Читать книгу Der Anschlag auf London am 11. Sept. 2101 nebst seiner Vorgeschichte - Eric Gutzler - Страница 5

Kapitel 40: 3.00 Uhr: Samar Aljawi wird aktiv

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Als fünf Minuten später Aljawis Ohrstöpsel summte, war er sofort auf den Beinen. Seit Mitternacht lag er in Erwartung eines Anrufs angezogen auf seinem Bett. Noch während er Bouviers Stimme hörte, ging er ins Nebenzimmer, weckte zwei Agenten des israelischen Geheimdienstes, die dort schliefen, und machte einen starken Kaffee. Weitere zehn Minuten später verließ die kleine Gruppe in einem Fahrzeug mit Elektroantrieb das Altstadtviertel. Auf einer Ausfallstraße fuhr Aljawi nach Osten in Richtung Jericho und bog gegen drei Uhr dreißig auf eine Schotterstraße ab. Nach zwei Kilometern hörte die Straße auf und verzweigte sich in mehrere unmarkierte Pisten, an denen in unregelmäßigen Abständen kleine Häuser standen. Obwohl es keine Straßenlampen gab und obwohl Aljawi nur mit Standlicht fuhr, fand er sein Ziel. Er kannte die Strecke, die Schlaglöcher, die Felsbrocken und die ausgebrannten oder ausgeschlachteten Fahrzeuge, darunter auch Lastwagen und Busse, die an oder auf der Piste standen. Unmittelbar nach der ersten Fahrt, die Raisa mit Ronit unternommen hatte, hatte er Raisa Takris Wohnung ausgekundschaftet, eine Skizze des Hauses mit Türen und Fenstern angefertigt, und vor einer Woche war er die Strecke noch einmal abgefahren. Er fuhr an dem Haus vorbei, wendete und parkte an einer verdeckten Stelle zwischen Bauschutt und Müll. Auf der Rückseite drangen die Männer in das kleine Haus ein, knebelten die Mutter, stülpten ihr Kopfhörer über die Ohren, zogen ihr eine Kapuze über das Gesicht und fesselten ihre Hände auf dem Rücken. Während einer der Männer mit dem nicht behinderten Sohn gleichermaßen verfuhr, durchsuchte Aljawi das Haus, fand aber keine Aufzeichnungen oder sonstigen Hinweise. Aljawis Männer trugen Raisa Takri und den Sohn zum Wagen und legten sie in den Kofferraum. Den behinderten Sohn ließen sie zurück – er schlief fest und würde später keine Aussage machen können.

Auf der Rückfahrt wurde der Wagen einmal von einer Polizeikontrolle angehalten. Aljawi behielt die Ruhe, aber seine Männer entsicherten ihre Pistolen. Glücklicherweise gab ihnen der Polizist nur einen Warnhinweis auf eine Fahrbahnsperrung in einer Kreuzung, die sie umfahren konnten.

In Aljawis Gemüseladen angekommen, trugen die Männer Takri und ihren Sohn durch den Tunnel in das Haus auf der israelischen Seite. In einem der Kellerräume, den Aljawi für das Verhör vorbereitet hatte, setzten die Männer ihre Gefangenen auf zwei Stühle und fesselten sie so, dass sie weder die Beine noch die Arme bewegen konnten. Nachdem die beiden anderen Männer den Raum verlassen hatten, nahm Aljawi Raisa Takri die Kapuze, die Kopfhörer und die Augenbinde ab. Inzwischen war es drei Uhr achtundfünfzig europäischer Zeit.

Als Raisa die Augen öffnete, sah sie vor sich einen Tisch, auf dem eine Axt, ein Hammer, mehrere Messer und Zangen sowie eine Spritze lagen. Hinter dem Tisch stand ein Stuhl, zu dem ein Mann ging, der eine Gesichtsmaske trug. Da er einen Knebel und Kopfhörer in den Händen hatte, musste er der Mann sein, der ihr sie eben abgenommen hatte. An der gegenüberliegenden Wand hingen Fotos verschiedener Moscheen, das Foto in der Mitte zeigte die Kaaba und den Innenhof der großen Moschee in Mekka. Über den Fotos war ein grünes Tuch befestigt, auf dem in Arabisch ein Vers aus der dreiunddreißigsten Sure gedruckt war: Wer ist es, der euch vor Gott beschützen kann, wenn er euch Böses zufügen oder Barmherzigkeit erweisen will?

Inzwischen hatte der Mann sich gesetzt und sah sie an. Kurz danach vernahm sie Hundegebell, das aus großer Entfernung zu kommen schien. Es verstummte und wurde von Geräuschen fahrender Autos abgelöst. Raisa blickte nach unten und sah, dass ihre Unterarme an den Stuhllehnen und ihre Beine an den Stuhlbeinen festgebunden waren. Dabei bemerkte sie, dass ihre vollen schwarzen Haare, die zu ergrauen anfingen, offen herunterhingen. Beschämt und bestürzt – seit dem Tod ihres Gatten hatte kein Mann sie ohne Kopftuch gesehen – und um dem Blick des Fremden auszuweichen, sah sie zur Seite und erblickte ihren Sohn. Auch er war gefesselt, aber er trug noch eine Kapuze und konnte seine Mutter nicht sehen. Während der Fahrt hatte sie heilige Eide geschworen, nichts zu sagen, auch unter der Androhung von Folter zu schweigen. Aber als sie ihren Sohn sah, wurde sie bleich.

Das Fahrgeräusch war verstummt, stattdessen setzte nach einer Pause wieder Hundegebell ein. Die Geräusche kamen, was Raisa Takri nicht erkennen konnte, aus einem Lautsprecher, den das grüne Tuch verdeckte und der mit einem Abspielgerät verbunden war. Der Lautsprecher, die Fotos und der Tisch mit der Axt waren Teile der Vorbereitungen, die Aljawi getroffen hatte.

Plötzlich fing der Mann an zu sprechen: „Was ist der London-Plan?“

„Ich weiß nicht, wovon Sie reden.“

„Wen trifft Mansur Dadullah in London?“

Sie schwieg. Wie konnte der Fremde etwas von Mansur Dadullahs Londonreise wissen? Es gab nur eine Person, die ihn hätte verraten können: Rasha Orit. Ich wusste es, dachte sie, sie war eine Verräterin. Ich habe ihr immer misstraut.

„Wen trifft Mansur Dadullah in London?“ wiederholte der Maskierte. Es schien Raisa, als sei sein Arabisch syrisch gefärbt.

„Wer ist Mansur Dadullah? Kenne ihn nicht.“

„Ich habe keine Zeit für Ausflüchte. Wir haben Rasha Orit in London gefasst, sie hat gestanden.“

Aljawi entging Raisas Geste eines kleinen Triumphes nicht. Daher fuhr er fort. „Rasha Orit, die du ins Ausbildungslager für Selbstmordattentäter geschickt hast, war keine Verräterin, keine westliche Agentin. Sie war eine Vertraute ihres Mannes. Seit seinem Tod in London haben wir sie beobachtet und ihr nachgespürt. Sie hat versucht, sich bei ihrem Bruder, diesem zwielichtigen Samar Aljawi zu verbergen, der so tut, als sei er unpolitisch, aber heimlich konspiriert, aber wir haben sie aufgespürt. Wir wissen, dass sie in dem Ausbildungslager Dadullah begegnet ist, und wir haben ihren Weg nach London verfolgt. Leider hat sie sich dort von Mansur Dadullah getrennt, ihn haben wir aus den Augen verloren, sie aber geschnappt. Aber genug der Rederei.

Ich frage noch einmal; wenn du nicht antwortest, werde ich deinem Sohn einen Finger abschneiden, dann den zweiten, dann den dritten. Danach nehme ich mir die andere Hand vor, danach, wenn du immer noch nicht redest, werde ich ihm die Füße abhacken. Anschließend werde ich ihm die Zunge abschneiden, Nägel in die Ohren treiben und schließlich die Augen ausstechen. Aber er wird nicht sterben. Also, rede!“

Raisa schüttelte den Kopf.

„Wenn ich mit deinem Sohn fertig bin und du noch nicht geredet hast, werde ich das Gleiche mit dir machen. Schließlich aber werde ich diese Spritze nehmen“, er deutete auf die Spritze, die vor ihm auf dem Tisch lag, und dir ein Serum spritzen. Es ist ein neues, von den Russen entwickeltes Wahrheitsserum. Danach wirst du alles sagen. Das Serum hat nur einen kleinen Nachteil: Anschließend wirst du verrückt.“

„Wenn das Serum diese Wirkung hat, warum benutzen Sie es nicht sofort?“ versuchte sie zu trotzen.

„Weil ich Sadist bin und gerne Kinder quäle. Ihre Schreie sind mir Tröstung und Herzensnahrung.“

Raisa blickte zu Boden und schwieg. Die Stille wurde durch ein Poltern unterbrochen, das aus einem benachbarten Raum oder vielleicht einem Flur des Hauses zu kommen schien. Dem Poltern folgten laute, wütend klingende Männerstimmen und kurz darauf der Schrei einer Frau. Es war der Schrei einer Gefolterten, ein Schrei, in dem sich Entsetzen und körperlicher Schmerz grässlich zu mischen schienen. In die anschließende Stille hinein sagte Aljawi: „Ich habe es mir anders überlegt“, öffnete eine Schublade unter der Tischplatte, holte ein dünnes Glasröhrchen heraus und hielt es hoch.

„Weißt du, wofür man dieses Glasröhrchen benutzen kann?“

Raisa antwortete nicht.

„Es wird dir bestimmt aufgefallen sein, dass dein Sohn schon ein Alter erreicht hat, in dem er Erektionen bekommt.“

Raisa blickte zu Boden.

„Hör mir gut zu! Ich werde jetzt deinem Sohn die Kapuze und die Augenbinde abnehmen. Dann werde ich einen meiner Männer rufen, der dich in Gegenwart deines Sohnes entkleiden und vergewaltigen wird. Frontal und anal. Wenn dein Mann dich nie anal benutzt hat, wirst du vor Schmerzen schreien. Dein Sohn aber, den wir auch entblößen, wird eine Erektion bekommen. Dagegen kann er sich nicht wehren. Sobald er sie hat, werde ich dieses Glasröhrchen in seine Harnröhre stoßen, und danach werde ich einen Hammer nehmen und auf den Penis einschlagen, bis das Röhrchen in tausend Stücke zerplatzt. Weißt du, was das bedeutet? Kannst du dir seine Schmerzen vorstellen, die er zukünftig immer haben wird, wenn er pissen muss? Kannst du es ertragen, dass er dich nackt sieht und die Erinnerung an deine Vergewaltigung nie vergessen wird?“

Wogen aus Scham und Entsetzen zerbrachen Raisas Widerstandskraft. Mit leiser Stimme sagte sie: „Der Mann ist der Perser.“

„Welcher Mann?“

„Der Mann, den Dadullah gestern oder heute treffen sollte.“

„Weiter. Wer ist der Perser?“

„Seinen richtigen Namen kenne ich nicht.“

„Hör auf mit den Ausflüchten. Mir reißt die Geduld!“

„Der Perser ist der Kopf der Londoner Gruppe. Er hat verschiedene Pläne ausgearbeitet und will erst ganz spät entscheiden, wo er zuschlägt.“

„Ich brauche Hinweise. Welcher Arbeit geht er nach? Wo wohnt er? Hat er einen Spitznamen? Wie sieht er aus?“

„Einmal hat Jamil erwähnt, dass der Perser im Zoo von London arbeitet und in einem Stadtteil im Süden wohnt. Er hat ihn deswegen sehr gelobt und gesagt, der Perser bewege sich wie ein Fisch im Wasser, er sei ein Vorbild für alle Gotteskrieger.“

„Ist er verheiratet, oder lebt er allein?“

„Jamil hat nie von einer Familie des Persers gesprochen. Hätte der Perser Kinder, hätte Jamil es erwähnt, denn er sorgt sich immer sehr um die Angehörigen der Selbstmordkrieger. Mehr weiß ich wirklich nicht. Lassen Sie meinen Sohn und mich jetzt gehen?“

„Wenn wir ihn gefunden haben, lassen wir dich laufen.“

Aljawi verließ den Raum, um ein Telefonat zu führen.

Patsy Ellis lag in tiefem Schlaf, als das Telefon klingelte. Zunächst war das Klingeln Teil eines Traums, bevor sie merkte, dass das aufdringliche Geräusch aus einem Telefon kam, das auf einem Tischchen im Flur vor ihrem Schlafzimmer lag. Eine unfreundliche männliche Stimme sagte: „Mr. Ellis? Tobias Ellis?“

„Nein, ich bin seine Frau.“

„Ich muss dringend Ihren Mann sprechen. Er ist doch der Direktor des Londoner Zoos?“

„Tut mir leid, mein Mann ist nicht hier. Aber wer sind Sie überhaupt?“

„Ich rufe von der Londoner Polizei an. Es ist außerordentlich wichtig.“

„Hat er was verbrochen?“

„Nein, Frau Ellis. Da kann ich Sie beruhigen. Er soll uns helfen. Es handelt sich um ein Thema der Staatssicherheit. Wo ist Ihr Mann? Wo finde ich ihn?“

„Du liebe Güte. Samstags trifft er sich immer mit Freunden. Sie trinken und spielen Karten.“

„Benutzt er einen tragbaren Kommunikator?“

„Er hat einen, lässt ihn aber in seiner Freizeit stets ausgeschaltet und hört auch keine Nachrichten ab.“

„Wo trifft er sich mit seinen Freunden? In einer bestimmten Kneipe? Oder wo sonst? Wer sind seine Freunde? Haben Sie Nummern der Anschlüsse?“

„Also, er trifft sich meistens mit … aber …“ Ihre schläfrige Benommenheit wich allmählich dem normalen Misstrauen wacher Erwachsener: „Woher weiß ich, dass Sie von der Polizei sind und kein Verbrecher, der meinen Mann entführen will?“

Der Mann stöhnte: „Ich habe hier eine Datei vor mir, die persönliche Angaben über Ihren Mann und Sie enthält. Soll ich Ihnen vorlesen, wann Sie geboren sind, wann Sie eingeschult wurden und wann Sie die Schule verlassen haben? Oder dass Ihre Eltern sich getrennt haben, als Sie sieben Jahre alt waren? Oder dass Sie zweimal abgetrieben haben? Dass das zweite Kind nicht von Ihrem Mann war? Soll ich Ihnen vorlesen, welche Medikamente Ihnen in den letzten zwei Jahren verschrieben wurden? Oder welche Flugreisen Sie in den letzten fünf Jahren gebucht haben? Für diese Mätzchen habe ich keine Zeit. Es ist außerordentlich wichtig …“

Patsy Ellis, die mit dem Telefon inzwischen zum Bett zurückgekehrt war, unterbrach ihn: „Diese Daten können gestohlen worden sein. Ich glaube Ihnen nicht.“

Nach diesen Worten legte sie auf und verkroch sich ins Bett. Doch das Telefon kannte keine Gnade und begann, erneut zu klingeln. Schließlich nahm sie ab. Wütend brüllte die ihr schon bekannte Stimme los: „Patsy, legen Sie nicht auf! Es geht um die nationale Sicherheit. Wenn Sie mir nicht sofort die Telefonnummern geben, werden Sie wegen Unterstützung einer terroristischen Organisation ins Gefängnis wandern. Haben Sie verstanden?“

Eingeschüchtert nannte die Frau drei oder vier Namen und ging dann in das Arbeitszimmer ihres Mannes, um die Anschriften und Telefonnummern zu suchen.

„Damit haben Sie uns schon mal sehr geholfen“, sagte schließlich die Stimme am anderen Ende, zögert einen Augenblick, sagte, „bleiben Sie am Apparat“, um nach einer Unterbrechung, in der Patsy Ellis andere Stimmen zu hören glaubte, fortzufahren: „Frau Ellis, wer von den Mitarbeitern Ihres Mannes kann über die Angestellten des Zoos Auskunft geben?“

„Das weiß ich wirklich nicht. Ich kümmere mich nicht um dieZoo-Angelegenheiten, und mein Mann erzählt mir auch nichts darüber.“

„Wer ist sein Stellvertreter?“

„Sein Stellvertreter? Oh, ich glaube, das ist Robert Adamsky.“

„Wo wohnt er?“

„In Hampstead, am Park, ich glaube, in der Willow Road. Nein, falsch, hatte vergessen, dass er umgezogen ist. Wohnt jetzt in Stanmore, im Drummond Drive. Aber ich kenne weder die Hausnummer noch seinen Anschluss.“

Der Anschlag auf London am 11. Sept. 2101 nebst seiner Vorgeschichte

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