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Die Freude am Fest

Die Replik von Guido Fuchs auf Daniel Kofahl

Es stellt sich die Frage, warum eigentlich „der christliche Glaube und die auf ihmerrichtete Kirche“ – möglicherweise auch andere Religionen – immer wieder im Verdacht stehen, besonders genussfeindlich zu sein. Genuss als Sünde – und das womöglich schon seit dem ersten Griff nach einem „Apfel“ im Paradies (heute würde man das als „gesund sündigen“ abtun…)?

Zumindest allen drei abrahamitischen Religionen ist der Genuss beim Essen durchaus bekannt, allen ist eine Liebe zum guten Essen gemeinsam – davon zeugen übrigens nicht zuletzt zahlreiche „religiöse“ Kochbücher, die Gerichte aus verschiedenen Regionen dieser Religionen vorstellen. Das Christentum kennt dabei, anders als die beiden anderen Religionen, nicht einmal eine Speiseneinschränkung, allenfalls eine Reduzierung an den vergleichsweise moderaten Fastentagen.

Natürlich gibt es biblisch die Warnung davor, sich dem Bauch hinzugeben; das Reich Gottes besteht eben nicht im Essen und Trinken. Außerdem mag die Mahnung zur Wachsamkeit und Nüchternheit dazu beigetragen haben, nicht zu sehr dem Genuss zu frönen. Den christlichen Gemeinden war es zudem in den ersten Jahrhunderten sehr wichtig, sich durch eine Lebensführung der Mäßigung positiv abzuheben; das galt gerade auch in Hinblick auf die Mahlfeiern. Immer wieder werden die Christen aufgerufen, sich vor allem beim Weingenuss zurückzuhalten, um sich dadurch von den damals üblichen Symposien abzuheben. „Man isst so viel, wie man für den Hunger braucht, und man trinkt so viel, wie Anständigen gut ist“, so ordnete es Tertullian im 3. Jahrhundert für die gemeinsamen Agapemähler an.

Aber haben Mäßigung und Nüchternheit tatsächlich auf den Genuss Einfluss? Letzterer ist ja nicht gleichzusetzen mit Völlerei und Überfluss. Selbst die sich kärglich ernährenden Wüstenväter hatten eine Leidenschaft für Salat, wie Hans Conrad Zander („Als die Religion noch nicht langweilig war“) augenzwinkernd beschreibt. Wer tatsächlich nur so viel isst, wie er für den Hunger braucht, und so viel trinkt, wie Anständigen guttut, der schränkt sich auch einer ganz wesentlichen Haltung des Glaubens ein: der Freude am Überfluss der Schöpfung. Der Genfer Reformator Johannes Calvin – ausgerechnet, so möchte man angesichts seines asketischen Äußeren sagen – rät zum Genuss, wenn er schreibt:

„Wenn wir bedenken, zu welchem Zweck Gott die Nahrungsmittel geschaffen hat, so werden wir finden, dass er damit nicht bloß für unsere Notdurft sorgen wollte, sondern auch für unser Ergötzen und unsere Freude! So hatte er bei unseren Kleidern außer der Notdurft auch anmutiges Aussehen und Anständigkeit als Zweck im Auge. Kräuter, Bäume und Früchte sollen uns nicht nur mancherlei Nutzen bringen, sondern sie sollen auch freundlich anzusehen sein und seinen Wohlgeruch haben. Wäre das nicht wahr, so könnte es der Prophet nicht zu den Wohltaten Gottes rechnen, dass ‚der Wein des Menschen Herz erfreut‘ und dass ‚seine Gestalt schön werde vom Öl‘ (Ps 104,15). Dann könnte uns die Schrift auch nicht immer wieder zum Lobpreis seiner Güte daran erinnern, dass er selbst solches alles den Menschen gegeben hat! Auch die natürlichen Gaben der Dinge selbst zeigen uns ausreichend, wozu und wieweit man sie genießen darf. Hat doch der Herr die Blumen mit solcher Lieblichkeit geziert, dass sie sich unseren Augen ganz von selber aufdrängt, hat er ihnen doch so süßen Duft verliehen, dass unser Geruchssinn davon erfasst wird – wie sollte es dann ein Verbrechen sein, wenn solche Schönheit unser Auge, solcher liebliche Duft unsere Nase berührte? Wie, hat er denn nicht die Farben so unterschieden, dass die eine anmutiger ist als die andere? Wie, hat er nicht Gold und Silber, Elfenbein und Marmorstein solche Schönheit geschenkt, dass sie dadurch vor anderen Metallen und Steinen kostbar werden? Hat er nicht überhaupt viele Dinge über den notwendigen Gebrauch hinaus kostbar für uns gemacht?“ (Institutio Christianae religionis 111,10,2).

Kostbar für uns – ja, im wahrsten Sinn des Wortes: „Kostet und seht, wie gut der Herr ist!“ Eben das ist ja auch der Grund für den Lobpreis Gottes und den Dank für seine Gaben, die wir bei den genannten Religionen im Zusammenhang des Essens finden. Die in unserer Zeit oftmals moralisch verzweckten Tischgebete lassen das nicht mehr recht erkennen. Auch die „köstlichen“ Mahlzeiten bei den Festen bringen diesen Aspekt zum Ausdruck: die Freude am Fest, das uns über das Alltägliche, „den notwendigen Gebrauch“, wie Calvin schreibt, hinaus geschenkt ist.

Auf die Umfrage „Wie feiern Sie Heiligabend“, die meinem Buch „Heiligabend. Riten – Räume – Requisiten“ zugrunde liegt (2002/2017), schrieb jemand zur griechischen Weihnacht: „Die Stimmung ist eigentlich wie bei einem großen Geburtstag, man ist mit Freunden zusammen, isst und trinkt und freut sich, dass die Fastenzeit endlich vorbei ist. Ich glaube, das ist das psychologisch Intensivste, die Fastenzeit ist vorbei, es gab eine prächtige lange Liturgie und man isst gemeinsam und ausgedehnt.“

Man sieht an dieser Antwort deutlich: Es geht nicht um den Genuss beim Essen allein – es ist Ausdruck der Festfreude an sich, die schon in der Liturgie zu spüren ist. Aber ohne den Gaumengenuss wäre auch das Fest unvollkommen.

Lebendige Seelsorge 3/2017

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