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Zurück nach Ägypten

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Wir müssen uns dabei in Erinnerung rufen, dass die oben genannten Gegenstände nur einen kleinen Teil der Objekte darstellen, die damals das Mittelmeer überquerten. Viele der Waren, mit denen man während der späten Bronzezeit handelte, waren verderblich und haben keinerlei verwertbare Spuren hinterlassen. Getreide, Wein, Gewürze, Duftstoffe, Holz und Textilien – all das ist längst verrottet. Aus Rohstoffen wie Elfenbein, Edelsteinen wie Lapislazuli, Achat und Karneol und Metallen wie Gold, Kupfer und Zinn wurden vor Ort meist neue Objekte gefertigt, zum Beispiel. Waffen oder Schmuck. Somit sind die in der Antike am häufigsten über die internationalen Handelswege transportierten Güter verwest, verarbeitet worden oder anderweitig verschwunden. Dennoch lässt sich auch die Existenz verderblicher Handelsware belegen: durch schriftliche Zeugnisse und durch die Darstellung in Wandmalereien, die bis heute überdauert haben. Solche Bilder, Inschriften und literarischen Hinweise verraten einem eine Menge über den Kontakt zwischen verschiedenen Völkern – vorausgesetzt, man weiß sie zu interpretieren.

Insofern sind die Wandbilder mit den Darstellungen der Vertreter fremder Völker, die man in einer ganzen Reihe bemalter ägyptischer Gräber aus dem Neuen Reich, der Regierungszeit der Pharaonen von Hatschepsut bis Amenophis III., gefunden hat, von unschätzbarem Wert – sie beweisen ganz konkret, wie das diplomatische, kaufmännische und logistische Netzwerk des 15./14. Jahrhunderts v. Chr. funktionierte.22

Das erste Grab, dessen Wandmalereien Menschen aus der Ägäis zeigen, stammt aus der Regierungszeit der Hatschepsut, im 15. Jahrhundert v. Chr. In solchen Gräbern findet man häufig Minoer abgebildet, oft zusammen mit ihren Waren und mit Inschriften, die sie eindeutig als Bewohner der Insel Kreta identifizieren. So zum Beispiel im Grab des Senenmut, des Baumeisters, Beraters und (eventuell) Geliebten der Hatschepsut – dort ist eine Gesandtschaft aus der Ägäis dargestellt, bestehend aus sechs Männern, die ägäisch aussehende Metallvasen tragen.23 In einem anderen Bild, im Grab des Rechmire, des Wesirs Thutmosis’ III. (ca. 1450 v. Chr.), sehen wir Männer in kurzen Röcken in typisch ägäischem Stil, die erkennbar ägäische Objekte tragen. Daneben ist (teilweise) zu lesen: »Sie kommen in Frieden von den Anführern der Keftiu und den ›Inseln in der Mitte des Meeres‹, und sie verbeugen sich und senken den Kopf vor der Macht seiner Majestät, des Königs von Ober- und Unterägypten.«24 Ganz offenbar handelt es sich hierbei um die Darstellung einer ägäischen Gesandtschaft in Ägypten. Solche Gesandtschaften sind in mehreren ägyptischen Gräbern aus jener Zeit abgebildet.

Die Wandmalereien im Grab von Rechmire zeigen jedoch nicht nur Völker der Ägäis: In den Reihen darüber und darunter finden sich Gesandte aus Punt, Nubien und Syrien, alle mit entsprechenden Inschriften. Es ist zwar nicht bewiesen, aber durchaus wahrscheinlich, dass wir es hier mit der Darstellung eines wichtigen Ereignisses während der Herrschaft Thutmosis’ III. zu tun haben und dass die Vertreter oder Händler aus der Ägäis lediglich Teil einer internationalen Menschenmenge sind, die sich anlässlich dieses Ereignisses versammelte oder dazu eingeladen wurde. Wenn dem so ist, handelt es sich wahrscheinlich um das Sedfest, das ein Pharao erstmals nach 30 Jahren Herrschaft feierte und danach in unregelmäßigen Abständen; wir wissen, dass Thutmosis III. das Sedfest mindestens dreimal feierte, was nicht weiter verwunderlich ist, regierte er doch 54 Jahre lang.25

Insgesamt gibt es um die 14 Gräber aus der Zeit von Hatschepsut und/oder Thutmosis III., die Delegationen von Ausländern in Ägypten zeigen; sie gehören allesamt hochrangigen Beamten und Beratern. Dargestellt sind Menschen aus der Ägäis, aus Nubien und Kanaan, und alle tragen sie ausländische Objekte.26 In den neun Gräbern aus der Regierungszeit Thutmosis’ III. finden wir viele Darstellungen von Ausländern, die diplomatische Geschenke überbringen, jährliche Zahlungen leisten oder an einer Expedition teilnehmen, die Thutmosis III. in den Libanon schickte, um Zedernholz zu besorgen.27

Keftiu, Keftiu-Männer und Keftiu-Schiffe wurden in jener Zeit in Ägypten auch in vielen anderen Zusammenhängen erwähnt, u.a. in Inschriften an Tempeln und in Texten auf Papyrus. Zu den interessantesten zählt ein Papyrus aus dem 30. Regierungsjahr Thutmosis’ III. (etwa 1450 v. Chr.), der mehrere »Keftiu-Schiffe« erwähnt. Dabei geht es um den Import von Materialien für die ägyptische Flotte: »Dem Handwerker [Männername] übergeben: Schalhölzer für das Keftiu-Schiff« – »heute wie bestellt dem Handwerker Tity übergeben, für das andere Keftiu-Schiff« – »dem Handwerker Ina übergeben, für das andere (…) Keftiu-Schiff«.28 Auch eine Inschrift an der Mauer des Tempels von Karnak aus dem 34. Regierungsjahr Thutmosis’ III. erwähnt Keftiu-Schiffe.29

Auch wenn unklar ist, ob es sich dabei nun um minoische Schiffe handelte, die aus Keftiu kamen, oder um ägyptische Schiffe, die nach Keftiu fuhren – es macht deutlich, dass es einen (höchstwahrscheinlich direkten) Kontakt zwischen dem minoischen Kreta und dem Neuen Reich zur Zeit des Thutmosis III. gab. Aufgrund der in der Region herrschenden Winde – die heute die gleichen sind wie vor 3400 Jahren – kann man relativ leicht vom Süden Kretas aus nach Marsa Matruh an der Nordküste Ägyptens und von dort aus zum Nildelta segeln. Die Rückfahrt unter Segeln war aufgrund von Winden und Strömungen nicht ganz so einfach, aber zu bestimmten Jahreszeiten durchaus möglich. Ansonsten fuhr man einfach andersherum, von Ägypten nach Kanaan und Zypern, dann weiter nach Anatolien und nach Rhodos, von hier aus zu den Kykladen oder zum griechischen Festland und von da schließlich wieder nach Süden nach Kreta – und wieder nach Ägypten.

Durch eine Malerei mit Inschrift im Grab des Menkheperreseneb, des ersten Propheten des Amun,30 wissen wir, dass die Ägypter den König der Minoer kannten und gegenüber anderen ausländischen Herrschern als ebenbürtig ansahen. An den Mauern des Grabes sehen wir den »Prinz von Keftiu «(Kreta) Seite an Seite mit dem Prinzen der Hethiter (Anatolien), dem Prinzen von Tunip (wahrscheinlich in Syrien) und dem Prinzen von Qadeš (Syrien). Der Titel, mit dem die dargestellten Figuren identifiziert werden, ist bei allen der gleiche: wr, das bedeutet »Prinz« oder »Häuptling«.31 Das Bild scheint darauf hinzuweisen, dass hin und wieder Mitglieder anderer Königshäuser Ägypten besuchten, vielleicht auch zu ganz besonderen Anlässen. Kamen sie alle zur selben Zeit (möglicherweise zu eben jenem Anlass, der im Grab Rechmires dargestellt ist) oder zu verschiedenen Gelegenheiten? Das können wir nicht mit Sicherheit sagen, aber es wäre eine durchaus interessante Hypothese, dass sich die wichtigsten historischen Gestalten der späten Bronzezeit anlässlich einer großen Veranstaltung in Ägypten versammelten – so wie heute die internationalen Würdenträger eine königliche Hochzeit besuchen oder eine G-8-Konferenz.


Abb. 4 Darstellung von Ägäern in Rechmires Grab (nach Davies 1943, Taf. xx. Mit freundlicher Genehmigung des Metropolitan Museum of Art).

Denselben Begriff, wr (»Prinz« oder »Häuptling«), verwendet Thutmosis III. auch noch an einer anderen Stelle: Im 42. Jahr seiner Annalen erwähnt er den »Prinz von Tanaja«, die ägyptische Bezeichnung für das griechische Festland. Er verzeichnet eine ganze Liste von Objekten aus der Ägäis, u.a. ein silbernes Gefäß nach keftiu’scher Machart und vier Schalen mit Griffen aus Silber. Interessant ist, dass er sie inw nennt – ein Begriff, den man in der Regel mit »Tribut« übersetzt; in diesem Kontext wird es eher so viel wie »Geschenk« bedeutet haben.32 Sicherlich lag es unter der Würde des Königs, sich am »normalen« Handel zu beteiligen; der Austausch von »Geschenken« mit Gleichrangigen (oder doch beinahe Gleichrangigen) war hingegen durchaus üblich. Dies werden wir im nächsten Kapitel noch eingehender untersuchen, wenn es um den internationalen Handel in Gestalt von Geschenken im 14. Jahrhundert v. Chr. geht.

1177 v. Chr.

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