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Remmler war für die nächsten zwei Tage spurlos verschwunden. Klaus Eiler wagte sich nicht aus dem Hotelzimmer. Es hätte ja sein können, dass er ihn anrufen würde und dann waren da noch Arkadi und seine Bande, die bestimmt irgendwo auf ihn lauerten. Des Weiteren klopfte dieser Pilot ständig an seine Zimmertüre, wollte wissen, wo Remmler steckte und Elena malträtierte ihn zu jeder Stunde mit Telefonanrufen. Es war zum Auswachsen!

Sonntag in der Früh tauchte Remmler plötzlich wieder aus der Versenkung auf und tat so, als wäre er nie weggewesen. Klaus scharwenzelte um ihn herum, traute sich aber nicht, ihn nach dem Grund seiner Abwesenheit zu fragen.

„Na, die Koffer gepackt?“, richtete Remmler das Wort an Klaus.

„Ja… nein. Ich wollte gerade… äh, wie lange bleiben wir denn weg? Damit ich nicht zu viel einpacke…“ Ein verlegenes Lächeln begleitete seine Frage.

„Einen Koffer… nicht mehr! Auch deine Freundin nicht, hast du verstanden?!“ Remmler entblösste seine stumpfen Zähne, was einem Lächeln gleichkommen sollte.

„Klar und deutlich. Kein Problem“, beeilte sich Klaus zu antworten.

„Ist Wenger noch auf seinem Zimmer?“

„Wer?“

„Der Pilot… ist er noch im Hotel?“ Remmler wurde ungeduldig.

„Ach der… ja sicher… jedenfalls war er es die letzten Stunden.“

„Dann werde ich ihm jetzt einen Besuch abstatten. Und du schaust zu, dass du morgen pünktlich um vier auf dem Flugplatz erscheinst! Mit Ausweis und nüchtern, wenn es nicht allzu viele Umstände macht. Bis dann!“ Remmlers letzte spitze Bemerkung sass. Klaus Eiler schluckte einmal leer, bevor er antworten konnte, aber da war es bereits zu spät, Remmler hatte längst die Tür hinter sich geschlossen.


Ein Stockwerk höher polterte Wenger los, als er Remmler erblickte. Er beschwerte sich über die miese Behandlung durch Klaus, über die schlechte Informationspolitik seitens Remmler und über das Rumsitzen im Hotel. Albert Remmler liess ihn kurzerhand abblitzen:

„Sie werden schliesslich dafür bezahlt!“, war seine lakonische Antwort. „Wie sieht’s aus, sind Sie morgen startklar?“

„Fragt sich, wohin?“, nörgelte der Pilot.

„In die Schweiz.“

„Geht es vielleicht noch etwas genauer?“

„Altenrhein…“ sagte Remmler und fügte, als er den fragenden Blick seines Gegenübers bemerkte, hinzu: „Na da… am Bodensee.“

„Ist mir bekannt. Nur wenn das Wetter mitspielt.“

„Wie meinen Sie das?“

„Nun, voraussichtlich haben wir eine geschlossene Wolkendecke… laut Wettervorhersage. Wenn dem so ist, kann ich in Altenrhein nicht landen. Das sollten Sie eigentlich wissen“, knurrte Wenger und öffnete die Tür des kleinen Kühlschranks. „Möchten Sie etwas zu trinken?“

„Natürlich ist mir das bewusst, aber Sie haben doch bestimmt eine Einrichtung für Blindlandungen in ihrer Maschine, oder?“ Wenger nickte. „Na also, wo liegt denn das Problem?“

„Natürlich habe ich das Landesystem ILS an Bord installiert und auch in Altenrhein ist es seit Neustem in Gebrauch, nur…“

„Nur, was? Machen Sie es nicht so spannend!“ Remmler wechselte seine Gesichtsfarbe.

„Nur, dass es noch nicht offiziell in Betrieb ist. Das heisst, wir können es nicht benutzen. Wir müssen ausweichen, um die Wolkendecke zu durchstossen… nach Zürich oder…“ Wenger nippte an einer Bierflasche.

„Haben Sie eine Karte von der Gegend?“

„Sicher… in meinem Koffer. Moment, das haben wir gleich!“ Wenger breitete die Flugkarte auf dem Boden aus, kniete sich darüber und rief gleichzeitig aus: „Ich hab’s! Friedrichshafen ist ideal… liegt genau gegenüber… auf der anderen Seeseite.“

Remmler tat interessiert, liess dem Piloten den Triumph, doch in seinem Innersten breitete sich ein Lächeln aus und in seinem Gesicht schien geschrieben zu stehen: Weiss ich doch längst. Was glaubte denn dieser Trottel, wo er sich die letzten Tage herumgetrieben hatte? Darüber aber schwieg Remmler. Warum auch? Wenger würde es noch früh genug erfahren. Doch dann würde es für ihn und seine Passagiere bereits zu spät sein…


Montag, 24. Januar. Remmler stand vor dem Badezimmerspiegel und rasierte sich sorgfältig. Dabei versuchte er, nicht an den Verlauf des heutigen Fluges zu denken, sondern fragte sich die ganze Zeit, wie er den Piloten von seinem Gepäcksstück ablenken konnte. Die besondere Form dieses Stücks würde seine Aufmerksamkeit sofort darauf lenken und unangenehme Fragen nach sich ziehen. Eine Aufgabe, die er also schnellstens lösen musste. Remmler griff zum Telefonhörer und in exakt diesem Moment klingelte der Apparat. Er hob ab und erkannte sogleich die weibliche Stimme am anderen Ende. Elena berichtete ihm aufgeregt, dass sie ihr Problem gelöst hatte. Vasili würde alleine zuhause bleiben. Ihre Mutter, die in der Nähe wohnte würde ein Auge auf den Jungen werfen. Die Frage drehe sich nun nur noch um die Verweildauer. Remmler würgte eine Antwort hervor, die genauso gut drei Wochen wie drei Monate hätte lauten können. Elena gab sich damit zufrieden und legte auf. Mit einem Schimpfwort auf den Lippen wählte Remmler Wengers Zimmernummer.

„In vier Stunden ist Abflug!“, knurrte er ins Telefon, ohne seinen Piloten zu begrüssen. „Haben Sie Ihre Hausaufgaben gemacht? Karten studiert? Den Vogel aufgetankt?“

„Ach, Sie sind das…“, erklang es müde zurück.

„Wer dachten Sie denn? Václav Havel vielleicht?“ Remmler war sichtlich genervt. „Gibt es Probleme? Sie klingen so, als würden sie jeden Augenblick in Tränen ausbrechen.“

„Keine Sorge, ich kann mich beherrschen.“

„Weiber, was? Immer wieder dieselbe Geschichte“, meinte er einfühlsam. „Aber das ist nicht der Grund meines Anrufs.“ Sein Tonfall war wieder härter geworden. „Können wir mit dem Auto so nahe an das Flugzeug heranfahren, ohne dass wir die Koffer durch den ganzen Flughafen schleppen müssen?“

„Wohl kaum. Wir sind, wie alle Passagiere, verpflichtet, das normale Abfertigungsprozedere zu durchlaufen.“

„Gibt es keine Möglichkeit, diesen Zauber zu umgehen?“ In Remmlers Achselhöhlen begann sich Schweiss zu bilden und hinterliess deutliche Spuren auf dem frischen Hemd. Wenger seinerseits liess sich mit der Antwort Zeit.

„Sie meinen durch die Hintertür? Sicher ist das möglich, nur stellt sich für mich dann die Frage, warum? Das Tragen der Gepäckstücke allein ist sicherlich nicht der Grund, dafür gibt’s Gepäckträger. Es geht wohl eher um den Inhalt, was?“

„Um mit meinen ausländischen Kunden ins Geschäft zu kommen, benötige ich die Probe eines Materials, das der Zoll nicht unbedingt zu sehen braucht. Haben wir uns verstanden?“ Remmler wurde ruppig, da er sich wie ein Kind, das bei etwas Verbotenem ertappt wurde, vorkam.

„Sicher, nur…“

„Geht’s um Geld? Kommen Sie in mein Zimmer… oder nein, melden Sie sich beim Portier, ich werde den Umschlag dort deponieren. Wir treffen uns um Punkt vier auf dem Flugplatz. Bis dann!“ Remmler fühlte sich, nachdem er eingehängt hatte, wie ein nasser Schwamm und suchte das Badezimmer auf, um sich ein weiteres Mal unter die Dusche zu stellen. Er konnte mit sich zufrieden sein. Wieder ein Teil des Puzzles geschafft, das sich nahtlos einfügte und ihm den Weg zum Ziel ebnen würde.

Nachdem er sich ein frisches Hemd und einen, etwas zu gross geschnittenen, Anzug übergestreift hatte, machte er sich auf und fuhr mit dem Lift in die Tiefgarage, wobei er in der Empfangshalle einen kurzen Stopp einlegte, um dem Portier das Kuvert mit dem Geld für Wenger auszuhändigen. Im Untergeschoss angekommen, stellte Remmler sich vor seinen Wagen und beobachtete die Einfahrt. Er öffnete den Kofferraum, entnahm ihm einen Vierkantschlüssel und einen Keil. Mit letzterem lief er zur Aufzugstüre zurück, drückte den Knopf und als sich diese mit leichtem Surren öffnete, schob er den Keil dazwischen und wartete, bis sich die Türe wieder langsam schloss. Das Stück Holz hinderte sie daran, sich die letzten Zentimeter zu schliessen und machte dadurch einen weiteren Gebrauch des Aufzuges unmöglich.

Schnellen Schrittes ging er zu der roten Metalltüre, die in die Wand eingelassen war, öffnete sie mit dem Vierkantschlüssel und starrte im selben Augenblick auf den stählernen Behälter, den er vor zwei Tagen dort platziert hatte. Er nahm ihn heraus und steckte ihn in eine schwarze Sporttasche mit der weissen Aufschrift: „Nike for ever“, verschloss den Wandschrank wieder und versteckte sein Geheimnis in dem Moment im Kofferraum des Wagens, als sich in der Einfahrt die ersten Geräusche bemerkbar machten. Ein Hotelgast parkierte direkt neben ihm. Remmler schloss sich dem Mann an, entfernte mit einem Fusstritt den Keil an der Aufzugstüre und fuhr mit ihm hoch in sein Stockwerk. Im Zimmer angelangt, begann er mit der mühseligen Arbeit, sich den Neoprenanzug überzustreifen. Der Gummi legte sich straff wie eine zweite Haut an seinen Körper, drückte seine Fettpolster über die Rippen und quetschte den Bauch hoch. Remmler überkamen zugleich Atemnot und Schweissausbrüche. Er legte sich quer aufs Bett, versuchte sich zu beruhigen und nicht daran zu denken, wie er die nächsten Stunden mit diesem Ding an seinem Leib überleben sollte. Allein der kleinste Gedanke daran, rief den nächsten Schweissausbruch hervor.

Nachdem er sich ein weiteres Mal ins Badezimmer geschleppt, sich seine Anzughose wieder übergestreift und das weisse Hemd zugeknöpft hatte, begutachtete er sich im Spiegel und erschrak. Der Reissverschluss, der den Gummi zusammenhielt, schimmerte durch das Hemd. Noch ein weiteres Hemd würde er unmöglich ertragen können, dachte er bei sich und versuchte, den Streifen Metall mit einer Krawatte zu kaschieren. Ein Blick auf seine goldene Armbanduhr zeigte, dass er seine Anprobe beenden musste, wollte er nicht zu spät am Flughafen erscheinen.


Die Ostblockarchitektur des Wohnsilos, in dem Elena Petrovska ihr Domizil hatte, blickte Remmler emotionslos entgegen, als er die Einfahrt ansteuerte. Nachdem er seine Utensilien an restlichen Kleidern, Rasierzeug und Batteriewecker in einer Tasche verstaut hatte, verliess er das Hotel, ohne sich noch einmal umzusehen oder die Rechnung zu begleichen. Letzteres bereitete ihm keinerlei Kopfschmerzen. Warum auch? In ein paar Stunden würde er sowieso offiziell für tot erklärt werden, sinnlos sich also noch über eine unbezahlte Hotelrechnung Gedanken zu machen.

Als er das Gepäck von Elena in den Kofferraum packte, begann er bereits wieder zu schwitzen. Sie stand neben ihm, in einem braunen Hosenanzug älteren Datums, was Remmler zu einem Kopfschütteln veranlasste, während auch sie sich mit einem Taschentuch den Schweiss von der Stirn wischte.

„Das Ding wird mich noch umbringen. Eine Sauna ist kein Vergleich dagegen…“, beschwerte Elena sich. „Was ist das für ein Wagen? Das ist doch nicht deiner…“

„Das ist ein Mietwagen und nun steig endlich ein!“ Er hätte sie hier bei ihrem Sohn lassen sollen, dachte Remmler, startete den Motor und verliess mit Vollgas den Hof. Er erholte sich erst wieder, als er sich in den Verkehrsfluss der Strasse, die zum Flughafen führte, eingefädelt hatte. Nervös fiel sein Blick auf die Uhr im Armaturenbrett des Skodas, beruhigte sich aber sogleich wieder, als er die Ziffern sah. Sie würden ihr Ziel rechtzeitig erreichen.


Wenger sass wie auf glühenden Kohlen. Der Flug war auf siebzehn Uhr vorbereitet und weit und breit kein Remmler in Sicht. Mit dem Portier vom Hangar hatte er sich geeinigt - wobei ein paar Dollarscheine ihren Besitzer gewechselt hatten -, die Gepäckstücke mit dem Auto zum Flugzeug zu fahren. Die Passagiere würden jedoch das normale Prozedere durchlaufen. Eine, im Rhythmus des Sekundenzeigers, der an der Wand hängenden Uhr, gähnende Angestellte des Abfertigungsschalters beobachtete sein ruheloses Auf- und Abwandern mit stoischer Gelassenheit. Sie hatte sich längst an ihr nervöses Klientel gewöhnt und unterbrach ihre Betätigung, das Betrachten der Fingernägel, erst, als Remmler mit seinem Anhang an ihr Desk trat und mit dem Herrn, der seit einer halben Stunde bei ihr herumlungerte, einen lauten Disput über das Zuspätkommen anfing.

„Endlich, Herr Remmler!“, empfing Wenger seinen Fluggast. „Wo bleiben Sie denn so lange? Unser Flug ist auf fünf terminiert!“

„Ja, ja, jetzt bin ich ja hier. Wie geht’s nun weiter?“

„Die Dame“, er deutete auf die Angestellte, „wird Sie durch den Zoll…“, er stockte. „Von einem Hund war aber nie die Rede, Herr Remmler.“ Wenger starrte auf das kleine Tier in den Armen von Eilers Freundin Iveta.

„Was soll das? Unterhalten wir uns jetzt über Hunde? Die Töle wird doch noch irgendwo ein Plätzchen in der verdammten Maschine finden. Erklären Sie mir lieber, wie Sie das mit dem Gepäck, das draussen im Wagen liegt, arrangiert haben.“

„Geben Sie mir Ihre Wagenschlüssel! Ich erledige das“, erwiderte Wenger, wobei ihm die abnorme Schweissproduktion seines Gegenübers, der sich jede Minute das Gesicht mit einem Taschentuch abwischte, nicht entging.

„Dürfte ich Sie dann bitten, mir zu folgen?“ Die Hostess schälte sich aus ihrem Verschlag und durchquerte die Eingangshalle.

„Ich lass Prinz aber auf keinen Fall hier, sonst komme ich auch nicht mit!“, lamentierte Iveta und stampfte zur Unterstützung ihrer Worte mehrmals mit dem linken Fuss auf den, mit Linoleum überzogenen, Fussboden.

Remmler beratschlagte sich mit seinem Kompagnon und erhob die Stimme:

„Sag deiner Freundin, sie kann ihr Dingsda mitnehmen, wenn sie die Klappe hält“, und etwas leiser: „Ich hoffe, ihr habt alle eure Ausweise dabei!“ Allgemeines Kopfnicken. „Klaus, würdest du sie für mich einsammeln?“ befahl er, machte auf dem Absatz kehrt und folgte der Hostess, die sich bereits mehrere Meter von ihnen entfernt hatte.


Rudi Wenger fluchte, als er den Schlüssel in das Zündschloss des Skodas steckte. Remmler behandelte ihn wie einen Botenjungen. Er befand sich sozusagen unter Dauerbeschuss eines obskuren Geschäftsmannes, der ihn als sein Eigentum betrachtete. Seine schlimmsten Befürchtungen, die er in Bezug auf Remmler beim Anflug nach Prag gehabt hatte, schienen sich voll und ganz zu bestätigen. Wenn er das Geld nicht so dringend benötigen würde, wäre er auf der Stelle umgekehrt. Ganz zu schweigen von dem ganzen Fussvolk, das Remmler sich als Begleitung ausgesucht hatte. Einen Zuhälter mit seiner Tussi, eine abgehalfterte Schlampe, die genauso mit Überhitzung zu kämpfen schien, wie Remmler selbst. Wahrscheinlich das Einzige, das sie gemeinsam hatten. Aber so etwas schien wohl zu verbinden, dachte Wenger und ein hämisches Grinsen legte sich auf seine Lippen.

Ein schwarzer Wagen überholte den Skoda und stellte sich mit qualmenden Reifen quer vor ihn hin. Zwei Gestalten stürzten heraus, umzingelten ihn, noch bevor Wenger den Wagen richtig zum Stehen gebracht hatte. Die Fahrertüre wurde aufgerissen, Rudi wurde grob an der Schulter gepackt und dann unsanft aus dem Wagen gezerrt.

„Wer sind Sie?“, fragte ihn ein finster dreinblickender Kerl.

„Was, zum Teufel, soll das?“ Rudi geriet in Panik und versuchte, sich aus der Umklammerung zu befreien, worauf der Angreifer nur noch fester zupackte und ihm dadurch den Arm aus dem Schultergelenk kugelte. Wenger schrie auf und liess, ohne weiteres Aufbegehren zu, dass die Kerle ihn an den Wagen pressten, nach Waffen abtasteten und nach Papieren durchsuchten. Die Schmerzen in seiner Schulter waren unerträglich und sein linker Arm hing schlaff herunter, so, als wollte er sich demonstrativ vom restlichen Teil seines Körpers distanzieren. Er konnte die Gesichter der Männer nicht sehen, lediglich der Lack des Wagendaches, an dem seine rechte Wange festzukleben schien, offenbarte sich seinem Blickfeld. Eine tiefe Stimme mit ausländischem Akzent stellte sich als Arkadi Ledovskj vor und verlangte von Rudi Wenger Auskunft über den Verbleib von Remmler.

„Was, um alles in der Welt, soll ich mit diesem Remmler zu tun haben, verdammt nochmal?!“, stiess Rudi gequält hervor.

„Du fahren sein Auto“, gab die Stimme gelangweilt zurück.

„Das ist ein Mietwagen… den ich soeben am Flughafen gechartert habe. Wer ihn vorher benutzt hat, entzieht sich meiner Kenntnis.“ Rudi versuchte, seiner Stimme die Glaubwürdigkeit beizulegen, die es dringend benötigte, um die Kerle loszuwerden.

„Du sein Pilot…?“

„Woher wissen Sie das?“ Rudi bekam nicht mit, wie Arkadi hinter ihm in seinem Ausweis blätterte.

„Wohin du jetzt gehen?“ Arkadi steckte den Ausweis zurück in Rudis Tasche.

„Bevor ihr hier aufgetaucht seid, wollte ich in die Stadt. Jetzt führt mein Weg zu einem Arzt.“

„Lasst ihn los!“, befahl Arkadi.

„Wir wünschen Ihnen einen schönen Aufenthalt in Prag und verzeihen Sie uns den kleinen Zwischenfall“, sagte der Kerl, der ihm fast den Arm ausgerissen hatte, in einwandfreiem Deutsch und löste dabei seinen Griff.

Als Rudi sich umdrehte, bemerkte er eine Polizeistreife, die sich langsam an ihm vorbeibewegte und ihn misstrauisch beäugte. Von seinen Peinigern sah er lediglich noch das Heck des Wagens um die nächste Ecke biegen. Die Schulter begann das Doppelte ihres normalen Ausmasses anzunehmen, was er daran festmachte, dass sein Sakko an dieser Stelle deutlich zu spannen begann.

„Das wirst du mir büssen, Remmler“, fluchte er, als er sich umständlich in den Wagen setzte, ihn startete und die Einfahrt zu den Hangars ansteuerte. Der Portier drehte Rudi demonstrativ den Rücken zu, wies ihn mit der einen Hand an, durch die Schranke zu fahren und mit der anderen zählte er die Dollars in der Hosentasche, die er von Wenger bekommen hatte. Kurz hinter dem Wagen ratterte der Metallbalken wieder herunter, was Rudi instinktiv den Kopf einziehen liess. Er hatte es geschafft!

Remmler lehnte mit sauertöpfischer Miene an der Kabinentüre des Flugzeuges und schaute kopfschüttelnd auf seine Armbanduhr, während Wenger den Skoda vor der Cessna zum Stehen brachte.


Arkadi Ledovskj, einer, der in den Abwasserkanälen von Moskau seine Kindheit verbracht hatte, der mit menschlichen Fäkalien gross geworden war und das Verbrechen als seine grosse Leidenschaft betrachtete, fand in Albert Remmler einen ebenbürtigen Gegner. Vom Vater, einem Wodkakranken, schon als Baby verlassen, von der Mutter, einer Prostituierten, die am Gorky Park ihre Freier suchte und mit ihm und ihnen für Tage in irgendeiner Behausung verschwand, wurde Arkadi schliesslich von Beamten des Sozialamtes aufgegriffen. Sie hatten ihn in ein Waisenhaus gesteckt, wo er regelmässig nach ein paar Tagen das Weite suchte und sich vor der Miliz in den kilometerlangen, katakombenähnlichen Abwasserkanälen der Millionenstadt Moskau versteckte. Durch kleine Diebstähle, die mit zunehmendem Alter immer grösser geworden waren, hielt er sich über Wasser und war bald zum König der Schwarzhändler gekürt worden.

Sein ebenmässiges Gesicht, die schwarzen Haare und hohen Backenknochen, die ihm das Aussehen eines Mongolen verliehen, machten Arkadi zu einem Frauenschwarm, was er schonungslos auskostete. Sein Geld tat das Übrige beim männlichen Geschlecht und die Korruption blühte dank Arkadi bis hinauf zur russischen Politik. Er hatte sie alle in der Hand. Der erste Pate in der russischen Mafia war Arkadi Ledovskj!

Die hochgelobte, wärmende russische Seele fand bei Arkadi keinen Platz. Nur einmal wurde er von einem Hauch Sentimentalität erfasst, als man ihm, einen um zwei Jahre jüngeren Mann als seinen Halbbruder Pjotr vorgestellt hatte, der bis dahin in Heimen untergebracht war. Er wurde von ihm in die Organisation eingeführt, durch Albert Remmler ermordet und lag nun in einer Kiste, zwei Meter unter der Erde begraben.

Arkadi hatte den Häuserblock umrundet, stand, zur Verblüffung seines Mitfahrers in einer Seitenstrasse und wartete ab. Der Tschetschene auf dem Nebensitz stellte die einfache Frage:

„Was tun wir hier?“

Arkadi seinerseits nahm seine Augen nicht vom Ausgang der Seitenstrasse, die in die Hauptstrasse zum Flughafen mündete und stiess die Worte gegen die Frontscheibe:

„Wir schnappen uns Remmler!“ Arkadis Augen schlossen sich wie das Objekt einer Kamera.

„Hier?“

„Natürlich nicht! Am Flughafen… ich wollte nur nicht der Polizei in die Arme laufen.“

„Was? Wo?“

Arkadi startete den Motor und liess die Frage unbeantwortet. Er versuchte, so schnell wie möglich, das Flughafenareal zu erreichen. Genauer gesagt, die kleine Strasse, die zu den Hangars führte und in die der Skoda eingebogen war, als Arkadi ihn im Rückspiegel beobachtet hatte. An der Schranke angekommen, sah er gerade noch eine Cesna 425 in den nachtgrauen Himmel von Prag verschwinden. Verdammt, er war zu spät! Aus einem Gefühl heraus wusste er, dass in dieser Maschine Remmler sass und ihn hämisch angrinste.

wie spät ist es wolf?

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