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Als der anthrazitfarbene Mercedes in die Wenzelstrasse in Prag einbog, fiel leichter Schneeregen. Mechanisch betätigte der Fahrer den Schalter für den einarmigen Scheibenwischer und murmelte Beschwörungen gegen das, mit Connolly Leder bezogene, Wagendach. Er liebte es, diese Strasse rauf und runter zu promenieren und von den Passanten, wegen seines Autos, geliebäugelt zu werden. Dieses Mal war das Wetter zu schlecht, um gross Eindruck schinden zu können. Die breiten Gehsteige waren leergefegt und nur eine Strassenbahn, die ihm überfüllt entgegenratterte und an deren Fenstern sich die Menschen die Nasen platt drückten, liess so etwas wie Besitzerstolz in ihm aufkeimen. Er unterliess es, ein zweites Mal die Runde zu drehen und parkte den grossen Wagen am Gehsteig, stieg aus und aktivierte die Alarmanlage. Der Eingang zur Lucerna Bar lag gegenüber. Den Hut tief ins Gesicht gezogen, den Mantelkragen hoch geschlagen, bewegte er sich, trotz seiner Fülle, behände auf die Eingangstüre zu. Trockene, warme Luft schlug ihm entgegen, die seine Brillengläser beschlagen liess, als er das Lokal betrat. Mit einem Papiertaschentuch, das er aus der linken Hosentasche zog, begann er langsam, seine Brille zu reinigen und suchte mit verschwommenem Blick die Tischreihen nach einer bestimmten Person ab. Da sich an diesem frühen Mittwochabend nur wenige Menschen in dem, mit rotem Plüsch ausgestatteten, Nachtlokal aufhielten, ging es nicht lange und er sah, auch ohne seine Augengläser, wen er suchte. Er setzte seine Brille wieder auf die Nase und, wie zur Bestätigung seiner Annahme, nickte er mit dem Kopf. Zielstrebig hielt er auf den Platz zu, an dem ein weibliches Wesen alleine an einem Tisch sass. Er legte Hut und Mantel neben sich auf einen Stuhl und lächelte der Frau zu, als er sich zu ihr setzte.

„Hast du es gekriegt?“, fragte sie in holprigem Deutsch und: „Gab es irgendwelche Schwierigkeiten?“

Als Antwort schnaubte der Mann einmal vielsagend durch die Nase und blähte dabei seine Nasenflügel wie die Nüstern eines Pferdes. Mit einem Schnippen der Finger bestellte er bei dem Kellner einen Whisky und kippte ihn mit einem weiteren hörbaren Atmen in den Rachen.

„Nicht hier!“, sagte er und versuchte, mit der Zunge die letzten Tropfen aus dem Glas zu erwischen.

„Du kannst ja wenigstens nicken. Ja oder nein?“

Elena Petrovska, eine knapp Vierzigjährige mit blond gefärbten Haaren, slawisch hochgesetzten Wangenknochen und seit vier Jahren die Freundin des Mannes, zog die Augenbrauen zusammen und blickte ihn durch ihre schräggestellten Augen vorwurfsvoll an. Sie hasste die Art wie er sie auf die Folter spannte. Mit einem Kopfschütteln, das sowohl ja als auch nein bedeuten konnte, versuchte er, seine Partnerin zu besänftigen, was ihr lediglich ein verächtliches Zischen aus ihrem grossen, vollen Mund entlockte. Sie holte aus der Handtasche einen Lippenstift und zog die Konturen nach. Er erkannte an dieser Geste, dass sie sich geschlagen gab und bis später Geduld haben würde. Beim ersten Mal als er sie sah, hatte sie dieselbe Geste gemacht und schon damals reizte es ihn an ihr.

Im Lokal begann es, lauter zu werden. Eine Horde Männer stürmte an die Bar und verlangte nach Bier. Wahrscheinlich deutsche Touristen, die Prag auf den Kopf stellen wollten, dachte er und rutschte unruhig auf dem Stuhl hin und her.

„Was ist los? Warum bist du so nervös?“, fragte Elena und taxierte die Männer an der Bar.

„Ich muss noch einmal telefonieren… ich glaube, ich habe jetzt den Mann, den wir brauchen gefunden.“

„So… glaubst du? Bist du dir nicht sicher? Mach jetzt bloss keinen Fehler so kurz vor dem Ziel!“

„Keine Angst! Hab’ ich es bis hierhin geschafft, schaff’ ich es auch noch bis ans Ende. Du kennst mich doch!“

„Eben deswegen!“ Elena Petrovska suchte mit ihren Augen unter den Kerlen, die johlend nach Mädchen schrien, den mit der dicksten Brieftasche. Dafür hatte sie einen jahrelang geschulten Blick und ihr entgingen nicht die kleinsten Ausbuchtungen an den Gesässtaschen oder Jacketts. Der Mann wusste, was sich in dem Gehirn seiner Freundin abspielte und betrachtete sie mit einem Lächeln.

„Ich geh’ jetzt zurück ins Hotel“, sagte er provokativ, stand auf und setzte seinen Hut demonstrativ schräg auf den Kopf. „Lass dich nachher sehen! Und ähm… wenn ich schon schlafe… ähm… weck mich bitte nicht. Tschau!“ Er legte sich den Mantel lässig über die Schultern und spazierte aus dem Nachtlokal.

Das Hotel Interkontinental lag in der Nähe der Karlsbrücke, für deren Schönheit unser Mann keinerlei Interesse zeigte, als er daran vorbeifuhr. Seine Gedanken waren bei einem Telefonat, das er in seinem Hotelzimmer führen wollte und das für ihn von unsagbarer Wichtigkeit war. Er fuhr direkt in die Tiefgarage, verschloss den Mercedes und liess sich mit dem Lift auf sein Stockwerk bringen. Im Zimmer angekommen, öffnete er die Minibar und entnahm ihr eine kleine Flasche Whisky. Er schraubte, betont langsam, den Verschluss aus billigem Blech auf und gab sich damit etwas Zeit, seine Gedanken zu ordnen. Aus Unachtsamkeit schnitt er sich an einer hervorstehenden Kante, fluchte leise und leckte gleichzeitig den dunkelroten Tropfen Blut mit der Zunge weg. Dann spülte er den bitteren Geschmack seines eigenen Blutes mit dem Inhalt aus der kleinen Flasche hinunter. Er nahm den Hörer, behutsam wie ein rohes Ei, von der Gabel und begann, bedächtig an der Wählscheibe zu drehen. Das Fernzeichen erklang sehr nahe, fast zu nahe für diese Distanz, die es zurücklegen musste, an seinem Ohr. Gedanklich rief er dem gewünschten Teilnehmer zu, endlich abzuheben.

„Wenger!“, brüllte eine Frau in die Muschel, so laut, dass der Mann unwillkürlich seinen Kopf drehte, um nachzusehen, ob sie nicht neben ihm im Zimmer stand.

„Ähm… ist ihr Mann zu Hause?“

„Wer spricht denn da?“, quengelte die piepsige Stimme.

„Oh, entschuldigen Sie vielmals. Remmler ist mein Name. Albert Remmler.“


Es waren die neunziger Jahren und halb Europa stand im Zeichen des Umbruchs. Grosse Länder wurden in kleinere, kuchenstückartige Teile aufgeteilt. Andere führten Bruderkriege und dezimierten ihre Einwohnerzahl durch Waffen. Wiederum andere schlossen ihren Teil, den sie im zweiten Weltkrieg verloren hatten, wieder brüderlich in die Arme. Menschen wurden kompromisslos hin und her geschoben, ausgetauscht oder vernichtet, ohne Ansehen der Person. Die DDR, wieder Teil von Deutschland, hatte aufgehört zu existieren. Die durch vierzig Jahre Kommunismus zerstörten Menschen wurden, auf sich selbst gestellt und ohne Verhaltensregeln, in eine materialistische Welt geworfen. Dass sich darunter sehr viele schwarze Schafe befanden, erklärte sich von selbst.

Albert Remmler war so ein schwarzes Schaf. Oder doch eher ein grauer Wolf? In der Stasizeit zu ein wenig Ruhm und Ehre gelangt, fand er sich in der neuen Welt mit den Rechten und Pflichten nur sehr schwer zurecht und so hatte er sich überlegt, wie er die gelernten Tricks in bare Münze umsetzen könnte. Nachdem sich der Staatsratsvorsitzende Erich Honecker von Hammer und Sichel getrennt und sich, mit Deutschlands Hilfe, nach Chile abgesetzt hatte, standen viele, von ihrem väterlichen Freund im Stich gelassen, ohnmächtig da und wussten mit der wiedergewonnenen Freiheit nichts anzufangen. Nicht so Albert Remmler. Er verabschiedete sich für immer von Frau und Kindern und nahm den Weg noch tiefer gegen Osten. In der Tschechischen Republik fand er das, was er gesucht hatte. Remmler gründete eine Firma mit dem Zweck, Edelmetalle zu verscherbeln. Dubiose Geschäfte mit Gold, Diamanten und vor allem geschmuggeltem Platin aus Russland. Mit seinen fünfzig Jahren wollte er es noch einmal wissen, wollte die Welt, zu seinen Gunsten, auf den Kopf stellen. Er brach den Kontakt zu seinen ehemaligen Parteifreunden ab, suchte und fand neue Partner in Elena Petrovska und Klaus Eiler, einem Zuhälter aus Berlin, der zur Tarnung ein Fitnessstudio betrieb. Zusammen gründeten sie die Scheinfirma Brillant und jagten im Osten gewinnträchtigen Metallen hinterher. Nun, vier Jahre später hatte Albert Remmler seinen dicksten Fisch an der Angel und den wollte er auf keinen Fall verlieren. So eine Chance würde sich ihm, in seinem ganzen Leben, nie wieder bieten, das wusste er und er wollte sie nutzen.


Januar 1994, Rudi Wenger stritt sich gerade mit seiner Lebensgefährtin über Geld, das Dauerthema im Hause Wenger, als das Telefon seine computergesteuerten Töne von sich gab.

„Geh’ an den Apparat!“, schrie er seine Frau an.

„Mach’s doch selber… ist ja doch wieder für dich!“, giftete sie im selben Ton zurück, stand aber zur gleichen Zeit auf und griff nach dem Hörer. „Wenger!“, brüllte sie ihren Zorn in die Muschel. „Wer spricht denn? Es ist für dich… ein gewisser Remmler will dich sprechen.“ Sie hielt, während sie sprach, die Muschel mit der rechten Hand bedeckt. „Bist du da?“

„Natürlich! Auf diesen Anruf warte ich schon den ganzen Tag. Gib her!“ Er entriss ihr den Hörer. “Herr Remmler?“, sülzte er ins Telefon. Dann lauschte er andächtig, unterbrach das Gehörte mit kurzem: „Ja, ja“, und legte den Hörer, nachdem er alles noch einmal bestätigt hatte, auf die Gabel zurück.

„Hörte sich an, als hättest du einen Auftrag bekommen“, meinte Silke Wenger emotionslos.

„Ja, ich muss weg… nach Prag. Wo liegt der kleine braune Koffer? Ich fliege morgen gegen Abend nach Tschechien und vielleicht noch am selben Tag zurück… spätestens aber übermorgen.“ Er stürmte vom Wohn- ins Schlafzimmer.

„Lass dir ruhig Zeit, deine Rückkehr eilt nicht!“, rief sie affektiert hinterher.


Albert Remmler legte ebenfalls den Hörer auf die Gabel zurück, als es an der Tür klopfte. Er stemmte seine massige Gestalt vom Bett hoch und schleppte sich zum Eingang. Draussen stand Klaus Eiler, sein Kompagnon.

„Na, was ist, haben dich die Russkis schon wieder laufen lassen?“ Remmler spielte auf ein dramatisches Erlebnis an, das sie beide Ende Oktober letzten Jahres bei den Russen durchgemacht hatten. Entführt durch Angehörige der russischen Mafia waren sie vierzehn Tage in ein dunkles Loch eingesperrt worden. Nach Lösegeldzahlungen kam Remmler wieder frei, während Klaus Eiler in einem unbewachten Augenblick türmte.

„Hör bloss mit dieser Kacke auf. Ich will nichts mehr davon hören. Erzähl mir lieber, wie es gelaufen ist. Haben die Gebrüder Karamasow sich an unsere Abmachung gehalten?“ Eiler war sichtlich erbost über diese Anspielung, denn seine Mundwinkel mit dem dicken Lippenbart zeigten nach unten, was Remmler mit Genugtuung bemerkte. Er konnte es, seit er ihn kannte, nicht lassen, diesen baumlangen Kerl zu ärgern. Obwohl er Remmler kräftemässig haushoch überlegen war, hätte Eiler den Kopf der Firma niemals tätlich angegriffen, auch wenn dieser ihn noch so sehr piesackte.

Klaus Eiler aus Westberlin traf Remmler bei der grossen Verbrüderung, als die Tore für den Osten geöffnet wurden. Er hatte ihn so sehr mit seiner überlegenen Art beeindruckt, dass Eiler den Vorschlag, sich zusammenzutun, heute noch als Offenbarung betrachtete. Gekleidet wie ein Loddel, offenes Hemd auch bei dieser kalten Jahreszeit, einer schwere Goldkette, die in einem Büschel schwarzem Brusthaar eingebettet lag, Ringe, fast an jedem Finger und einer Tätowierung am linken Unterarm, die aufgrund der halbaufgekrempelten Hemdsärmel gut sichtbar war. Albert Remmler sah ihn eine Zeitlang mit seinen wässrig blauen Augen fragend an.

„Möchtest du etwas trinken? Bedien’ dich!“ Er deutete auf den Kühlschrank. „Wie kommst du auf Karamasow?“

„Na, wegen eines Romans, den ich mal in einer Zelle gelesen habe. Ist von Tolstoi, kennst du bestimmt nicht.“ Er kniete vor der Minibar und konnte sich für kein Getränk entscheiden.

„Dostojewski.“

„Was?“

„Dostojewski, dieser Roman ist von Dostojewski und nicht von Tolstoi. Hast du ihn überhaupt gelesen, oder nur die Bildchen angeschaut?“

„Ehrlich… mir war er ein bisschen zu schwere Kost. Ich habe nur die Hälfte verstanden und da hab ich ihn wieder weggelegt.“ Eiler hatte etwas gefunden, was seinem Geschmack entsprach: ein Bier. „Was ist nun mit den Brüdern?“

„Nun, es gab ein paar Probleme, an denen du nicht ganz unschuldig bist…“

„Aber…“

„Kein Aber, hör mir zu! Ich habe das Ding unten im Kofferraum… diese Schweinehunde wollten mich übers Ohr hauen… ich hab’s ihnen gegeben. Pjotr ist tot… ich konnte nicht anders und nun ist sein Bruder Arkadi mit seiner Bande hinter uns her. Du kannst dir ja vorstellen, was das bedeutet.“

„Mist, verdammter! Was jetzt?“

„Wir müssen verschwinden… untertauchen, uns verstecken!“

„Das sagst du so leicht… die finden uns, darauf kannst du dich verlassen!“

„Ja, das sollen sie ja auch…“

„Ich will noch nicht sterben, ich bin noch viel zu jung…“

„Wegen den drei Jahren, die du jünger bist als ich? Mach dir keine Sorgen, ich habe einen Plan und den habe ich soeben in die Wege geleitet. Wir werden begraben, aber nicht beerdigt.“

„Wie das denn?“

„Warte nur, du wirst staunen. Und nicht nur du, viele werden dabei ins Grübeln kommen, glaub mir!“ Remmler stierte an die Decke, als gäbe es dort etwas besonders Interessantes zu sehen. „Geh jetzt, ich muss mich hinlegen… wir sehen uns morgen.“

Eiler stellte die leere Bierflasche auf die Minibar und verschwand mit besorgter Miene aus dem Zimmer. Er hatte den, nicht unbegründeten, Verdacht, dass Remmler plötzlich verrückt geworden war.

Tief in der Nacht schlich sich Elena Petrovska in das Zimmer von Remmler. Durch den Lichtschein einer Neonreklame sah sie ihn mit grünrötlich gefärbtem, nacktem Oberkörper auf dem Bett liegen, den Mund sperrangelweit offen, woraus pfeifende Geräusche drangen. Sie zog sich leise nackt aus und legte sich neben ihn. Die Berührung ihrer kalten Hände liess Remmler erschrocken aus dem Schlaf hochfahren.

„Meine Güte, hast du mich jetzt erschreckt. Ich war gerade in einen bösen Alptraum verstrickt, in dem es um Leben und Tod ging, da kommst du mit deinen eiskalten Händen.“ Remmler rieb sich den Schlaf aus den Augen und starrte Elena ungläubig an. „Ich habe dir doch gesagt, du sollst mich nicht wecken!“

„Nun hab dich nicht so. Erzähl mir lieber, was du mit den Russen angestellt hast. Klaus war in der Bar und behauptete, du wärst plötzlich verrückt geworden und würdest wirres Zeug faseln. Also, was hat es damit auf sich?“ Sie streckte die Hand nach ihm aus.

„Was soll schon sein? Lass… lass“, zischte er, als sie ihre kalte Hand auf seinen Bauch legte. „Wir müssen verschwinden und zwar schnell… Arkadi und seine Bande ist hinter uns her.“

„Wieso uns? Du meinst wohl hinter dir.“

„Nun, mein Schatz, wenn sie mich nicht kriegen, werden sie sich an dich halten, ergo müssen wir verschwinden.“ Er knipste die Nachttischlampe an und sah ihre grossen Augen auf sich gerichtet. „Möchtest du etwas trinken? Ich muss etwas haben. Meine Kehle ist vollkommen ausgetrocknet.“ Remmler hangelte sich aus dem Bett und stellte sich, nur mit einer Unterhose bekleidet, vor den Kühlschrank. „Na, was ist… keine Lust auf einen Schlummertrunk?“

„Bring mir dasselbe…“, erwiderte sie abwesend. „Glaubst du wirklich, dass Arkadi so gefährlich ist? Ich meine, könntest du dich mit ihm nicht irgendwie arrangieren, so dass wir hier nicht weg müssten?“

„Bestimmt nicht. Schliesslich will er sich für den Tod seines Bruders rächen…“ Er sortierte Eiswürfel in die Gläser und goss Whisky darüber. „Was wollte denn Klaus in der Bar? Dich etwa beobachten?“ Er kam mit den gefüllten Gläsern zum Bett zurück und stellte ihr das Glas auf den nackten Bauch.

„Iiiiiih… ist das kalt“, schauderte sie, zog sich an der Bettstatt hoch und nippte mit spitzen Lippen den Alkohol. „Nein, der hatte keine Zeit für mich, er musste seine Tussi im Auge behalten, damit sie nicht mit einem Deutschen aufs Zimmer ging, ohne, dass er es mitbekam. Hast du dir schon überlegt, wo wir uns vor Arkadi verstecken sollen? Der findet uns doch überall.“

„Abwarten, so schlau ist der Bursche nun auch wieder nicht. Kannst du irgendwo zwei Neoprenanzüge auftreiben, einen für dich und einen für mich?“

„Was ist das, diese Neo… wie heissen die?“

„N-E-O-P-R-E-N. Das sind Gummianzüge, wie sie die Taucher verwenden. Damit halten sie sich die Kälte vom Leib.“

„Nun übertreibst du aber. So kalt sind meine Hände nun wirklich nicht!“, schmollte Elena. Sie trank das Glas leer, verkroch sich wieder unter die Bettdecke und entzog Remmler damit den Blick auf ihre vollen Brüste, die er schon die ganze Zeit angestarrt hatte.

„Nein, du Dummerchen. Es dreht sich doch dabei nicht um deine Hände. Wir brauchen sie für unsere Flucht.“ Der Kopf von Elena tauchte unter der Decke hervor.

„Meinst du damit, dass wir davonschwimmen? Ohne mich! Du kennst meinen Horror vor grossen Gewässern.“ Remmler amüsierte sich an seiner Freundin und lachte aus vollem Hals.

„Was ist nun? Kennst du jemanden? Kannst du sie besorgen? Ja, oder nein?“

„Nein, aber mein Vasili kann es bestimmt und…“

„Ich will deinen Sohn nicht miteinbeziehen, das habe ich dir schon so und sooft erklärt. Also, glaubst du, du schaffst es auch ohne fremde Hilfe?“ Er kniff die Augen zu einem Schlitz zusammen und atmete hörbar durch die Nase.

„Ja, ja, ich schaff das schon, nur keine Panik. Jedes Mal, wenn ich den Namen meines Sohnes erwähne, reagierst du sauer…“

„Aus gutem Grund, wie du dich vielleicht erinnern magst!“

„Diese alte Geschichte! Langsam wäre es an der Zeit, über deinen eigenen Schatten zu springen und endlich einmal Gras über die Sache wachsen zu lassen, findest du nicht? Das war doch nur ein dummer Streich eines pubertierenden Knaben, der sich Nichts dabei gedacht hat!“

„Du weisst, dass ich das anders sehe und nun lass mich mit dieser Sache zufrieden! Ein für alle Mal, ich will deinen Sohn nicht dabei haben, basta!“

„O.k., o.k., beruhige dich! Ich besorg dir das Zeug auch ohne ihn“, beschwichtigte Elena ihn, drehte sich um und schlief kurz darauf ein.

Remmler beobachtete sie noch eine Weile, wie sie ihren Körper an den äussersten Rand des Bettes platzierte, um ihm die abwehrende Haltung zu demonstrieren. Ihre Haare rochen nach Zigarettenrauch, ihr Körper nach billigem Deo. Trotzdem empfand Remmler sie als die anziehendste Frau der Welt und er mochte sie nicht missen. Die Arbeit in der Bar störte ihn nicht und er verlor auch keinen Gedanken darüber, was sie mit wem trieb, nur das Problem mit ihrem Sohn bekam er nicht in den Griff. Jetzt ergab sich die Gelegenheit, mit alledem Schluss zu machen und ein neues Leben anzufangen. Remmler sog noch einmal tief Luft in seine Lungen, trank den letzten Rest aus dem Glas und legte sich ebenfalls schlafen, in der Gewissheit, die Dinge des Lebens neu geordnet zu haben.

wie spät ist es wolf?

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