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Diamanten
ОглавлениеDiamanten sind die Könige der Juwelen. Sie entstanden in mehr als hundert Kilometer Tiefe unter Druck von 50.000 bar bei Temperaturen von 1000o C und wurden vor langer Zeit durch vulkanische Tätigkeit an die Oberfläche befördert. Der Name spiegelt die Härte (griechisch = der Unbezwingbare). Um ein Karat (0,2 g) Rohdiamanten zu gewinnen, sind etwa 5 t Gestein zu fördern und zu bearbeiten. Die Geschichte der Diamanten wird geprägt von mühseliger Gewinnung und mörderischer Gewalt wie auch von märchenhaftem Reichtum und unendlicher Liebe. Mancher Frau gilt das Geschenk eines Diamanten als höchster Liebesbeweis.
Das hatten die Minister der thailändischen Regierung im Kopf, als sie am ersten Montag im Januar 2000 beschlossen, zum Beweis für die überwundene Wirtschaftskrise neben der vom 19. bis zum 24. Februar bereits im vierundzwanzigsten Jahr stattfindenden Bangkok Gems & Jewelry Fair eine einzigartige Diamantenausstellung „Diamond 2000“ zu veranstalten, die alles bisher Gesehene in den Schatten stellen sollte: Alle großen Diamanten der Welt, wie der Cullinan, der Nizam von Hyderabad und eine Kopie des Koh-i-noor sollten als Leihgaben gezeigt werden. Der Innenminister hatte als einziger gegen die Ausstellung gestimmt, denn er wusste genau, wie schlecht die Polizei für den Schutz der wertvollen Ausstellungsstücke ausgerüstet war. Da aber selbst Seine Majestät, der König die Ausstellung befürwortete, konnte er lediglich durchsetzen, dass die wertvollen Leihgaben nicht auf der Messe im Queen Sirikit Center mit seinen verschachtelten Räumen und vielen Ausgängen gezeigt würden, sondern im besser zu bewachenden Gems and Jewelry Tower. Doch als er Mitte Januar den angeforderten Bericht über die polizeilichen Computersysteme erhielt, sah er keine Möglichkeit mehr, die Diamanten wirksam zu schützen und bot seinen Rücktritt an. Der kleine, allseits beliebte Premierminister, der nach dem Ausbruch der Krise durch einen geschickten Schachzug die unfähige alte Regierung abgelöst hatte, hörte seine Argumente geduldig an.
„Ich verstehe Ihre Sorgen sehr gut, Khun Plavudh“, sagte er mit seiner leisen, angenehmen Stimme, „denn Sie werden gegrillt, wenn etwas schief gehen sollte. Aber wir müssen der Welt jetzt zeigen, dass wir kein Entwicklungsland mehr sind, trotz der vielen unterentwickelten Ecken im Lande. Und Sie dürfen beweisen, dass ich Sie zu Recht für diesen Posten ausgewählt habe. Ich sehe ein, dass die Polizei bessere Hilfsmittel braucht. Nennen Sie sie mir und wir werden sie bereitstellen. Den hoheitlichen Schlendrian unserer Herren Polizisten und den Mangel an eigenem Denken können wir allerdings nicht so schnell abschaffen. Das sollte Ihr wesentliches Ziel für die Zeit nach der Ausstellung sein, obwohl es mit unserer Kultur schwer zu vereinbaren ist.“
Der Minister machte den Wai, die asiatische Verneigung mit zusammen gelegten Händen, und verließ den Raum. Auf Gedeih und Verderb war er jetzt für die Ausstellung verantwortlich. Den letzten Worten des Premiers stimmte er uneingeschränkt zu, doch das war eine Sisyphusaufgabe. Unendlich tief war dieses System in der Kultur der Thais begründet. Noch vor hundert Jahren war eine Königin mit ihren drei Kindern ertrunken, weil es bei Todesstrafe verboten war, Mitglieder der königlichen Familie zu berühren. Danach hatte der tiefbetrübte König zwar das Verbot aufgehoben, aber sonst nicht viel verändert. Nicht nur in der Polizei, nein in allen Behörden gab es diesen Schlendrian schlecht bezahlter Beamter, die nur das Ziel hatten, den Tag möglichst ohne Anstrengung hinter sich zu bringen. Berge von Papieren wurden hin-und hergeschoben, bis mindestens zwanzig Unterschriften darauf waren. Niemand wagte, etwas zu entscheiden, weil es womöglich dem nächsten oder übernächsten Vorgesetzten nicht passen könnte. Jeder wartete auf die nächste Beförderung, die ihm zwar nur ein paar Baht mehr, dafür aber einen wohlklingenden Titel bringen konnte. Dass er als Innenminister hier den Anstoß geben musste, war ihm noch gar nicht klar genug ins Bewusstsein gedrungen. Zu sehr war auch er seiner Erziehung verhaftet. Nur die Wirtschaft hatte in der schweren Krise des Landes allmählich westliche Managementmethoden mit Leistungsentgelt und Delegation von Verantwortung eingeführt. So war man wieder in Schwung gekommen und dank der immer noch niedrigen Löhne auf dem Weltmarkt konkurrenzfähig geworden.
In seinem Büro warf sich der Minister vor der Buddhafigur auf die Knie und betete um Erleuchtung für diese schwierige Aufgabe. Das Gebet klärte seine Gedanken: Er hatte einen fähigen Mitarbeiter, der vor kurzem von einem zweijährigen Studienaufenthalt in Europa zurück gekommen war, wo er bei verschiedenen Polizeien hospitiert und an der Polizeihochschule in Villingen-Schwenningen studiert hatte: Siripong Woraphrasittikhul war 29 Jahre alt, hatte vor der Polizeilaufbahn Informatik studiert und sprach fließend englisch und deutsch. Kurz vor der Europareise hatte er eine chinesischstämmige Architektin geheiratet, deren Vater ein bedeutender Im-und Exportkaufmann war und ihm den Auslandsaufenthalt finanziert hatte.
Zehn Minuten später saß der junge Mann, der in der Hierarchie noch ziemlich weit unten angesiedelt war, dem Minister gegenüber. Siripong sah gar nicht wie ein Thai aus, sondern hatte recht dunkle Haut und einen Lockenkopf. Sein Vater war Flugkapitän bei Thai Airways gewesen und vor zwölf Jahren bei einem Absturz ums Leben gekommen. Dass der junge Mann zwar den üblichen Wai machte, aber durchaus nicht unterwürfig war wie die meisten anderen Untergebenen, zeigte deutlich den westlichen Einfluss. Er würde sich auch bei anderen Hierarchen nicht unterbuttern lassen.
„Ich habe eine große und wichtige Aufgabe für Sie, Khun Siripong“, sagte der Minister freundlich, und der junge Mann hörte aufmerksam zu. „Die ,Diamond 2000’ liegt uns schwer im Magen, weil sie die Verbrecher anziehen wird, wie das Licht die Motten. Sie sollen mein Auge und Ohr sein in den kommenden Wochen und als mein Gehirn alle Informationen verknüpfen, die Sie erhalten. Sie bekommen keine exekutiven Vollmachten, aber das Recht, jegliche Information, die Sie für notwendig halten, von allen Behörden und staatlichen Unternehmen einzuholen und beliebig auszuwerten. Sie sind mir unmittelbar berichtspflichtig und haben jederzeit Zugang zu mir. Sie sollten wissen, dass die Steine mit einer Milliarde Dollar versichert werden. Die Prämie hängt von den Sicherheitsmaßnahmen ab. Ich hoffe, dass wir sie auf Grund Ihrer Aktivitäten auf drei Millionen Dollar drücken können, das sind 100 Millionen Baht. Sie können also mit gutem Gewissen einen vertretbaren Aufwand planen. Und das Wichtigste: Bei Nicht-Inanspruchnahme werden fünfzig Prozent zurückgezahlt. Überlegen Sie bitte bis morgen, welche Mittel Sie brauchen. Ich denke, dass ich sie beschaffen kann, wenn sie nicht zu exotisch sind. Sie bekommen ein eigenes Büro und einen Wagen mit ständigem Fahrer. Auslandsreisen melden Sie bitte vorher bei mir an, im Notfall genügen zwei Stunden. Wegen der kurzen Dauer der Aufgabe kann ich Ihre Bezüge jetzt nicht erhöhen. Ich denke aber, dass bei Erfolg eine Prämie für Sie herausspringen wird.“
Siripong ließ sich die Überraschung nicht anmerken. Die chinesische Erziehung seiner Frau hatte auch ihn geprägt. „Herr Minister, ich danke Ihnen für Ihr Vertrauen und will alles tun, mich dessen würdig zu erweisen“, war seine freimütige Antwort. „Ich werde jetzt gleich an die Arbeit gehen, um Ihnen meine Notwendigkeiten nennen zu können.“ Der Minister überlegte einen Moment: „Noch etwas bedenken Sie bitte: Ihre Aufgabe ist zwar kein Staatsgeheimnis, aber in Ihrem eigenen Interesse sollten so wenig Menschen wie möglich davon erfahren, zumindest von ihrem wahren Umfang. Verbrecher schrecken vor nichts zurück, und ich möchte Ihr Leben nicht unnötig gefährden. Wenn Sie Mitarbeiter brauchen, müssen diese sicherheitsüberprüft werden. Und nun wünsche ich Ihnen eine erfolgreiche Arbeit.“ Mit dem Wai und einer leichten Verbeugung wollte Siripong sich zurückziehen, doch der Minister reichte ihm ganz gegen die Gepflogenheiten die Hand. Er war froh über seine Entscheidung, sah aber noch gar nicht, dass er eben begonnen hatte, das hierarchische System zu demontieren.
Am Abend berichtete Siripong seiner Frau Su Chan stolz von der neuen Aufgabe, nicht ohne zu verhehlen, dass er überhaupt nicht wusste, wie er sie angehen sollte. Sie saßen bei einem leichten Mahl im halb westlich und halb im Thai-Stil mit hellen Rattanmöbeln eingerichteten Wohnzimmer ihres kleinen Hauses in einem Bangkoker Vorort. Einige schöne Geschenke von ihren Eltern, darunter zwei wertvolle chinesische Porzellanlöwen und ein kunstvoll geschnitzter Elefant gaben dem Raum eine besondere Atmosphäre. Siripong hatte eine Flasche Rotwein besorgt, den sie beide in Europa schätzen gelernt hatten, sich aber wegen des hohen Importzolls nur selten leisten konnten. Sie verdienten ja zusammen nur 30.000 Baht (900,- $) im Monat.
Su Chan Woraphrasittikhul war eine schlanke, sportliche Frau, 26 Jahre jung, mit Pagenfrisur und einem schmalen Kopf, der gar nicht den runden und flachen Gesichtern der meisten Chinesinnen ähnelte. Nur die leichte Schräge der mandelförmigen Augen verriet ihre Herkunft. Sie war stets modern gekleidet und trug kaum Schmuck, außer dem Ehering nur manchmal ein paar modische Ohrhänger. Aber um den Hals trug sie ständig eine Goldkette mit einem Jade-Amulett, einer flachen Nachbildung des Smaragdbuddha aus dem Wat Phra Kaeo, dem Tempel im alten Königspalast. Dies kostbare Stück hatte Siripong ihr geschenkt, als sie sich ein gemeinsames Leben versprachen, und er hatte alle seine Ersparnisse dafür geopfert. Wegen ihrer Kreativität und ihres phänomenalen Raumgefühls hatte Su bereits eine verantwortliche Stellung in einem Architekturbüro. Sie brauchte eine Zeichnung nur kurz anzusehen, um den Gegenstand oder Raum dreidimensional vor sich zu sehen und auch skizzieren zu können. Sie sprach fließend englisch und französisch, sowie ein wenig deutsch. Während Siripongs Europaaufenthaltes hatte sie ihn dreimal für ein paar Wochen besucht. Und vor kurzem hatte sie ihn zu einem gemeinsamen Japanischkurs überredet.
„Du hast nur knapp sieben Wochen Zeit“, ließ sie die Gedanken schweifen, „und brauchst wenige aber sehr gute Leute und einen direkten Zugriff auf die Datenbanken aller Behörden. Das erste ist schwer in einem Ministerium, das zweite nahezu unmöglich, denn soviel ich weiß, fängt man bei Euch gerade erst mit internen Netzen an. Aber du musst es versuchen, sonst kannst du die Aufgabe gleich zurückgeben. Außerdem musst du einen möglichst direkten Kontakt zu zentralen Polizeibehörden im Ausland aufbauen. Doch das ist nur die technische Seite. Das ganze wird eine Menge Geld kosten. Du darfst höchstens fünfzig Millionen Baht ausgeben, das ist der Teil der Versicherungsprämie, der bei Nicht-Inanspruchnahme zurückgezahlt wird. Um das ständig im Auge zu haben, brauchst du eine transparente Kostenrechnung. Mein Vater kann dir bestimmt ein geeignetes Programm nennen.“ Für Su war die laufende Kostenüberwachung bei der Arbeit selbstverständlich, doch hatte sie davon nichts an der Universität gehört, sondern im Geschäft ihres Vaters, wo sie in den Semesterferien Buchhaltung gelernt hatte. Für Siripong dagegen war eine leistungsbezogene Kostenrechnung völliges Neuland. Doch er sah Su’s Argument ein und ließ sich am nächsten Wochenende von ihr mit den Grundzügen vertraut machen. „Außerdem brauchst du eine fremdsprachlich versierte Sekretärin. Ich glaube, da kann Vater dir helfen“, warf Su ein. „Er hat vor kurzem eine junge Fremdsprachenkorrespondentin eingestellt, die fließend englisch und japanisch spricht und etwas von Kostenrechnung versteht. Vielleicht leiht er sie dir.“
Deng Pin Yuan, Su’s Vater, entstammte einer alten chinesischen Familie, die schon seit Generationen in Thailand lebte, bisher aber jede Vermischung mit den Thais vermieden hatte. Als seine Tochter ihm vor drei Jahren eröffnete, dass sie Siripong liebte und ihn heiraten wollte, war er entsetzt und versuchte mit allen möglichen Argumenten, ihr diesen Gedanken auszureden. Doch sie sagte kühl: „Chinesen gibt es schon viel zu viele auf der Welt, fast anderthalb Milliarden. Da brauche ich sie nicht noch zu vermehren. Außerdem weiß ich noch gar nicht, ob ich neben meinem Beruf Kinder haben will. Kurz, du kannst uns deinen Segen geben oder es bleiben lassen; ich heirate Siripong auf jeden Fall.“ Das war Blut von seinem Blut, so hätte er vor dreißig Jahren auch gesprochen. Da er seine einzige Tochter nicht nur abgöttisch liebte, sondern auch ein praktisch denkender Mensch war, stimmte er nach kurzem Überlegen zu. Hinzu kam, dass er sich über Su’s recht freies Leben allmählich Sorgen machte. „Die wilde Su“ nannte man sie überall. Vielleicht würde sie als Ehefrau zur Ruhe kommen.
Als kluger Geschäftsmann begann er dann, seinen künftigen Schwiegersohn nach Kräften zu fördern. Der erste Schritt war, für Siripong einen Studienaufenthalt in Europa zu finanzieren. Allerdings hatte er darauf bestanden, dass die beiden vor der Reise heirateten. Da sie sich innig liebten, war ihnen das nur recht gewesen. Es wurde keine ganz große Hochzeit, weil ein Teil der chinesischen Freunde die Verbindung mit einem Thai ablehnte. Andre moderner eingestellte begrüßten sie hingegen nachdrücklich. Auch einige Freunde von Siripongs Mutter waren entsetzt, denn chinesischstämmige Mitbürger werden in Thailand zwar akzeptiert, doch die bessere Gesellschaft und der öffentliche Dienst sind ihnen verschlossen. Daran sind sie allerdings auch kaum interessiert, denn der Handel bringt viel mehr ein. Jetzt freute sich Deng, dass die Investition in Siripongs europäische Ausbildung so bald Früchte getragen hatte. Er sah die Gefahr für die „Diamond 2000“ und war gern bereit, Sulak Juttathirikorn bis zur Ausstellung kostenlos auszuleihen.
Nach dem Telefonat mit Deng umarmte Siripong seine Frau und küsste sie zärtlich. „Ich habe zwar vor dem Minister den starken Mann markiert, als er mir die Aufgabe erläuterte, aber innerlich war mir gar nicht wohl dabei. Du hast mir sehr geholfen mit deinen klaren Gedanken“, sagte er leise, wenn seine Lippen einmal für kurze Zeit frei waren. Und verliebt streichelte er ihre Brust unter dem leichten chinesischen Hauskleid, das sie gerne trug, wenn sie allein waren, mit nichts darunter als dem Amulett. Doch Su nahm ihn an der Hand und führte ihn in ihr gemeinsames kleines Arbeitszimmer. Dort hatten sie ihren PC stehen, den vor allem Su häufig für Entwürfe benutzte. Darüber stand auf einer Konsole an der Wand eine große Jadefigur von Kuan Jin. Sie trug einen weiten Mantel, dessen Kapuze ihre Krone überdeckte. In der linken Hand hielt sie ein Fläschchen, aus dem Wasser des Lebens floss. Die Rechte war zum Segen erhoben. Beide liebten dieses Hochzeitsgeschenk von Su’s Vater, weil ihnen der Gedanke einer weiblichen Gottheit angenehm war in diesen patriarchalisch geprägten Religionen um sie herum. Doch Deng hatte sie aufgeklärt, dass Kuan Jin keine Göttin sei, sondern nur ein Bodhisattva, so etwas wie eine Heilige.
Sie knieten vor der Statue nieder, berührten mit der Stirn den Boden und baten sie im stillen Gebet um Unterstützung bei Siripongs schwieriger Aufgabe. Als Su nach dem Gebet aufblickte, fielen ihr wieder die beiden großen Poster neben der Statue ins Auge, die sie während ihrer wenigen Europabesuche bei Siripong fotografiert hatte. Eines zeigte den Parthenon-Tempel auf der Akropolis in Athen, das andere die Kirche Sacre Cœur in Paris. Sie hatten nie Bedenken gehabt, diese beiden heiligen Bauwerke anderer Religionen neben ihre „Göttin“ zu hängen.
„Ihr müsst unbedingt Paris besuchen, wenn ihr in Europa seid, es ist eine zauberhafte, eine verzaubernde Stadt“, hatte Siripongs Mutter, eine trotz ihrer 51 Jahre schöne und elegante Frau ihnen geraten, und ihre Augen leuchteten dabei in ganz eigenartigem Glanz. Als Frau eines Flugkapitäns hatte sie ihren Mann um die ganze Welt begleiten können. Und wirklich hatten die beiden in Paris, wo Siripong drei Monate bei der Sûreté mitarbeitete, neben allen kulturellen Eindrücken die wundervollste, leidenschaftlichste Nacht ihrer jungen Ehe erlebt, obwohl sie schon ein halbes Jahr verheiratet und vor der Ehe auch nicht prüde miteinander waren. „Es muss an der Stadt liegen“, sagte Siripong versonnen beim späten Frühstück, „meine Mutter hat sehr vorsichtig einmal angedeutet, mit meinem Vater ähnliches erlebt zu haben.“
Für einen Tag hatten sie noch einen Ausflug an die Loire eingelegt. Su hatte im Flugzeug einen Artikel über das Schloss Chenonceau und seine Geschichte gelesen. Bewegt standen sie im ehemaligen Schlafzimmer Dianes von Poitier. „Hier hat sie sich also mit Henri II geliebt“, dachte jeder für sich. Nach allen Berichten war Diane nicht nur eine schöne, sondern auch kluge und gütige Frau gewesen, und der König hatte sie sehr geliebt, bis er bei einem Turnier versehentlich getötet wurde und seine Witwe die Geliebte trotz ihres Eigentumsrechts aus dem Schloss warf, um es selbst zu bewohnen.
„Was sagst du als Ehefrau zu diesem Verhältnis?“, fragte Siripong, als er seine Frau in einem kleinen Mietboot auf dem Cher unter den Bögen des Brückenbaues hindurchruderte. Su überlegte eine Weile: „Ich habe auch schon darüber nachgedacht: Eigentlich müsste ich sie verurteilen. Aber ich kann es nicht, denn große Liebe darf man nicht verurteilen. Außerdem dürfte Heinrichs Ehe mit Katharina von Medici wohl bestenfalls eine Zweckheirat gewesen sein.“ „Ich danke dir für deine ehrliche Antwort“, erwiderte Siripong, „und ich verspreche Dir, deine Großmut nicht auszunutzen.“ Das Boot wäre beinahe gekentert, als Su aufsprang, um ihm mit einem Kuss zu danken.
Nach dem Frankreichbesuch war es für beide von Interesse gewesen, die kulturellen Quellen Europas mit eigenen Augen zu erkunden. Deshalb hatten sie bei Su’s nächstem Besuch den Mittelmeerraum besucht. Über Rom und Etrurien, Athen und den Peloponnes, die Westtürkei und Zypern, Santorin und Kreta waren sie nach Ägypten gekommen, wo sie aber wegen der politischen Verhältnisse nicht lange blieben. Trotzdem hatten ihnen Abu Simbel, Luxor, Gizeh und die Schätze im Kairoer Museum einen ausreichenden Eindruck von dieser Jahrtausende alten Hochkultur gegeben, die nach Meinung der Fachleute die griechische und damit die europäische Kultur maßgeblich beeinflusst hatte.
Ganz besonders hatten es ihnen die griechischen Tempel angetan. „Diese kühne und leichte Architektur, diese handwerkliche Vollkommenheit findest du nirgendwo auf der ganzen Erde“, sagte Su bewundernd. „Selbst der einzigartige Angkor Wat in Kambodscha, das Prunkstück unserer Kultur, verblasst gegen diese Bauwerke, abgesehen davon, dass er nicht halb so alt ist wie sie.“ „Ja, du hast Recht“, antwortete ihr Mann versonnen, „als Buddha in unserer Region sein großes Werk vollbrachte, waren diese Tempel hier schon im Bau.“ Tief beeindruckt waren sie von der Akropolis hinunter gestiegen und hatten unter der Umfassungsmauer in einem Gartenrestaurant bei einem Glas Wein zu Abend gegessen. Hand in Hand waren sie dann zum Hotel geschlendert, um immer noch bewegt von dem Gesehenen den Tag ausklingen zu lassen.
Die E-Mails, die sie sich während der langen Trennungszeiten zwischen den kurzen gemeinsamen Wochen schrieben, füllten ganze Festplatten. Deshalb waren sie Su’s Vater dankbar, dass er ihr die Europaflüge bezahlte. „Wenn ich dir schon deinen Mann für so lange Zeit abspenstig mache, muss ich doch wenigstens dafür sorgen, dass er seelisch nicht vor die Hunde geht“, sagte Deng lächelnd, als seine Tochter ihm beim ersten Flugschein um den Hals fiel. „Wenn er sich dort eine hübsche Europäerin anlacht, wird das viel teurer für uns alle.“ An diese beiden wunderbaren und doch so unterschiedlichen Nächte in Europa dachte Su beim Blick auf die Poster, und sie freute sich auf die kommende Nacht, als ihr Mann sie behutsam aufhob und ins Schlafzimmer trug.
Siripong war mit dem Kommunikationsleiter des Innenministeriums befreundet, der gerade das Intranetz aufbaute, ein außerordentlich fähiger Ingenieur namens Jumroen Prongfachan. Er bat den Minister ihm den Mann zur Verfügung stellen und nannte die von seiner Frau geschätzten Kosten von 50 Millionen Baht. Schweren Herzens genehmigte der Minister Siripongs Vorschläge und Jumroen ging ans Werk. Technisch war der Datenzugriff einfacher als Su befürchtet hatte, doch in vielen Köpfen stürzten Welten ein, weil man Informationen bisher mit niemandem teilte, sie waren ein Schatz, der Macht vermittelten. Nur die strenge Weisung des Ministers ermöglichte die Ausführung von Su’s Idee. In den nächsten Wochen schaltete Jumroen über polizei-eigene und zusätzliche von der Telecom gemietete Leitungen ein Netz durch ganz Bangkok, an das die Polizei, alle wichtigen Behörden und die staatlichen Verkehrs-, Versorgungs-und Telekommunikationsunternehmen angeschlossen waren. Da die vorhandenen Datenbanken alle unterschiedlich strukturiert waren, dauerte der Zugriff meist eine Weile, war aber doch bedeutend schneller, als wenn Siripong selbst die Behörden hätte kontaktieren müssen. Dank eines superschnellen Servers mit riesigem Speicherplatz funktionierte das so entstandene „Netz“ hinreichend, obwohl es ein Flickenteppich aus Hubs, Routern, Modems und Gateways mit digitalen und analogen Leitungen und unterschiedlichen Protokollen war. Als Krönung schuf er Siripong eine gesicherte Einwahlmöglichkeit von seinem privaten PC und vom Notebook über das Handy. Außerdem schaltete er direkte Verbindungen zu Interpol, dem FBI in Washington und dem zentralen japanischen Kriminalamt in Tokio. Damit war kein unmittelbarer Datenzugriff verbunden, aber sie konnten jederzeit und vor allem schnell Informationen erhalten.
Nur einmal gab es Schwierigkeiten: Während die meisten Behörden gehorsam die Weisung des Innenministers befolgten, weigerte sich Chalerm al Nawudh, der Bezirkschef der alten Innenstadt, den hierarchisch unter ihm stehenden Siripong überhaupt zu empfangen. Schon am nächsten Tag sah er sich dafür auf den gerade vakanten Posten des Leiters der Aktenverwaltung im Innenministerium versetzt. Dieses Exempel sprach sich schnell herum und Siripong hatte von nun an keine Schwierigkeiten mehr, dafür aber einen erbitterten Feind. Am meisten freute ihn der gute Kontakt zum Polizeichef von Bangkok. General Pongsakorn Saktasana. Der war erfahren genug, um zwei Dinge zu begreifen, nämlich dass der junge Mann ein Schützling seines vorgesetzten Ministers war und dass er ihm und seinen Polizisten eine wertvolle Hilfe beim Schutz der Ausstellung sein konnte. Und da Siripong den kleinen drahtigen Offizier, der vor Energie nur so sprühte, von vornherein als älteren erfahrenen Kollegen anerkannte, wies der alle Polizeidienststellen an, ihm jegliche Unterstützung zukommen zu lassen. Als Siripong ihm stolz sein Datennetz vorführte, sagte er nur trocken: „So etwas wünscht sich die Polizei schon lange. Aber ein wichtiger Datenbereich fehlt, nämlich die Meldelisten aller Hotels, zumindest der großen. Nur so können wir schnell heraus bekommen, wer wo zu finden ist.“
Siripong dankte dem erfahrenen Polizisten für den Tipp, und Jumroen machte sich an die Arbeit. Das war schwieriger als zunächst gedacht, weil die Hotels, wenn überhaupt, nur private Datennetze hatten, auf die sie nicht zugreifen durften. So vereinbarte Siripong mit den Hotelbetreibern, dass sie die Meldelisten nicht monatlich per Post übermittelten, sondern täglich um Mitternacht in einen sicheren Bereich seiner Webseite eintrugen. Einige hatten noch nicht einmal einen Internetaccount; den bezahlte Siripong für die nächste Zeit aus seinem Budget.