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Afghanistan

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1. Sowjetische Invasion, Bürgerkrieg, Schreckensherrschaft und Sturz der Taliban

Mit dem Einmarsch sowjetischer Truppen am 24. Dezember 1979 kam in Afghanistan ein internationaler Konflikt zum Ausbruch, der in seinen Folgen bis heute ausstrahlt und die internationale Gemeinschaft in besonderem Maße fordert.

Der sowjetische Einmarsch verschärfte den in diesem Land bereits zuvor herrschenden Bürgerkrieg und führte zu einer erheblichen Zuspitzung der Ost-West-Konfrontation. Unter dem Druck verschiedener islamistischer Widerstandsgruppen, die vor allem von den Vereinigten Staaten von Amerika, Pakistan, Saudi-Arabien und anderen Staaten unterstützt wurden, zogen sich die sowjetischen Truppen bis zum Februar 1989 aus Afghanistan zurück. Der Abzug der sowjetischen Truppen, dem eine in Genf am 4. April 1988 unterzeichnete internationale Vereinbarung voranging, führte aber nicht zur Beendigung des afghanischen Bürgerkrieges.

Von 1994 bis 1996 eroberten die Taliban, eine neue, vor allem in pakistanischen Koranschulen und Flüchtlingslagern erzogene Generation paschtunischer islamistischer Kämpfer, die meisten Gebiete Afghanistans. Dabei stützte sich diese Bewegung auf die logistische, finanzielle und Expertenhilfe von Osama Bin Laden und dessen 1986 in Pakistan zur Vorbereitung und Organisation des islamischen Widerstandes gegen das sowjetische Besatzungsregime gegründete Organisation Al-Qaida ab. Die Symbiose aus erprobten Kämpfern mit der von Bin Laden vertretenen radikalislamischen wahhabitischen Ideologie führte in Afghanistan zur Errichtung des »Islamischen Emirats Afghanistan« und einem Gewaltregime unter Mullah Omar, das seiner Bevölkerung die elementarsten Menschenrechte versagte.

Unter dem Einfluss der von Bin Laden geführten militanten Araber wurde der konservative Islamismus der Taliban immer internationalistischer. Während die USA die Taliban bis 1997 mit Wohlwollen begleiteten, versuchten sie ab 1998 den Bruch der Taliban mit Bin Laden herbeizuführen, was misslang. Bis ins Jahr 2001 hinein war die innenpolitische Lage in Afghanistan geprägt durch ein restriktives, religiös-ideologisches und menschenverachtendes Regime, wirtschaftlichen und sozialen Niedergang sowie islamistische Intoleranz (u.a. Zerstörung der Buddhastatuen von Bamiyan am 16. März 2001). Nach den von Bin Laden und Mitgliedern der Al-Qaida gesteuerten Terroranschlägen in den USA am 11. September 2001 formten die USA eine internationale Koalition, um das Terrornetzwerk dieser Organisation und das sie unterstützende Talibanregime in Afghanistan zu zerschlagen.

Am 7. Oktober 2001 begann mit US-amerikanischen und britischen Luftschlägen gegen Ziele in Afghanistan die Operation Enduring Freedom im Rahmen des Kampfes gegen den internationalen Terrorismus. In nur wenigen Wochen gelang es den USA und ihren Verbündeten, Stützpunkte und Infrastruktur der Al-Qaida- und Taliban-Kräfte so weit zu schwächen, dass die Bodentruppen der Nordallianz, des militärischen Flügels der »Vereinigten Islamischen Front für die Rettung Afghanistans«, nunmehr unaufhaltsam die Taliban zurückdrängten und aus der Hauptstadt (Anfang November) und schließlich auch aus deren letzter Hochburg Kandahar (Anfang Dezember) vertreiben konnten. Das Schreckensregime der Taliban in Afghanistan war noch im Jahr 2001 beendet.

2. Petersberg-Konferenz und der politische Einigungsprozess

Vom 27. November bis 5. Dezember 2001 wurden unter der Schirmherrschaft der Vereinten Nationen auf dem Petersberg in Königswinter (Petersberg-Konferenz) die wichtigsten Weichen für die politische Zukunft Afghanistans gestellt. Diese Konferenz setzte die wichtigsten Eckpfeiler für einen politischen Neubeginn in Afghanistan. Bereits am 20. Dezember 2001 autorisierte der VN-Sicherheitsrat den Einsatz einer International Security Assistance Force (ISAF) zunächst für Kabul und Umgebung. Mit Resolution 1401 (2002) des UN-Sicherheitsrates vom 28. März 2002 wurde die VN-Mission UNAMA als politische Mission implementiert und beauftragt, alle humanitären und Wiederaufbau-Aktivitäten der Vereinten Nationen in Afghanistan zu integrieren, zu verwalten und mit der Regierung in Kabul zu koordinieren.

Am 19. Juni 2002 bestimmte die »Loya Jirga« Hamid Karzai zum Übergangspräsidenten. Am 4. Januar 2004 verabschiedete die Große Ratsversammlung eine neue afghanische Verfassung, die das Präsidentenamt mit weitreichenden Befugnissen ausstattete.

Bei den landesweiten Präsidentschaftswahlen am 9. August 2004 wurde Präsident Karzai mit einer Mehrheit von über 55 Prozent im Amt bestätigt. Am 18. September 2005 fanden – erstmals nach 36 Jahren – freie Parlamentswahlen statt, bei denen keine politischen Parteien, sondern nur unabhängige Kandidaten zugelassen waren. Erstmals in der Geschichte Afghanistans saßen nun 68 Frauen im 249 Sitze umfassenden Parlament.

3. Afghanistan Compact – Fortsetzung des Engagements für Sicherheit, Wiederaufbau und Entwicklung

Mit dem im Januar 2006 auf einer internationalen Afghanistan-Konferenz in London zwischen der afghanischen Regierung und der internationalen Gemeinschaft unter Teilnahme hochrangiger Vertreter von 70 Staaten und internationalen Organisationen vereinbarten Afghanistan Compact begann die zweite Phase in Afghanistan. Der Afghanistan Compact enthielt die sicherheits-, innen- und entwicklungspolitischen Ziele für die anschließenden fünf Jahre und verknüpfte diese mit Zeitlinien und Messgrößen für die Zielerreichung. Auf der Pariser Afghanistan-Konferenz am 14. Juni 2008 wurden für die Realisierung der Ziele des Afghanistan Compact und der ANDS insgesamt über 20 Mrd. US-Dollar für die nächsten acht Jahre zugesagt. Die Konferenz zog zugleich eine kritische Halbzeitbilanz des Afghanistan Compact und entschied über Maßnahmen zur Verbesserung und Straffung der noch mängelbehafteten Koordinationsmechanismen.

4. Strategiewechsel

Nach der Wahl von Präsident Obama in den USA änderte sich dort die Betrachtung des Afghanistan-Einsatzes, indem die Vernachlässigung dieses Konfliktes zugunsten des Irak-Einsatzes ein Ende fand. Auf der militärischen Bühne wurde diese Änderung durch die Kommandoübernahme von General McCristal deutlich. Die Verstärkung des zivilen und militärischen Engagements, Surge genannt, ging mit einer Anpassung der operativen Verfahren im Sinne der Counterinsurgency-Doktrin in ihrer bevölkerungszentrierten Ausführung einher. Die Verbündeten schlossen sich diesem Ansatz im Zuge der London-Konferenz im Januar 2010 an. Allein mehr als 30.000 amerikanische Soldaten wurden zusätzlich nach Afghanistan verlegt. Der schon im Afghanistan Compact angelegte Prozess wurde mit massiven zusätzlichen Mitteln von bis zu 100 Mrd. Dollar pro Jahr insgesamt unterlegt. Gleichzeitig war in dem Strategiewechsel der Gedanke angelegt, dass man nach den Erfolgen, die ein verstärktes Engagement nach sich ziehen würden, eine schrittweise Reduzierung des Engagements in ~ einleiten könne.

5. International Security Assistance Force (ISAF) und US-amerikanische Kräfte

Diese internationale Friedenstruppe für Afghanistan hatte den Auftrag, die afghanische Regierung bei der Wahrung der Menschenrechte, der Herstellung und Wahrung der inneren Sicherheit, der Auslieferung humanitärer Hilfsgüter und der geregelten Rückkehr von Flüchtlingen zu unterstützen. Sie sollte vor allem sicherstellen, dass sowohl die afghanischen Staatsorgane als auch das Personal der Vereinten Nationen und anderes internationales Zivilpersonal, insbesondere solches, das dem Wiederaufbau und humanitären Aufgaben nachgeht, in einem sicheren Umfeld arbeiten können.

Anfänglich wurde die strategisch-operative Führung der ISAF von einer Lead Nation wahrgenommen. Ab August 2003 übernahm die NATO die Gesamtführung und damit ihre erste militärische Führungsrolle außerhalb des Euro-Atlantischen Raums. Auf dem Höhepunkt der Aktivitäten von ISAF bestand diese Truppe aus etwa 130.000 Soldaten. Deutschland hatte im Jahr 2011 die Höchststärke von 5.433 Soldaten in ~ stationiert.

Etwa ab 2012 kamen zwei Faktoren zusammen, die das internationale Engagement in Afghanistan weg vom Kampfeinsatz und hin zu einer Aufbau- und Ausbildungsmission für die afghanischen Sicherheitskräfte veränderten. Zum einen hatte das verstärkte Engagement in den ersten Jahren der Obama-Administration vermeintliche Erfolge gezeigt, die zum Optimismus Anlass gaben. Zum Zweiten zeigte sich nach über zehn Jahren des Konflikts eine gewisse Konfliktmüdigkeit bei den ISAF-Mitgliedern, die etwa im Fall Kanadas und Frankreichs zum völligen Rückzug bzw. zum Abzug der Streitkräfte aus der Mission führte. Die NATO gab die Sicherheitsverantwortung schrittweise an die afghanische Regierung zurück, und am 31.12.2014 endete die ISAF-Mission.

6. Operation Resolute Support

Am Folgetag begann die deutlich kleinere Operation Resolute Support (ORS). Ziel dieser Mission war vor allem die Ausbildung, Beratung und Unterstützung der afghanischen Sicherheitskräfte (TAA – Train, Advise, Assist). Wenn es gelänge, so die Logik der Operation, die afghanische Regierung mit einem schlagkräftigen Sicherheitsapparat aus Militär und Polizei auszustatten, dann könnte die Stabilität im Land von eigenen Kräften gewährleistet werden und würde immer weniger internationales Engagement erfordern. Obgleich die NATO ganz Afghanistan als Operationsgebiet festgelegt hatte, kehrte ORS wieder zu einem eher regionalen Ansatz zurück. Im sogenannten »Nabe-Speichen-Konzept« wurde die Nabe vom Hauptquartier in Kabul gebildet, während die vier Regionalkommandos Nord, Süd, Ost, West als Speichen bezeichnet wurden. Zwar konnte ORS durchaus Erfolge beim Aufbau der Sicherheitskräfte aufweisen, allerdings gab es auch immer wieder Rückschläge von desertierenden Einheiten oder korrupten Strukturen in ~.

7. Der Weg zum Abzug

Ein weiterer amerikanischer Strategiewechsel, der aufgrund der dominierenden Rolle der USA alle in ~ engagierten Nationen betraf, kam mit der Präsidentschaft Donald Trumps. Dieser hatte bereits im Wahlkampf angekündigt, die »unendlichen Kriege« der USA rasch beenden zu wollen und arbeitete gleich zu Beginn seiner Präsidentschaft in diese Richtung. Dabei lag das Problem weniger darin, dass der Präsident das amerikanische Engagement verringern wollte, sondern dass er stets neue Abzugsideen unabgestimmt, meist über Twitter, verkündete. In den ersten beiden Jahren gelang es den erfahrenen Regierungsmitgliedern noch, wie Verteidigungsminister James Mattis, die Vorstöße des Präsidenten zu verwässern oder hinauszuzögern. Nachdem Trump sein Kabinett aber allein mit willfährigen Vertretern bestückt hatte, setzte er seine Ankündigungen ohne Rücksicht auf Verbündete oder die Eigeninteressen der USA um. Dabei mischten sich durchaus vernünftige Vorstöße mit den oft verqueren Initiativen des Präsidenten. Im Juli 2018 begannen die USA Friedensgespräche mit den Taliban in der katarischen Hauptstadt Doha, die vom ehemaligen US-Botschafter Zalmay Khalilzad geleitet wurden. Die Vorgänger Trumps hatten stets direkte Verhandlungen mit den Taliban abgelehnt, da dies die Autorität der afghanischen Regierung untergraben würde – Trump setzte sich über diese Bedenken hinweg. Diese Verhandlungen sahen eine schrittweise Verminderung der amerikanischen Truppenpräsenz in Afghanistan vor, ohne dass die Bedingungen des Abzugs völlig eindeutig waren. Da die US-Streitkräfte für die Unterstützung der übrigen NATO-Mitglieder in Afghanistan unerlässlich sind, würden auch diese schrittweise abziehen müssen. Nachdem Präsident Trump den Friedensprozess einmal platzen ließ, gelang im Februar 2020 ein Durchbruch, der einen Teilabzug auf 8.600 US-Soldaten bis Mitte 2020 vorsah. Trump kündigte zwar im Oktober 2020 noch einmal den Abzug aller Streitkräfte bis Weihnachten an, dieser wurde aber von der militärischen Führung nicht umgesetzt. Stattdessen wurde die Zahl amerikanischer Soldaten bis zum 15. Januar 2021 auf 2.500 gekürzt.

Nach dem Präsidentenwechsel in den USA wurde die Entscheidung zum endgültigen Abzug der USA aus Afghanistan, der zwangläufig auch den Abzug der NATO zur Folge hat, sehr rasch getroffen. In Abstimmung mit den Verbündeten erklärte Präsident Biden im Frühjahr 2021, den militärischen Einsatz in Afghanistan zu beenden und die Truppen bis zum 11. September 2021, also genau 20 Jahre nach dem Angriff auf die Twin Towers in New York, nach Hause zu holen. Die NATO folgte, indem sie am 14. April 2021 ebenfalls ihren Rückzug verkündete. Im August 2021 spitzte sich die Situation in ~ noch einmal dramatisch zu. Die von der internationalen Gemeinschaft ausgebildeten afghanischen Streitkräfte wurden von den herannahenden Taliban überrannt und ergaben sich kampflos. Die Taliban-Führer übernahmen in Kabul innerhalb von Tagen die Macht, nachdem die Regierung geflohen war. Der Deutsche Bundestag mandatierte daraufhin mit großer Mehrheit einen Evakuierungseinsatz mit bis zu 600 Soldatinnen und Soldaten in Afghanistan, um deutsche und internationale Staatsbürger sowie afghanische Ortskräfte außer Landes zu bringen. Bis zum Ende dieser gefährlichen Mission am 26. August 2021 hatte die Bundeswehr über 5.300 Personen evakuiert.

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