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Männer-Freundschaft

„Wunderbarer war deine Liebe für mich als die Liebe der Frauen.“ So endet die Klage Davids über den Tod seines Freundes Jonathan (2 Sam 1,26). Dabei war es nicht so, dass der Womanizer den Frauen abgeneigt gewesen wäre. Nicht zuletzt hatte er ja Jonathans Schwester geheiratet. Es war eine Freundschaft zwischen diesen jungen Männern, die raue Herausforderungen überstand und beiden einen starken Rückhalt gab. Doch die Freundschaft zu Jonathan war ihm kostbarer als alles andere. Die etwas trivialere Variante dieses Bekenntnisses singt Heinz Rühmann in dem Film Die Drei von der Tankstelle: „Ein Freund, ein guter Freund, das ist das Beste, was es gibt auf der Welt.“ Markus Hofer

Freundschaft zwischen Männern umweht ein Hauch des Exklusiven. Das bestätigte sich vor Jahren in einer Umfrage in Deutschland, in der 70 Prozent der Männer bekannten, dass sie keinen Freund hätten. Das Ergebnis war dann doch etwas überraschend und hat viele Facetten. Zum einen verwenden Männer das Wort „Freund“ wesentlich exklusiver als Frauen, die vermutlich schneller einmal von einer anderen Frau als „Freundin“ sprechen, geschweige denn von den mehreren „Freundinnen“, die Frauen oft haben. Ich habe noch kaum einen Mann getroffen, der von seinen „Freunden“ in der Mehrzahl spricht und wenn, dann waren es eher seine Kumpel oder Kollegen. Ein Freund bzw. „ein guter Freund“, wie Heinz Rühmann zusätzlich spezifiziert, hat in der Männerwelt einen hohen Wert, einen exklusiven Anspruch und eine gewisse Seltenheit. Im Gespräch mit Männern wird bald deutlich, wie sie dieses Wort fast mit einer gewissen Andacht aussprechen, wenn nicht sogar vermeiden.

KUMPEL, KOLLEGEN, KAMERADEN

Viele Männerbeziehungen sind letztlich funktional, d. h. es sind vorerst keine selbst gewählten Beziehungen, sondern sie wurzeln in gemeinsamen Funktionen im Beruf, als Mitglied in einem Klub oder Verein. Das sind dann landläufig die vielen Kumpel oder Kollegen, an denen es Männern selten mangelt. Daraus können engere Freundschaften erwachsen, müssen aber nicht. Meist ist es ein unkompliziertes Zusammensein unter Männern, die Pflege gemeinsamer Interessen verbunden mit gemütlichen Runden. Es ist eine gemeinsame Lebensform, die Männer schätzen, die ihnen guttut, die aber eher selten ans Eingemachte geht. Kumpel sind vielleicht noch etwas enger verbunden als Kollegen, noch mehr ‚verkumpelt‘ eben.

Markus Hofer

geb. 1957, Dr. phil., Mag. theol., Studien der Philosophie, Theologie, Kunstgeschichte und Germanistik; von 1994–2014 Leiter des Männerbüros der Katholischen Kirche Vorarlberg (Österreich), seit 2014 Leiter der Fachstelle Glaubensästhetik; Buchautor, Erwachsenenbildner.

Der funktionale Zusammenhang der Männerbeziehungen wird für viele Männer zum Verhängnis, wenn sie in Rente kommen, denn damit brechen zumindest die beruflichen Kollegen meist von heute auf morgen weg. Im Allgemeinen haben gerade stark berufsorientierte Männer, im Gegensatz zu vielen Frauen, kein soziales Netz, das über die Berufskollegen hinausgeht. Damit sind sie in der Rente in einer Weise auf sich selbst zurückgeworfen, wie sie es vorher kaum kannten. Wenn er bis dahin keine eigenen Hobbys entwickelt hat und die Partnerin verständlicher Weise auch nicht nur daheim wartet, bis der Schatz in Rente kommt, dann kann es schon kritisch werden.

Die „Kameraden“ wiederum sind durch den begrifflichen Missbrauch im Nationalsozialismus in Verruf gekommen und heute wird das Wort nur noch selten oder sehr vorsichtig verwendet. Ursprünglich war es doch eher eine nicht freiwillig gewählte Schicksalsgemeinschaft, man denke an die Schützengräben der beiden Weltkriege oder einfach an die Feuerwehr, in der Männer manche Bedrohungen miteinander durchgestanden haben und die sie richtiggehend zusammengeschweißt hat. Die Kameraden haben Dinge erlebt, die sie vielleicht ein Leben lang nicht vergessen. Auch ihre Beziehung schätzen sie hoch ein, Freundschaften wurden oder werden aber nicht zwingend daraus. Will man den Begriff der „Männer-Freundschaft“ nicht oberflächlich verstehen, besteht der Unterschied zu den Kumpels, Kollegen und Kameraden darin, dass es nochmal eine freie Entscheidung ist, mit einem anderen Mann eine engere Beziehung einzugehen.

DIE FREUNDSCHAFT

Männliche Freunde sind auf jeden Fall mehr als Kumpel oder Kollegen, mehr als berufliche Seilschaft oder eine sportliche Allianz. Es verbindet sie mehr und es gibt eine Übereinstimmung, die weit über den Alltag oder mögliche Differenzen hinausgeht. Freundschaft ist eine tiefe Verbindung, um die man nicht mehr buhlen muss, eine Beziehung, die trägt und verlässlich ist. Selbst wenn man sich länger nicht gesehen hat, ist schlagartig alles wie beim letzten Mal, wenn Freunde zusammenkommen. Männerfreundschaft heißt, dass man miteinander über alles reden kann, genauso aber, dass man gar nicht mehr reden muss.

WORTLOSES EINVERSTÄNDNIS

Wenn Männer etwas miteinander unternehmen und dabei wenig reden, kann es sein, dass von Frauen manchmal abgewertet wird: Was macht ihr denn die ganze Zeit? Es kann schon Oberflächlichkeit sein oder Unsicherheit voreinander. Es gibt aber auch eine Form des männlichen Schweigens, die uns viel bedeutet. Zwischen Männern gibt es eine Art von wortlosem Einverständnis, das gerade der Ausdruck besonderer Freundschaft ist, eine Art von tiefem Einverständnis, das eben keiner Worte bedarf und das vielleicht umso tiefer ist, je weniger es der Worte bedarf.

Klischeehaft zeigen das Winnetou und Old Shatterhand mit ihrem typisch männlichen Telegrammstil. Je mehr sie befreundet sind, umso weniger und knapper reden sie und im gemeinsamen Kampf gegen gefährliche Gegner ist ihr wortloses Einverständnis überhaupt die größte Waffe. Wenn zwei Männer sich gut verstehen, so scheint manchmal die Devise, dann müssen sie überhaupt nicht mehr reden. Ein junger Mann hat in einem Aufsatz geschrieben: „Es war einmal ein Sohn, der hatte den besten Vater der Welt. Obwohl sie es sich nie sagten, wussten sie, dass sie das beste Team der Welt waren.“ Das ist nichts anderes als eine männliche Liebesgeschichte. Die beiden wissen es voneinander und darum brauchen sie es sich nicht zu sagen. Mutter und Tochter hingegen würden es sich gegenseitig immer wieder beteuern. Das weibliche Muster scheint konträr: Wenn man sich mag, dann kann man immer über alles reden. Wenn Männer sich mögen, dann schweigen sie manchmal im wortlosen Einverständnis. Zwischen Mann und Frau ist das nicht immer so einfach.

DIE SAU RAUSLASSEN

Männer können im Rudel auch sehr ausgelassene Verhaltensweisen entwickeln und fühlen sich pudelwohl dabei. Es scheint, als würden sie das Kind im Manne gemeinsam von der Leine lassen, die Augen glänzen und wenn eine alte Freundschaft mit im Spiel ist, dann umso mehr.

„Dieses Wochenende haben wir einmal richtig die Sau rausgelassen!“, erzählte mir ein junger Kollege montags im Büro und es schien, als könne er noch an nichts Anderes denken. Die Augen glänzten immer noch. Was glauben Sie hat er am Wochenende gemacht? Er war weder in einem Bordell noch mit Kollegen beim Komasaufen. Er war mit seinem Männerchor bei einem Chorwettbewerb. Lustvoll haben sie sich singend mit anderen Chören gemessen, geprobt, Nerven gezeigt, sich verglichen. Sie haben gemeinsam konzentriert ein Ziel verfolgt mit Anspannung und Enttäuschungen und am Ende auch mit dem zweiten Platz einen Siegestaumel erlebt. „Warum wird bei den Männern alles zu einem Kräftemessen?“, fragte mich einmal eine Frau. Manchmal, weil es einfach lustvoll ist und uns Männern so mehr Spaß macht.

Gleichzeitig hat mein Kollege mit einem alten Freund das Zimmer geteilt und dabei haben sie gemerkt, dass sie immer noch die alten Kindsköpfe von früher sind, dass im ausgelassenen Blödeln die alte Freundschaft auflebte. Er strahlte immer noch, als er erzählte, wie der Schmäh auf allen Ebenen lief, es eine riesen Hetz war und sie zusammen fast bodenlos lachen und blöd tun konnten.

Vermutlich kennt das jeder Mann und sehnt sich nach solchen Gelegenheiten. Unser Alltag ist stark strukturiert, von Verpflichtungen und Erwartungen geprägt, viele Normen sind vorgegeben, korrekt soll alles sein und da tut so ein Ventil einfach gut und sei es ein Rangeln und Raufen, Lachen und Blödeln. Es kann Balsam für die Männerseele sein, zwischendurch einfach einmal ganz banal quasi die Sau rauszulassen, auch wenn dabei nichts Unanständiges passiert.

EINE INVESTITION, DIE KOSTET

Ich selbst habe einen Freund, einen besten Freund, wie es dann heißen muss. Jede Woche gehen wir einmal durch die Wälder, durch die Auen, bei Schlechtwetter auch ins Thermalbad. Jede Woche, seit Jahren, und er tut mir gut. Und er kostet mich Zeit, zugegeben. Aber er ist eine meiner besten Investitionen. Darin liegt sicher auch einer der Gründe, warum so viele Männer keinen richtigen Freund haben. Oft genug habe ich es in der Männerarbeit erlebt, dass Männer sich gemeinsam für ein Projekt begeistern, Ideen entwickeln, mit glänzenden Augen wird daran herumgebastelt. Zu guter Letzt ziehen dann alle den Terminkalender heraus und schlagartig entrückt das Projekt in ziemlich weite Ferne, weil man keinen gemeinsamen Termin finden kann. Freundschaften sind eine Investition, die kostet. Sie brauchen Zeit, die Männer oft nicht haben oder sich nicht nehmen.

DIE SCHEU VOR NÄHE

Nicht wenige Männer haben Angst vor zu viel Nähe zu anderen Männern und unser Thema hat auch mit der Homophobie zu tun, der Angst schwul zu sein bzw. als schwul zu gelten. Unter Jugendlichen ist heute noch das schlimmste Schimpfwort: „Du schwule Sau!“ Diese Angst sitzt tief und sie wurzelt vielleicht sogar in einem existentiellen Faktum. Wir alle werden von einer Frau geboren und das macht einen Unterschied. Für die Mädchen ist die Mutter eine Person desselben Geschlechts. Sie haben in der Mutter eine geschlechtliche Identifikationsfigur: Sie dürfen werden wie Mama; auch wenn sie später genau das Gegenteil wollen, aber das nennt man Pubertät. Für Jungen schaut das ganz anders aus. Schon die kleinen Buben merken sehr früh, dass die Mama eine Frau ist und sie ein Mann. So lautet schon sehr früh die Grunddevise des männlichen Daseins: Du darfst nicht werden wie Mama! Darin wurzelt zum einen das bekannte Machotum und die vielen Formen von übertriebenem Männlichkeitsgehabe. Es wirkt, als ob sie sich ständig beweisen müssten, dass sie männlich sind, dass sie nicht sind wie Mama. Oft genug sind es ausgesprochene Muttersöhne, die nie vom Vater die männliche Bestätigung bekommen haben, die ein gefestigtes Mannsein ermöglichen würde, das man nicht ständig beweisen muss und um dessen Verlust man keine Angst zu haben braucht. Eine derart tiefgehende Verunsicherung in der geschlechtlichen Identität gibt es vermutlich bei Frauen kaum.

Aus genau derselben Quelle wird die männliche Homophobie gespeist. Einmal habe ich das Thema Freundschaft in einer Gruppe junger Männer angesprochen. Zuerst wurde es schnell still, dann auf eine verklemmte Art unruhig, der eine oder andere bekam einen roten Kopf, keiner wollte zuerst reden. Durch mein Nachstoßen wurde es bald eindeutig. Die Gefahr als schwul zu gelten, ist bei jungen Männern wesentlich größer, wenn sie zu viel Nähe untereinander zulassen. Das sei der ausschlaggebende Grund, bekannten sie, warum sie nur „Kollegen“ hätten und keine „Freunde“; zumindest würden sie Freunde nie so benennen.

DER EINSAME WOLF

„Männer sind halt einsame Wölfe“, meinte ein anderer aus dieser Gruppe junger Männer und diese Haltung zieht sich durch alle Altersgruppen. Männer haben meist viele Kollegen, und wenn sie ein Bier trinken wollen, sind sie selten allein. Doch im Grunde sind viele von ihnen einsame Wölfe, die allein am Lagerfeuer sitzen und wenig wirkliche Freunde haben.

Viele dieser Helden sitzen abends am Lagerfeuer und tauschen ihre Geschichten aus. Viel Jägerlatein wird dabei gedroschen. Doch dann muss er das gemeinsame Feuer wieder verlassen und reitet einsam neuen Herausforderungen entgegen. Helden sind meistens allein, nur selten haben sie einen Blutsbruder. Sie sind auch dann allein, wenn sie verletzt sind – innerlich oder äußerlich – und lecken meist einsam ihre Wunden.

Männer bräuchten Freunde – nicht nur zum Fußball schauen oder Bier trinken, sondern auch für die Gesundheit. Das ging aus einer schwedischen Studie eindeutig hervor: Männer mit guten Freundschaften leben länger. Sie leiden halb so oft unter Herzkrankheiten wie der einsame Wolf. Der lebt ungesund und weder gut noch lange: Der einsame Wolf stirbt eindeutig früher.

DIE SCHEU VOR GEFÜHLEN

Die Quintessenz im Gespräch mit den jungen Männern war für mich die Aussage: „Männer wollen andere Männer nicht mit Gefühlen belasten.“ Damit haben sie zweifellos etwas Entscheidendes benannt.

Einerseits stehen wir Männer oft genug vorerst als Konkurrenten einander gegenüber und da gilt es cool zu bleiben, nicht zu viel preiszugeben. Wenn Männer zusammenkommen, sind sie im Normalfall zuerst einmal Konkurrenten. Das geschieht heute sehr subtil, aber man klopft sich mehr oder weniger gegenseitig ab, sondiert das Revier und unter dem Strich geht es um die Rangordnung, um den Platz auf der Hühnerleiter. Es ist vorerst fast, als würden sich Ritter in Rüstungen gegenüberstehen, das Visier vorsichtshalber erst mal unten; es könnte ja auch gefährlich werden. Es wird, wenn auch sehr dezent, gerangelt, die Hierarchie ausgetestet; jeder muss schauen, auf welche Sprosse der Hühnerleiter er gehört. Dabei ist ganz wichtig: Sich ja nicht blamieren! Auch wenn man sich nach gewisser Zeit oder ein paar Bier schulterklopfend in den Armen liegt, bleibt oft genug das Innerste ausgespart, der persönliche Bereich versperrt. Wer da zu schnell Gefühle bekundet, könnte sich vor den anderen lächerlich machen.

Warum verschont man sich aber auch unter Kollegen mit den eigenen Gefühlen? Es sind vermutlich tiefe Ängste, die uns da hemmen. Die Angst, uns lächerlich zu machen, die Angst, die Kontrolle zu verlieren und die Angst zu überfordern. Denn es sind nicht immer nur laue Lüftchen, die in uns wehen. Nicht zuletzt ist es auch das traditionelle Männerbild, das von uns die Kontrolle der eigenen Gefühle verlangt.

DAS GEWEIH AN DEN ZAUN

Das Zusammensein mit Kumpeln und Kollegen ist ein wesentlicher Teil unserer Männerkultur. Das sollte auch nicht abgewertet werden, auch wenn es manchmal eher oberflächlich wirken mag. Im Zusammensein von Männern läuft unter der Oberfläche mehr als es vordergründig den Anschein hat. Es tut Männern schon gut, wenn sie ihre Reviere haben, wo die Platzhirsche das Geweih an den Zaun hängen dürfen und sie auch aus der verdeckten Rivalität aussteigen können.

Manchmal dürfte es aber auch ein bisschen mehr sein, mehr Nähe, mehr Vertrautheit, näher dran – auch am Eingemachten. Einmal habe ich gelesen: „Ein Freund ist einer, der alles von dir weiß und der dich trotzdem liebt.“ Das gilt zwar für meine Frau auch, aber es ist auch schön, so einen Mann zu haben. Es ist eine Beziehung, um die ich nicht buhlen muss, wegen der ich mich nicht verstellen muss und die verlässlich ist. Dazu muss man etwas investieren, aber es lohnt sich.

Lebendige Seelsorge 5/2020

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