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»Wäre ich Beckenschwimmer gewesen, gäbe es mich als Expeditionsschwimmer nicht«

Die Olympischen Spielen oder die Tour de France als Höhepunkte des Spitzensports faszinierten mich als Kind und Jugendlichen. Nicht die mediale Welt, das Geld oder der Ruhm brachten mich zum Träumen, sondern die Schönheit der Athletik, gepaart mit der Härte und Besessenheit der Athletinnen und Athleten. Diese Faszination ist mir bis heute geblieben und war ein wichtiger Antrieb, dass ich den Weg des Sportstudiums und die Ausbildung zum Spitzensporttrainer gewählt hatte. Die Welt des Spitzensports konnte mich aber nicht aus- und erfüllen. Christof Gertsch, Schweizer Sportjournalist des Jahres 2014 und 2015, und ich sind der Frage nachgegangen, warum der Spitzensport mir nicht alles gab, und ich dem Weg des Wasserbotschafters folgte:

Christof Gertsch: Ist nicht alles, was es zu schwimmen gibt, längst geschwommen? Das kälteste Wasser, der längste Fluss, die stürmischste See: Mich dünkt, alles sei gemacht. | Ernst Bromeis: Das Gegenteil ist der Fall. Es gibt noch so viel zu schwimmen auf diesem Planeten. Aber es erstaunt mich nicht, dass Sie diesen Eindruck haben. Lewis Gordon Pugh, einer der bekanntesten Extremschwimmer der Welt, hat in einem »Forbes«-Interview gesagt: »We’ve hit all of the world’s major landmarks. There’s really nothing left.«

Er hat unrecht? | Ich sage nicht, dass Schwimmer wie Pugh nicht extreme Leistungen vollbringen. Aber das, was sie tun, ist für mich eben auch eine Art Zirkusschwimmen. Sie halten sich an diese Regeln, die sich meistens an jenen der Channel Swimming Association orientieren: die Größe der Badehose, das Begleitschiff, solche Vorgaben – aber sie denken nicht darüber hinaus. Ich halte die Open-Water-Szene für sehr konservativ. Diese blöden Rekorde, ein Kilometer bei eingrädigem Wasser, 500 Meter bei Minustemperaturen – das sind nur Variationen des immer Gleichen. Wenn wir uns nur an dem festhalten, was vorgegeben ist, bringen wir das Schwimmen nicht weiter. Was ich suche ist die Expedition und die Exploration, das heißt, das Erforschen meines Innern.

Wenn Sie sich der klassischen Messbarkeit und Vergleichbarkeit des Sports zu entziehen versuchen – sehen Sie sich dann vielleicht eher als Freestyle- denn als Extremschwimmer? | Das ist ein wichtiger Punkt. Schauen Sie sich nur die Alpinisten an. Die könnten sich ja zu zweit unten an eine Wand stellen und gegeneinander antreten, und schon hätten sie den direkten Vergleich. Das wäre Sport und medial sicher gut verwertbar. Aber sie machen es nicht. Sie wollen es nicht. Es ist für sie eine Frage des Stils. Ich verfolge einen ähnlichen Ansatz. Das absolut Messbare, Vergleichbare des Kletterns – das findet in den Hallen statt, an künstlichen Wänden, und eben nicht im Freien, nicht am Berg. Ich suche das Kompromisslose wie die Kletterer. Ich – ein Freestyle-Schwimmer? Vielleicht haben Sie recht. Wie der Free-Solo-Kletterer: Er, die Wand, sonst nichts.

Sie, das Wasser, sonst nichts. | Genau. Nichts, auch kein Begleitboot.

Aber so weit sind Sie noch nicht. | Nein. Und vielleicht werde ich nie so weit sein. Ein Begleitboot ist wie eine Alpenclub-Hütte, du weißt, dass du notfalls in Sicherheit bist. Das wahre Exponiertsein wäre, ohne Begleitboot zu schwimmen. Bei der Expedition in Graubünden habe ich das über weite Strecken gemacht. Doch die Seen waren in der Dimension nicht vergleichbar mit den größten Süßwasserseen der Welt ...

Ist es wirklich das, wonach Sie streben – das wahre Exponiertsein? | Ich sage das primär, um zu zeigen, dass noch nicht alle Möglichkeiten ausgeschöpft sind. Zuallererst geht es mir um etwas anderes: Um die Dauer der Expedition, das Extreme des Unterwegsseins, um ein wochen- oder monatelanges Abenteuer. Mich reizt der Ladogasee in Russland: 83 Kilometer breit, 219 Kilometer lang, der größte See Europas – meines Wissens hat ihn noch niemand durchschwommen. Oder der Baikalsee in Asien, das »heilige Meer«: Mehr als 600 Kilometer, mitten in der Wildnis. Free-Solo wäre wohl nur auf den 90 Kilometern Seebreite machbar. Aber den See ohne Begleitung längs zu schwimmen, wäre ein denkbares Abenteuer. Neuland. Das ist absolute Einsamkeit. Jemand wird es mal wagen.

Die Sponsoren, die Medienaufmerksamkeit, anfänglich zudem die Etappenpläne – gehen Sie mit mir einig, wenn ich sage, dass darin eine gewisse Ambivalenz steckt? Zum einen suchen Sie das Kompromisslose, Eigene, Andere. Und zum anderen enthalten ihre Expeditionen halt doch ein gewisses Maß an Marketing. | Ja, das ist ein Widerspruch. Einerseits versuche ich, neue Wege zu finden. Andererseits gehe ich Kompromisse ein, damit sich die Projekte finanziell irgendwie auszahlen. Als ich anfing, mir mein zweites Leben als Expeditionsschwimmer aufzubauen, war klar, dass das mein Beruf sein sollte. Ich wollte nicht einem normalen Job nachgehen und nebenbei Schwimmer sein. Heute bedeutet das, dass ich mich manchmal von meinem Ideal entfernen muss. Ich muss mich jedes Mal fragen: Was sind meine Wertvorstellungen? Welche sind mir wirklich wichtig? Wo kann ich gegenüber Sponsoren nachgeben, damit es mich am wenigsten schmerzt? Und wie kann ich meine selbst auferlegte Aufgabe als Wasserbotschafter einbringen?

Das Kompromissloseste wäre, ans Ufer zu stehen, loszuschwimmen, am anderen Ufer auszusteigen – und niemandem davon zu erzählen. Vielleicht Ihrer Frau, Ihren Kindern, aber sonst niemandem. | Das mag stimmen. Und Sie mögen mir Selbstverliebtheit unterstellen ...

... was ich nicht tue. | Es wäre auch falsch. Ich sehe es so: Die Menschen, die mich zu meinem Weg inspiriert haben, all die Abenteurer der letzten Jahrzehnte – von ihnen habe ich ja auch nur erfahren, weil sie bereit waren, ihre Geschichten in Filmen, Zeitungsartikeln, Büchern zu erzählen. Ich finde es schön, diese Geschichten erzählt zu bekommen. Wenn nie ein Abenteurer seine Geschichte nach außen getragen hätte, stünden wir, na ja, nicht gerade am Anfang der Zivilisation, aber doch an einem sehr anderen Ort der Entwicklung, als wir es jetzt sind. Und das wäre schade. Natürlich frage ich mich, wie weit sich Vermarktung treiben lässt. Funktioniert die Geschichte nur noch wie bei Felix Baumgartner, wenn jemand mithilfe von extremem Marketing einen Sprung aus dem All macht? Oder wie bei Bertrand Piccard und seinem Projekt »Solar Impulse«, wenn es rund 170 Millionen Franken kostet? Ich hoffe, dass es einen Zwischenweg gibt, damit ich weiterhin als Wasserbotschafter die Menschen auf das kostbare und gefährdete Gut Wasser aufmerksam machen kann.

Angesichts der Energie, die Sie fürs Schwimmen aufwenden, und der Kraft, mit der Sie sich fürs Wasser einsetzen, kann ich es kaum glauben, dass Sie keine Vergangenheit als Schwimmer haben. Sie waren als Jugendlicher wirklich nie Beckenschwimmer? | Wenn ich Beckenschwimmer gewesen wäre, gäbe es mich als Expeditionsschwimmer heute nicht.

Warum nicht? | Weil ich als Beckenschwimmer nie auf die Idee gekommen wäre, dass Schwimmen viel mehr sein kann als Längen- und Kachelzählen, oder als Chlor in Haar und Nase. Ich habe mich lange genug im Umfeld des Spitzensports aufgehalten, um zu wissen, dass das eine Welt ist, die dich einengt. Verstehen Sie mich nicht falsch: Spitzensport fasziniert mich. Diese Athletik, diese Energie – das beeindruckt mich. Der Spitzensport ist aber eben auch der Ort, wo es zuallererst um Disziplin geht. Der Spitzensport als Galeere, alles ist uniform, alle sind diszipliniert, alles ist Unterwerfung und Hierarchie, und am Ende richtet der Medaillenspiegel über Erfolg und Misserfolg. Das ist nicht meine Welt. Es ist kaum ein Zufall, dass man einst von Leibesübungen sprach und dass der Sport auch heute noch dem Militärdepartement angegliedert ist. Die Schönheit der Bewegung, diese Kunst des puren Sporttreibens – das wird pervertiert und missbraucht: Doping, Korruption. Der Spitzensport befindet sich in einer Sackgasse. Es geht ihm wie dem Schneesport in den Alpen: Jahrzehntelang hat das Geschäftsmodell funktioniert, und jetzt kommt die Klimaerwärmung, und man weiß nicht weiter.

Der Spitzensport wird sich kaum von innen heraus erneuern. | Ich weiß, dass das keine neue Erkenntnis ist – aber darum ist sie nicht weniger wahr: Der Spitzensport ist eine Parallelwelt. Wer dabei sein will, hat sich den Regeln des Spitzensports zu unterwerfen. Und wer sich den Regeln nicht unterwirft, ist nicht dabei.

Es ist im Spitzensport kaum Platz für eigene Wege. Alles ist vorgegeben, auf alles gibt dir das System eine Antwort. Du machst, was alle anderen machen. Und wenn du es anders machst, weil du der Glückliche mit dem vielen Talent bist und das System dir deinen eigenen Weg zugesteht, musst du am Ende noch als vermeintlicher Beleg dafür hinhalten, dass das System eben doch nicht so starr sei, wie manche sagen. | Es ist in diesem System nicht möglich, von außen reinzukommen und zu sagen: »So, jetzt machen wir’s anders. Jetzt verändern wir mal was.« Das geht nicht. Wer es anders machen will, muss austreten. Das ist in anderen Bereichen des Lebens genau dasselbe, im Bankwesen zum Beispiel. Aber jetzt driften wir ab.

Überhaupt nicht. Genau das haben Sie doch getan: Sie haben eine Stellenanzeige aufgegeben, sich als Einziger darauf beworben – und den Job erhalten. Den Job des Wasserbotschafters. | Stimmt. Aber das macht mich eben auch angreifbar.

Inwiefern? | Die Leute sagen, ich mache das nur, weil ich im Spitzensport nicht reüssiert habe.

Das sagen die Leute wirklich? | Nicht direkt, aber hintenrum. Dabei suchte ich schon zu Zeiten meiner Ausbildung als Spitzensporttrainer den Weg vielmehr in der Bewegungskunst. Ich habe nun meine Kunst weiterentwickelt und lebe nun das Zusammenspiel philosophisch und mit dem Anspruch als Wasserbotschafter.

Und was sagen die Spitzensportler? | Im April vor der ersten Rhein-Expedition 2012 gab es einen Medienanlass mit zwei französischen Spitzenschwimmern in den Thermen Vals und im Grand Canyon des Rheins in Graubünden. Camille Muffat4 und Yannik Agnel5 wurden ein paar Wochen später in London im 50-m-Becken beide Olympiasieger. Als Agnel von Journalisten gefragt wurde, ob er auch gerne den Rhein schwimmen würde, meinte er: »Jamais. Nie würde ich so was wagen. Viel zu gefährlich, viel zu kalt, viel zu lange. Jamais.« – Er war aber von der Poesie und der Mission fasziniert.

Wenn Sie den Weg des absolut Kompromisslosen gingen, wenn Sie ins Wasser springen, losschwimmen, am anderen Ufer aussteigen und niemandem davon erzählen würden – dann könnte es Ihnen egal sein, was die Leute sagen. | Ich will ja gar nicht, dass es mir egal ist. Und vor allem will ich nicht, dass es egal ist, was ich tue. Ich sehe mich wirklich nicht als Propheten oder so was, bewahre!, aber ich glaube, dass Projekte, wie ich sie verfolge, neue Wege aufzeigen können. Das ist nicht als Angriff auf den Spitzensport gemeint, aber vielleicht als Alternative. Spitzensport ist nicht alles. Wir haben einen Körper und einen Geist. Wir sind Menschen. Vielleicht bringt es einen Beckenschwimmer, der mit 5 Jahren zu schwimmen begonnen hat und mit 18 keine Lust mehr hat, dazu, dass er die Schönheit des Schwimmens wiederentdeckt: Draußen, wo das Schwimmen etwas derart Wundervolles sein kann. Das Schwimmen als eigene Idee und Ausdruck einer Mission und Kunst. Das Schwimmen als Poesie und Berufung des Wasserbotschafters, dafür setze ich mich ein.

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