Читать книгу Da draußen im Wald - Ernest Zederbauer - Страница 7

3

Оглавление

Mittwoch, Schlag acht, versammelte sich der nun durch zwei Beamte der Kriminalpolizei verstärkte Suchtrupp vor dem Feuerwehrdepot. Raffl hatte eine Wanderkarte besorgt, die bereits durchsuchten Abschnitte rot eingerahmt und instruierte die Kollegen aus Krems. Der ältere der beiden, Kommissar Ebert, nahm Raffl zur Seite. »Du kennst doch alle Leute hier, Herr Kollege, hat sich der Oberförster irgendwelche Feinde gemacht? Gibt es jemanden, der ihm eins auswischen will, aus welchen Gründen auch immer? Die menschliche Natur lässt viele Möglichkeiten offen, wie Hass, Neid, Zorn, Eifersucht. Wie versteht er sich mit seinen Kollegen, Freunden, Verwandten? Denk zurück an frühere Zeiten, ob es da irgendwelche Skandalgeschichten über ihn oder seine Frau gegeben hat.«

Mit einem unauffälligen Kopfnicken wies Raffl auf Lehner. »Der hat gestern zu seinem Freund die Bemerkung gemacht, dass um den Gesuchten nicht schade sei, denn er hat ihn vor Jahren angezeigt, als er einen Christbaum gestohlen hat! Er ist nicht gerade ein beliebter Zeitgenosse, ist bei uns aktenkundig wegen diverser Raufereien, aber einen Mord würde ich ihm nicht unbedingt zutrauen! Ich kann mir nicht vorstellen, dass er ein Gewehr hat, so einer lässt doch eher die Fäuste sprechen!«

»Lass das meine Sorge sein, ich werde mir den Burschen bei Gelegenheit vorknöpfen. Fällt dir sonst noch etwas ein? Holzdiebstahl, Wilderei, Vandalismus, Brandstiftung oder Ähnliches? All das ist mir im Lauf meiner, Karriere‘ schon untergekommen und ich kann dir versichern, dass Menschen aus nichtigeren Gründen abgemurkst wurden! Hast du die Leute aus dem Dorf befragt, ob ihnen in den letzten Tagen irgendwelche verdächtigen Elemente in der Gegend aufgefallen sind? Fremde Autos, junge Burschen mit Geländemotorräder, die durch den Wald rasen, oder andere verdächtige Subjekte?«

»Nein, natürlich nicht«, erwiderte der Polizist leicht erregt, »wir haben uns doch auf die Suche beschränkt, es liegt doch noch kein Tatbestand vor, oder?«

Schweigend schlossen sich die beiden Polizeibeamten der Suchmannschaft wieder an. Stocherten mit ihren Stäben im Waldboden herum wie all die anderen. Zwei Stunden waren sie unterwegs, als Raffls Handy läutete. Es war der pensionierte Schuldirektor, der Schwiegervater des Försters.

»Ich habe Blutspuren gefunden«, meldete er aufgeregt, »und Schleifspuren in der Nähe des Nonnenlochs im Finsteren Graben. Ich bin mit dem Hund vom Sepp unterwegs, der hat die Spuren gewittert!« Ebert entriss Raffl das Handy. »Bleiben Sie, wo Sie sind, rühren Sie nichts an, zerstören Sie keine Spuren, wir kommen, so schnell wir können!«

Nun übernahm der erfahrene Kriminalbeamte das Kommando. »Kollege Raffl, du kommst mit mir! Nimm zehn Männer mit, die anderen sollen mit deinem Stellvertreter hier eine Pause einlegen, bis wir Gewissheit haben!« Raffl breitete die Karte aus und rief einen der Waldarbeiter der Herrschaft zu sich. »Franz, komm her, zeig uns, wo wir uns jetzt genau befinden und wie wir am schnellsten zum Nonnenloch kommen!«

Unter dessen Führung setzten sie sich rasch in Bewegung. Zehn Minuten später erblickten sie den Schuldirektor auf einem Baumstumpf sitzend, den nervösen Jagdhund an der Leine. Stumm wies er auf rote Spritzer auf einem Stein. Ebert jagte die neugierig herandrängenden Männer der Suchmannschaft weg. Er aber verfolgte mit Raffl die Blutspur. Dann und wann waren auf festem Untergrund weitere Blutflecken zu sehen, auch Fußspuren im nadelbedeckten Boden, die zu einem steilen Abhang führten. Vorsichtig rutschten sie den Abhang hinunter, an dessen tiefster Stelle ein Bächlein über moosige Steine gluckerte. Es war die allerdunkelste Stelle des gesamten Waldes, eben der Finstere Graben. Ein riesiges Felsgebilde türmte sich zwanzig Meter hoch vor den beiden auf. Ein Chaos aus sich überlappenden Granitblöcken, Spalten, Überhängen und Nischen. Sie waren am Nonnenloch angelangt.

»Angeblich haben sich im Dreißigjährigen Krieg dort fromme Frauen versteckt«, erklärte Raffl. »Es ist ein schauriger Ort, um den sich allerhand Legenden ranken. Viele Einheimische meiden diesen Ort, denn angeblich soll es hier spuken! Ein Bursch aus dem Dorf hat die Marodeure damals hierher geführt und das Versteck verraten. Die Frauen wurden alle vergewaltigt und mit dem ekelerregenden Schwedentrunk erstickt.«

Ebert schaute in an. »Was ist der Schwedentrunk?« »Jauche, dreckige, übel riechende Jauche wurde ihnen so lange eingeflößt, bis sie daran starben«, antwortete Raffl, vertraut mit der Geschichte und den Geschichten des Ortes. »Ein geradezu idealer Ort, um eine Leiche zu verstecken, wenn du mich fragst«, entgegnete Ebert, seine Taschenlampe einschaltend. »Komm, schauen wir uns das an!«

Sie sprangen über den kleinen Bach, kletterten den Gegenhang empor, turnten zwischen den Felsblöcken herum. Wieder waren leichte Blutspuren erkennbar. Aufgewühltes braunes Laub vom Vorjahr war rund um eine Felsspalte zu sehen. Man konnte erahnen, dass hier ein Mensch längere Zeit gestanden und immer wieder seine Position gewechselt hatte.

»Ich glaube, wir sind am Ende der Suche angelangt«, meinte Ebert, »du siehst hier genau, dass da jemand etwas Schweres über den Boden gezerrt hat, da, zur Spalte hin!« Ebert schnallte seinen Rucksack ab, fischte seine Arbeitshandschuhe heraus und ging zur Felsspalte, die mit Fichtenreisig zugedeckt war. Behutsam, um keine Spuren zu verwischen, entfernte er das Reisig und leuchtete in den Spalt hinein. Die toten Augen des Oberförsters blickten ihm entgegen. Er war zu abgebrüht, um zu erschrecken, hatte in den Jahren bei der Kriminalpolizei viele Tote sehen müssen, erstochen, erschossen, erschlagen, in vielerlei Varianten gewaltsam vom blühenden Leben in den Tod befördert.

Er kehrte zum alten Mann zurück. »Er liegt da drinnen, mausetot, tut mir leid. Gehen Sie bitte wieder zurück zum Forsthaus und bringen Sie Ihrer Tochter schonend bei, dass Ihr Mann tot ist«, bemerkte er mit lakonischer Endgültigkeit. Er drückte dem Schwiegervater bedauernd die Hand, um sogleich die notwendigen Anordnungen zu erteilen. Wies Raffl an, mit drei Männern des Suchtrupps das Gelände um die Felsgruppe weitläufig mit einem gelben Band abzusperren. Dann rief er den ortskundigen Waldarbeiter zu sich. »Gehen Sie bitte zurück zur anderen Gruppe und zeigen Sie meinem Kollegen einen Weg, auf dem man nahe genug an diese Stelle heranfahren kann. Und schicken Sie den Rest der Suchtruppe nach Hause, die Aktion ist beendet. Ab nun ist dies einzig und allein Angelegenheit der Kriminalpolizei. Ich werde sofort den Ermittlungstrupp anfordern, um alle Spuren zu sichern! Die Feuerwehr soll derweilen hier das Notstromaggregat aufbauen, damit wir genug Licht haben!«

Eineinhalb Stunden später begannen die Spezialisten mit ihrer Ermittlung. Stative mit Scheinwerfern wurden aufgebaut und an das Notstromaggregat angeschlossen. Der Fotograf stand auf einer kleinen Leiter und fotografierte den Leichnam in der Felsspalte und das ganze Drumherum. Dann zog man den Toten aus der Spalte und legte ihn behutsam auf eine Plane. Das Gesicht war unverletzt geblieben, doch Hemd, Jacke und Hose waren blutverkrustet. Der Arzt hatte wenig Mühe, die Todesursache festzustellen.

»Ein Ladung Schrot in Brust und Unterleib aus kürzester Entfernung. Maximal fünf bis sechs Meter, keinerlei Chance für den armen Kerl hier, er ist regelrecht verblutet. Der Täter muss ihm nachgeschlichen sein, und als sich der Förster umdrehte, drückte er ab! Dann erst hat er den Körper bei den Händen gefasst und hierher gezerrt. Man sieht an den Handgelenken blaue Verfärbungen. Der Mörder hat kräftig anpacken müssen, um den schweren Mann in die Felsspalte zu hieven! Und er muss eine Menge Blut abbekommen haben.«

Der linke Schuh fehlte mitsamt dem Socken, Hose und Jacke waren an der Rückseite teilweise zerrissen und über und über mit Schmutz, altem Laub und Fichtennadeln übersät. Man konnte ahnen, dass der Mörder den Toten etliche Meter weit über den Waldboden geschleift hatte. Unmittelbar vor der Felsspalte war der Boden aufgewühlt, lagen abgebrochene Zweige. Auf dem rauen Stein waren Kratzspuren deutlich zu erkennen. Losgerissene Moospolster lagen überall herum.

Im starken Licht der Scheinwerfer suchten die Ermittler Zentimeter für Zentimeter das Gelände ab. Unweit der Felsspalte wurde ein Knopf aus Horn gefunden, des Försters Schuh zwölf Meter unterhalb im dichten Gras des Bachufers. Mittlerweile waren zwei Beamte damit beschäftigt, den leblosen Körper in einen Leichensack zu verstauen. Raffl und die verbliebenen Feuerwehrleute saßen in gebührendem Abstand auf Baumstümpfen oder Steinblöcken und rauchten. Nie zuvor war er bei einer Morduntersuchung dabei gewesen, hatte als Dorfpolizist ein eher geruhsames Arbeitsleben dreißig Jahre lang ohne viel Aufregung hinter sich gebracht. Eine Wirtshausrauferei hin und wieder, Verkehrsanhaltungen wegen Trunkenheit am Steuer, kleine Diebstähle oder lautstarke Streitigkeiten unter Nachbarn waren die Höhepunkte seiner Laufbahn gewesen. Umso aufmerksamer beobachtete er nun die akribische Arbeit der Kollegen von der Kripo. Da wurden Fußabdrücke in Gips abgegossen, Steine und Bäume auf weitere Blutspuren hin untersucht und die unmittelbare Nachbarschaft des Fundortes mit Pinseln und einem kleinen Besen gründlich gereinigt und ebenfalls untersucht. Das Tuckern des Notstromaggregates verlieh der Szene eine gruselige Schaurigkeit. Rund um ihn drehten die Ermittler Steine um, räumten tote Äste und Reisig zur Seite, durchschnitten Lichtbündel die Dunkelheit des dichten Waldes. Käfer und Ameisen flüchteten in panischer Angst vor den menschlichen Eindringlingen. Immer weitere Kreise zog man auf der Suche nach Spuren um das Nonnenloch. Hundert Meter oberhalb der steilen Böschung wurde man fündig. Durch eine große Wasserlacke war ein Wagen gefahren, in feuchter Erde ein klares Reifenprofil hinterlassend. Breite, schwere Reifen, aller Voraussicht nach von einem Geländeauto. Sofort war der Fotograf zur Stelle. Raffl zeigte sich fasziniert von der effizienten Arbeit der Kollegen. Jeder wusste, was er zu tun hatte, keiner stand herum, eine geradezu groteske Stille lag über dem Schauplatz des Geschehens, fast so, als ob man dem Toten Respekt zollen wollte.

Kommissar Ebert erklärte die Spurensicherung für beendet. »Tatzeit und Tathergang sind eindeutig, die Schüsse wurden aus einer Schrotflinte abgefeuert, es hat keinerlei Kampfhandlungen gegeben, keine Gegenwehr, der arme Förster hat nicht den Funken einer Chance gehabt. So gut wie sicher kann gesagt werden, dass die Tat von einem Einzeltäter in der Nähe des Waldweges da oben verübt wurde. Gehen wir davon aus, dass er groß und stark war, mit hoher Wahrscheinlichkeit Jäger. Dann hat der Mörder sein Opfer über den Abhang hinuntergerollt, zum Nonnenloch über den Waldboden gezogen und in die Spalte fallen lassen! Der Tote wird in der Gerichtsmedizin noch weiter untersucht werden, doch hier ist unsere Arbeit zu Ende. Jetzt, meine Herrschaften, beginnt die Knochenarbeit! Es war ein vorsätzlicher Mord, geplant und brutal, fast schon eine Hinrichtung. Kollege Raffl, du musst morgen dein Büro räumen, das wird unsere Einsatzzentrale, jetzt wirst du erleben können, wie viele Steinchen man zusammentragen muss, um ein fertiges Mosaik zu bekommen!«

Zwei Männer trugen den Leichensack mit dem leblosen Körper zum Mannschaftsbus der Kripo am Waldesrand. Raffl rollte das Absperrband wieder auf und die Feuerwerker schleppten das Stromaggregat zum Rüstwagen. Bei Einbruch der Dämmerung lag der Wald wieder still und verlassen da, nichts deutete darauf hin, dass ausgerechnet der Mann, der jahrelang für seine Pflege verantwortlich gewesen war, hier ein blutiges Ende gefunden hatte.

Da draußen im Wald

Подняться наверх