Читать книгу Liselotte Welskopf-Henrich und die Indianer - Erik Lorenz - Страница 10

Die Wahrheit in der Dichtung

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Eines Tages erschien bei uns eine unbekannte Dame und erwirkte von der vom SD gestellten Bewachung, dass sie uns Lebensmittel zustecken durfte. Einmal wagte sie sich sogar in die Wachbaracke des Lagers Lichterfelde und gab ein Paket für mich persönlich ab.

Und das alles, obwohl ich ihr eindringlich sagte, dass das verboten sei und sie selber in größter Gefahr stehe.

Amtliche Aussage des ehemaligen KZ-Häftlings H. B.32

32 ABBAW 1.

Als Liselotte Welskopf-Henrich das Gebäude betritt, begrüßt der Pförtner, ein älterer Mann, sie mit einem mitleidigen Blick. Sie nimmt auf einer Bank ohne Lehne Platz. Neben ihr sitzt ein altes jüdisches Ehepaar. Von dem Korridor gehen mehrere Zimmer ab, die hinter verschlossenen Türen verborgen sind. Man lässt die Frau warten, will sie zermürben. Die Angst vor dem Ungewissen soll ihre Konzentration schwächen. Welskopf-Henrich ist sich dessen bewusst und spricht energisch einen vorübergehenden Mann an, dessen Uniform silberne Sterne und Balken auf den Schulterstücken zieren. Sie fordert, endlich vorgelassen zu werden. Sie verweist auf ihre amtliche Tätigkeit und erklärt, dass sie nicht unbegrenzt Zeit habe. Ihre Taktik ist wohlüberlegt.

Es ist der 11. August des Jahres 1944, und Welskopf-Henrich ist in die Französische Straße in Berlin zum Verhör durch die Gestapo bestellt worden. Sie weiß: Es geht heute um nicht weniger als ihr Leben. Sie ist sich darüber im Klaren, dass es in jedem Fall verwirkt wäre, wenn der Geheimdienst hinreichende Beweise für auch nur eine ihrer zahlreichen illegalen Aktionen besäße. So setzt sie auf die Flucht nach vorn. Und tatsächlich: drei Minuten später wird sie in ein Hinterzimmer gerufen, wo ein kleiner Beamter hinter einem Schreibtisch auf sie wartet. Kaum dass sie sich, ohne dazu aufgefordert worden zu sein, auf den »Besuchsstuhl« neben dem Schreibtisch setzt, fährt der Beamte wütend hoch und beschuldigt sie, ein Verhältnis mit einem Juden zu haben. Er schreit und beschimpft sie und ereifert sich über seine eigenen Vorwürfe, aber Welskopf-Henrich ist erleichtert: Ihre »kommunistischen Verbindungen« sind der Gestapo offensichtlich entgangen. Das Verhältnis mit einem Juden streitet sie ab, überhaupt habe sie keine Verhältnisse. Sie gibt sich den Anschein großen Selbstbewusstseins, so, als habe sie nichts zu befürchten, nutzt ihre rhetorische Überlegenheit, um den Verhörenden zu narren. Sie lässt ihn in dem Glauben, sie überlisten zu können und ihr, ohne dass sie es bemerken würde, ein Geständnis entlocken zu können, während sie in Wirklichkeit ihm entlockt, was genau er über sie weiß und was nicht. Zwei Stunden später hat sie die Gewissheit, dass die Informationen ihres Gegenübers nur sehr vage sind, und sie durchschaut sämtliche seiner Manöver. Aus dem Nebenzimmer hört sie das Gebrüll eines Verhörs, das einen ganz anderen Verlauf als ihr eigenes nimmt.

Endlich überzeugt sie den Beamten von ihrer Harmlosigkeit, aber sein Vorgesetzter vertraut seinem Urteil nicht und will Welskopf-Henrich nun seinerseits auf den Zahn fühlen. Es ist jener uniformierte Mann, dem sie zuvor auf dem Flur begegnet ist. Er ist groß, übergewichtig und feindselig, und er will seinem Untergebenen vorführen, wie ein echtes Verhör auszusehen habe. Doch auch er hat keine besseren Informationen als jener, und Welskopf-Henrich kann sich behaupten. In ihrem ersten Verhörenden, der nun von seinem Vorgesetzten bloßgestellt werden soll, findet sie sogar einen unerwarteten Verbündeten. Er steht schräg hinter seinem Chef, vor dem er mit seinem Urteil bestehen will, und gibt ihr mit den Augen Signale, ob sie etwas zugeben oder bestreiten solle. Später gibt sich der kleine Beamte regelrecht zuvorkommend. Welskopf-Henrich muss noch einmal warten und schickt sich an, wieder auf der lehnenlosen Bank im Korridor Platz zu nehmen, doch der Beamte verhindert es: Sie müsse doch jetzt nicht mehr neben Juden sitzen…

Als sie, das Gebäude verlassend, am Pförtner vorübergeht, ist dieser überrascht: »Sie gehen wieder?! Da haben Sie aber Glück gehabt. Sie sind die erste, die wieder gehen darf.«

***

Dieses Ereignis, von dem Welskopf-Henrich im autobiographischen Roman »Jan und Jutta« (vgl. S. 553–559) berichtet, steht beispielhaft für viele andere Situationen im Zweiten Weltkrieg, in denen sie in unmittelbarer Gefahr beherzt gehandelt und so Schlimmeres für sich und ihre Mitmenschen abgewendet hat. Das Werk, das sie in enger Zusammenarbeit mit ihrem Mann verfasste, erzählt die Geschichte von Rudolf Welskopfs (im Buch Jan genannt) Kindheit und Jugend bis hin zum Zweiten Weltkrieg. Parallel dazu wird Welskopf-Henrichs (Juttas) eigenes Leben als Mitglied einer bürgerlichen Berliner Familie dargestellt.

Als eingeschworener Gegner der NSDAP nach jahrelangem Gefängnis- und Zuchthausaufenthalt 1940 ins KZ Sachsenhausen eingeliefert, wo er alle Grausamkeiten des KZ-Alltags durchleben musste, wird Rudolf Welskopf 1943 als Handwerker ins KZ-Außenlager Lichterfelde verlegt. Eine seiner Aufgaben ist die Herrichtung der ehemaligen Wohnung einer jüdischen Familie, die nun ein hochrangiger Nationalsozialist bewohnen soll. Gegenüber dieser Wohnung lebt Liselotte Welskopf-Henrich (damals nur Henrich), die jeden Morgen auf dem Weg zur Arbeit die halbverhungerten Häftlinge und deren Aufseher bei ihrem Tun beobachten kann. Lange sinnt sie, die schon seit 1938 verfolgte Juden unterstützt, über eine Möglichkeit nach, den geschundenen Gefangenen ein Zeichen der Solidarität zu geben. Indem sie sich mit Hilfe einer Schachtel Zigaretten mit dem Wachhabenden gutstellt, gelingt es ihr, den Häftlingen Nahrungsmittel zuzustecken. Um die Häftlinge weiterhin mit Vorräten versorgen zu können, organisiert sie sich von Freunden und Bekannten Lebensmittelmarken.

Mit dem ihr bis dahin unbekannten Rudolf Welskopf beginnt sie einen geheimen Briefwechsel, dessen Inhalt zunehmend politische Diskussionen über den Kommunismus sind. Rudolf verfasst diese Briefe gemeinsam mit einigen Mitgefangenen; einer von ihnen ist der spätere bekannte DDR-Maler Hans Grundig (1901-1958), der seinerseits seine Erlebnisse im KZ Sachsenhausen in der Autobiographie »Zwischen Karneval und Aschermittwoch« verarbeitete. Über Rudolf Welskopf schreibt er:

Rudolf war Genosse und einer von jenen klarsichtigen, zuverlässigen Menschen, um die man uns beneidete. Mittelgroß, kräftig, mit einem Gesicht, das mich in seiner Besonnenheit und Ruhe immer an einen Indianerhäuptling erinnerte. Mit seinen schmalen, dunklen Augen, mit den gerade darüber gespannten, fast zusammenstoßenden Augenbrauen glich er einem Inka, dessen Wort viel im Stamme gilt. Es galt auch viel bei uns, obwohl er sparsam mit Worten umging. Zehn Jahre Zuchthaus hatten diesen Revolutionär nicht brechen können; dabei hatte er Furchtbares von den Wölfen erdulden müssen. In dem Lager Lichterfelde war er einer der führenden Genossen. Er verstand es immer, gegen den Willen der Nazis Hilfsaktionen für die vollkommen ausgemergelten Ukrainer und Franzosen zu organisieren.33

33 Grundig, Hans: Zwischen Karneval und Aschermittwoch – Erinnerungen eines Malers. Berlin: Dietz Verlag 1978, S. 400.

1946, Hans Grundig

Schließlich bereitet Liselotte Welskopf-Henrich 1944 die Flucht des ihr kaum bekannten Rudolf Welskopf vor und versteckt ihn bis zum Ende des Krieges im Dachgeschoss ihres Wohnhauses. Im Jahre 1947 wird sie ihn heiraten.

Während der letzten Kriegsmonate dehnen Welskopf-Henrich und Rudolf ihre Widerstandstätigkeit gemeinsam weiter aus: Über eine Bildhauerin bekommt Rudolf eine Handdruckpresse, mit der sie Flugblätter herstellen, in denen sie die deutschen Soldaten und Bürger dazu aufrufen, dem sinnlosen Kampf ein Ende zu machen, die Waffen niederzulegen und die Rote Armee willkommen zu heißen.34

34 ABBAW 6: Welskopf, Rudolf: Meine illegale Tätigkeit, 1947.

In »Jan und Jutta« arbeitet Welskopf-Henrich mit konkreten Ortsangaben bis hin zu Straße und Haustür sowie den tatsächlichen Namen der beteiligten Personen35 und begibt sich damit auf den Prüfstand jener Personen, die das Geschilderte selbst miterlebten.

35 So z. B. im Falle des jüdischen Ehepaars Schmalz, mit dem Welskopf-Henrich bekannt war und das später im KZ Auschwitz ermordet worden ist. Vgl. Welskopf-Henrich, Liselotte: Jan und Jutta, S. 193ff.

1964, Liselotte Welskopf-Henrich und Rudolf Welskopf

Der volle Wahrheitsgehalt ihrer Erzählung sowie das tatsächliche Ausmaß der Verdienste Welskopf-Henrichs für die KZ-Häftlinge werden bei der Lektüre der erwähnten Niederschrift Hans Grundigs deutlich, der sich in dankbarer Verbundenheit an ihre Hilfe erinnert:

Sogar nach außen knüpften wir unsere Verbindungen. Oft des Abends saßen Rudolf, der dem Inka glich [Welskopf-Henrichs späterer Mann], Toni und ich beisammen, um kleine Schriften zu verfassen. [...] Und das war wichtig, denn wir schrieben einer Frau, die wir hoch verehrten, die wir liebten, ohne sie persönlich zu kennen. Sie verhalf uns zu wichtigen Medikamenten und Lebensmitteln. Diese Verbindung hatte Rudolf irgendwie mitten in Berlin, in der Prinz-Albrecht-Straße, beim Aufbau des Schlosses geschaffen. Dank der Hilfe jener Frau war unser Lager frei von Furunkulose, dieser alle Lager beherrschenden eitrigen Blutvergiftung. Nur Rudolf kannte das Angesicht der Frau, und manchmal schwärmte der harte Mann ganz kindlich von ihr. [... Von] der Frau, die ihr Leben für uns wagte; denn um sie wäre es geschehen gewesen noch zu dieser Stunde, hätte der SS-Sicherheitsdienst nur den leisesten Verdacht gehabt. Durch sie erhielten wir Nachrichten von der Front, die nur den Obersten, den Goldbetressten, bekannt wurden. Brot und Wein bot sie uns, den Dürstenden, und wir gaben beides weiter, unseren Menschen. Heute bin ich mit dieser Frau befreundet. Sie heißt Liselotte Welskopf-Henrich und hat einen Roman geschrieben, in dem ihr und unser Erleben aus jener Zeit verarbeitet ist: »Jan und Jutta«.36

36 Grundig, Hans: Zwischen Karneval und Aschermittwoch, S. 408f.

Welskopf-Henrich bekommt den Bericht Grundigs vor seiner Veröffentlichung zu lesen und ist tief bewegt. In einem Brief an Grundig schreibt sie:

Ich habe in den schweren Jahren in Gedanken und Gefühl mit aller meiner Phantasie von morgens bis abends mit Euch gelebt, und in dem, was Du erzählst, kam mir mein eigenes Miterleben wieder ganz zum Bewusstsein. Ich war wieder bei Euch, und ich fühle mich auch heute noch mitten unter Euch, unter Euch, die die inneren und äußeren Merkmale jener Zeit nie verlieren werden, die anders und tiefer geprägt worden sind als andere Menschen. Ich bin sehr glücklich, sehr stolz, sehr dankbar, dass Ihr gern an mich gedacht habt, und ich verdanke Euch mein heutiges Leben, das mir ein Leben der vollen Erfüllung in Arbeit und Liebe geworden ist.37

37 Ebenda, S. 409f.

Der gemeinsame Weg, den Welskopf-Henrich 1944 mit ihrem späteren Mann Rudolf Welskopf begonnen hatte, indem sie ihm zur Flucht verhalf und ihn verstecke, endete dreieinhalb Jahrzehnte später. In dem Telegramm, in dem sie Bekannte und Freunde vom Tod ihres Mannes am 17.1.1979 unterrichtete, schrieb Welskopf-Henrich: »Sein Leben war Arbeit und Opfer; er war der Gefährte meines Lebens, Wollens und Hoffens.« Und in einem Antwortbrief an eine befreundete Familie, die ihr Beileid bekundete hatte, erinnerte sie sich:

Mein Mann war ein Charakter, wie man ihn leider nicht so häufig findet, aufrecht und unbeugsam, keine Folter hat ihn gebrochen. Er hat auch im KZ gute Freunde gefunden und die Risiken für alle heimlichen Unternehmungen immer auf sich allein genommen. Er hat nie lange Reden gehalten, sondern immer präzise gesagt, worum es ging. Bürokraten mochte er gar nicht, es musste alles menschlich und schnell gehen. Sein Spitzname im Lager war ,Der Inka‘, weil er so hart und so klug erschien. Er bleibt immer bei mir lebendig.38

38 Brief an Familie Zschäckel vom 1.3.1979; zur Verfügung gestellt von Marc Zschäckel.

Es wird deutlich, dass es sich bei »Jan und Jutta« um ein außergewöhnlich persönliches Werk handelt, weit über das in autobiographischen Romanen übliche Maß hinaus. In diesem Werk schildert Welskopf-Henrich Ereignisse, die elementar für ihr weiteres Leben, für ihre persönliche Entwicklung waren; Ereignisse, in denen sie häufig mit Tod und Verderben konfrontiert war und auch ihr eigenes Leben immer wieder aufs Spiel setzte. Erst unter solch extremen Umständen zeigt sich der wahre Charakter vieler Menschen – Welskopf-Henrich hat hier in beeindruckender Weise menschliche Größe bewiesen.

Ihren ehemaligen Bekannten blieb diese Größe bis heute im Gedächtnis. Audring erinnerte sich im Gespräch mit dem Autor:

Welskopf fühlte sich mit allen Unterdrückten immer herzlich verbunden, das machte sie so anziehend. Sie hat jedem geholfen. Jeder, der ernsthaft in Not war, wusste, er kann zur Welskopf gehen. Da war sie eine Figur, an der man sich aufrichten konnte. [...] Welskopf war für uns so eine Art... – fast wie eine Madonna. Wenn es ringsum krachte – Welskopf hat einen geschützt. Und dafür haben wir sie geliebt.

1958 erhielt Welskopf-Henrich »als Anerkennung hervorragender Verdienste im Kampf gegen den Faschismus und beim Aufbau der DDR« den Vaterländischen Verdienstorden in Bronze, drei Jahre später auf Vorschlag der Fachrichtung Geschichte der Humboldt-Universität den Orden in Silber. Andere Auszeichnungen waren die Pestalozzimedaille 1965 und der Orden »Banner der Arbeit« 1966.

Auch in Welskopf-Henrichs zweitem Werk, das nicht die Indianerthematik zum Inhalt hat, der Trilogie »Zwei Freunde«, sind die autobiographischen Elemente stark ausgeprägt.

Die ersten beiden Bände dieser Trilogie, »Zwei Freunde« und »Die Wege trennen sich«, verfasste Welskopf-Henrich von 1940 bis 1943 in aller Heimlichkeit. In »Jan und Jutta« (S. 342) beschreibt sie, wie sie nachts am Tisch in ihrer Wohnung sitzt, Tausende kleiner Zettel vor sich ausgebreitet, die später die Grundlage für die Trilogie bilden. Sie sind bekritzelt mit ihrer winzigen, kaum zu entziffernden Bleistiftschrift; der Teil der Erzählung, der vom Faschismus handelt, ist gar stenographisch niedergeschrieben. Bis zum Ende des Krieges versteckt sie die Aufzeichnungen, die, mitten in Berlin verfasst, bereits Jahre vor dem Kriegsende vom Untergang der Nationalsozialisten und vom Zusammenbruch ihres Reiches erzählen. Diese Romane sind auf der Basis von Welskopf-Henrichs genauesten persönlichen Kenntnissen der deutschen Reichsbehörden geschrieben, in denen sie 15 Jahre lang gearbeitet hat.

Hauptpersonen der Bücher, die in der Zeit von 1928 bis 1945 spielen und den Leser von der Zeit der Weimarer Republik bis in die Zeit des Nationalsozialismus führen, sind der junge Büroangestellte Wichmann sowie sein Vorgesetzter Grevenhagen. Welskopf-Henrich wollte anhand dieser charakteristischen Figuren Leistung, Kultur und Versagen der sogenannten bürgerlichen Intelligenz sowie der Schicht der Beamten und Offiziere darstellen.

Die Geschichte besticht vor allem durch die präzise Schilderung der Charaktere und ihrer Motivationen und die Vermittlung eines authentischen Gefühls für die beschriebene Epoche. Die Figuren des Romans werden überzeugend dargestellt, die Dialoge sind lebensecht. Welskopf-Henrich gelingt es auch, tiefe Einblicke in die komplizierten Mechanismen zu geben, nach denen das Verwaltungswesen funktioniert, einschließlich all der Intrigen, die die Beamten spinnen. Dies alles wird mit dezentem Humor und geschickt platziertem Sarkasmus erzählt.

Wenn auch in geringerem Maße als in »Jan und Jutta« sind auch hier zahlreiche Episoden aus den Erlebnissen Welskopf-Henrichs während des Zweiten Weltkrieges enthalten. So bittet ein altes jüdisches Ehepaar Wichmann, wenigstens zu versuchen, ihre kleine Enkelin zu retten. Da sie es aber nicht über sich bringen, sich von dem Kind zu trennen, und aus Angst vor dem, was mit ihm geschehen könnte, machen sie seinem und ihrem eigenen Leben schließlich selbst ein Ende.

Die Figur Grevenhagen, früherer Offizier, dann der Weimarer Regierung, schließlich den Nationalsozialisten dienend, ist nach dem Vorbild eines Mannes (anderen Namens) geschaffen, den Welskopf-Henrich persönlich kannte.

Von Seiten der Kritiker stand der Romanzyklus zum Teil unter heftigem Beschuss. Hervorzuheben ist hier eine ausführliche Beurteilung der drei Bände in der Zeitung »Neues Deutschland« von Gotthard Erler, in der dieser kaum ein gutes Haar an den Büchern lässt: Der Autor bemängelt, dass die Handlung sich allzu sehr auf die ministerialrätliche Salonproblematik beschränke, ohne, dass dabei den gerade ablaufenden historischen Ereignissen – Wirtschaftskrise, Arbeitslosigkeit, Beamtenabbau, erstarkender Faschismus – genügend Aufmerksamkeit gezollt werde: »Es fehlen ihr tiefgreifende Verstrebungen in der Zeit und auch die Elemente einer wirklich menschlichen Problematik.«39 Die Erzählung bleibe zu sehr im Privaten und Persönlichen stecken und liege, zumindest auf den ersten Band bezogen, »kaum im Bereich des menschlich Wertvollen und gesellschaftlich Bedeutsamen«40.

39 ABBAW 150.

40 Ebenda.

Weiterhin beklagt Erler, die Hauptperson, die zu einem Nationalsozialisten wird, sei nicht schurkisch genug gezeichnet, worauf Welskopf-Henrich in einem Schreiben mit den Worten reagiert: »[A]ber darauf kam es mir an zu zeigen, wie auch Leute, die keine Schurken waren, durch ihre Erziehung zum Nazismus verführt wurden.«41

41 Ebenda.

Zudem wurde bemängelt, dass die Arbeiterklasse im Werk nicht ausreichend repräsentiert sei.

Jedoch waren nicht alle Reaktionen auf die Trilogie negativ: Bei einem Staatsempfang Walter Ulbrichts, zu dem auch Liselotte Welskopf-Henrich eingeladen war, wurde diese von Lotte Ulbricht zu einem kurzen Gespräch beiseite genommen. Die Frau des SED-Vorsitzenden versicherte ihr, sie habe »Zwei Freunde« begeistert gelesen und sei sehr amüsiert. Walter Ulbricht lobte bei anderer Gelegenheit die »schlichte« und »klare« Sprache Welskopf-Henrichs.

Zurück zur Entstehungsgeschichte des Romans: Da infolge ihrer sich ausdehnenden illegalen Tätigkeiten während des Zweiten Weltkrieges die Gefahr einer Hausdurchsuchung stetig anstieg und weil sie fürchtete, die Texte könnten bei Bombenangriffen vernichtet werden, versteckte Welskopf-Henrich 1943 während einer ihrer Ausflüge in die bayerischen Alpen die gefährlichen Manuskripte von »Zwei Freunde« bei einem befreundeten Arztehepaar. Noch während sie dort zu Besuch war, sollte – aus einem anderen Grund – deren Wohnung von der Gestapo durchsucht werden. Welskopf-Henrich, die neben den Manuskripten Briefe aus dem Konzentrationslager und andere illegale Unterlagen bei sich hatte, war sich sofort der großen Gefahr bewusst. Sie erwog, alles die Toilette hinunterzuspülen, doch für die kurze Zeit, die ihr noch blieb, war es zu viel Papier. Stattdessen versteckte sie das belastende Material unter ihrem Kleid: eine Entscheidung, die es ihr unmöglich machen würde zu bestreiten, dass die Briefe ihr gehörten, wenn sie entdeckt würden. Sie lief zur Tür, um den Geheimpolizisten freundlich zu begrüßen und gab ihm in ihrer bescheidenen und zugleich bestimmten Art das Gefühl, er sei keine Störung, sondern eine willkommene Überraschung. Indem sie auf ein paar hinterhältige Fragen die richtigen Antworten gab, wendete sie die Hausdurchsuchung ab, und der Beamte ging, noch bevor er das Haus betreten hatte. Einmal mehr hatte Welskopf-Henrich sich und in diesem Fall auch das befreundete Ehepaar durch ihre Geistesgegenwart gerettet.42

42 Diese Begebenheit wird ebenfalls in »Jan und Jutta« geschildert.

Das eigentliche Ziel ihrer Reise nach Bayern war eine der von ihr geliebten Klettertouren. Dieses Hobby, das Bergsteigen (in späteren Jahren war es das Wandern), machte die geborene Süddeutsche, die über Jahrzehnte hinweg regelmäßig als Klettertouristin in die Alpen fuhr, zum Thema einer weiteren Erzählung: Die Novelle »Der Bergführer«, die Anfang der fünfziger Jahre spielt, erzählt die Geschichte des jungen, wortkargen Karl Untereggers, der wohlhabende Touristen, die das Abenteuer suchen und kein Verständnis für ungünstige Witterungsbedingungen oder andere Gründe für Verzögerungen haben, für einen Hungerlohn durch die Berglandschaft Südtirols führen muss, um seinen Lebensunterhalt sicherzustellen. Eine Tätigkeit, die Unteregger schließlich mit seinem Leben bezahlt.

Liselotte Welskopf-Henrich und die Indianer

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