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Das sechste Kapitel

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Aufregung im Hotel Kempinski / Herr Hinkeldey vermisst plötzlich allerlei, kriegt es wieder und nimmt Reißaus / Was war der Jokus, bevor er Zauberkünstler wurde? / Und wozu hat er die Schaufensterpuppe gekauft?


Auch im Hotel Kempinski, wo Professor Jokus von Pokus wohnte, staunten sie nicht schlecht. An den kleinen Mann, der auf dem Nachttisch in einer Streichholzschachtel schlief, hatte man sich allmählich gewöhnt. Dass nun aber auch noch eine Schaufensterpuppe von zwei Hausdienern durch die verblüffte Hotelhalle in den Lift geschleppt wurde, machte den Hoteldirektor und den Portier sichtlich nervös.

Kaum dass die Puppe mitten im Zimmer stand, kam der Direktor hereingestürzt, blickte vorwurfsvoll durch seine Hornbrille und erkundigte sich, was das zu bedeuten habe.

»Was hat was zu bedeuten?«, fragte der Professor freundlich, als begriffe er die Aufregung nicht recht.

»Die Schaufensterpuppe!«


»Ich brauche sie beruflich«, erklärte der Jokus. »Konzertpianisten und Sänger bringen ins Hotel sogar einen Flügel mit, wenn sie auf Gastspielreise sind, und machen stundenlang Musik und anderen Lärm. Sie sind Künstler und müssen üben. Ich bin Zauberkünstler. Ich muss auch üben! Und ich mache bei weitem nicht so viel schönen Radau wie meine musikalischen Kollegen.« Er fasste den Hoteldirektor am Jackett und klopfte ihm jovial auf die Schulter. »Was bedrückt Sie denn so, lieber Freund?«

»Es wächst uns über den Kopf«, jammerte der Direktor. »Ihr Mäxchen und die beiden Tauben und das weiße Kaninchen und nun noch eine Holzpuppe in blauem Anzug …«

Der Professor drückte den völlig geknickten Herrn väterlich an die Brust und fuhr ihm tröstend übers Haar. »Nehmen Sie’s doch nicht so tragisch! Meine Schaufensterpuppe braucht kein Bett. Sie braucht keine Handtücher. Sie brennt mit der Zigarette keine Löcher in die Tischdecke. Sie zankt das Stubenmädchen nicht aus …«

»Das ist ja alles schön und gut, Herr Professor«, gab der Direktor zu. »Aber Sie haben ja schließlich nur ein Einbettzimmer gemietet! Und jetzt wohnen Sie und der kleine Mann und drei Tiere und die Puppe drin! Das sind, sage und schreibe, fünf Personen!«

»Aha, daher weht der Wind«, meinte der Zauberkünstler lächelnd. »Wären Sie mit der Übervölkerung Ihres anmutigen Südzimmers einverstanden, wenn ich täglich fünf Mark mehr bezahlte als bisher?«

»Darüber ließe sich reden«, gab der Direktor zögernd zur Antwort. »Ich darf Ihren werten Vorschlag unserer Buchhaltung mitteilen?«

»Sie dürfen!«, erwiderte der Professor, schüttelte dem Direktor lange die Hand und sagte: »Das Beste wird sein, Sie machen sich gleich eine Notiz. Hier ist mein Füllfederhalter.«

»Danke schön, ich habe Kugelschreiber und Notizblock stets bei mir. Sie gehören ja zu meinem Beruf. Es ist gewissermaßen mein Handwerkszeug.« Der Direktor griff schwungvoll ins Jackett. Er suchte und suchte und fand nichts.

»Merkwürdig«, murmelte er. »Kein Block! Kein Kugelschreiber! Ich kann sie doch nicht im Büro gelassen haben. Das wäre das erste Mal im Leben.« Und er suchte immer weiter. Plötzlich wurde er kreidebleich und flüsterte: »Meine Brieftasche hab ich auch nicht bei mir! Es ist eine Menge Geld drin.«

»Nur ruhig Blut«, meinte der Jokus. »Rauchen Sie am besten erst einmal eine Zigarette! Mir dürfen Sie auch eine anbieten. Ich habe Appetit drauf.«

»Mit Vergnügen«, sagte der Direktor und griff bereitwillig in die rechte Tasche. Dann in die linke. Dann in die Hosentaschen. Sein Gesicht wurde lang und immer länger. »Auch vergessen«, stammelte er. »Das Zigarettenetui und das goldene Feuerzeug, beides fehlt …«

»Ich kann aushelfen«, erklärte der Professor und holte ein Zigarettenetui und ein goldenes Feuerzeug hervor.

Der Hoteldirektor starrte den Professor betroffen an.

»Was ist denn? Fehlt Ihnen etwas?«

»Ich bitte um Entschuldigung«, sagte der Direktor zaghaft, »aber wäre es möglich, dass das Zigarettenetui und das Feuerzeug in Ihrer Hand gar nicht Ihnen gehören, Herr Professor? Sondern mir?«

Der Jokus betrachtete die zwei Gegenstände genau und fragte verblüfft: »Tatsächlich?«

»Auf dem Etui muss mein Monogramm eingraviert sein. Ein G und ein H.Gustav Hinkeldey. So heiße ich nämlich.«

»Ein G und ein H?«, meinte der Professor und blickte prüfend auf das Etui. »Stimmt, Herr Hinkeldey!« Geschwind gab er die Gegenstände zurück.

»Entschuldigen Sie tausendmal, dass ich so offen war, Sie darauf hinzuweisen …«, begann der Direktor verlegen.

»Nicht doch, nicht doch, Herr Hinkeldey! Wenn sich einer von uns beiden zu entschuldigen hat, dann doch ich! Entschuldigen Sie also – aber ich bin manchmal so zerstreut, dass ich Dinge einstecke, die mir überhaupt nicht gehören.« Der Professor klopfte sich sorgfältig auf die Taschen. »Nanu, da steckt ja noch mehr!«, rief er verwundert und brachte einen Notizblock und einen Kugelschreiber zum Vorschein. »Womöglich ist auch dies Ihr Eigentum?«

»Ja natürlich!«, erklärte Herr Hinkeldey eifrig und nahm beides blitzartig an sich. »Ich konnte gar nicht begreifen, dass ich den Block nicht bei mir hatte.« Dann wurde er still und nachdenklich, bis er endlich misstrauisch fragte: »Haben Sie in Ihrer Zerstreutheit vielleicht auch meine Brieftasche eingesteckt?«

»Das wollen wir doch nicht hoffen!«, antwortete der Professor und tastete sich ab. »Oder ist sie das hier?« Er schwenkte eine schwarze Tasche aus Saffianleder in der Linken.

»Jawohl!«, rief der Direktor, riss sie an sich und lief eilends zur Tür, als habe er Angst, die Tasche könne noch einmal verschwinden.

»Ist das Geld noch drin?«, fragte der Jokus belustigt.

»Ja!«

»Zählen Sie die Scheine lieber nach! Ich möchte nicht, dass Sie später behaupten, es hätte Geld gefehlt. Setzen Sie Ihre Hornbrille auf und zählen Sie genau nach!«

»Meine Brille? Die habe ich doch schon auf!«, sagte Herr Hinkeldey. Erst als der kleine Mann zu lachen begann und immer lauter und immer herzlicher lachte, wurde Hinkeldey stutzig, griff sich an die Nasenwurzel und ließ die Hand verdutzt sinken. »Wo ist sie denn plötzlich?«

»Tja, wo steckt man denn seine Brille hin, wenn man sie in Gedanken absetzt?«, fragte der Professor hilfreich. »Ich weiß so etwas leider nicht. Denn ich selber habe noch nie im Leben eine Brille getragen. Haben Sie sie im Futteral?«

Der kleine Mann verschluckte sich fast vor Gelächter. »Hör auf, lieber Jokus!«, schrie er vor Wonne. »Ich kann nicht mehr! Ich kippe gleich vor Lachen aus deiner Brusttasche!«

Der Direktor schaute finster drein. »Was ist denn daran so komisch?«, knurrte er. Plötzlich ging ihm ein Licht auf: Seine Brille saß auf der Nase des Professors! Mit einem Satz stand er mitten im Zimmer, ergriff die Brille, sprang zur Tür zurück und stieß hervor: »Sie sind ja ein Teufelskerl!«

»Nein, ein Zauberkünstler, Herr Hinkeldey.«

Doch der Hoteldirektor ließ sich auf nichts mehr ein. Nicht einmal auf eine Unterhaltung. Er riss die Tür auf und machte sich aus dem Staube. (Obwohl in so gepflegten Hotels wie diesem gar kein Staub herumliegt.)

Nachdem sich Mäxchen von dem Spaß einigermaßen erholt hatte, sagte er bewundernd: »Der Herr Hinkeldey hat ganz recht. Du bist ein Teufelskerl! Dabei hab ich dir doch schon so oft im Zirkus zugeschaut, wenn du zwei oder sogar drei Leute aus dem Publikum zu dir holst und ihnen, ohne dass sie es merken, die Taschen ausräumst!«


»Man muss sich mit ihnen nur nett unterhalten«, meinte der Jokus. »Man muss ihnen gemütlich auf die Schulter klopfen. Man muss sie am Knopf fassen. Man muss tun, als ob man ihnen ein bisschen Tabak oder ein Fädchen vom Anzug bürstet. Alles andere ist gar nicht so schwierig, wenn man’s gelernt hat.«

»Und wie hast du’s gelernt? Und wo? Halte mich doch bitte mal an dein Ohr, ja? Ich muss dich ganz, ganz leise etwas fragen.«

Der Professor nahm den kleinen Mann vorsichtig aus der Tasche und hielt ihn ans Ohr.

»Lieber Jokus«, flüsterte Mäxchen. »Du kannst es mir ruhig erzählen. Ich sage es bestimmt nicht weiter. Warst du vielleicht früher einmal ein – Taschendieb?«

»Nein«, antwortete der Professor leise. »Nein, mein Mäxchen.« Er lächelte und gab dem Kleinen einen Kuss auf die Nasenspitze und das war gar nicht so einfach. »Ich war kein Taschendieb. Aber ich habe viele Taschendiebe – erwischt.«

»Oh!«

»Und deshalb musste ich mindestens so viel lernen und können wie sie selber.«

»Ja, ja. Sicher. Aber für wen hast du sie erwischt?«

»Für die Polizei!«

»Donnerwetter!«

»Da staunst du, was? Ich wollte als junger Mann Detektiv werden oder Kriminalinspektor. Und später schrecklich berühmt.«

»Erzähl weiter!«, bettelte Mäxchen.

»Heute nicht. Vielleicht ein andermal. Heute erzähle ich dir etwas über die Schaufensterpuppe, die wir gekauft haben.«

»Die hätte ich beinahe vergessen!«

»Du wirst dich noch oft genug an sie erinnern«, meinte der Professor. »Denn wir haben sie ja deinetwegen gekauft.«

»Meinetwegen? Wieso?«

»Weil du doch unbedingt Artist werden willst.«

Der kleine Mann staunte. »Dazu brauchen wir die große Puppe? Was für ein Artist soll ich denn werden, lieber Jokus?«

»Du wirst mein Zauberlehrling«, sagte der Zauberkünstler.

Der kleine Mann

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