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Fest und Mahl

Fest und Mahl gehören zusammen – vom „Festmahl“ spricht man ja auch. Viele religiöse Feste spiegeln sich auch in den Speisen wider – ähnlich wie früher die Fastentage und -zeiten. In dieser Beziehung hat sich viel verändert; oft werden Feste ohne Inhalt gefeiert, nur die „Requisiten“ bleiben. Und das Mahl wird zum Fest. Guido Fuchs

Der Bauer Wladimir Wladimirowitsch Merslikow lag in seinem Bett mit den gewürfelten Kissenbezügen und wartete auf den Tod.“ So beginnt eine kleine Erzählung von Ernst Wiechert („Der einfache Tod“). Sie spielt in Russland zur Zeit der kommunistischen Herrschaft, es ist kurz vor Ostern. „Das Haus duftete nach Osterkuchen, aber der Geruch war ihm zuwider. Er wusste, dass sie nicht mehr für Christus buken, sondern für ihren Magen.“ Das orthodoxe Kirchenjahr spiegelt sich ebenso in den Speisen wie das katholische. Feste und Festzeiten, Fastentage und Fastenwochen haben ihre bestimmten Gerichte, üppig oder kümmerlich, je nach Anlass, und der Festinhalt ist nicht nur im Gottesdienst der Kirche, sondern auch noch einmal in der Speise mit auf dem Tisch. Ja, das Fest war und ist auch im Essen ein Fest, weil man sich wochenlang eingeschränkt hat, auf das Wohlschmeckende verzichtete, um sich dann, wenn es wieder erlaubt ist, umso stärker am Fest zu freuen, denn Fest bedeutet Ausnahmezustand.

Selbst in Zeiten und Gesellschaften, in denen die Religion nicht mehr maßgeblich ist, bleiben Bräuche, vor allem Mahl- und Speisebräuche oft lange erhalten. Aber sie werden äußerlich, haben keinen inneren Bezug mehr. „Das Haus duftete nach Osterkuchen, aber der Geruch war ihm zuwider. Er wusste, dass sie nicht mehr für Christus buken, sondern für ihren Magen.“ Der ursprüngliche Festgedanke bleibt zwar auch über das Essen und Trinken spürbar, aber spielt er noch eine Rolle? Dieser Frage lohnt sich nachzugehen. Zunächst aber ein Blick auf das Wesen des Festes und die Bedeutung des Festmahles dabei.

FEST

Das Fest ist zunächst einmal das dem Alltag entgegenstehende, aus ihm herausragende Geschehen und Erleben, damit das Un-Alltägliche schlechthin. Diese Besonderheit zeigt sich in mehreren Merkmalen, die freilich nicht immer bei allen Festen gleichermaßen in Erscheinung treten müssen.

Die Besonderheit zeigt sich zunächst in der äußeren Gestaltung: Musik, Lied, Tanz, Wettspiele,

Guido Fuchs

Dr. theol., apl. Prof. für Liturgiewissenschaft an der Universität Würzburg; leitet das „Institut für Liturgie- und Alltagskultur“ in Hildesheim mit der Forschungsstelle „Kulinaristik & Religion“ (www.liturgieundalltag.de); erhielt 2016 den Wissenschaftspreis des „Kulinaristik-Forums“ (www.kulinaristik.net).

Umzüge, dramatische Aufführungen, Opfer, reiche Mahlzeiten, besondere Kleidung – sie alle sind nicht nur eine sekundäre Begleiterscheinung, sie gehören vielmehr zum Wesen eines Festes, sie sind Ausdruck des Un-Alltäglichen. Die Besonderheit des Festes tritt weiterhin im Bezug des Festes auf einen Ursprung hin zutage. Feste haben ihre Bedeutung in der Nachahmung, Wiederholung und womöglich auch Vergegenwärtigung eines prototypischen Handelns oder Geschehens, eines Heil schaffenden „ersten Males“. Das Fest will den Ursprung zur Sicherung der Zukunft gegenwärtig machen. Es bringt die Ängste und Hoffnungen einer Gruppe nicht nur zum Ausdruck, sondern will diese Ängste überwinden und das Leben neu schaffen.

Das Fest will den Ursprung zur Sicherung der Zukunft gegenwärtig machen.

Das Fest ist ein Geschehen, das hauptsächlich von einer Gruppe für eine Gruppe begangen wird. Jede soziale Gruppe braucht Feste als identitätsfördernde Ausdrucksformen. Feste bestätigen, stärken und erneuern die Gemeinschaft und den Zusammenhalt, die Identität, indem sie auf den Ursprung verweisen. Das Un-Alltägliche des Festes zeigt sich auch in dessen exzessiver Gestaltung, die auch zeitlich zum Ausdruck kommt. So kann das Fest in einen oder mehrere Feiertage eingebettet sein, an welchen die gewohnte Arbeit ruht bzw. ruhen soll und unter Umständen sogar tabuisiert ist. Während der Dauer dieses Festes können herrschende Institutionen, Gesetze und Konventionen außer Kraft gesetzt sein zugunsten einer Zügellosigkeit, die – je nach Ansatz – als Rückkehr in das der Neuschöpfung vorausgehende Chaos verstanden werden kann oder als Protest gegen das bestehende System.

Diese Merkmale eines Festes lassen sich an christlichen Festen durchaus auch beobachten. Es ist hier allerdings nicht der Raum, um allen nachzugehen und am Beispiel verschiedener Feste zu verifizieren. Ich möchte mich, dem gestellten Thema gemäß, auf den ersten Punkt, und da auch nur auf das zum Fest gehörige Essen und Trinken – das Festmahl – beschränken.

FEST UND MAHL

Ähnlich wie die verschiedenen Formen der Gastlichkeit im Gastmahl einen besonderen Ausdruck erfahren, so die Festfeier im Festmahl. Ein besonderes Mahl gehört zu den Festen und Feiern im Lebens- wie auch im Jahreslauf. Das Mahl hat dabei nicht nur eine begleitende äußerliche Funktion; zunächst einmal kann es

(1) die Festfreude ausdrücken, die auch durch eine gelegentliche Üppigkeit den Alltag vergessen lässt. Weiterhin können an bestimmten Festen die Speisen und auch die Gestaltung

(2) den Festinhalt widerspiegeln und diesen so aus dem kirchlichen Bereich in den Alltag der Menschen hinein verlängern. Dann ist natürlich auch das gemeinsame Mahlhalten für den

(3) Zusammenhalt der Gemeinschaft wichtig und trägt so, wie das Fest selbst, zur Identität bei. Schließlich war das Festessen auch immer

(4) eine Gelegenheit, den Bedürftigen Anteil am Fest zu geben.

I. FESTFREUDE

Um die sich auch im Essen und Trinken äußernde Festfreude besser zu verstehen, muss man sich auch klarmachen, was Alltag für die Menschen früherer Jahrhunderte kulinarisch bedeutete. Eine Kärglichkeit in vielen Fällen, die auch noch durch ausgeprägte Fastenzeiten und -tage mit beeinflusst war. Bis vor hundert Jahren war das Kirchenjahr (das ja das bürgerliche Jahr auch mit prägte) von zahlreichen Fasten- und Abstinenztagen durchzogen. Und angesichts der Bedeutung der Kirchen und des kirchlichen Lebens kann man davon ausgehen, dass diese Fastenvorschriften durchaus eine Rolle im Leben der meisten Menschen spielten. Große Feste hatten Vigiltage, die ebenfalls zu den Fastentagen zählten und damit die Feste nochmals erwartungsmäßig kulinarisch aufluden. Folgende Beschreibung eines Osterfrühstücks aus der Zeit Anfang des 20. Jahrhunderts bringt dies zum Ausdruck: „Am Ostersonntag ging die Köchin mit einem Henkelkorb zur Speisenweihe. Das Festessen am Mittag ging nach folgender Reihenfolge vonstatten: Zuerst kam das Weihfleisch auf den Tisch: ein großes Oval mit einem Berg von bestem Selchfleisch, Eiern und Würsten beladen, dazu geweihtes Brot; dann Nudelsuppe mit Rindfleisch als Einlage und anschließendem Rindfleisch mit Semmelkren. Nun kam der Schweinebraten mit Salat auf den Tisch, dann Hühnerfleisch, Gugelhupf, Krapfen und Dörrpflaumen mit Rum oder Schnaps. Und dies alles nach vierzigtägigem Fasten! Die Gaumenfreuden waren unbeschreiblich“ (Löcher/ Abeln, 153). Ähnliche Beschreibungen und Erinnerungen gibt es auch für Weihnachten. Natürlich sind die großen Feste wie Ostern und Weihnachten noch einmal etwas besonderes, aber auch der Sonntag war kulinarisch vor anderen Tagen ausgezeichnet und brachte dadurch seine Würde zum Ausdruck. „Am Sonntag ehrt das Elsass den Herrgott in allen Kirchen und Tempeln, mehr aber noch in allen Küchen und Stuben. Sonntag ist Eß-Tag.“ So beginnt Jean Egen seine ausführliche Schilderung des sonntäglichen Essens und dessen Zubereitung in seiner elsässischen Heimat – „eine gastronomische Liturgie am Rande der religiösen“, wie er schreibt (Egen, 46-51).

In einer Zeit und Gesellschaft, in der allein der Vorschlag auf einen fleischfreien Tag in der Woche die Menschen aufschreien lässt und sich die Wochentage auch kulinarisch längst einander angeglichen haben, erscheinen Schilderungen wie die von Egen oder auch anderen Autoren wie romantische Relikte einer längst vergangenen Zeit.

II. FESTINHALT

An manchen Tagen spiegelt das Essen auch den Festinhalt wider. Bestes Beispiel ist das jüdische Sedermahl (Pessachmahl), dessen Speisen und Getränke auf den Anlass der Feier, die wunderbare Befreiung der Israeliten aus der ägyptischen Gefangenschaft hinweisen und während des Mahles auch so gedeutet werden. Allerdings ist dieses Mahl bereits ein häuslicher Gottesdienst, von Gebeten, Gesängen und Erinnerungen durchzogen, so dass er nicht wirklich als Beispiel für die Verlängerung des Festes in den Alltag hinein stehen kann, wie es bei manchen Festmählern im christlichen Bereich der Fall ist.

Für den Ostertag ist es seit alters bezeugt, Lammfleisch zu essen; schon der Apostel Paulus stellt im Neuen Testament heraus, dass Jesus Christus für uns als Osterlamm geschlachtet wurde. Er wurde ja im Zusammenhang eines Pessachfestes gekreuzigt, an dem die Lämmer geschlachtet und zum Festtag verzehrt wurden. Und selbst wo kein Lammfleisch auf den Tisch kommt, sind es vielfach Biskuitlämmer, die den Zusammenhang mit dem kirchlichen Festinhalt herstellen, auch wenn es sicher vielen Menschen nicht bewusst ist. Der „Weihkorb“ (siehe obige Erinnerung) enthält auch andere Speisen mit Bezug zum Fest wie den Meerrettich oder die Eier.

Eine ganz besondere Osterfesttagsspeise ist die russische Pascha, eine Süßspeise. Ihre hauptsächlichen Zutaten (Quark, Sahne, Eier, Butter) waren und sind in der – weit strengeren – orthodoxen Fastenzeit nicht erlaubt, allein das macht sie zu etwas Besonderem. Dazu kommt aber auch noch die Art ihrer Zubereitung: Die fertig zubereitete Quarkmasse wird in ein weißes Mulltuch eingeschlagen, in einen Blumentopf gegeben und mit einem Stein beschwert, der das restliche Wasser aus der Quarkmasse herausdrücken soll. Dieser Topf bleibt mindestens über eine Nacht stehen. Nach der Osternachtfeier wird dann die „Pascha“ dem Topf entnommen, aus dem Tuch gelöst und als wunderbar süße Speise serviert. Die Analogie zu Begräbnis und Auferstehung Jesu ist nicht nur mit Händen zu greifen, sondern gewissermaßen auch mit dem Gaumen zu schmecken. All das sollen nicht nur äußerliche Bezüge sein; das kirchliche Segensbuch „Benediktionale“ rät im Zusammenhang einer Speisensegnung an Ostern, dass sich die Tischgemeinschaft der Gläubigen mit dem Auferstandenen an diesem Tag „gleichsam als Agape“ in den Häusern fortsetzen möge.

III. GEMEINSCHAFT

Kaum etwas drückt besser die Zusammengehörigkeit einer Gruppe aus als das gemeinsame Mahl. Die Gemeinschaft beim Essen verstärkt den Zusammenhalt – typisch auch die großen Essen im Zusammenhang kirchlicher Knotenpunkte: Taufe, Erstkommunion, Trauung und Beerdigung. Und an die Stelle der unübersichtlich gewordenen Gemeinde tritt die Familie, die sogar oft von weit her dazu anreist. Bis über den Tod hinaus wird diese Gemeinschaft symbolisiert durch den frei gehaltenen Platz, wie es im Altertum üblich war (vgl. das Fest Kathedra Petri) und heute noch nach dem Tod eines Konventualen in manchen Klöstern für einige Zeit gemacht wird.

Andererseits zeigt sich die Nicht-Gemeinschaft zwischen katholischer und evangelischer Kirche gerade in dem Umstand, dass es kein gemeinsames (eucharistisches) Mahl gibt. Im Falle des gemeinsamen Kirchentags in München 2010 wich man dabei auf die orthodoxe Form der „Artoklasie“ aus und versammelte sich unter freiem Himmel und brach das Brot an den vielen Tischen. „Es geht um die Gemeinschaft, die wir heute hier erlebt haben“, sagte der griechisch-orthodoxe Erzbischof am Ende dieser Feier, die freilich nur eine Ahnung von Tischgemeinschaft bot.

IV. ANTEIL AM FEST

Der Gedanke, bei großen Feiern auch diejenigen nicht auszuschließen, denen es nicht gut geht, ist alt und schon biblisch belegt. Im 8. Kapitel des Buches Nehemia wird beschrieben, wie dem Volk Israel nach der Rückkehr aus der babylonischen Gefangenschaft erstmals wieder das Wort Gottes feierlich verkündet wird – ein denkwürdiges Ereignis. „Dann sagte Esra zu ihnen: Nun geht, haltet ein festliches Mahl und trinkt süßen Wein! Schickt auch denen etwas, die selbst nichts haben; denn heute ist ein heiliger Tag zur Ehre des Herrn. Macht euch keine Sorgen; denn die Freude am Herrn ist eure Stärke“ (Neh 8,10).

Diejenigen, „die selbst nichts haben“, sind im Alten Testament in der Regel Witwen, Waisen, Leviten, Sklaven, Fremde. Sie haben keinen Besitz und sind deshalb bei Festen auf einen Anteil an den Gaben anderer angewiesen. Zugleich stellen sie gewissermaßen ein Abbild der Israeliten dar, die in Ägypten Sklaven gewesen und auf Gottes Güte angewiesen waren. Es sind zunächst also tief menschliche Verhaltensweisen, die zum Teilen der Freude mit Bedürftigen an großen (Bundes-)Festen drängen: Eingedenk der eigenen Erfahrung, von Gott beschenkt worden zu sein, gibt man diese Freude als Anteil am Fest weiter.

Kochen und Essen erscheinen nicht mehr so sehr von der Religion mit geprägt, sondern selbst als eine Art implizite Religion.

Bischof Caesarius von Arles spricht im 6. Jahrhundert dieses Werk der Barmherzigkeit in einer Predigt an, in der es um die angemessene Vorbereitung auf das Weihnachtsfest geht: „Frommt es auch, jederzeit Almosen zu geben, so sollen wir doch vornehmlich an den heiligen Festen nach Kräften reichlicher austeilen. Vor allen Dingen sollen wir die Armen häufiger zu Tisch laden. Denn es wäre nicht recht, dass an einem heiligen Fest im christlichen Volk, das einem Herrn angehört, die einen sich berauschen, die anderen von Hungersnot gequält werden. […] Warum sollte der Arme […] unwürdig sein, wenigstens die Überreste von deinem Essen zu bekommen, der mit dir zum Gastmahl der Engel gelangen wird?“

Die „Überreste“ des Essens, wie es Caesarius ausdrückt, wurden früher nicht selten an den Türen „geheischt“, wie es für den Martinstag, aber auch für Weihnachten belegt ist. Die Erinnerung an diese Zusammenhänge von Fest (-mahl) und einem Anteil für die Armen blieb bis in unsere Zeit erhalten: Bei verschiedenen Mahlformen besonderer Gruppen, aber auch von Familien und einzelnen, wurde der Gedanke an die Armen zum Ausdruck gebracht und auch in konkreten Zuwendungen praktiziert.

Besonders an Weihnachten hat sich bei uns etwas von diesen alten Zusammenhängen bewahrt. Das geschah früher z. B. auch durch das Beschenken Bedürftiger mit Speisen und Getränken – heute längst institutionalisiert durch verschiedene caritative Aktionen schon in den Wochen zuvor. Im „Weihnachtsmahl für Arme“ der Gemeinschaft Sant’ Egidio findet dieser Aspekt noch eine bemerkenswerte Umsetzung insofern, als dieses Festmahl nicht selten sogar im Kirchenraum stattfindet.

VERÄNDERUNGEN

Es stellt sich freilich die Frage, inwieweit diese Zusammenhänge heute noch präsent sind. Ohnehin hat sich die religiös geprägte Mahlkultur in den letzten Jahrzehnten unzweifelhaft verändert. Als Stichworte genügen die zunehmende Auflösung einer gemeinsamen Zeitstruktur, die den Rahmen für das Mahl gibt, der Rückgang der religiösen Ausdrucksformen auch angesichts eines vielen Menschen wie selbstverständlich erscheinenden Lebensmittelangebots, die Auswahl der Speisen selbst, die oft nicht mehr traditionell, sondern unter verschiedenen, auch durchaus sehr reflektierten Aspekten gewählt werden, der Sinn für das Kochen und Zubereiten, das geradezu zelebriert wird. Kochen und Essen erscheinen nicht mehr so sehr von der Religion mit geprägt, sondern selbst als eine Art implizite Religion.

Ein Auseinanderklaffen zwischen Fest und Mahl zeigt sich auch im kirchlichen Raum.

Das festliche Mahl benötigt nicht das Fest, sondern kann das Fest selbst sein. In der Arbeit an der Neuauflage meines 2002 erschienenen Buches „Heiligabend. Riten – Räume – Requisiten“, das die Entstehung der familiären Heiligabendfeier aus einer evangelischen Hausandacht darstellt, habe ich auch die Umfrage zur Gestaltung dieses Tages, die seinerzeit über viele Zeitungen und Sender bundesweit lief, nochmals aufgelegt. In den neuen Antworten zeigen sich auch Veränderungen das Essen betreffend. War das Heiligabend-Essen noch bis in die Mitte des letzten Jahrhunderts (zumindest katholischerseits) und darüber hinaus noch stark von der Einschätzung des Heiligabends als Vigiltag geprägt und damit wenig entfaltet, so lässt sich inzwischen vielfach eine Hinkehr zur lust- und genussvollen Vorbereitung und Gestaltung des Heiligabend-Essens als eines zweiten Höhepunktes neben der Bescherung erkennen. Die religiösen Elemente dieses Tages erscheinen dazu nur noch als eine Art Dekor. Dies wird auch massiv durch die Werbung, durch Fernsehsendungen und einschlägige Artikel in Verbraucher- und Familienzeitschriften vermittelt.

Dass das Religiöse oftmals nur äußerlicher Anlass ist, der die entsprechenden Versatzstücke liefert, lässt sich nicht nur bei Fest-, sondern auch für Fastentage sagen; zwar wird der Freitag vielfach als „Fischtag“ gehalten, doch ob allen klar ist, womit das zu tun hat, ist eine andere Frage. Ähnliches gilt für den Karfreitag, wenn in den Restaurants „Edelfisch“ angeboten oder am Aschermittwoch zum Fastenbier eingeladen wird. Selbst in religiös motivierten Kochbüchern (vgl. Ciucci/Sartor) gerät der Festinhalt bisweilen zur Spielerei, etwa wenn am Fest des hl. Dominikus „Gesegneter Aal“ empfohlen wird oder (in einem anderen) an Karfreitag Fischfilet auf gekreuzten Spargelstangen … „Das Haus duftete nach Osterkuchen, aber der Geruch war ihm zuwider. Er wusste, dass sie nicht mehr für Christus buken, sondern für ihren Magen.“

FEST UND MAHL IM KIRCHENRAUM

Ein Auseinanderklaffen zwischen Fest und Mahl zeigt sich auch im kirchlichen Raum. In evangelischen Kirchen ist es – auch aufgrund einer anderen Theologie des Raumes – nicht ungewöhnlich, auch Gottesdienste mit wirklichen Mahlzeiten zu feiern. Diese Verbindung hat es, wie ich in meinem Buch „Ma(h)l anders“ gezeigt habe, in den christlichen Kirchen, anlassbedingt, immer gegeben. Es ist bedauerlich, dass dies in katholischen Kirchen nicht möglich ist oder nur ansatzweise geschieht (bei Wallfahrten etwa). Selbst ein vom Gottesdienstraum getrenntes gemeinsames Mahl gibt es nur sehr selten. Hier ließe sich Maß nehmen an der Vielfalt von Formen und Möglichkeiten, wie sie auch manche evangelische (lutherische wie reformierte) und freikirchliche Gemeinden praktizieren und damit auch ihre Gastlichkeit ausdrücken.

Allerdings kann man hier inzwischen auch immer häufiger finden, dass für manches besondere Essen bewusst der Kirchenraum gewählt wird – mit einem diffusen religiösen Hintergrund – wie etwa das „white dinner“. Ich hatte vor Jahren selbst an einem solchen „white dinner“ in einer Kirche teilgenommen, bei dem im Anschluss auch die anderen Mitfeiernden ratlos hinsichtlich der Form waren: eine Agape? Ein Gottesdienst? Ein Happening? Hier wird das Mahl zum Fest und der Raum liefert das religiöse Drumherum.

FAZIT

Es ist unbestreitbar, dass die Religions- und Konfessionszugehörigkeiten der Menschen weltweit Essverhalten, Kochkonzepte, Genussverständnis und den Mahlstil vor allem im Privatleben prägen. Das religiöse Fest spiegelt sich auch im gemeinsamen Mahl wider, das dessen Inhalt in den Alltag hinein verlängert. Das hat sich vor allem im westlichen Christentum aus verschiedenen Gründen verändert, was auch danach fragen lässt, welche Impulse die Kirchen für das Essen und Trinken der Menschen geben können und sollen, die über ein „Brauchtum“, das auch sinnentleert sein kann, hinausreichen.

LITERATUR

Bornhauser, Thomas (Hg.), Heilige Alltäglichkeit. Essen und feiern in der Kirche. Eine Handreichung für die Gemeindepraxis, Zürich 2006.

Caesarius von Arles, Caes. Arel. serm. 188. Zit. nach Frühchristliche Reden zur Weihnachtszeit. Ausgewählt, übersetzt und eingeleitet von Joseph A. Fischer, Freiburg i. Br. 1963, 43-47.

Ciucci, Andrea/Sartor, Paolo, Einfach, aber himmlisch! Zu Tisch bei den Heiligen. Rezepte aus zwei Jahrtausenden, München 2016.

Egen, Jean, Die Linden von Lautenbach, Reinbek bei Hamburg 22008.

Fuchs, Guido, Gott und Gaumen. Eine kleine Theologie des Essens und Trinkens, München 2010.

Ders., Ma(h)l anders. Essen und Trinken in Liturgie und Kirchenraum (Liturgie & Alltag), Regensburg 2014.

Gemeinschaft Sant’ Egidio, Das Weihnachtsmahl. Eine weltweite Familie ohne Grenzen. Mit einem Vorwort von Andrea Riccardi, Würzburg 2010.

Löcher, Paul/Abeln, Reinhard (Hg.), Wie’s einstens war zur Osterzeit, Ostfildern 1982.

Wiechert, Ernst, Das heilige Jahr. Fünf Novellen, Berlin 1936.

Lebendige Seelsorge 3/2017

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