manche Leute sehen eben auch in Uniform gut aus, manche sogar in ei-nem Lumpensack.

Pieter bemerkte davon natürlich nichts.

Die ein wenig verliebte Kleine hatte Mut gefasst und bom-bardierte den Jungen regelrecht mit allen möglichen Fragen zum Ausflug.

Doch der Pfadfinder-Chef antwortete Samanta nur zerstreut und konzentrierte sich auf den matschigen Pfad, der inzwischen im hohen Gras kaum noch zu erkennen war.

Tim schwatzte mit Malusi, und die Zwillinge hatten natürlich wieder mal was zu tuscheln.

Im Lauf des Vormittags stieg die Sonne weiter am klaren Himmel empor und es wurde immer wärmer und drückend schwül. Der Fuchs, froh, dass er den Rucksack nicht mehr tragen brauchte, hatte das Pfadfinder-Halstuch abgebunden und zu-sammengefaltet in die Hosentasche gesteckt. Zur Kühlung trug er sein Hemd weit geöffnet, was die nun überall he-rumsummenden Mücken offenbar sehr erfreute. Eigentlich sol-len Moskitos ja nachtaktive Tierchen sein, die hier wussten aber scheinbar nichts davon. Jedenfalls bemühten sie sich nach Kräf-ten, Tim zu stechen, wo sie ihn nur erwischen konnten. Sogar mitten auf seiner spitzen Fuchsnase prangte inzwischen eine prächtige, juckende Schwellung. Sozusagen der Häuptling aller Mückenstiche. „Gut, dass Füchse wenigstens keine Malaria be-kommen können“, glaubte unser geplagter Fernreisender zu wissen.

Malusi, der offenbar bisher keinen einzigen Mückenstich ab-bekommen hatte, grinste den Fuchs an. „An mich gehen diese Biester Gott sei Dank nicht ran, ich bin immun gegen die Stecherei“, freute sich der Zebrajunge.

Mückenstiche, Blutsauger – Tim wurde schmerzhaft an den Zweck seiner Südafrikareise erinnert. „Ich muss mal dringend vor zum Chef“, sagte er zu Malusi und stiefelte in seinen quiet-schenden Botten los.

„Du, Pieter“, sagte der Fuchs, an der Spitze ihrer kleinen Wandergruppe angekommen. „Wie ist das eigentlich, ich hab‘ mal gehört, in euren Drachenbergen hier im Hochland von Transvaal spukt es.“

„In deinem Kopf spukt es“, entgegnete der Oberpfadfinder. „Wir latschen nun schon seit über einer Stunde am Flussufer herum, hast du eigentlich inzwischen ein paar von deinen ge-liebten Pflanzen entdeckt und eingesammelt?“

„Noch nicht so richtig, aber ich guck‘ mir hier ja bald die Au-gen aus dem Kopf“, nuschelte Tim. „,Meine geliebten Pflanzen‘ sind das übrigens auch nicht unbedingt, wenn du es genau wis-sen willst. Ist eben ein Schulauftrag. Die wissen, dass ich nach Südafrika reise. Da soll ich mir hier vor allem die Wiesenpflan-zen ansehen und dann im Unterricht einen Kurzvortrag darüber halten. Ist etwas merkwürdig, aber nicht zu ändern“

„Ach so ist das also“, wunderte sich der Büffeljunge. „Aber nun mal Klartext: Was genau suchst du dabei eigentlich? Welche Pflanzen wachsen denn bei euch in Deutschland eigentlich so auf den Wiesen?“

Gänseblümchen, Butterblumen, Brennnesseln, Löwenzahn…, viel mehr hätte Tim darauf normalerweise nicht zu sagen ge-wusst. Nun aber antwortete er Pieter voller Fachkenntnis: „Schafgarbe, Spitzwegerich, Huflattich, Klee, Acker-Kratz-disteln, echte Kamille, an Blumen zum Beispiel Margeriten, Lu-zerne, Klatschmohn, blaue Korn- und Glockenblumen; es gibt ja so viel Schönes in unseren Fluren zu bestaunen.“

Pieter war erstaunt über dieses Wissen. „Einiges davon gibt es hier auch. Halte die Augen offen und such‘ mal schön weiter“, riet er dem Fuchs. „Ein bisschen Zeit ist ja noch für deine Pflan-zenerforschung übrig. Hauptsache, wir sind pünktlich bei den anderen oben auf dem Falkenberg. Dort können wir dann nach dem Mittagessen über deine Funde reden.“

Wie aber war es eigentlich zu Tims verblüffendem Wissens-zuwachs gekommen?

Man sagt wirklich nicht umsonst „schlau wie ein Fuchs“: Un-ser angehender Vampir-Jäger hatte diese Frage der Pfadfinder vorausgesehen und sich gut darauf vorbereitet. Schließlich war er zu Gast bei Samantas Familie in Graskop! Gestern Nachmittag hatten die Kinder dort im Garten herumgealbert und im Pool geplanscht. Das Bad war sehr erfrischend gewesen, aber ir-gendwie für Tim auch recht anstrengend. Er hatte nämlich stän-dig mit einer Hand die viel zu große Badehose, eine Leihgabe von Samantas älterem Bruder George, festhalten müssen. Aber schließlich war es ihm doch gelungen, die absolute Peinlichkeit eines völlig nackigen Fuchses im Schwimmbecken einer fremden Familie zu vermeiden. Am späten Abend hatte er noch vom Ga-zellenmädchen ein Küsschen auf die Wange gedrückt bekom-men. Dann war er zum Schlafen ins geräumige Gästezimmer geschickt worden. Im Bett hatte Tim dann in den untersten Tie-fen seines unergründlichen Rucksacks gekramt und schließlich das kleine iPad, seinen treuen Reisebegleiter, zutage gefördert. Der Rest war dann dank Papa Gazelles WLAN-Anschluss, Google und Wikipedia, dem Wissensspeicher im Internet, sozu-sagen ein Kinderspiel gewesen.

Weiter ging es für die Wanderer auf dem schmalen Pfad durch die feuchten Wiesen am Fluss. Tim, der gerne etwas über Vampire und alte Schlösser oder Burgen hier in der Gegend er-fahren hätte, war mit seiner Spuk-Anfrage bei Pieter nicht wei-tergekommen. Dafür hielt er nun nach verschiedenen blöden Blümchen Ausschau. Rote, blaue, gelbe…, irgendetwas musste er sich jetzt genauer anschauen und möglichst in seine Botani-siertrommel einpacken.

„Schau‘ mal, Pieter, dahinten, die schöne weiße. Die sieht aus wie eine besonders große Glockenblume. Nur eben weiß gefärbt. Seltsam, die guck‘ ich mir mal aus der Nähe an.“ Tim verließ den Weg und machte sich querfeldein Richtung Blume auf die Socken.

Die Pfadfinder hörten ihn laut irgendetwas schimpfen, das sich wie „dämlicher Schlamm“ anhörte. Dann klatschte es und der Fuchs verschwand von der Bildfläche. Er war im Matsch ausgerutscht und mit dem Po in einer beachtlichen Pfütze ge-landet. Allerdings: Genau vor seiner spitzen Nase baumelte nun die Blüte, wegen der er in diese dumme Lage geraten war.

Na, wenigstens etwas, dachte der Fuchs und rieb sich seinen feuchten, schmerzenden Hosenboden. „Gleich siehst du diese schöne Botanisiertrommel von innen“, rief er und trennte mit dem Taschenmesser die weiße Blüte ab. Die Pflanze verströmte einen süßlich-schweren Duft. Tim wurde etwas schwindlig. Er richtete sich auf und rief Pieter lauthals zu: „ICH HAB‘ SIE.“

„WER HAT WAS?“, antwortete der Büffeljunge. Er blieb ste-hen und blickte verblüfft in die Richtung, in die der Fuchs ver-schwunden war. Suchend streifte sein Blick über die leere Wiese. Sanft wiegten sich Halme und Blumen im Wind. Sonst war au-ßer einer eingedrückten Stelle im hohen Gras nichts zu sehen, kein Rotpelz weit und breit!

„Na, hier stehe ich doch“, brüllte Tim zurück, „ihr müsst mich doch sehen.“ Nun blieben auch die anderen Pfadfinder stehen und starrten auf die Wiese.

„Nö, da ist niemand“, sagte Malusi. „Aber, wer blökt hier rum, und wo ist eigentlich unser Forschungsreisender abgeblie-ben?“

„Die tun ja gerade so, als ob ich unsichtbar bin“, dachte der Fuchs. „Vielleicht bin ich es auch“, überlegte er weiter. „Aber sowas gibt‘s ja gar nicht. Das ist Quatsch, völliger Unfug.“ Er-neut hörte er, wie die Pfadfinder nach ihm riefen. Und das, ob-wohl er aufgerichtet und gut sichtbar dastand.

Tim wurde schlecht. Er fing an zu zittern. Die Beine wurden weich, die Knie knickten ein und plumps, saß er wieder im Matsch auf dem Hintern. Dabei fiel ihm die Blüte, die ihn in die-se miese Lage gebracht hatte, aus der Hand.

„Was soll’s, dann nehme ich eben eine andere“, schimpfte der Fuchs und stand wieder auf.

„Na also, da bist du ja“, hörte er Malusi rufen. „Gott sei Dank, wo warst du denn bloß? Kugelst du dich hier im hohen Gras rum?“, auch Pieter klang erleichtert.

„Ihr könnt mich jetzt sehen?“, schallte Tims Stimme über die Wiese hinüber zu den anderen.

„Klar doch, warum auch nicht. Wir sind doch nicht blind“, antwortete der Büffeljunge prompt.

In diesem Moment fiel beim Fuchs der Groschen. So sagt man jedenfalls, wenn einem ganz plötzlich etwas klar wird. „Guckt noch mal ganz genau zu mir rüber“, rief er seinen Wanderge- fährten, die immer noch auf dem Wiesenweg standen, zu. „Ich hebe jetzt die weiße Blume wieder vom Erdboden auf, passiert da irgendetwas?“

Die Pfadfinder sahen, wie sich Tim bückte. Kaum hatte er die Blüte in der Hand, flimmerte die Luft ein wenig, und weg war er. Verblüfft starrten alle auf die nun wieder scheinbar völlig fuchslose Wiese.

Erneut flimmerte es in der Luft und Tim, der die Pflanze wie-der im Gras abgelegt hatte, erschien so plötzlich wie ein Fla-schengeist.

„Habt ihr’s kapiert?“, schrie der wieder Sichtbare. „Ohne Blu-me – Fuchs, mit Blume – kein Fuchs. Da ich euch die ganze Zeit gesehen oder wenigstens gehört habe, war ich hier nie weg. Das bedeutet, dass meine große weiße Blüte“, Tim deutete auf das abgeschnittene Gewächs zu seinen Füßen, „unsichtbar macht.

Jedenfalls, wenn man sie in die Hand nimmt. Lege ich sie ab, schwupps, bin ich wieder zu sehen.“

Der Fuchs machte das Ganze noch mal vor, und es klappte erneut tadellos.

Den Pfadfindern stand vor lauter Staunen der Mund weit of-fen.

„So etwas gibt es doch gar nicht“, brabbelte Malusi. Der Zeb-rajunge hatte die beiden Rucksäcke vor sich abgestellt und machte nun einen unbeholfenen Stolperschritt darüber.

„Wenn’s so ist, dann ist es eben so“, sagte Pieter zum Fuchs auf der Wiese. „Das nenn‘ ich mal eine Weltsensation, wahr-scheinlich wirst du berühmt damit. Vielleicht kann dir die Blume auch mal von großem Nutzen sein. Aber, wie willst du sie ei-gentlich transportieren, wenn du dann gleich unsichtbar wirst? Und nun komm‘ erst mal wieder zu uns auf den Weg zurück. Wir sind schon etwas spät dran und müssen weiter.“

Tim hob die Blume auf – weg war er. Der Unsichtbare stopfte die Pflanze in seine Botanisiertrommel und siehe da, er erschien wieder in voller Lebensgröße auf der Bildfläche. Somit war auch dieses Problem geklärt: Nur, wenn man die Blüte in der bloßen Hand trug, wurde man unsichtbar!

Weiter, immer weiter, marschierte die kleine Gruppe am Fluss entlang. Die Sonne hatte nun fast den höchsten Punkt ihrer Bahn, das nennt man den Zenit, erreicht. Die Wanderer mit ih-rem Gepäck schwitzten weiter tüchtig. Malusi hatte sich wieder beide Rucksäcke umgehängt, was den Fuchs sehr erfreute. Auch sonst war Tim, trotz seiner nassen Schuhe und der weiterhin nervenden Mücken, glücklich. Dazu hatte er auch allen Grund, denn wann findet man schon mal eine Blume, die unsichtbar macht. So vorsichtig wie möglich, trug er die kostbare Pflanze in der Botanisiertrommel vor dem Bauch. Allerdings dachte er na-türlich auch wieder an seine unerledigte Aufgabe, nämlich die Suche nach dem Vampir von Transvaal.

„Halt!“, kommandierte Pieter von der Spitze des Zuges her.

„Alle bitte mal herhören. Noch knapp einen Kilometer müs-sen wir hier am Wasser entlang. Dann zweigt von unserem Weg ein Bergpfad direkt hinauf zum Gipfel des Falkenbergs ab. Diese Abzweigung dürfen wir nicht verpassen, sie ist manchmal mit hohem Gras und Gesträuch zugewachsen. Haltet also ebenfalls die Augen auf, schließlich wollen wir spätestens zum Mittages-sen oben bei den anderen sein.“

Die Wanderer seiner Gruppe nickten zustimmend. Auch sie bekamen langsam Hunger, und so setzte sich die kleine Marsch-kolonne bald erneut in Bewegung.

Man konnte jetzt auch deutlich zügiger ausschreiten. Der schmale, mitunter kaum erkennbare feuchte Pfad ging in einen breiteren, steinigen Weg über. Wiesen gab es keine mehr und der Fluss brauste nun durch eine schroffe, bergige Landschaft. Im Lauf der Jahrtausende hatte sich hier das Wasser tief in die Felsen eingeschnitten und bildete nun eine Klamm. Darunter versteht man eine besonders schmale und tiefe Schlucht im Ge-birge mit Felswänden, die an vielen Stellen nur wenige Meter voneinander entfernt sind und steil zum Himmel ragen. Am Grund einer solchen Klamm rauscht und gurgelt das reißende Wasser des in das harte Felsgestein eingezwängten Flusses.

Der Weg an der Seite der Klamm, ausgebaut und strecken-weise mit Holzgeländern gesichert, war hier so breit, dass zwei Personen bequem nebeneinander gehen konnten.

„Schöne Gegend, was?“, fragte Pieter. „Das letzte Mal war ich voriges Jahr mit meinem Vater hier zum Fischen. Wir haben zwar kaum etwas gefangen, aber viel Spaß gehabt und schöne Fotos gemacht.“

Tim zwängte sich zwischen den Büffeljungen und Samanta, die kurz stehengeblieben waren, um das eindrucksvolle Natur-schauspiel zu bewundern.

„Ja, ganz prima“, bestätigte der Fuchs und nickte mit dem Kopf. „Aber nun sag‘ doch endlich mal ehrlich, ob da irgendet-was dran ist an den Spukgeschichten, die man über euer Hoch-land so hört. Mir hat jedenfalls ein Vögelchen gezwitschert, dass es hier sogar Vampire geben soll.“

So, so, ein Vögelchen also“, wunderte sich Pieter und grinste. „Aber ein klein bisschen Wahres könnte an diesen Geschichten schon dran sein. Manche wollen hier in der Gegend morgens und abends in der Dämmerung riesige Fledermäuse gesehen haben. Passiert ist zum Glück noch niemandem etwas. Aber es ist doch ganz erstaunlich, von vernünftigen Leuten so etwas zu hören. Auch soll es versteckt in den Bergen ein altes Schloss ge-ben. Man weiß nicht, woher solche Berichte kommen – gesehen hat es wohl noch keiner. Aber, ich geb‘s gerne zu, gruselig hört sich das Ganze schon an. Außerdem verschwinden immer wie-der …“

„Arglose Reisende“, stöhnte Tim entsetzt.

„Quatsch“, antwortete der Büffel vergnügt, „massenweise Früchte und Gemüse von den Bäumen und Feldern. Aber nun Schluss mit den Spukgeschichten, wir müssen uns auf den Weg konzentrieren und dürfen dann keinesfalls die Abzweigung zum Falkenberg verpassen.“

Die Pfadfinder und Tim setzten also ihre Tour entlang des Flusses fort. Dieser war nun etwas breiter und das Wasser rauschte nicht mehr ganz so schnell und gurgelnd am Grunde der Klamm dahin. An einer Stelle konnte man unter den Felsen sogar so etwas wie einen kleinen See erkennen, auf dessen Ober-fläche sich erstaunlicherweise kaum eine Welle rührte.

Tim war baff. Die anderen Wanderer blieben ebenfalls über-rascht stehen und schauten in das glasklare Wasser.

„Wie sieht’s aus, Pieter, hier gibt es sicherlich die größten Fi-sche“, tönte neugierig der Fuchs.

„Ja, Papa und ich haben genau an dieser Stelle schon einiges gefangen“, ließ die Antwort nicht lange auf sich warten. „Es gibt im Fluss viele Fische, die du sicherlich auch aus Deutschland kennst. Vor allem kann man hier ganz prima Forellen angeln, aber auch Barsche und an breiteren Stellen sogar Karpfen. Die sind dir gewiss am besten bekannt“, setzte der große Büffeljunge seine Rede fort. Dann grinste er und machte mit zum O geform-ten Lippen Mundbewegungen wie ein solcher Karpfen auf dem Trockenen.

„Und noch etwas“, ergänzte der Häuptling der Pfadfinder: „Füchslein, fall‘ bloß nicht ins Wasser. Es gibt nämlich sogar einzelne Exemplare des Afrikanischen Tigerfisches, die es bis hierher geschafft haben. Und die heißen nicht bloß Tigerfisch, die sehen auch so aus. Zwar sind sie nicht gestreift, aber ziem-lich groß und sichtbar mit Zähnen wie Dolche ausgestattet. Mensch, die Biester springen aus dem Wasser und fangen die Schwalben mitten im Flug. Eh du dich versiehst, hat dich einer am Hosenboden. Und dann gibt es kein Entrinnen, du wirst un-weigerlich bestes Fischfutter. Also, sieh dich bitte gut vor!“

Leider war Tim neugieriger als ängstlich.

Eine solche schwimmende Bestie musste er unbedingt sehen! „Halt‘ mal bitte “, sagte der Fuchs zu Pieter, der neben ihm stand.

Verblüfft nahm dieser die Botanisiertrommel in Empfang.

„Nö, alles gut, ich möchte hier bloß nicht das Gleichgewicht verlieren und zu den gefährlichen Fischen im Fluss stürzen.“ Leichtsinnig verließ der angehende Vampirjäger den Weg und kroch unter einem Holzgeländer durch, das hier die Spaziergän-ger vor dem Abgrund schützen sollte. Mit vorsichtigen, kleinen Schritten tippelte er quer über das Geröll zur Klamm und ver-suchte von dort aus, einen Blick aufs Wasser zu erhaschen. Lei-der versperrte ihm gerade an dieser Stelle ein überhängender Felsblock die Sicht nach unten. Ganz langsam schob sich das Füchslein bis direkt an den Rand der Felsenschlucht. Es beugte den Oberkörper vor und spähte in die Tiefe. Endlich hatte Tim freien Blick. Im Wasser des aufgeweiteten Flussabschnitts konn-te der Fuchs nun die schlanken Schatten von Fischen hin und her huschen sehen.

„Sei bloß vorsichtig, komm‘ wieder her!“ – Samanta blieb fast das Herz stehen, als sie ihre Reisebekanntschaft direkt am Rande der Schlucht sah.

Tim drehte sich zu den Pfadfindern um. „Keine Sorge, hier habe ich einen bombensicheren Stand“, rief er lauthals und winkte seinen Wandergefährten fröhlich zu. „Jetzt muss ich aber noch mal ganz genau gucken, ob es da unten nun diese blöden Tigerfische tatsächlich gibt.“ Damit wandte er sich wieder zur Klamm, beugte sich weit hinüber und starrte erneut angestrengt auf das hier nur langsam dahinfließende Wasser.

„Nichts Großes mit scharfen Zähnen in der Brühe zu erken-nen“, hörte man den Fuchs gegen den aufkommenden Wind brüllen. Und das, obwohl hier das Wasser doch wirklich sauber und fast so durchsichtig wie Glas war.

Plötzlich riss Tim beide Arme in die Höhe. Unter seinen Schuhen hatte sich ein Stein gelöst und fiel platschend in den Fluss. Sand rieselte hinterher. Der übermütige Fuchs hatte den Halt unter den Füßen verloren. Nur noch auf einem Bein ste-hend, machte er eine halbe Drehung um die eigene Körperachse.

In diesem Moment sprintete Samanta los. Flink und gelenkig wie ein Wiesel sauste sie mit eingezogenem Kopf in einer flie-ßenden Bewegung unter der Holzbarriere durch. Das tapfere Gazellenmädchen erreichte Tim und packte ihn am Hemd. Aber es war bereits zu spät. Mit weit aufgerissenen Augen vollendete der Fischbeobachter seine Pirouette in der Luft. Dann verlor er vollends das Gleichgewicht und stürzte mit einem wilden Schrei über den Rand der Schlucht. Samanta, fest an den Fuchs ge-klammert, wurde mit in die Tiefe gerissen.

Den auf dem Weg zurückgebliebenen Pfadfindern blieb fast das Herz stehen, als sie hilflos mit ansehen mussten, wie ihre Freunde über den Rand der Klamm stürzten und plötzlich nicht mehr zu sehen waren. Es war totenstill, keiner konnte zunächst auch nur ein Wort sagen. Dann rannten alle los, duckten sich unter dem Geländer durch und blieben am Abgrund stehen.

Die Mädchen beugten sich, gehalten von Pieter und Malusi, soweit es ging vor und starrten hinunter auf den Fluss. Da war nichts zu sehen. Kein Tim aus Deutschland und keine Samanta. Ruhig, als wäre nichts geschehen, folgte der Fluss seinem Lauf.

Die Jungs zogen Anele und Mandisa zurück. Die Zwillings-mädchen begannen zu weinen.

„Ich muss da runter“, rief Pieter verzweifelt. „Die können doch nicht so einfach ertrunken sein.“

Der Büffeljunge nahm ein festes Seil, das zu seiner Ausrüs-tung als Pfadfinderführer gehörte, von der Schulter. Er knotete es fest um den Stamm eines dürren Baums, der hier auf steini-gem Grund ein kümmerliches Auskommen hatte. „Du, pass‘ bloß gut auf, dass das hier nicht abgeht und ich auch noch im Fluss lande“, wies er Malusi an. „Am besten, du hältst den Strick auch mit fest.“

„Geht klar, Chef“, antwortete das große Zebra, das sich wie-der ein wenig beruhigt hatte, und schnappte sich vor dem Baumstamm das Seil.

„Also, Leute, ich klettere jetzt hier runter“, sagte Pieter mit belegter Stimme und stellte Rucksack und Botanisiertrommel ab. „Außerdem brauchen wir Hilfe. Anele, du und deine Schwester, ihr ruft jetzt sofort mit der Nummer 10111 die Polizei und mit der 10177 den Rettungsdienst an. Nehmt dazu mein Handy.“ Der Büffel fischte aus seinen tiefen Taschen ein modernes Smartphone und warf es dem verheulten Antilopenmädchen zu. „Ab geht die Post“, hörte man ihn ausrufen, und schon kletterte Pieter über den Rand der Klamm. Gekonnt rutschte der trainier-te Pfadfinder, das Seil um ein Bein gewickelt und zwischen die Füße geklemmt, am straff gespannten Strick in die Tiefe. Knapp über dem Wasser kam er zum Stillstand und schaukelte über der spiegelnden Fläche sanft hin und her.

„Niemand da, hier schwimmt keiner. Auch sonst ist nichts zu sehen. Keine Ausrüstungsgegenstände, gar nichts“, schrie Pieter entsetzt nach oben.

Mit weichen Armen und letzter Kraft kletterte der Büffeljunge wieder hinauf. „Habt ihr Hilfe geholt?“, fragte er, nun ebenfalls mit Tränen in den Augen, die Antilopen-Zwillinge.

„Wir haben ununterbrochen versucht, die Rettung oder die Polizei anzurufen, sind aber nicht durchgekommen. Leider gibt es hier in den Bergen oft keinen Handyempfang. Die Felsen schirmen die Funkwellen ab“, antwortete Mandisa und schniefte durch die Nase.

„Das habe ich befürchtet! Wir müssen ohnehin auch selbst weiter den Fluss absuchen, denn möglicherweise sind Tim und Samanta trotz der geringen Strömung hier im kleinen See fluss-abwärts getrieben. Ich habe da einen Plan“, erklärte Pieter seinen Gefährten. „Wir rennen jetzt alle los, weiter den Weg entlang. In etwa fünfhundert Metern führt ein Steg auf die andere Seite der Klamm. Malusi und ich, wir beide überqueren diese kleine Brü-cke. Drüben, das weiß ich, geht auch ein Pfad am Fluss entlang. Von dort aus haben wir gute Sicht auf das Wasser und die Fels-brocken im Fluss. Anele und Mandisa, ihr holt Hilfe. Bleibt auf dieser Seite der Klamm und geht hier den Weg weiter entlang. Guckt zum Fluss hin, so gut ihr könnt, aber beeilt euch trotzdem. Denkt an die Abzweigung zum Falkenberg. Es ist nicht mehr allzu weit bis dahin. Sie ist manchmal mit Pflanzen zugewach-sen und schwierig zu erkennen! Trotzdem dürft ihr sie keines-falls verpassen. Wenn ihr bei Biko auf dem Berg seid und dort auch kein Handyempfang ist, soll er mit dem Funkgerät aus dem Notfallkoffer das Rettungsamt und die Polizei anrufen. Hat das jeder verstanden? Gibt es noch Fragen?“

Man schüttelte nur stumm den Kopf und packte die Riemen der Rucksäcke fester. Pieter trug dazu noch Tims Botanisier-trommel mit der Wunderblume darin.

Der Trupp setzte sich in Bewegung. Bald sausten die Pfadfin-der den steinigen Weg entlang Richtung Brücke. Dorthin, wo das Wasser in der Klamm wieder rauschend und gurgelnd über die Felsen im Fluss sprang.

Was aber war mit den beiden Abgestürzten geschehen? Wa-ren Samanta und Tim tatsächlich im Flusskessel ertrunken oder flussabwärts zwischen die Felsen ins rauschende Wasser gespült worden?

Erinnern wir uns zurück: Tim hatte, direkt am Rand der Klamm stehend, das Gleichgewicht verloren und war in den Fluss gefallen. Samanta, die kleine tapfere Gazelle, hatte ihn im letzten Moment vor dem Absturz bewahren wollen. Leider kam der Rettungsversuch einen Augenblick zu spät. So plumpsten beide, eng aneinander geklammert, ins Wasser.

Man sagt, dass einem in der letzten Sekunde des Lebens noch einmal vieles wie in einem Film durch den Kopf geht. Tim ging während des Sturzes gar nichts durch den Kopf. Sch…ade, konnte er gerade noch denken. Dann platschten er und neben ihm Samanta auch schon wie Steine ins recht kühle Nass. Gott sei Dank war das Wasser hier tief und es bestand keine Gefahr, mit dem Kopf auf einem Stein aufzuschlagen. Eine Wasserfon-taine spritzte fast bis zum Rand der Klamm empor, dann waren das Füchslein und die Gazelle fürs Erste von der Bildfläche ver-schwunden. Der kleine Vampirjäger und falsche Forschungsrei-sende hielt die Luft an und riss unter Wasser weit die Augen auf. Unmengen von Luftblasen blubberten an seinem Körper vorbei. „Bloß gut, dass wir Füchse einigermaßen schwimmen können“, dachte Tim. „Hoffentlich trifft das auch auf die Gazelle zu.“ Dann wurde es heller um ihn herum, und er durchstieß die Wasseroberfläche. Prustend und hustend schnappte der Rot-fuchs nach Luft. In diesem Moment tauchte neben dem seinen wild schnaufend der Kopf der abgestürzten Pfadfinderin auf. Tims Sorge um Samanta war völlig unbegründet gewesen: Wenn es sein muss, schwimmen Gazellen genauso gut wie Flaschen-korken.

„Bist du verletzt, geht es dir gut?“, rief Tim seiner Wasser-nachbarin zu.

„Alles ganz prima, ich nehme hier bloß mal wieder ein erfri-schendes Vollbad“, antwortete Samanta verständlicherweise etwas schnippisch.

Der Fuchs atmete auf, der Gazelle war außer dem unfreiwilli-gen Badevergnügen offenbar nichts Schlimmeres geschehen.

Trotz ihrer misslichen Lage im Wasser konnte Samanta, der beim Sturz in die Klamm wirklich nichts passiert war, nun auch schon wieder schmunzeln. Froh, dass sich der Fuchs ebenfalls nicht verletzt hatte, winkte sie dem nassen Bruder Leichtsinn sogar zu. Ihren schmalen Rucksack hatte das Mädchen immer noch auf dem Rücken. Aber der störte oder behinderte es an-scheinend überhaupt nicht.

Tim sah sich nach einem festen Ufer um. Schwimmend blickte er in die Runde. Steil stiegen ringsum die Felswände der Klamm direkt aus dem Fluss in die Höhe. Allein wäre es sehr schwierig, hier wieder hochzuklettern. Aber die Freunde oben würden ih-nen natürlich dabei helfen, war sich der Fuchs sicher.

Ganz plötzlich verspürte er einen heftigen Schmerz in seiner linken Hinterbacke.

TIGERFISCHE, jetzt hat mich einer erwischt, schoss es Tim siedend heiß durch den Kopf. Ab heute bin ich vielleicht der einzige Fuchs auf der Welt mit nur einer Pobacke. Im günstigs-ten Fall! Wenn es noch schlimmer kommt, fressen mich diese Viecher bis auf die Knochen ab, und der armen Samanta wird es nicht anders ergehen.

Die Gazelle neben ihm im Wasser grinste plötzlich breit über beide Wangen.

„Das arme Mädchen hat die Gefahr, in der wir schweben, noch gar nicht erfasst“, dachte Tim und schrie warnend auf: „TIGERFISCH-ALARM!!!“

„Nö“, sagte Samanta lachend. Dann zerrte sie geschickt einen dicken, dornigen Ast unter dem Füchslein hervor. Dieses Treib-holz, stachelig wie ein Seeigel, war von hinten angespült worden und hatte Tim kräftig in den Allerwertesten gepikt.

„Ha, ha, ha, wirklich sehr lustig. Lange nicht mehr so ge-lacht“, muffelte der Fuchs. Aber sichtlich erleichtert war er schon!

Obwohl die Strömung hier in der Flusslagune gar nicht mal so besonders stark war, erfasste plötzlich ein sanfter, aber unwiderstehlicher Sog unsere beiden Klippenspringer und zog sie seitab zu einer finsteren Öffnung links in der Felswand des Flussbeckens. Samanta und Tim schwammen gegen den Strudel an. Sie strampelten wie wild mit den Beinen und schlugen im Wasser um sich. Aber da half alles nichts. Immer näher kam das dunkle, gähnende Loch auf sie zu. Entsetzt schauten sich die Kinder an. Aber schon hatte sie der Berg verschlungen und das Tageslicht verschwand mit einem Mal.

Fast im gleichen Moment, allerdings eben nur fast, tauchte oben am Rand der Klamm Pieter, der Anführer der Pfadfinder, auf. Am Seil hängend, spähte er suchend nach unten.

Dort jedoch spiegelte sich nur noch die Sonne in der leeren, sanft gekräuselten Oberfläche des Flusses.

* * *

Abwärts, immer abwärts, auf dem Hosenboden über glitschi-ge Steine, ging die Reise für Tim und Samanta in den Bauch der Erde. In schäumendem Wasser führte die Rutschpartie in sau-sender Fahrt durch eine Felsenröhre in die Tiefe. Dampfender Wassernebel hüllte die Kinder ein, die in fast vollständiger Dun-kelheit laut kreischten. Immer, wenn es etwas langsamer wurde, dachte der Fuchs, sie würden nun zum Stillstand kommen. Aber jedes Mal ging der Höllentrip hinter der nächsten Biegung des schmalen Gangs nur umso schneller voran. Es gab kein Anhalten auf dem vom Wasser glattpolierten nassen Felsgestein!

Tim fühlte sich wie in einem 3D-Film im Vergnügungspark. So was hatte er mit seinen Eltern schon öfter gesehen. Da wirkte auch alles ziemlich echt: Loren rasen mit einem als unfreiwilli-gem Passagier auf wackligen Gleisen durch verlassene Bergwerke.

Oder man sitzt in einer kleinen Raumfähre, die ständig im allerletzten Moment irgendwelchem Weltraumschrott aus-weicht. Alles total realistisch, sogar die Sessel, auf denen die Besucher in solchen 3D-Kinos angeschnallt sind, wackeln mit. Sie machen sogar Bocksprünge, wenn es im Film um enge Kur-ven oder über plötzlich auftauchende Hindernisse geht. Wie gesagt, alles zwar total realistisch, aber eben trotzdem nur Kintopp.

Das hier hingegen war die harte Wirklichkeit. Hart im wahrs-ten Sinne des Wortes. Das spürten Samanta und Tim besonders an ihren Hinterteilen. Was mussten die armen Gesäße nicht alles aushalten! Immer wieder krachten die Popos auf spitze Steine im felsigen Untergrund ihrer rasanten Rutschbahn. Besonders hatte natürlich der Fuchs zu leiden, dessen halber Hintern ja schon durch die Dornenstiche sehr vorgeschädigt war.

Jedes Leiden hat einmal ein Ende. So war es natürlich auch hier. Nach endlos erscheinenden Sekunden des unsanften Ab-wärtsgleitens im Wasserschwall, wurde es um unsere beiden Helden schließlich ein wenig heller. Wunderschöne, durchsich-tige Bergkristalle und Pyrite, das sogenannte Katzengold, schimmerten in den Wänden der Felsenröhre. Aus verständli-chen Gründen hatten der Fuchs und die Gazelle aber momentan keinen Sinn für die Schönheiten der sie umgebenden Natur. Un-vermittelt tauchte im Blickfeld direkt vor ihnen eine Art großer grauer Fleck auf. Noch ehe die beiden auch nur einen klaren Gedanken fassen konnten, segelten sie auch schon, so wie sie waren, erneut durch die Luft.

„Nicht schon wieder“, dachte Tim. Für seinen Geschmack hatte er heute als fliegender Fuchs schon genug erlebt. Aber es wird ja im Leben nicht immer danach gefragt, ob man dieses oder jenes auch wirklich möchte.

„Hoffentlich geht wenigstens die Landung gut“, schoss es dem unfreiwilligen Luftreisenden noch durch den Kopf.

PLATSCH!!! Meterhoch spritzte das Wasser, als der Fuchs aufschlug und dann untertauchte. Nach Luft ringend, erschien er kurz darauf wieder an der Oberfläche des großen Sees hier tief unten im Bauch der Felsen. Tim hob den Kopf, soweit es ging, aus dem Wasser und sah sich um: Er war in eine riesige Höhle gespült worden. Das dunkle Gewässer, in dem er nun wie ein Klößchen in der Suppe herum paddelte, bedeckte einen gro-ßen Teil des Bodens dieses unterirdischen Hohlraums. Die Wän-de der Höhle schimmerten in einem düsteren gespenstisch-grünen Licht. Rauschend ergoss sich hinter dem schwimmenden Fuchs Wasser aus der Felsenröhre, die unsere beiden hierher transportiert hatte, in den See.

„Na, wenigstens sind wir nicht auf hartem Boden aufgeschla-gen.“ Tim war erleichtert und blickte sich suchend nach Samanta um. Diese war nicht weit entfernt im Wasser gelandet und wink-te ihm nun mal wieder zu.

„Nichts passiert“, rief sie zum Füchslein hinüber. „Komm, wir schwimmen an Land“.

Nach wenigen Minuten der Anstrengung erreichten Tim und Samanta das steinige Ufer des unterirdischen Sees. Pitschnass und tropfend stiefelten sie eine kleine Anhöhe empor und setz-ten sich dort auf große Steine, die wie von einem Riesen aufge-richtet in die Höhe ragten.

„So, die Stühle hätten wir also, der Tisch und das Essen feh-len“, bemerkte der rotbepelzte ehemalige Luftreisende und nunmehrige Höhleninsasse traurig.

„Wie spät ist es eigentlich?“, fragte Samanta.

Tim schwante Schlimmes. Voll böser Vorahnung blickte er an sich herab und auf die Uhr vor seiner Brust. Aber, oh Wunder, sie baumelte dort noch ganz friedlich und scheinbar unversehrt. Der Fuchs schaute auf die Rückseite seiner „Zwiebel“: 10 BAR war dort eingraviert zu lesen. Das soll bedeuten, dass eine solche Uhr bis zu einer Wassertiefe von 100 Metern dicht ist und somit beim Schwimmen und Tauchen getragen werden kann. Erleich-tert atmete Tim auf und hielt sich seinen Zeitmesser ans Ohr. Ticktack, ticktack, ganz regelmäßig war das Uhrengeräusch zu vernehmen. „Schon 12.30 Uhr, da brauche ich mich nicht zu wundern, dass ich langsam Hunger kriege“, maulte der nasse Fuchs.

Samantas Rucksack hatte es leider nicht so gut wie die Um-hängeband-Uhr getroffen: Der Inhalt war völlig durchgeweicht. Alles pitschnass und so nicht zu gebrauchen. Mit Ausnahme einer dicken Tube Sonnencreme, aber die war hier im Moment wirklich fehl am Platz. Am schlechtesten war es einer Packung Schokokekse ergangen, eingepackt für den kleinen Hunger zwi-schendurch. Dieses leckere Gebäck hatte sich im Wasser in eine krümelige braune Paste verwandelt, überall im Rucksack ver-teilt.

„Also, nichts zu essen da!“ Samanta beendete enttäuscht das Herumkramen in ihrem nassen Rucksack. „Verdursten werden wir jedenfalls nicht, das steht schon mal fest. Aber weg kommt man hier wahrscheinlich auch nicht. Schau‘ dich noch mal um: Da oben, der graue Fleck, aus dem das Wasser läuft, ist die Fel-senröhre, durch die wir gekommen sind. Dorthin gibt es für uns garantiert kein Zurück.“

Langsam drehte sich die Gazelle im Kreis und suchte mit den Augen noch einmal die Wände der Höhle nach einem Ausgang ab. Doch davon war nichts zu sehen. Überall gab es im Halb-dunkel nur leicht grünlich leuchtende Felsen ohne erkennbare Durchgänge.

„Alles nicht so schlimm“, versuchte der Fuchs das Mädchen zu trösten. „Es ist zwar ziemlich finster, aber immerhin sitzen wir hier nicht in völliger Dunkelheit. Pieter und die anderen suchen bestimmt schon nach uns. Vielleicht ist inzwischen sogar schon eine großangelegte Rettungsaktion in die Wege geleitet worden. Doch, es stimmt schon, ich sehe hier momentan leider auch keinen Ausweg. Aber irgendwie muss das Wasser, das ständig in den See gelangt, auch wieder abfließen. Sonst wäre die Grotte längst vollgelaufen. Weißt du was, wir gehen hier jetzt direkt an den Höhlenwänden entlang und klopfen sie mit Steinen nach hohlen Stellen ab. Vielleicht ist aus der Nähe be-trachtet doch ein Durchgang zu entdecken. Viel mehr können wir momentan nicht tun. Wenn kein Weg nach draußen zu fin-den ist, muss eben abgewartet werden, bis Hilfe kommt. Zum Zeitvertreib kannst du ja außerdem den Boden ein wenig nach Kerzenstummeln absuchen. Sehr hell ist es hier nämlich nicht und in solch dunklen Höhlen findet man meistens Kerzenstum-mel! Denk‘ bloß mal an ‚Tom Sawyers Abenteuer‘ mit dem bö-sen Indianer-Joe in der verschlossenen Felsgrotte…“

Tim verstummte und biss sich auf die Lippen. Das mit Mark Twains berühmtem Buch war nun wirklich alles andere als ein Mutmacher für die verängstigte Gazelle, die gerade ihr blaugel-bes Halstuch auswrang.

Da schimpfte Samanta auch schon los: „Eigentlich dachte ich, du bist ein netter und vernünftiger Junge. Aber du bist ein rich-tiger BLÖDMANN. Kerzenstummel? Vielleicht als Mittagessen? Bei dir piept’s wohl.“

„War ja nicht so gemeint, reg‘ dich bloß nicht auf. Mit dem kleinen Scherz wollte ich dich nur ein wenig aufmuntern“, ver-suchte der Fuchs seine Leidensgefährtin zu beruhigen.

„Na, das hat wirklich prima geklappt“, schniefte diese und verdrehte genervt ihre Augen. Empört pustete Samanta die Wangen auf, legte den Kopf in den Nacken und hob den Blick zum Himmel. Oder – richtigerweise gesagt – natürlich zur Höh-lendecke.

Dabei schaute sie geradewegs in das hässliche Gesicht eines Ungeheuers, das mit ausgebreiteten Flügeln langsam und lautlos aus der Höhe herabschwebte.

Das Monster war etwa so groß wie eine Dogge und damit ein ganzes Stück größer als das Füchslein, das nebenan immer noch irgendetwas zu erzählen hatte. Es raschelte nur leise, als das Ungetüm neben den Kindern landete.

Samanta stieß einen spitzen Schrei aus und kippte um. Tim fuhr herum und konnte das ohnmächtige Mädchen, bevor es mit dem Kopf auf dem steinigen Boden aufschlug, gerade noch auf-fangen. Behutsam setzte das Füchslein die kleine Gazelle, die langsam wieder zu sich kam, auf und lehnte sie mit dem Rücken an einen der großen Stuhlsteine. „Geht es wieder?“, fragte er besorgt.

„Könnte besser sein“, tönte eine Stimme hinter ihm.

Tim wirbelte herum und blickte entsetzt in ein Gesicht, das ihn aus runden Augen mit schwarzen Pupillen neugierig an-starrte. Im halb geöffneten Mund blitzten zwei messerscharfe Schneidezähne. Zwei riesige trichterförmige Ohren machten das Wesen auch nicht sympathischer. „Das ist eine Super-Vampirfledermaus, wahrscheinlich die größte der Welt“, schoss es Tim durch den Kopf.

„Was ist das hier für ein übler Radau?“, beschwerte sich die gefährlich aussehende Erscheinung in gut verständlichen Wor-ten. Das Fleder-Monster gähnte herzhaft. „Ihr habt uns ge-weckt“, bemerkte es vorwurfsvoll.

Es raschelte erneut in der Höhe.

Wie auf Kommando sahen die Kinder gleichzeitig nach oben. An der Decke des Höhlengewölbes klebten in der Art großer Beutel dunkle Gestalten. Einige lösten sich, entfalteten lautlos ihre Flügel und schwebten zu ihrem schon am Boden befindli-chen Gefährten herab. Schließlich sahen sich der Fuchs und die Gazelle von acht dieser großen Vampirfledermäuse umringt.

Das zuerst gelandete Ungeheuer, offenbar Chef und Wortfüh-rer der spitzzahnigen Gesellen, sah Tim im grünlichen Licht der Grotte mit leblos wirkenden Augen an.

„Wer seid ihr überhaupt, und wie kommt ihr in unsere abso-lut geheime Schlafhöhle?“, wollte das offensichtliche Geschöpf der Nacht wissen.

„Na ja, eigentlich ist mir das im Moment ziemlich egal“, fuhr die riesige Fledermaus fort. „Wach sind wir ohnehin alle“, wandte sie sich an ihre herumstehenden Gefährten. „Ich weiß ja nicht, wie es euch geht, ich muss mich jedenfalls erst mal stär-ken. Vor allem habe ich einen riesigen Durst, einen richtigen Brand sozusagen.“

Unseren zwei unfreiwilligen Höhlenforschern drohte bei die-sen Worten das Herz stehenzubleiben.

Der Fuchs stellte sich mutig vor die kleine Gazelle, die bereits vor Angst zu bibbern begann.

„Wir wissen ganz genau, was euer böser Plan ist. Ihr wollt uns in den Hals oder sonst wohin beißen und Blut aussaugen“, sagte Tim mit zittriger Stimme zum Anführer der grausigen Vampirfledermäuse.

„Aber so einfach, wie ihr denkt, wird das nicht! Wir werden uns wehren“, schrie der Fuchs plötzlich los. Er ballte seine zuge-gebenermaßen nicht sehr eindrucksvollen Fäuste. Samanta kramte in ihrem nassen Rucksack. Dann zog sie die Sonnencremetube hervor, hielt sie mit dem Mut der Verzweiflung der Oberfledermaus als Pistole vor die Nase. „Zurück, du alter Blut-sauger, oder es knallt“, keuchte sie.

Das Flederwesen, das im grünlichen Dämmerlicht nicht be-sonders gut sehen konnte, zog vorsichtshalber den Kopf ein. Ohnehin sehen Fledermäuse die Welt nur in Schwarz-Weiß-Bildern.

„Blut aussaugen, spinnst du? Wem um alles in der Welt sol-len wir so viel Blut aussaugen? Dir vielleicht, Kleiner?“, regte sich die Gestalt im Halbdunkel der Höhle auf. „Mann, Füchslein, kapier’s doch“, hörte man den Chef der Riesenfledermäuse wei-ter schimpfen. „Wir trinken kein Blut und verletzen niemanden. Tollwut übertragen wir auch nicht, falls du es genau wissen willst. Bei uns täuscht der Name ‚Vampirfledermaus‘ gründlich. Wir sind etwas anders als unsere gewöhnlichen kleinen Na-mensvettern. Sind sozusagen verändert worden. Unsere Ernäh-rung ist eine völlig andere. Wir essen oft und gerne Gemüse fast aller Art. Außer Zwiebelgemüse! Zwiebeln, Porree und Lauch kommen nicht auf den Tisch. Knoblauch schon gar nicht. Dafür essen wir ganz viel Wurzelgemüse wie Yams und Süßkartoffeln, die es hier in Südafrika reichlich gibt, und natürlich Rote Bete. Ansonsten Kohl aller Art, Rüben, Bohnen, Erbsen… Auch Spinat steht oft auf dem Speiseplan. Der enthält reichlich Vitamine, Eisen fürs Blut und andere Mineralstoffe sowie Eiweiß. Das gibt Power, sag‘ ich dir.

Der Dicke hier, das ist unser Dogo. Der isst besonders gerne nahrhafte Avocados, was man ihm inzwischen auch ein wenig ansieht.“

Dogo grinste. „Kräftig, nicht dick“, bemerkte er vornehm. Dann flatterte er ein paar Meter seitlich davon, bückte sich und zog hinter einem der Stuhlsteine eine dort verborgene große graue Holzkiste hervor. „Kürbis für alle“, krähte er fröhlich, klappte den Deckel hoch und schnappte sich eine gelb-orange Frucht aus dem Kasten.

Tim, der sich mit Samanta den Fledermäusen zugesellt hatte, sah genauer hin. Die Kiste war randvoll mit Kürbissen gefüllt, offensichtlich eine Delikatesse für die geflügelten Vegetarier in der Höhle. Alle acht versammelten sich rasch um die Kiste und stopften sich bis zum Geht-nicht-mehr mit Kürbis voll.

Auch der Chef der großen Flatterfritzen schlug krachend sei-ne kräftigen Zähne in eines der Gemüseteile und mampfte ge-nüsslich.

„Das hat gutgetan“, seufzte die Riesenfledermaus schließlich und warf die Schalen im hohen Bogen ins Halbdunkel der Höh-le.

„Umweltferkel“, bemerkte der Fuchs vorwurfsvoll.

„Weiß schon, soll man nicht machen. Ist nur so eine alte An-gewohnheit. Pass bloß auf, dass du nachher nicht drauf aus-rutschst und mit dem Kopf auf die Steine knallst“, sagte der Fle-dermaus-Anführer selbstkritisch.

„Kann man auch wieder aufheben“, maulte Tim und bekam vornehmes Schweigen als Antwort.

Schließlich räusperte sich sein geflügelter Gesprächspartner: „Fruchtgemüse wie Kürbisse, Honigmelonen, Tomaten und Gurken essen wir jedenfalls am liebsten. Eigentlich könnte man uns als ‚Gemüse-Fledermäuse‘ bezeichnen. Das klingt im ersten Moment zwar zugegebenermaßen etwas blöd, trifft aber den Nagel so ziemlich auf den Kopf. Trink-Blut ist für uns nicht mehr nötig! Schau dir ruhig an, wie groß und kräftig wir durch rein pflanzliche Kost geworden sind.“

„Mich laust der Affe“, entfuhr es Tim und Samanta neben ihm bekam vor Staunen den Mund nicht zu. Angst hatten die beiden vor den seltsamen Flügel-Wesen nun erst mal keine mehr.

„Um auf meine Frage von vorhin zurückzukommen: Würdet ihr uns nun bitte sagen, wer ihr seid und wie ihr diesen verbor-genen Ort gefunden habt? Wie ich schon erwähnt habe, ist das hier unsere Schlafstätte. Wenn uns nicht gerade irgendwelche Krawallamseln stören, pennen wir hier tagsüber. Bei Einbruch der Nacht verlassen wir die Höhle und gehen bis zum Morgen-grauen unseren Geschäften nach.

Und jetzt möchte ich mich euch erst einmal vorstellen: Ich bin Mahiri, der Älteste der Gruppe, und von unserem Herrn und Meister zum Anführer des Trupps bestimmt. Den hier, unseren Dogo, kennt ihr schon.“

Dann stellte die Oberfledermaus Tim und Samanta den Rest ihrer kleinen Schar vor.

„Sehr angenehm“, sagte das Füchslein höflich bei jedem neu-en Namen, der auf ihn im Schnellverfahren einprasselte.

„Nun zu uns“, fuhr er fort. „Das ist Samanta; ich heiße Tim und komme aus Good old Germany, also aus dem fernen Deutschland.

Ich bin in Südafrika zu Besuch bei meiner Omama und habe einen Schulauftrag zum Pflanzensammeln. Mit Samantas Pfad-findergruppe machen wir heute eine Wanderung zum Falken-berg. Dann habe ich ja unbedingt nach Tigerfischen Ausschau halten müssen und bin leider in den kleinen See der Flussklamm gestürzt. Samanta hat mich noch festhalten wollen. Aber da ist nichts mehr zu machen gewesen. ‚Platsch‘ – sind wir beide im kalten Wasser gelandet.

Dann der Sog und die Rutschpartie auf dem Hosenboden durch den Kanal im Felsen.

Schließlich noch mal ‚Guten Flug und Platsch‘.

Und hier sind wir nun, an diesem wunderschönen Urlaubsort für Nachtfalter“, beendete der immer noch sehr nasse Fuchs sei-ne Ansprache.

„Na, na, na, na – Nachtfalter sind wir ja nun nicht gerade“, erwiderte Mahiri. „Und Urlaub machen wir in dieser Höhle auch keinen, sondern schlafen hier nur tagsüber. Und in der Nacht, wie gesagt, wartet die Arbeit auf uns.“

Tim hatte nun vollends die Furcht vor den offensichtlich gutmütigen Flugwesen verloren. Auch musste er an die Spukge-schichten in den Drachenbergen von Transvaal denken, die ihm Pieter auf dem Wanderweg am Fluss entlang erzählt hatte. Das mit den riesigen Fledermäusen morgens und abends in der Dämmerung über den Bergen hatte sich ja nun schon als die Wahrheit erwiesen. „Vielleicht gibt es dann ja auch ein in den Bergen verstecktes altes Schloss“, überlegte der Fuchs weiter. „Und wer wird wohl darin wohnen? Wer ist der Herr und Meis-ter, der die Vampirfledermäuse so ‚verändert‘ hat?“

„Eure ‚Geschäfte in der Nacht‘ – lass mich raten, ihr klaut den Bauern eifrig Früchte und Gemüse von den Bäumen und Fel-dern“, krähte der Fuchs schließlich vorlaut mit etwas schriller Stimme in Richtung Mahiri.

„Gelegentlich nehmen wir uns mal was, das stimmt schon“, nuschelte der Fledermaus-Anführer kleinlaut.

„Aber immerhin helfen wir auch, soweit das in der Nacht möglich ist, den Bauern bei der Pflege ihrer Felder und Gärten.

Übrigens mal was ganz anderes: Wo hast du alter Blumen-heini denn die beim Ausflug gesammelten Pflanzen?“, wollte Mahiri nun von Tim wissen.

Statt des Fuchses antwortete Samanta, die an die Wunderwir-kung der weißen Blüte dachte: „Gott sei Dank hat er vor der blödsinnigen Suche nach Tigerfischen in der Tiefe der Klamm seine Botanisiertrommel Pieter, dem Leiter unserer Wander-gruppe, übergeben. Die Trommel und sein Rucksack haben also das schöne Vollbad verpasst. Ganz im Gegensatz zu meinem Ränzlein, das samt Inhalt völlig durchgeweicht ist.“ Traurig zeigte die kleine Gazelle dabei auf ihren Rucksack, in dem sie unauffällig die „Pistolen-Sonnencremetube“ verschwinden ließ.

„Wenn ihr schon mal hier seid, was machen wir denn nun ei-gentlich mit euch?“, überlegte die Gemüse-Oberfledermaus laut. „Ihr friert sicherlich bereits mächtig in den nassen Sachen. Klei-dung zum Wechseln haben wir für euch hier unten natürlich nicht. Aber etwas Warmes zum Umhängen!“

Dogo, der mal wieder die Ohren gespitzt hatte, flatterte mit seinen riesigen Flughäuten, hob vom Boden ab, segelte davon und landete am anderen Ende der geräumigen Höhle. Dort konnte man im Dämmerlicht die Umrisse weiterer großer Kisten erkennen. Dogo kramte darin herum und kehrte schließlich auf allen Vieren zurück, wobei er sich beim Laufen auf die Handge-lenke der gefalteten Flügel stützte. Er hatte sich zwei große Stoffdecken, die in der Art von Überwürfen gearbeitet waren, umgehängt. „Sitzkissen, Essen und Trinken findet ihr in den Behältern hinter den Felsbrocken, die ihr Stuhlsteine nennt“, ließ die dicke Fledermaus Fuchs und Gazelle wissen.

Einige Minuten später hatten der Fuchs und seine unfreiwil-lige Begleiterin, dick in die kratzigen Decken eingemummelt, auf den emporragenden großen Steinen Platz genommen. Auf wei-chen Kissen sitzend aßen sie mit Appetit frische Honigmelonen und Tomaten aus den schier unerschöpflichen Vorräten der Rie-senfledermäuse.

Langsam wurde es dem Fuchs und Samanta unter ihren Stoffumhängen warm. Die beiden fühlten, wie sie durch das gute Essen zu neuen Kräften kamen.

„Gibt’s auch was zu trinken?“, erkundigte sich Samanta bei den geflügelten Höhlenbewohnern.

„Klar könnt ihr hier auch was trinken“, entgegnete ihr eines der Flügelwesen und feixte. „Was ist euch lieber, frischgeschöpf-tes Seewasser oder aus der Buddel hier ein kräftiger Schluck Blut?“ Dabei hielt der angebliche Gemüseliebhaber und Vollve-getarier eine dickbauchige Flasche, randvoll gefüllt mit einer karminroten Flüssigkeit, in die Höhe. Genüsslich nahm er einen tiefen Schluck und seufzte dann wohlig: „Das hat gutgetan!“

Der Fuchs und die Gazelle erschraken recht heftig. Hatten sich die Fledermäuse nur verstellt und wollten ihnen nun doch noch an den Kragen?

„Keine Panik“, meldete sich Mahiri, der die entsetzten Ge-sichter der beiden gesehen hatte. „Unser Jamil hier ist und bleibt nun mal ein übler Scherzbold, vor dessen Streichen niemand sicher ist. Kostet ruhig mal selber! In dieser Flasche ist wirklich nichts außer purem Tomatensaft.“

Jamil zwinkerte Samanta mit einem seiner wimpernlosen Au-gen zu: „Kannst ruhig mal kosten.“ Mit diesen Worten reichte er dem Mädchen die rotgefüllte Flasche.

Das nahm todesmutig einen kräftigen Schluck. „Hm, schmeckt wirklich ganz ausgezeichnet.“ Ein Strahlen ging über das hübsche Gesicht der kleinen Gazelle. „Prächtiger Tomaten-saft, offenbar aus frischen Früchten gepresst. Timi, den musst du unbedingt auch mal kosten.“

Der Fuchs konnte dem dicken Lob der Kleinen nur zustim-men. „Ganz vorzüglich, superb, deliziös“, bestätigte er in ge-stelzten Worten nach einer Kostprobe. „Und tatsächlich kein bisschen blutig. Doch jetzt zum Abschluss der Mahlzeit, sozusa-gen zur Verdauung, für jeden noch ein Schnapsglas voll kräfti-gem Knoblauchtrunk“, versuchte nun Tim seinerseits die nicht blutsaugenden Vampirfledermäuse zu necken.

Diese schüttelten sich angewidert. „Soweit geht die Freund-schaft nun auch wieder nicht. Von Knobi und Co. wird uns je-denfalls übel, ich weiß auch nicht, warum. Aber was wird nun eigentlich mit dem angebrochenen Nachmittag? Wenn wir Gäste in unserer Höhle haben, können wir uns jetzt schlecht noch mal an die Decke hängen und einfach weiterschlafen.“

„An Samanta und mir soll es nicht liegen! Ihr sagt uns ein-fach, wie es aus dieser wässrigen Gruft herausgeht, und im Nu sind wir fort“, antwortete Tim Mahiri. „Ihr könnt dann noch ein gepflegtes Nickerchen machen und bei Einbruch der Dunkelheit davonsegeln.“

„Ganz so einfach wird es wohl nicht werden, mein liebes Füchslein.“

Der Anführer der Fledermäuse grinste und zeigte dabei seine spitzen Vorderzähne, was bei einem so großen Wesen dieser Art – Rohkosternährung hin, Rohkosternährung her – gefährlich aussieht. „Wir sitzen hier tagsüber genauso fest wie ihr beiden abgestürzten Pfadfinder. Momentan gibt es keinen Ausgang aus der Höhle. Und oben durch die Felsenröhre zurück, das würden nicht mal wir Fledermäuse schaffen. Hier unten geht es erst in etwa fünf Stunden raus. Der Ausgang der Grotte liegt jetzt unter Wasser. Der See ist über Kanäle mit tief im Berg gelegenen, was-sergefüllten Hohlräumen verbunden. Erst wenn in diesen zeit-weise der Wasserstand fällt, was ziemlich genau aller 12 Stun-den passiert, sinkt im See der Wasserspiegel in wenigen Minuten um mehrere Meter ab.

Holla, die Waldfee, bester Tim“, setzte Mahiri launig seine Rede fort. „Das muss man gesehen haben. Es ist, als ob der Stöp-sel aus einer riesigen Badewanne gezogen wird. Das Wasser verschwindet kubikmeterweise zischend und gurgelt durch die Spalten im Seeboden. Aber schon nach einer halben Stunde ist der Spuk vorbei. Der rasante Abfluss des Wassers stoppt und der Wasserspiegel im See steigt durch Rückflüsse aus der Tiefe und den Zustrom über den Wasserfall wieder an.

Doch sag mal, wie spät ist es jetzt eigentlich?“ Mahiri gähnte herzhaft und schaute den Fuchs fragend an.

Tim guckte auf seine unverwüstliche Uhr. „Ziemlich genau viertel vier“, antwortete er der großen Fledermaus. „Da ist dann wohl jetzt nichts zu machen mit raus aus der Höhle.“

„So is‘ es, Füchslein hat‘s kapiert“, freute sich Mahiri.

„Nehmt es uns bitte nicht übel, aber ihr beiden hättet ohnehin nicht so einfach aus unserer Schlafhöhle herausspazieren dürfen. Sie ist nun mal absolut geheim und soll es auch bleiben. So je-denfalls hat es der Herr und Meister befohlen. Und unserem Schöpfer folgen wir aufs Wort!“

„ ‚Herr und Meister‘, ‚Herr und Meister‘, das hör ich von dir nun schon zum x-ten Mal.“ Samanta schüttelte genervt den Kopf. „Jetzt sag doch, wer ist denn eigentlich euer berühmter ‚Herr und Meister‘? Oder ist das vielleicht auch ein Staatsge-heimnis?“

„Nö“, antwortete Mahiri. „Wir reden hier vom berühmten und geheimnisvollen Grafen Dracula“, fuhr das Geschöpf der Nacht unbekümmert in der Rede fort.

Tim, der unerkannte Vampirjäger, hörte dem Gespräch der beiden neben ihm nur mit halbem Ohr zu. Er hatte gerade über-legt, womit man sich hier zu zehnt die Zeit bis zum Abend ver-treiben könnte. „Reise nach Jerusalem“ auf den Stuhlsteinen wä-re mit den hüftsteifen Fledermäusen sicher lustig, schoss ihm gerade eine blendende Idee durch den Kopf. Die am Erdboden unbeholfenen Flatterfritzen hätten bei diesem Spiel gegen ihn, den fixen Fuchs, sicherlich null Chance.

Doch langsam drangen die Worte des Häuptlings der Fle-dermäuse in seinen Verstand. Was hatte er da gerade hören müssen? Wer war der Schöpfer dieser seltsamen Fledermäuse? Draf Gracula? NEIN, GRAF DRACULA, erinnerte er sich nun richtig an das soeben Gehörte.

Dem tapferen zukünftigen Besieger von Untoten, der aber bisher noch keinerlei praktische Erfahrungen in diesem gefährli-chen Job hatte, standen plötzlich sämtliche Haare in seinem ro-ten Pelz zu Berge. Ohne dass er etwas dagegen tun konnte, lief ihm ein eisiger Schauer über den Rücken. Der böse Graf Dracula, das Ziel seiner langen Reise, war hier irgendwo ganz in der Nä-he. Würde die Suche nun bald ein Ende haben, und könnte er Fritz und Lilly endlich aus der Gefangenschaft des fiesen Vam-pirfürsten befreien?

Sinnlose Grübelei war eigentlich nicht seine Art, und so be-schloss der Fuchs, den Dingen rasch auf den Grund zu gehen.

„Höre ich da Dracula? Von eurem Grafen hat man ja sogar bei uns in Deutschland schon so einiges vernommen. Und ehrlich gesagt, nicht viel Gutes. Ich hätte ihn zu gern mal persönlich kennengelernt. Sozusagen, um mir selbst ein Bild von dieser weltbekannten Persönlichkeit zu machen“, textete das Füchslein Mahiri von der Seite zu.

„Ach, unser Chef ist gar nicht so übel“, antwortete der vom plötzlich auf ihn einprasselnden Redeschwall des Fuchses über-raschte Fledermaus-Anführer. „Aber ich habe sozusagen eine gute Nachricht für dich. Dein Wunsch, Graf Dracula zu sehen, wird sich eh erfüllen. Auch wenn nachher der Ausgang der Höhle offen ist, du und Samanta, ohne unsere Hilfe kommt ihr hier nicht weg! Außer, ihr könnt fliegen wie wir. “

Bei diesen Worten öffnete Mahiri seine von den Armen bis zu den Füßen reichenden Flughäute. Dann flatterte er los, hob einige Meter vom Boden der Höhle ab und landetet Sekunden später wieder an gleicher Stelle.

„Aber davon gehe ich nicht aus! Ich fürchte, bei einem derar-tigen Versuch ginge es lediglich mal wieder steil bergab.“ Nach diesen spöttischen Worten wollte sich der Fledermaus-Anführer ausschütten vor Lachen. Auch seine sieben spitzzahnigen Ge-fährten waren augenscheinlich ungemein amüsiert. Einige wälz-ten sich sogar am Boden und hielten sich lachend den Bauch.

„Also warten wir eben, bis das Türchen aufgeht“, sagte Tim. „Was bleibt uns auch anderes übrig? Wie wär’s inzwischen mit ‘ner Runde ‚Reise nach Jerusalem‘ auf den Stuhlsteinen hier? Oder habt ihr Flatterfritzen eine andere Idee, womit wir uns jetzt hier beschäftigen können?“, wandte sich der vorlaute Fuchs an die geflügelte Schar.

„Nun hat der Kleine aber schon ziemlich die große Klappe, der soll aufpassen, dass wir ihn nicht an die Höhlendecke hän-gen und dort ‚aus Versehen‘ vergessen“, hörte man eine ziemlich wütende Stimme aus der Fledermaus-Gang.

„Jetzt regen sich alle erst mal hübsch ab“, bestimmte Mahiri. Chef bleibt eben Chef!

„Was ist eigentlich, Reise nach Jerusalem‘“, wollte die Ober-fledermaus dann wissen.

Daraufhin erklärte der rotbepelzte Vampirjäger in spe den spitzzahnigen Gesellen umständlich die Regeln dieses munteren Spiels.

„Ist mir zu umständlich und zu anstrengend“, ließ sich Dogo lautstark vernehmen.

„Von dir haben wir auch nichts anderes erwartet, Dicker-chen“, höhnte Mahiri. „Du könntest ja bei der Rennerei zehn Gramm abnehmen. Womit wollen wir uns denn deiner Meinung nach nun die Zeit vertreiben? Vielleicht mit einem gepflegten Wettessen, bis der Bauch den Tisch wegschiebt, was?“

Dogo schniefte und schwieg beleidigt.

Nach einem längeren Palaver einigten sich die Anwesenden auf ein Fußballmatch. Schließlich war Deutschland jetzt im Sommer gerade mal wieder Fußballweltmeister geworden. Süd-afrika, zwar im Viertelfinale ausgeschieden, hatte allerdings auch eine sehr gute Mannschaft. Die großen „Gemüse-Fledermäuse“ entpuppten sich als glühende Anhänger ihres Nationalteams, und so wollten sie dem „Fuchs aus Germany“ hier an Ort und Stelle mal so richtig zeigen, was eine Harke war.

„Schade, dass nicht noch mehr von euch da sind“, rief der dickliche Dogo in die Runde. „Wir besiegen jede deutsche Fuß-ballmannschaft, dass es nur so kracht.“

„Du siehst schon so aus“, entgegnete Tim. „Aber leider bin ich alleine natürlich keine Mannschaft.“

Da half nun alles nichts, mit dem vorhandenen Personal musste man eben auskommen.

Nach langem Hin und Her, verbunden mit lautstarkem Ge-zänk, standen schließlich doch zwei Teams mit jeweils vier Spie-lern fest:

Tim sollte zusammen mit Jamil und zwei anderen Fleder-maus-Jungs die eine Mannschaft bilden, der anderen wurden Mahiri und Dogo zugeordnet.

Gesagt, getan!

Schnell hatten die Spieler Aufstellung genommen. Das Spiel-feld wurde mit Steinen und Sandmarkierungen abgesteckt. Als Tore dienten zwei der bereits erwähnten großen Kisten, die mit geöffnetem Deckel aufgestellt wurden.

„Ähm, was ist mit dem Ball?“, fiel plötzlich dem Füchslein ein.

Da war zunächst erst einmal guter Rat teuer, so weit hatte hier bis jetzt noch niemand gedacht.

„Da hinten liegt ein vergammelter Kürbis und irgendwie auch eine Art altersschwacher Turnschuh, weiß der Teufel, wie der hier rein gekommen ist“, bemerkte eine der Vampirfleder-mäuse.

Rasch wurden die beiden Fußball-Kandidaten fachgerecht begutachtet. Der olle Latsch, der tatsächlich ein ausgedienter Turnschuh war, kam keineswegs als Spielball in Frage.

Etwas besser sah es da mit dem in die Monate oder sogar in die Jahre gekommenen Kürbis aus. Erstaunlicher- und erfreuli-cherweise war dieser im Lauf der Zeit nicht nur ausgetrocknet, sondern seine Wand hatte sich gummiartig verändert.

„Ob diese Kuller etwas aushält?“, überlegte Mahiri laut und warf das gummierte Teil in die Luft. Klatsch, landete der betagte Kürbis auf dem harten Boden der Felsenhöhle. Aber, oh Wun-der, es bildete sich kein stinkender orangefarbener Fleck, son-dern der zukünftige Aushilfsfußball sprang sogar etwas in die Höhe. Schräg und unkontrolliert zwar, aber immerhin.

„Hurra!“, schrie die versammelte Fußballgemeinde wie aus einem Mund – wieder ein Problem gelöst.

Im grünlichen Dämmerlicht wurde zwei mal dreißig Minuten gespielt. Samanta, bewaffnet mit Füchsleins bunter Umhän-geuhr, sollte die Spielzeit genau stoppen. Außerdem wurde sie noch zur Schiedsrichterin ernannt, natürlich mit der Aufgabe, jedes Foul sofort anzuzeigen. Wie sie das tun sollte, verriet ihr aber niemand. Eine Trillerpfeife war jedenfalls nicht vorhanden, und einfach so pfeifen konnte die kleine Gazelle kein bisschen.

Damit man die Fledermauskicker, die sich in den Augen des Fuchses sehr ähnelten, klar unterscheiden konnte, hatten sich die Spieler der Mahiri-Mannschaft straff sitzende, sauber ausgehöhl-te Hälften von Honigmelonen als Helme aufgesetzt.

„Blöder geht’s ja wohl nicht“, dachte Tim, als er die grüngelb bemützten Spieler des gegnerischen Teams in Augenschein nahm.

Nun musste das Füchslein wirklich sehr an sich halten, um nicht laut loszulachen. Schon blähten sich seine Wangen auf und die Äuglein glänzten verräterisch.

Aber da hatte Mahiri bereits die Situation entschärft. „Sieht blöd aus, ist aber praktisch“, urteilte er fachmännisch. „Und üb-rigens, wollen wir spielen oder quatschen?“, fragte er um sich blickend in die Runde.

Niemand wollte quatschen, alle wollten spielen, und los ging die wilde Jagd quer durch die Höhle.

Timi schlug an Mahiri vorbei einen flachen Pass diagonal über das halbe Spielfeld. Punktgenau erreichte der Aushilfsball seinen Adressaten Jamil. Die Riesenfledermaus hoppelte los, umdribbelte mit ihren kräftigen Krallenfüßen erstaunlich ge-schickt einen Gegenspieler und lief ungehindert auf Dogo – ihr wisst schon: kräftig, nicht dick – zu.

Den Dogo hatte das Mahiri-Team ins Tor beordert. Das war ihm auch ganz recht gewesen, denn als Torwart brauchte er ga-rantiert nicht so viel herumrasen wie ein Feldspieler. Aber nun hatte er mit dem heranspringenden Stürmer ein Problem.

Dieser lief noch zwei Meter (Fliegen strengstens verboten!) und trat dann aus vollem Lauf mit aller Kraft an das abenteuerli-che Spielgerät. Selbiges hielt dem Tritt stand und sauste wie ein kleiner, rundlicher orangefarbener Höhlengeist mit Karacho Richtung Tor durch die Lüfte.

Schlechte Lichtverhältnisse hin, schlechte Lichtverhältnisse her, Dogo sah das Unheil auf seiner etwas merkwürdigen Flug-bahn klar auf sich zukommen. Trotz seiner überflüssigen Pfunde hechtete er im Halbdunkel los, riss die Faust nach oben und hol-te den „Ball“ im letzten Moment noch aus dem rechten Torwin-kel.

Der kühne Schlussmann war hart auf dem Boden der Höhle gelandet, sprang aber rasch wieder auf die Füße.

Weit warf er den gummierten Kürbisknödel ins Spielfeld. Mahiri nahm den Abwurf mit der Brust an. Mit dem Ball am Fuß flatterte und rannte er an Tim und dem herausstürzenden Tor-wart des Fuchs-Teams vorbei und knallte die Kugel mit straffem Schuss flach in die Torkiste.

1: 0 stand es also nun für das Team Mahiri, dessen Spieler sich gewaltig freuten und gegenseitig abklatschten.

Tim und Jamil standen zusammen und überlegten sich ge-konnte Spielzüge.

Doch es nützte alles nichts. Gleich nach dem Anstoß eroberte Team Südafrika den orangefarbigen „Ball“ zurück, und wieder lief Mahiri damit auf das Tor der Fuchs-Mannschaft zu. Aller-dings hatte er das Füchslein, das um seine Beine herumwuselte, nicht ganz abschütteln können. Doch schon war die große Fle-dermaus nur noch wenige Schritte vom Kasten entfernt.

Nun musste Tim zum Äußersten greifen. Aus vollem Lauf heraus schob er mit einer raschen Bewegung der Hand dem ver-blüfften Mahiri von hinten dessen grüngelbe Honigmelonen-Mütze ins Gesicht. Die Melonenschale vor den Augen, stand der Fledermaus-Anführer sozusagen plötzlich im Dunkeln. Er stol-perte fast über seine Füße und der Kürbisball hoppelte davon.

„Yes“, rief der Fuchs laut und war sich keiner Schuld be-wusst.

Aber da brüllte schon Samanta, die Schiedsrichterin, vom Spielfeldrand her: „Foul, Foul, Elfmeter!“

Mahiri zog sich den Melonenschalen-Helm vom Gesicht und blinzelte den hinterlistigen Tim böse an. „Den schieß ich euch ins Tor, ganz sicher“, blaffte er.

„Entschuldigung“, sagte das Füchslein, nun doch etwas zer-knirscht. „Aber drin ist der Elfer noch lange nicht.“

„Werden wir sehen“, antwortete Mahiri, zählte elf Schritte ab und legte sich den Aushilfsball zurecht.

„Das waren ja nur zehn Schritte“, der Fuchs schüttelte den Kopf.

„Nö, garantiert elf“, brummelte die Fledermaus und lief das Ganze noch mal ab.

„Du machst viel zu kleine Schritte, nie im Leben sind das elf Meter“, nervte der listige Rotpelz weiter.

„Sind doch elf Meter, stimmt’s, Samanta?“, antwortete Mahiri und seine Stimme vibrierte dabei ein wenig.

Das Gazellenmädchen nickte bestätigend mit dem Kopf. „Würde ich auch so sehen, jedenfalls soweit man das ohne Bandmaß feststellen kann.“

„Na also!“ Mahiri legte sich den „Ball“ ganz genau für den Strafstoß zurecht, nahm einen Riesenanlauf und rannte schnell wie der Blitz los.

„Das gilt sowieso nicht, der Kürbis ist vorgerollt“, tönte im gleichen Moment unüberhörbar schrill die Stimme des Fuchses.

Die Riesenfledermaus stoppte im vollen Lauf ab. Fast wäre sie dabei über ihre eigenen Füße gestolpert, konnte dann aber doch gerade noch so das Gleichgewicht halten. „Dieser Fuchs macht mich noch wahnsinnig“, brüllte Mahiri, nahm den Anlauf wie-der auf und trat mit voller Kraft wütend gegen den Kürbis-Ball.

Wenn es in der Höhle Wolken gegeben hätte, wäre der Ball sicherlich bis zu ihnen hinauf geflogen. So aber zischte er nur meilenweit über die Torkiste und verschwand schließlich im Halbdunkel. Klatsch! – ein feucht klingendes Geräusch war aus dem Hintergrund der Höhle zu vernehmen.

„Jetzt is‘ er im See gelandet“, bemerkte dazu der vorlaute Spaßmacher Jamil genauso zutreffend wie überflüssig.

„Auf deine blöden Kommentare können wir gut verzichten“, schrie daraufhin der immer noch erboste Mahiri seinen Freund an.

„Was hab‘ ich gesagt, die Murmel ist noch lange nicht im Tor“, gab nun der feixende Fuchs zu allem Überfluss seinen Senf dazu und erntete dafür zu Recht böse Blicke aus der Runde.

„Jungs, hallo, nun kommt mal alle schön wieder runter und regt euch ab!“, ließ sich die kleine Schiedsrichterin vernehmen. „Schon vergessen? Das ist bloß ein Spiel. Niemand muss hier schummeln oder seine Spielgefährten anpflaumen. Alle sollen ihren Spaß haben und sich an dem Match erfreuen.“

So leise sie ausgesprochen waren, Samantas Worte verfehlten ihre Wirkung nicht.

Beschämt senkten Tim und Mahiri die Köpfe. „Vertragen wir uns wieder“, schlug der Chef der Riesenfledermäuse vor, und unser Füchslein hatte ganz und gar nichts dagegen einzuwen-den.

In der Zwischenzeit war der merkwürdige orangefarbige Aushilfsfußball von den Wellen zurück ans Ufer des dunklen Sees gespült worden. Dort hatte ihn Jamil, der auch schon wie-der lächeln konnte, aus dem Wasser gefischt.

„Was ist nun?“, rief er. „Es steht immer noch 1: 0 für das Team Mahiri, auf geht’s, Jungs.“

Und schon hetzten alle wieder über den steinigen unterirdi-schen Bolzplatz.

Im weiteren Spielverlauf war das Team Südafrika immer noch ein bisschen „von der Rolle“. Tims Team Deutschland spielte nun überlegen. Bei einem Konterangriff köpfte der Fuchs nach einer schönen Flanke schließlich den zähen Gemüse-Ball unhaltbar für Dogo ins Tor. Und kurz vor Spielende gelang Ja-mil nach einem gelungenen Sololauf sogar noch der 2: 1- Sieg-treffer für die Fuchs-Mannschaft. Hart prallte bei diesem ent-scheidenden Tor der „Ball“ an der Hinterwand der großen Kiste auf. Mit einem lauten Knall krachte der hochgeklappte Deckel zu.

„Klappe zu, Affe tot“, mit diesem markigen Ausspruch been-dete Jamil an dieser Stelle die Partie. Mit lautem Jubel feierte Team Deutschland ausgiebig den knappen Sieg.

„Revanche!“, forderten nun die Riesenfledermäuse der unter-legenen Mannschaft.

Bei diesem Match verließ dann allerdings das Spielglück das Fuchsteam vollständig. Tim und Jamil vergaben reihenweise beste Torchancen; Dogo hielt einfach alles, was auf sein Gehäuse kam. Zum Schluss stand es schließlich 4: 0 für das Team von Mahiri und Dogo.

„Jede Mannschaft hat nun einmal gewonnen“, stellte Jamil fest. „Wollen wir noch ein Spielchen machen, um die Sache end-gültig zu klären?“

Eine Antwort auf diese Frage erhielt er jedoch nicht mehr. Ein immer lauter werdendes Brausen und Zischen hallte plötzlich durch die Höhle.

„Oh, ist es schon so weit?“, hörte man Mahiris Stimme gegen den Lärm ankämpfen. „Wie spät ist es? Wir haben uns bei der ganzen Fußballgeschichte wohl ein wenig vertrödelt“, schrie die Oberfledermaus in Richtung Samanta.

„Gleich um acht“, brüllte das Mädchen. Dann gab die Gazelle Tim seine Uhr zurück.

„Na also! Herrschaften, jeder packt hier jetzt rasch seinen Krempel zusammen. Das gilt natürlich auch für unsere beiden Gäste! Dann alle antreten und, wenn die Tür auf ist, ab durch die Mitte“, kommandierte Mahiri – jetzt ganz der Chef – lauthals seine Truppen.

Mittlerweile hatte sich das Getöse in der Höhle zu einem fast unerträglichen Lärm gesteigert.

Tim blickte zum See hin, auf dessen Oberfläche sich mehrere riesige schwarze Strudel abzeichneten. Gurgelnd und schlürfend sank der Wasserspiegel im See mit rasanter Geschwindigkeit. Wild schäumte das Wasser auf und Gischt spritzte in die Höhe. Die Luft wurde zum Schneiden dick und ließ sich kaum noch atmen.

Am trockenfallenden Ufer des unterirdischen Gewässers konnte man nun Dinge erkennen, die vorher nicht zu sehen ge-wesen waren. Bizarre Felsbrocken kamen zum Vorschein, und plötzlich entdeckte Samanta, die auch hier im Halbdunkel der Höhle recht gut sehen konnte, sogar den anderen alten Turn-schuh. Sozusagen den Bruder des Fußballkandidaten von vor-hin. Aber dafür hatte jetzt keiner einen Sinn.

„Ich hasse das, jedes Mal der gleiche Murks“, dachte Dogo. Rasch gesellte er sich zu den anderen, die sich inzwischen brav in einer Reihe aufgestellt hatten. In sicherem Abstand zum wild-gewordenen See beobachteten alle den faszinierenden Fortgang des Geschehens. Zentimeter für Zentimeter kam an der hinteren Wand der Grotte eine Art gemauerter Torbogen mit eingelasse-ner Metallplatte aus den immer weiter fallenden Fluten zum Vorschein. Schließlich war mit viel Getöse der Wasserspiegel des Höhlensees um gut drei Meter gefallen und das Tor im Felsen einigermaßen trockenen Fußes erreichbar.

„Da geht’s raus“, brüllte Dogo gegen das immer noch brau-sende Wasser an. „Hier haben unsere Vorfahren die Felswand durchbrochen und im Auftrag unseres Herrn und Meisters die-sen künstlichen Ausgang der Höhle geschaffen.“

„Schön“, dachte sich das nicht nur weitgereiste, sondern nun auch im wahrsten Sinne des Wortes tief gefallene Füchslein. „Aber das Türchen ist fest zu. Schließlich muss es ja bei hohem Wasserstand einem enormen Druck standhalten.“

Als ob er das gehört hätte, hüpfte und flatterte Mahiri zur freiliegenden Pforte vor. Mit seinen langen, dünnen Fingern drückte er in einer bestimmten Reihenfolge auf kleine Felsvor-sprünge in der Höhlenwand neben dem Torbogen. Dann fischte sein mit einer Kralle bewehrter Daumen noch einen kleinen He-bel aus einem kaum erkennbaren Spalt im Mauerwerk des Tores und klappte ihn hoch.

Einige Sekunden passierte erst mal gar nichts. Tim, der das Ganze aus sicherer Entfernung so genau wie möglich beobachtet hatte, wollte schon albern loskichern.

Plötzlich knirschte es im Mauerwerk. Eine im Torbogen und den angrenzenden Felsen verborgene Mechanik setzte sich in Bewegung und die ovale Metallplatte schwang in weitem Bogen auf. Durch die Öffnung strömte kühle Abendluft in die Höhle und Mahiri blickte auf die Sterne des südlichen Himmels. Am hellsten funkelte der Sirius im Sternbild Großer Hund.

„Wirklich wunderschön hier, immer wieder“, dachte der Chef der Vampirfledermäuse.

Mittlerweile war das Wasser im See zum Stillstand gekom-men und in der Höhle Ruhe eingekehrt.

„Damen und Herren, Ladys und Gentleman – ihr wisst, wir müssen hier jetzt zacki, zacki raus“, wandte sich Mahiri vor-nehm an seine Getreuen und die beiden unfreiwilligen Höhlen-besucher. „In zehn Minuten steigt das Wasser wieder an. Dann sollten alle draußen sein und die Türe zu. Oder hat jemand Lust, auch noch die Nacht in der Höhle zu verbringen? Oder mit ei-nem neu entstandenen Wasserfall die ganze Gegend auf uns aufmerksam zu machen?“

Niemand meldete sich.

Diszipliniert stellten sich die Riesenfledermäuse vor dem Durchgang auf und schlüpften, eine nach der anderen, geschickt hindurch. Am Ende war die Reihe an Tim und Samanta, die selbstverständlich auch hier weg wollten. Schließlich standen alle im Freien auf einer Art steinernen Kanzel. Der Boden war hier genauso glitschig wie auf der anderen Seite. Es bereitete Mühe, nicht auszugleiten und hinzufallen.

„Hopsa, Schwabenliesel – stolper nicht.“ Dogo stupste den Fuchs fröhlich an. Woher eine südafrikanische Riesenfledermaus ein altes deutsches Volkslied kannte, mit dessen umgemodelten Text sie nun unseren Vampirjäger veralberte, blieb ihr Geheim-nis.

Mühsam gelang es Tim – die Füße im Schlamm, der hier den Felsen überzog – das Gleichgewicht zu halten. Wie ein Eiskunst-läufer drehte er eine halbe Runde um die eigene Achse und konnte sich dann gerade noch so am Rand des Mauerdurch-gangs festhalten.

„Finger weg, Herrschaften, wir schließen jetzt“, rief Mahiri vergnügt aus und knallte die silberglänzende Metalltür zu.

Sie rastete fest ein und ließ sich nicht mehr bewegen.

„Auch auf dieser Seite gibt es eine versteckte Tastatur zum Eingeben des geheimen Öffnungscodes. Allerdings geht der Durchgang auch bei Eingabe der richtigen Zahlen nur dann auf, wenn das Wasser in der Felsengrotte nicht von innen gegen die Tür drückt. Das Zeitfenster ist knapp. Will man von hier aus in die Höhle gelangen, ist also Pünktlichkeit sozusagen die erste Bürgerpflicht. Aber das haben wir bis jetzt immer geschafft; kei-ner von uns musste bisher den hellen Tag auf der Kanzel ver-bringen. Und so wird es auch bleiben.“ – All das erklärte der Chef der Riesenfledermäuse stolz dem Fuchs und der Gazelle. Die anderen sieben Wesen der Nacht, heute allesamt etwas un-ausgeschlafen und müde, standen dabei und nickten zustim-mend mit den Köpfen.

„So, Leute, nun aber nichts wie weg hier!“, rief Mahiri laut in die Runde. Durch die geschlossene dickwandige Tür war nun bereits wieder, wenn auch deutlich gedämpft, das bekannte Brausen und Rauschen aus der Höhle zu vernehmen. Das Was-ser kehrte zurück, der unterirdische See füllte sich auf.

Tim blickte von der Kanzel herab erschauernd in die Tiefe. Da war alles andere, bloß kein Fußweg, zu sehen. Steil fielen nach drei Seiten Felswände in eine unergründliche Tiefe, und oberhalb des Torbogens ragte unbezwingbar der Berg auf.

Die geflügelten Rohköstler trugen große, prall gefüllte Ruck-säcke auf dem Rücken. Außerdem standen zwei Körbe von ge-waltigem Format im Matsch auf der Felsenplatte, auch sie rand-voll mit in der vorigen Nacht geklautem Gemüse und Obst ge-füllt. Daneben gab es hier noch zwei weitere dieser geflochtenen großen, tiefen Transportkisten, allerdings leer und offensichtlich noch auf ihre Bestimmung wartend.

Die Fledermaus-Jungs ließen eine dickbauchige Flasche mit Tomatensaft kreisen. Jeder nahm zur Stärkung noch einen kräf-tigen Schluck aus dieser Buddel. Mit ihren Sachen kletterten dann alle acht geschickt auf die Brüstung der Felsenkanzel.

„Diese Nacht geht es nicht zu den Bauern auf die Felder. Wir fliegen jetzt direkt zum verborgenen Schloss unseres Schöpfers, des Grafen Dracula. Wir liefern das Essen ab und dann steigt dort eine lustige Party. Was ist mit euch, Tim und Samanta? Wollt ihr mitkommen oder hier oben eine nette Fastenkur ma-chen und abwarten, bis wir nächste Woche wieder da sind?“, fragte Mahiri den bislang verhinderten Vampirjäger und die kleine Pfadfinderin direkt.

„Hoffentlich sind wir im Schloss des Vampirs dann nicht das Essen. Der mampft doch keine Kürbisse und trinkt keinen Ge-müsesaft, der alte Verbrecher“, schoss es Tim durch den Kopf. „Aber es nützt ja eh nichts. Hier kommen wir alleine nicht weg, und wozu bin ich eigentlich hier?“

„Klar kommen wir mit, stimmt’s, Samanta“, sagte der Fuchs mit etwas zittriger Stimme zur Oberfledermaus. „Aber wie stellt ihr euch das vor, wir beide können doch gar nicht …“

Weiter kam er mit seiner Ansage nicht!

„Ganz, wie ihr wollt!“ – Mahiri und der korpulente Dogo stürzten sich plötzlich wild flatternd von der Felsenbrüstung herab auf Tim, packten diesen und stopften ihn regelrecht in einen der beiden noch leeren Transportkörbe.

Samanta erging es nicht besser.

Die überrascht aufschreiende kleine Gazelle wurde von Jamil und einer der anderen Riesenfledermäuse auf die gleiche Weise in den zweiten freien Korb verfrachtet.

Mehr Zeit, um sich zu fürchten, blieb den Kindern allerdings nicht. Schon hatten die Riesenfledermäuse rechts und links die Henkel der Körbe fest mit ihren starken, krallenbewehrten Fü-ßen gepackt, und ab ging die wundersame Reise durch das dün-ne Reich der Lüfte.

Trotz ihrer zusätzlichen schweren Rucksäcke trugen Mahiri und Dogo den Fuchs scheinbar mühelos.

Ängstlich schielte der weitgereiste Rotpelz, nun unfreiwillig Flugkapitän der besonderen Art, über den Rand seiner Kiste.

Im blauen Dämmerlicht der hereingebrochenen Nacht sah er seitab im Korb unter Jamil und dessen Schleppkumpan Dambo Samantas Kopf und Oberkörper aus ihrem seltsamen Fluggerät ragen. Mutig winkte die Pfadfinderin dem Fuchs aus luftiger Entfernung zu.

Dem wurde übel.

Mahiri über ihm hatte offenbar das Trauerspiel bemerkt. Er blickte zu Tim im Korb herab und feixte. „Bisschen blass um die rote Nasenspitze, was; kotz‘ hier bloß nicht runter, ich glaub‘, da unten sind sogar irgendwelche Leute“, brüllte die Oberfleder-maus durch das Rauschen der Schläge der Flughäute und den Fahrtwind nach unten.

So langsam ging es dort dem Reisefuchs, der sich an seine Mission erinnerte, etwas besser. Der Wind kühlte seine Nase, das Zittern der Arme und Beine ließ langsam nach und über ihm funkelten in der immer dunkler werdenden Nacht die Sternbil-der des Südhimmels wie Diamanten. Genau in Flugrichtung vor sich sah er bewundernd Sirius im Sternbild Großer Hund, einen strahlenden Brillanten, eingebettet in den dunkelblauen Samt des Himmels.

Die Höhenangst unseres Füchsleins ließ immer weiter nach und schließlich traute er sich, seine Lage im Transportkorb zu verändern und richtete sich etwas auf. Mutig geworden, spähte er nach einem Weilchen sogar über den Korbrand in die Tiefe. Viel war da nun allerdings nicht mehr zu erkennen. Tim meinte, den Umriss eines Sees zu sehen und an dessen Ufer ein blass schimmerndes Licht.

„Kann sein, da unten ist wirklich wer“, schrie der rotbepelzte Luftreisende zu Mahiri und Dogo hoch.

Die nickten mit den Köpfen. Aber wer sollte sich schon hier in der Nacht in dieser Einöde herumtreiben?

Zwei der anderen riesigen Fledermaus-Gemüsediebe, ge-meinsam ihren mit Gemüse und Früchten übervollen Transport-korb durch die Luft schleppend, dazu beide mit dem prall ge-packten Rucksack auf dem Rücken, flatterten neugierig in Rich-tung ihres Chefs.

„Aber Mahiri, ‚Ruhe im Karton‘ ist das oberste Gebot unserer nächtlichen Flugreisen! Du selbst hast uns das oft genug vorge-betet. Und nun? Was ist das für ein höllischer Radau, den ihr drei hier veranstaltet? Gibt es Probleme? Euch kann man ja bis zum Erdboden herumbrüllen hören“, ließ sich eines der beiden Flugwesen vorwurfsvoll vernehmen.

„Ich hab‘ ja gar nichts gesagt“, beschwerte sich von der ande-ren Seite her Dogo so leise wie möglich. „Mahiri und der deut-sche Rotfuchs quatschen sich hier lautstark durch die Nacht.“

„Na ja, so schlimm war es nun auch wieder nicht“, antwortete jetzt der Anführer der Fledermäuse selbst. „Tim hatte anfangs große Flugangst und ich habe mich nach seinem Befinden er-kundigt. Viel mehr war nicht. Vielleicht alles einen Tick zu laut, tut mir ehrlich leid, aber ganz leise geht hier oben eh nicht. Du hast natürlich recht, Karim, wir dürfen uns auf unseren Flügen nicht durch sinnlosen Lärm verraten.“

Der angesprochene Beschwerdeführer nahm die Erläuterun-gen seines Chefs offenbar wohlwollend entgegen. Vergnügt rich-tete er sich in der Luft auf und verlangsamte damit den Flug ein wenig. Leider bemerkte das sein Kumpel auf der anderen Seite des Henkelkorbes einen Moment zu spät. Der proppenvolle Transportbehälter schwankte plötzlich wild hin und her.

„Vorsicht, passt bloß auf!!“, rief Mahiri noch den beiden zu.

Aber es war schon zu spät. Lustig anzuschauen, hopsten zwei Melonen und ein kleiner runder Kürbis über den Rand des Kor-bes und verschwanden in der Tiefe. Kurze Zeit noch konnte man ihnen mit den Blicken folgen: Grünliche und orangefarbene Me-teoriten, die dem Erdboden entgegen sausten.

„Mist“, kommentierte gefasst die Oberfledermaus das Ge-schehene. „Aber leider nicht zu ändern. Wird schon schiefge-gangen sein.“

Mahiri blickte sich um und nahm seine Truppen fest ins Au-ge. „Abgehakt, Jungs“, ergänzte er. „Wir müssen weiter, unser Herr und Meister erwartet uns schon“.

„Und was ist mit mir?“, rief Samanta schnippisch aus ihrer Luftgondel herüber.

„Das gilt natürlich auch für Ladys!“ Mahiri grinste spitzzah-nig über beide Wangen. „Auf geht’s; und ich darf doch bitten, Herrschaften, niemand schmeißt mir hier mehr etwas runter! Also: Vorsicht am Zug, der Bahnsteig fährt ab.“

Die Cheffledermaus flatterte wieder schneller und das Trio Mahiri-Dogo-Tim, zwei oben – einer unten, setzte sich an die Spitze der kleinen Luftkarawane.

Wolken waren aufgezogen. Der Flug ging nun durch die dunkle Nacht, mittlerweile war es stockfinster geworden. Nur am Erdboden konnte man gelegentlich noch ein einsames Licht aufleuchten sehen. Und voraus auf ihrem Weg manchmal den Sirius, wenn er durch eine Wolkenlücke blinzelte.

Immer weiter ging die Reise über die stille, dunkle Land-schaft. Der sanfte Nachtwind und die monotonen Fluggeräusche machten den Fuchs müde. Schließlich fielen ihm nach diesem anstrengenden Tag die Augen zu und er schlief ein.

Im Traum sah er in einem finsteren Saal mit rußenden Fa-ckeln an den Wänden Lilly und Fritz als ausgesaugte Mumien in offenen Särgen liegen. Daneben saß Graf Dracula gemütlich auf seinem Thronsessel. Er rieb sich wohlig den Bauch. „Das hat wirklich gutgetan“, kamen dann die schrecklichen Worte aus seinem hässlichen Mund, gefolgt von einem schallenden, höhni-schen Gelächter.

Tim fuhr schlagartig aus diesem Schrecken auf. Fast wäre er dabei aus seiner Gondel gestürzt. Langsam wurde ihm wieder bewusst, wo er sich befand. Niemals, niemals durfte solch ein Alptraum wahr werden, schwor sich der Fuchs. Er würde gegen das Böse kämpfen bis zum Umfallen, auch wenn es ihn das Le-ben kosten sollte. Und die Zeit für die Rettung war schrecklich knapp, das wollte er auch nie vergessen.

Verschlafen räkelte sich der Fuchs, gähnte herzhaft, drehte den Kopf und blickte in der luftigen Höhe umher.

„Hoffentlich sind wir bald da“, wünschte sich Tim im Stillen. So ganz hatte er seine Höhenangst nun doch nicht verloren.

Der dichte Wolkenteppich, der die kühnen Aeronauten den größten Teil ihres Weges begleitet hatte, wurde nun wieder zu-sehends löchriger. Die Sternbilder der Südhalbkugel schimmer-ten am hohen Firmament, und der Fuchs sah hinter sich den Sirius funkeln.

Träge ging es Tim durch den Kopf, dass da was nicht stim-men konnte.

Mit einem Mal war er hellwach.

„Mahiri, sag‘ doch“, rief er in den Wind nach oben zur Chef-etage. „Was macht jetzt eigentlich der Sirius hinter uns? Wenn er bisher zu sehen war, dann kursvoraus! Nun ist er aus meiner blöden Flugbox sozusagen heckwärts am Himmel zu bewun-dern. Wenn man immer geradeaus fliegt, dann gibt es so etwas doch gar nicht! Was nicht sein kann, kann nicht sein! Also bitte, wie soll ich das verstehen???“

Der Häuptling der Riesenfledermäuse wendete erhaben sein Haupt in Richtung des störenden nächtlichen Rufers. Missmutig guckte er zu seiner Luftfracht hinunter.

„Du quasselst ja hier schon wieder ungefragt herum. Fang‘ bloß nicht an zu nerven. Mir tun von der Schlepperei ohnehin schon langsam die Füße weh, wird Zeit, dass wir landen“, em-pörte sich Mahiri mit Blickrichtung schräg nach unten.

„Übrigens Füchslein, Astronomie ist wohl nicht gerade deine Stärke? Aber das ist ja auch kein Wunder. Du bist noch zu jung, sowas habt ihr einfach noch nicht in der Schule durchgenom-men. Nur kurz zu deiner Information: Die Erde dreht sich von West nach Ost um ihre Achse, also gehen die Sterne, genau wie morgens die Sonne, im Osten auf und im Westen unter. Du siehst in der Nacht die Sternbilder über das Himmelszelt ziehen. Erst sind sie hier, dann sind sie da. -- Na also!“

„Aber ganz bestimmt nicht in dieser kurzen Zeit, nicht kom-plett von vorne nach hinten!. Mahiri, sag‘ mal, willst du mir hier eigentlich einen Luftbären aufbinden? Oder wie nennt ihr hier in Südafrika so was?“, antwortete Tim nun recht vergnügt der flatt-rigen Geisterstimme über sich. „Gib’s schon zu, du alter Übeltä-ter, als es stockdunkel wurde, habt ihr in großem Bogen gewen-det und nun fliegen wir seit geraumer Zeit wieder dahin, woher wir gekommen sind.“

Der Fuchs hörte schräg über sich ein schnaufendes Geräusch. Dann meldete sich der Fledermaus-Chef wieder zu Wort:

„Füchslein aus old Germany, du bist gar nicht so dumm, wie du aussiehst. Ich sag jetzt hier nicht viel dazu. Ist alles nur Tak-tik. Auf Anweisung unseres geliebten Grafen Dracula müssen wir unsere Spuren, so gut es eben geht, verwischen. Niemand darf jemals sein Schloss in den Bergen finden, sonst sind wir alle geliefert. Dann ade, ihr Obst- und Gemüse-Partys, ade, du schö-ner Schlosssaal, ade, prächtiges Erntedankfest … Die Leute wür-den uns mit Zwiebelgemüse, Kreuzen und Holzpflöcken heim-suchen, und alles wäre finito.

Also, Meister Fuchs, Klappe halten und langsam zur Lan-dung fertigmachen. Am besten, du schließt die Augen, sonst könnte es sein, dass du dir im Dunkeln bei unseren rasanten Flugkünsten dann vor Angst in die Hosen pinkelst.“

Tim sparte sich eine entsprechende saftige Entgegnung.

„Aye Aye, Sir“, rief er nur zum Obergeschoß hinauf. Aber wütend war er schon auf Mahiri.

„Nicht so dumm, wie ich aussehe… Was sollte das? Hat die-ser Flatterheini sich eigentlich schon mal im Spiegel gesehen? Falls er überhaupt ein Spiegelbild hat! Nicht wie sein geliebter ‚Herr und Meister‘, der aus naheliegendem Grund wahrschein-lich den einzigen Spiegel in seinem Schloss hat verhängen las-sen.“

Tim schimpfte im Stillen noch ein Weilchen auf die große Vampirfledermaus, die ihn in Teamwork mit Dogo, der seit ei-ner geraumen Weile gar nichts mehr gesagt hatte und vielleicht sogar beim Fliegen eingenickt war, in einem Henkelkorb durch die Nacht trug.

Schließlich beruhigte sich der Fuchs wieder. Er hatte das Ge-fühl, als ob jemand versuchte, ihm langsam den Korb unter dem Hintern wegzuziehen, und glaubte zu bemerken, dass es sanft abwärtsging. Ergeben der Dinge harrend, die da kommen wür-den, schloss Tim die Augen.

Mit seiner Vermutung bezüglich des nun unmittelbar bevor-stehenden Endes seiner Luftfahrt lag der Vampirjäger im Warte-stand genau richtig. Die acht riesigen Vampirfledermäuse flatter-ten langsamer und verringerten allmählich ihre Flughöhe. Vo-raus waren im blassen Licht einiger Sterne, die durch Wolkenlü-cken lugten, in der nachtdunklen Landschaft schemenhaft die Umrisse der Drachenberge von Transvaal zu erahnen. Die Grup-pe flog jetzt fast genau über die Stelle, an der die Felsenhöhle den Fuchs und die Gazelle verschlungen hatte.

Dann donnerte in der Ferne ein Hubschrauber über dem schattenhaften Bergland dahin. Anele und Mandisa, die Antilo-pen-Zwillingsmädchen, hatten am frühen Nachmittag schließ-lich ihr Ziel auf dem Falkenberg erreicht und Biko über Funk Polizei und Feuerwehr alarmiert. Gleich danach war eine groß-angelegte Suchaktion nach den beiden abgestürzten Pfadfindern angelaufen. Bisher allerdings, trotz Unterstützung der Suchkom-mandos durch den mit einer Wärmebildkamera ausgestatteten Hubschrauber, leider völlig ergebnislos.

Die Kinder waren und blieben verschwunden, und man be-fürchtete schon das Schlimmste.

* * *

Etwa eine halbe Stunde früher und 600 Meter tiefer irrte eine Prozession von Mönchen in der bergigen Gegend durch die Finsternis.

Die Gruppe, Angehörige einer lokalen Kirche, hatte unter Führung des Priors ihres Klosters hier im Hochland eine Wall-fahrt zu einer heiligen Quelle gemacht. Das hatte auch alles ganz prima geklappt – bis dahin jedenfalls. Dann aber war das Häuf-lein heiliger Männer auf dem Rückmarsch zum Kloster irgendwo in einen falschen Weg eingebogen und hatte sich nun ret-tungslos verfranzt und verlaufen.

Vorneweg, als Einziger mit einer Taschenlampe bewaffnet, stolperte der Prior durch die nun fast vollständige Dunkelheit. Die Mönche, allesamt kräftige Kaffernbüffel in braunen Kutten, folgten gottergeben ihrem Vorgesetzten in Gänsereihe.

Ein gedämpfter Aufschrei ertönte. Einer der Mönche war auf einem spitzen Stein ausgeglitten und hatte sich den Knöchel ver-staucht. Stöhnend saß er auf dem Erdboden und hielt sich den verletzten Fuß.

Der Prior, ein Mann der Tat, machte kehrt und leuchtete mit seiner Lampe die Reihen der Getreuen ab.

„Bruder Bheko, was ist mit dir, kannst du aufstehen?“, fragte er den Verunfallten.

„Ich glaube nicht, Vater Prior“, rief der Mönch und jammerte leise vor sich hin.

„So wird das nichts“, fasste der Prior die Lage zusammen. „Brüder, ihr bleibt erst mal hier und ich schau mich noch ein wenig in der Gegend um, vielleicht finde ich ja doch einen Hin-weis, wie wir nach Hause kommen.“

Gesagt, getan!

Die Brüder sahen in der näheren Umgebung den schwachen Schein der Taschenlampe mal hier, mal da aufleuchten.

Plötzlich hörten sie ihren Chef schimpfen: „Vermaledeit, was ist denn das hier, ich stehe ja mit beiden Füßen im Wasser.“

Der Strahl der Taschenlampe beschrieb einen Halbkreis und die frommen Gesellen erblickten vor sich schemenhaft die Ufer-linie eines größeren Sees.

„Hier ist Schluss. Ehrlich gesagt, habe ich nicht die geringste Ahnung, wo wir sind“, gestand der Hirte seinen Schäfchen.

„Brüder, wir müssen hier rasten und die Nacht verbringen. Morgen früh, wenn es hell wird, sieht die Welt schon wieder ganz anders aus. In dieser Gegend kenne ich mich eigentlich doch recht gut aus. Ganz sicher finde ich dann den richtigen Weg zurück zu unserem gelobten Kloster. Aber jetzt in der Nacht ist es aussichtslos“, setzte der Prior seine kleine Anspra-che fort. „Hat jemand ein Feuerzeug dabei?“, wollte er noch von seinen Mönchen wissen. „Dann könnten wir hier mit den überall herumliegenden trockenen Zweigen und Ästen vielleicht sogar ein Lagerfeuer entfachen.“

Die Mönche machten es sich, so gut es eben ging, auf dem harten Erdboden bequem. Nach einer Weile flackerte ein Feuer-chen in der Runde der Verirrten. Sogar ein paar Schmerztablet-ten für den armen Bheko, der sich schon wieder etwas aufgerap-pelt hatte, förderte einer der Mönche aus unergründlichen Tiefen seines Habits zu Tage.

Somit hätte für den Moment alles gut sein können. Aber lei-der waren die Diener Gottes natürlich nicht auf eine Übernach-tung in der Wildnis eingestellt. Am Morgen hatten sie das letzte Mal etwas gegessen und nun knurrte allen gewaltig der Magen.

„Ich verhungere gleich“, klagte einer der Mönche und erntete murmelnde Zustimmung aus dem Rund seiner Gefährten in der Not.

Das konnte ihr Prior natürlich so nicht gelten lassen.

„Brüder im Herrn“, rief er den locker um das Feuer gruppiert Sitzenden zu. „Ihr wisst doch, es wird euch an nichts mangeln; seid also frohgemut und macht euch bereit zur Abendandacht.“

Ergeben seufzten die Mönche.

Plötzlich hörte man in der Höhe des Himmels Geräusche. Es klang wie leises Stimmengemurmel, aber Genaueres war dabei nicht zu unterscheiden.

Einer der jüngeren Mönche berichtete aber später, er meinte die Worte „Passt auf!“ recht deutlich gehört zu haben, was – wie das folgende Geschehen – in die Annalen des Klosters eingehen sollte.

Nun jedoch rauschte es erst mal ganz gewaltig in der Luft. Dann gingen die Töne in ein durchdringendes Pfeifen über und schwere Einschläge klatschten nicht weit vom Ufer entfernt in das Wasser des Sees.

„Gott im Himmel, was war denn das?“, neugierig liefen die Mönche herbei, und sogar der fußverstauchte Bheko humpelte heran.

Vater Prior leuchtete die Wasseroberfläche mit der Taschen-lampe ab. Deutlich erkennbar dümpelten mehrere große Kugeln, die sanft schaukelnd von den Wellen zum Seeufer getrieben wurden, in den dunklen Fluten.

Einer der Mönche zog Schuhe und Strümpfe aus, raffte die Kutte in die Höhe und watete ins flache Wasser.

„Und? Kannst du was erkennen?“, rief ihm der Prior hinter-her und leuchtete mit seiner Lampe flach über die Wasserober-fläche.

Da hatte der wagemutige Gottesmann die himmlischen Ge-schosse auch schon erreicht. So gut es sein Gewand und das Seewasser erlaubten, bückte er sich und besah die Dinge näher. Dann richtete sich der Mönch wieder auf und meldete mit seiner schnarrenden Stimme in Richtung Ufer: „Zwei große Melonen und ein kleiner Kürbis. Der Kürbis hat einen Sprung, sonst ist alles prima.“

„Halleluja“, rief der Prior lauthals.

So kam es, dass sich die Mönche doch noch mit einem Nachtmahl stärken konnten.

Dann hüllten sie sich fest in ihre wärmenden Kutten und er-warteten getröstet und gesättigt den rettenden Morgen.

DAS SCHLOSS DES VAMPIRS

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