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Das vierte Kapitel
ОглавлениеDer kleine Mann will Dompteur werden / Sind Löwen denn keine Katzen? / Abenteuer mit Hackfleisch und Peitsche / Mäxchen im Zahnputzglas / Bericht von einem außergewöhnlichen Fußballspiel / Der Jokus springt durch einen brennenden Reifen.
Als der Zirkus Stilke wieder einmal in Mailand gastierte, sagte Mäxchen am dritten Tage ganz aufgeregt: »Jokus, hör zu, die Hotelkatze hat Junge. Vier Stück. Sie sind acht Wochen alt und hüpfen im Zimmer 228 von den Sesseln auf den Tisch, und wenn sie oben sind, hüpfen sie wieder herunter.«
»Na ja«, meinte der Professor, »ich halte das für ganz vernünftig. Sie können doch nicht dauernd auf dem Tisch bleiben!«
Doch der kleine Mann hatte heute keinen Sinn für Späße. »Das Stubenmädchen hat sie mir gezeigt«, erzählte er eifrig. »Sie sind gestreift und sehen aus wie viel zu kleine Tiger.«
»Haben sie dich gekratzt?«
»Überhaupt nicht!«, versicherte der Junge. »Wir waren sogar sehr nett zueinander. Sie haben geschnurrt und ich hab sie mit ein bisschen Hackfleisch gefüttert.«
Der Professor musterte ihn von der Seite. Dann fragte er: »Was hast du vor? Hm? Was führst du im Schilde? Heraus mit der Sprache!«
Mäxchen holte tief Luft und erklärte nach einer Pause: »Ich werde sie dressieren und im Zirkus vorführen.«
»Wen? Das Stubenmädchen?«
»Nein!«, rief der Junge erbost. »Die Kätzchen!«
Jokus von Pokus setzte sich verblüfft auf den Stuhl und schwieg zwei bis drei Minuten. Schließlich schüttelte er den Kopf, seufzte und sagte: »Katzen kann man nicht dressieren. Ich dachte, du wüsstest das.«
Mäxchen lächelte siegesgewiss. Dann fragte er: »Sind die Löwen keine Katzen?«
»Doch, doch. Sie gehören zu den Raubkatzen. Da hast du recht.«
»Und die Tiger? Und die Leoparden?«
»Das sind auch Raub- und Großkatzen. Da hast du schon wieder recht.«
»Setzen sie sich, wenn der Dompteur es will, auf hohe Podeste? Springen sie durch Reifen?«
»Sogar durch brennende Reifen«, ergänzte der Professor.
Der Junge rieb sich vergnügt die Hände. »Da hast du’s!«, rief er triumphierend. »Wenn man so riesige Katzen dressieren kann, dann kann man doch Kätzchen erst recht dressieren!«
»Nein«, sagte der Professor energisch, »das kann man eben nicht!«
»Und warum nicht?«
»Ich habe keine Ahnung.«
»Aber ich weiß den Grund«, erklärte Mäxchen stolz.
»Nun?«
»Weil es noch kein Mensch versucht hat!«
»Und du willst es versuchen?«
»Jawohl! Ich habe schon einen Namen für die Nummer! Auf den Plakaten wird stehen ›Mäxchen und seine vier Kätzchen, der atemraubende erstmalige Dressurakt!‹. Vielleicht erscheine ich mit einer schwarzen Maske! Und eine Peitsche zum Knallen brauche ich außerdem. Aber die habe ich schon. Ich nehme die Peitsche von meiner alten Spielzeugkutsche.«
»Na, dann viel Spaß, junger Freund!«, sagte der Herr von Pokus und schlug die Zeitung auf.
Schon am nächsten Morgen stellte das Stubenmädchen vier niedrige Fußbänke ins Zimmer 228. Die vier kleinen Katzen schnupperten neugierig an den Bänkchen herum, trollten sich aber bald wieder in ihren Korb zurück und rollten sich faul zusammen.
Dann erschien der Etagenkellner. In der linken Hand trug er einen Teller mit Schabefleisch, in der rechten Hand hielt er Mäxchen. Und dieser hielt in der rechten Hand die lackierte Spielzeugpeitsche und in der linken einen spitzen Zahnstocher. »Zum Abwehren der Raubtiere«, erklärte er. »Falls sie den Dompteur angreifen sollten. Und fürs Aufspießen vom Futter.«
»Soll ich hierbleiben?«, fragte der Kellner freundlich.
»Nein, bitte nicht«, sagte der kleine Mann. »Das erschwert die Dressur. Es lenkt die Tiere ab.«
Der Kellner ging also wieder.
Der Dompteur war mit seinen vier Opfern allein. Sie blinzelten zu ihm hin, gähnten lautlos, streckten sich und begannen einander zu putzen, als wären sie seit einer Woche nicht mehr gewaschen worden.
»Jetzt hört einmal gut zu«, rief der Junge schneidig. »Mit dem faulen Leben ist es vorbei. Ab heute wird gearbeitet. Habt ihr mich verstanden?«
Sie putzten sich weiter und taten, als seien sie schwerhörig. Er pfiff. Er schnalzte mit der Zunge. Er klemmte die Lackpeitsche unter den Arm und schnippte mit den Fingern. Er klemmte den Zahnstocher unter den anderen Arm und klatschte in die Hände. Er knallte mit der Peitsche. Er stampfte mit dem Fuß auf. Die Katzen stellten nicht einmal die Ohren hoch.
Erst als Mäxchen mit Hilfe des Zahnstochers einige Brocken Fleisch auf die Fußschemel bugsiert hatte, wurden die vier lebendig. Sie hüpften aus dem Korb heraus, sprangen auf die Schemel, verschlangen die Bröckchen, leckten sich die Lippen und blickten ihren Dompteur erwartungsvoll an.
»So ist’s recht!«, rief er begeistert. »Bravo! Nun müsst ihr Männchen machen! Allez hopp! Die Vorderpfoten hoch!« Er stieß die Peitsche in die Luft.
Aber die Kätzchen hatten ihn wohl missverstanden. Oder sie hatten gerochen, dass es im Zimmer 228 noch mehr Hackfleisch gab. Jedenfalls sprangen sie in hohem Bogen von den Schemeln hinunter, liefen schnurstracks zum Teller und machten sich darüber her, als seien sie kurz vorm Verhungern.
»Nein!«, schrie der kleine Mann empört. »Lasst das sein! Auf der Stelle! Könnt ihr denn nicht hören?«
Sie konnten nicht hören. Sogar, wenn sie gewollt hätten.
Doch sie wollten ja gar nicht. Sie schmatzten, dass der Teller zitterte. Mäxchen zitterte noch viel mehr. Aber er zitterte vor Zorn.
»Das Schabefleisch kriegt ihr erst später! Vorher müsst ihr Männchen machen! Und im Gänsemarsch laufen! Und von einem Schemel auf den nächsten springen! Habt ihr mich verstanden?«
Er schlug mit der Peitsche auf den Teller.
Da nahm ihm eine der Katzen die hübsche Lackpeitsche weg und biss sie mittendurch.
Als Professor Jokus von Pokus, in Gedanken versunken, den Hotelkorridor entlangkam, hörte er aus dem Zimmer 228 kleine spitze Hilferufe. Er riss die Tür auf, schaute sich suchend um und begann zu lachen.
Die vier Katzen saßen unten vor dem Waschbecken und blickten gespannt in die Luft. Ihre Schnurrbärtchen waren gesträubt. Die Schwänzchen klopften den Fußboden. Und oben, auf dem Beckenrand, hockte Mäxchen in einem Zahnputzglas und weinte. »Hilf mir, lieber Jokus!«, rief er. »Sie wollen mich fressen!«
»Ach, Unsinn!«, sagte der Professor. »Du bist doch nicht aus Hackfleisch! Und eine Maus bist du auch nicht!« Dann holte er den Jungen aus dem Zahnputzglas heraus und betrachtete ihn gründlich und von allen Seiten. »Dein Anzug ist ein bisschen zerrissen und auf der linken Backe hast du einen Kratzer. Das ist alles.«
»So ein Gesindel!«, schimpfte Mäxchen. »Erst haben sie meine Peitsche zerbrochen und den Zahnstocher zerkaut und dann haben sie Fußball gespielt!«
»Wer war denn der Fußball?«
»Ich! Ach, lieber Jokus! Sie haben mich in die Luft geworfen und aufgefangen und unters Bett geschossen und wieder vorgeholt und übers Parkett getrieben und wieder hoch in die Luft geschleudert und wieder unters Bett geschossen und vorgeholt und unterm Teppich verbuddelt und wieder herausgeangelt, es war furchtbar! Wenn ich nicht das Handtuch erwischt hätte und aufs Waschbecken und ins Zahnputzglas geklettert wäre, wer weiß, ob ich noch lebte!«
»Armer Kerl«, meinte der Professor. »Doch nun ist es ja vorbei. Jetzt wasch ich dich und bring dich ins Bett.«
Die vier Kätzchen blickten verdrossen hinter dem Professor drein. Es kränkte sie, dass ihnen der große Mann den kleinen Fußball weggenommen hatte, der so hübsch brüllte, wenn man mit ihm spielte. Dann dehnten sie die Hinterbeine, spazierten zu dem Teller hinüber und steckten die Nasen hinein. Aber der Teller war und blieb ratzeputzeleer.
Die Gescheiteste der vier dachte: ›Pech gehabt!‹, und rollte sich auf dem Bettvorleger wie eine Brezel zusammen. Kurz bevor sie einnickte, dachte sie noch: »Fressen kann man nur, wenn einem jemand was bringt. Schlafen ist einfacher. Das kann man ohne wen.«
Mäxchen saß inzwischen vergrämt in seiner Streichholzschachtel, hatte ein Pflaster auf der Backe und trank aus seiner winzig kleinen Meißner Porzellantasse heiße Schokolade.
Der Professor hatte eine Lupe ins Auge geklemmt und stopfte die Löcher in Mäxchens Anzug.
»Und du weißt ganz bestimmt und genau, dass man Katzen nicht dressieren kann?«, fragte der kleine Mann.
»Ganz bestimmt und genau.«
»Ob sie dümmer sind als die Löwen und die Tiger?«
»Kein Gedanke!«, sagte der Professor überzeugt. »Es macht ihnen ganz einfach keinen Spaß. Ich kann das gut verstehen. Mir machte es auch keinen Spaß, durch brennende Reifen zu springen.«
Mäxchen musste lachen. »Das ist eigentlich schade! Stell dir einmal vor: lauter Tiere als Zuschauer! Kängurus und Bären und Seelöwen und Pferde und Pelikane! Stell dir das mal vor! Alle Plätze ausverkauft!« Er zog sich vor Vergnügen an den Haaren und rief: »So! Und nun lüge du weiter!«
»Also gut«, sagte der Professor. »Im Orchester trompeten die Elefanten einen Tusch. Dann betritt der Löwe die Manege. Er hat eine Peitsche in der Pfote und einen Zylinder auf der gelben Mähne. Es wird mucksmäuschenstill. Vier ernste Tiger rollen einen Käfig in die Manege. In dem Käfig sitzt ein Herr im Frack und knurrt.«
»Schön!« Mäxchen rieb sich die Hände. »Der Herr bist du!«
»Jawohl. Der Löwe zieht schwungvoll den Zylinder, verbeugt sich und ruft: ›Jetzt, verehrtes Tierpublikum, sehen Sie die Attraktion unsres Programms! Es ist mir gelungen, einen Menschen zu dressieren. Es ist ein sehr gebildeter Mensch. Sein Name ist Professor Jokus von Pokus. Er springt vor Ihren Augen durch einen brennenden und mit Papier bespannten Reifen! Ich bitte die Spechte der Kapelle um einen gedämpften Trommelwirbel!‹ Die Spechte trommeln. Der Käfig öffnet sich. Zwei Tiger halten einen Reifen in die Luft. Der Löwe knallt mit der Peitsche. Ich komme langsam aus dem Käfig heraus und schimpfe. Der Löwe knallt noch einmal mit der Peitsche. Ich klettere auf ein Podest und schimpfe noch mehr. Ein Glühwürmchen zündet den Reifen an. Er beginnt zu brennen. Der Löwe haut mir mit dem Peitschenstiel eins über den Hosenboden. Ich brülle vor Wut. Er haut mich wieder. Und jetzt springe ich mit einem einzigen Satz durch den brennenden Reifen. Das Papier zerplatzt. Die Flammen zucken. Es ist gelungen! Die Elefanten trompeten. Die Spechte trommeln. Ich erhebe mich aus dem Sand, klopfe mir die Hose sauber und mache einen tiefen Diener.«
»Und alle Tiere im Zirkus klatschen wie wild«, rief der kleine Mann begeistert, »und der Löwe gibt dir zur Belohnung ein Kalbskotelett!«
»Und du schläfst jetzt, junger Freund!«, befahl der Professor. Er sah auf die Armbanduhr. »Es ist Mittwoch und ich muss zur Nachmittagsvorstellung.«
»Zaubere schön!«, sagte Mäxchen. »Und noch eins!«
»Was denn?«
»Mit den vier Katzen war es leider nichts.«
»Nein.«
»Aber eins steht trotzdem fest. Ich werde Artist!«